Soziale Situation - Ausgabe von Notgeld in Hohenzollern
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext zur Entstehung des Notgelds
Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 vermehrte sich das im Deutschen Reich gedruckte Geld, was eine stetig fortschreitende Verschlechterung des Geldwertes nach sich zog. Die bis zu ihrem Höhepunkt 1923 andauernde schleichende Inflation verschlechterte die Kaufkraft der Bevölkerung und dementsprechend alle damit zusammenhängenden sozialen Belange wie Arbeitsverdienste sowie Kranken- und Arbeitslosenversicherungen. Die Kosten für Wohnungsmieten sowie für Gebrauchswaren und Lebensmittel stiegen drastisch an. Gerade diese wirtschaftlich prekäre Situation führte zu einer fundamentalen Vertrauenskrise gegenüber der neu entstehenden Republik, der diese Entwicklung angelastet wurde.
Hatte während des Kaiserreiches noch eine Wertbindung an den Goldstandard die substanzielle Grundlage für den Wert des Geldes gebildet, setzte die deutsche Regierung diesen Goldstandard mit Beginn des Ersten Weltkrieges aus. Es folgte die Produktion von Privatbanknoten sowie die Einführung von Notgeld zur Deckung fehlender Banknotenmengen. Da diese Entwicklung nicht mehr durch den Goldwert gedeckt wurde und, sich die Banknotenproduktion wie auch die in Umlauf befindliche Geldmenge erhöhten, übernahm der Staat die Finanzierung des Krieges. Sie setzte damit unweigerlich die bis 1923 anhaltende Inflation in Gang, in der Hoffnung, entsprechende Schulden durch Kriegsgewinne zu kompensieren. Die immensen Auswirkungen der Kriegsniederlage mit ihren politisch tiefgreifenden Konsequenzen verschärften diese Entwicklung nochmals drastisch, insbesondere da im Übergangszeitraum weitere Staatsanleihen aufgenommen werden mussten. Zur Kompensation dieser Anleihen folgte eine weitere Welle von Notgeldscheinausgaben in allen Städten des Deutschen Reichs, was bei andauernder Inflation eine weitere Verschlechterung der Versorgungslage sowie der Lohnentwicklung bedeutete.
Quelle
Die in dieser Akte auf Reichsebene beschriebene Aufrechterhaltung des Wirtschaftsverkehrs mithilfe von Notgeld schien sich zumindest in den Hohenzollerischen Landen nicht so drastisch auszuwirken wie andernorts. Das für die Zuteilung des Notgeldes zuständige Reichsbankdirektorium hatte den Deutschen Städtetag in einem Schreiben vom 22. Januar 1919 wissen lassen, dass das Reichsbankdirektorium eine Verlängerung des Notgeldes über den 1. April 1919 hinaus nicht wünsche, um in Friedenszeiten zu einer geregelteren, d.h. nicht auf staatlicher Bezuschussung aufbauenden, Währungspolitik zurückzukehren. So wies das Ministerium für Gewerbe und Handel Regierungspräsidenten Belzer in einem Erlass vom 5. Februar dazu an, dass das Notgeld nur noch in solchen Städten und Kommunen verteilt werden sollte, „soweit es nach Lage der örtlichen Verhältnisse für die Aufrechterhaltung eines geordneten Zahlungsverkehrs noch nicht entbehrt werden kann.“ Jedoch betonte das Ministerium, „daß Notgeld nur so lange und so weit im Verkehr belassen werden darf, als es zu Beseitigung eines Notstands geboten ist.“
Ein solcher Notstand war aus Sicht des Ministeriums für Hohenzollern jedoch keineswegs gegeben. Am 18. März 1919 berichtete das Ministerium, es sei in der „Versorgung des Verkehrs auch mit Noten und Scheinen von 20 M[ark] und darunter eine wesentliche Besserung eingetreten“. Daher ersuchte das Ministerium für Handel und Gewerbe Regierungspräsidenten Belzer, die Ausgabe des Notgeldes vor dem Stichtag am 1. April 1919 einzustellen.
Dass Hohenzollern seine Notgeldpolitik frühzeitig einzustellen vermochte, dürfte auf die Zeit relativer wirtschaftlicher Prosperität in den Weltkriegs- und Übergangsjahren 1914-1923 zurückzuführen sein. Bereits zu Kriegsbeginn 1914 war die Übernahme der Landwirtschaft durch freiwillige Einsatzkräfte sowie der Ersatz der Männer durch Frauen in den Betrieben gelungen, was sich in einer kontinuierlichen Steigerung der bäuerlichen Produktionsstätten bis 1925 ausdrückte (von 6.893 Produktionsstätten im Jahr 1913 stieg die Zahl derselben auf 12.164 im Jahr 1925 an). Auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit, der aufgrund der Lohn-Preis-Spirale, d.h. aufgrund des im Zuge einer Inflation entstehenden Anpassungsdrucks zwischen Lohnerhöhungen einerseits und Preiserhöhungen andererseits, entstand, verlief mit Blick auf Hohenzollern vergleichsweise milde, da die Städte und Kommunen Hohenzollerns im Vergleich zu den Großstädten landwirtschaftlicher ausgerichtet waren. Bis 1925 blieben rund 60 % der Bevölkerung Hohenzollerns in der krisenfesten Landwirtschaft beschäftigt.
Dasselbe gilt mutatis mutandis für die Textilindustrie, die nach der Landwirtschaft Hohenzollerns die zweitwichtigste Einnahmequelle bildete und die schon im Kaiserreich und trotz des Krieges auch im Übergangszeitraum prosperierte: 1907 bis 1925 wurde in diesem Sektor ein Zuwachs an Erwerbstätigen von 2 % verzeichnet, da sich die Zahl der Erwerbstätigen von 8.606 (23 %) auf 11.224 (25 %) erhöhte. In gewerbenahen Dienstleistungsbereichen entwickelten sich die Beschäftigungszahlen ebenfalls trotz der Kriegsjahre positiv, nämlich von 3.600 (9 %) im Jahre 1907 auf 5.746 (13 %) 1925. Entsprechend dieser Entwicklung vermochte Sigmaringen frühzeitig aus der Notgeldpolitik auszusteigen.
GND-Verknüpfung: Soziale Situation [4077575-6]
Die vorgestellten Dokumente im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW:
Erlass des Regierungspräsidenten vom 5.2.1919
Schreiben des Regierungspräsidenten an die Bürgermeister von Sigmaringen und Hechingen vom 18.3.1919