Politisches Leben in Baden
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Einführung
Wenngleich Baden mit seiner Verfassung von 1818 über eine lange parlamentarisch-konstitutionelle Tradition zurückblicken konnte, existierten im Übergangszeitraum doch zahlreiche Hindernisse, die die Vollendung dieser 1918 bereits 100 Jahre zählenden Tradition zu verhindern drohten.
Hierzu zählte etwa die sogenannte Hohenlohe-Briefaffäre, die gleich zu Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen 1918 eine Kanzlerkrise um Max von Baden auslöste. Ferner sind die Organisation von Waffendepots zu nennen wie auch die Umsturzversuche durch paramilitärische Verbände wie die Organisation Escherich, die auch in Baden die Ablösung der demokratischen Ordnung plante. Darüber hinaus drohte auch Gefahr von links und rechts außen. So war die badische Rätebewegung zwar im Zuge der Wahlen zur verfassunggebenden badischen Nationalversammlung 1919 zum Erliegen gekommen. Dennoch sollten sich beispielsweise in Offenburg bis Sommer 1919, aber auch in Lörrach, das sich 1919 bis 1923 zum Ort sowohl nationalsozialistischer als auch kommunistischer Gewalthandlungen entwickelte, radikale Umsturzversuche und Protestbewegungen fortsetzen. Mit Hermann Ehrhardt (1881-1971) wurde in Lörrach einer der gewaltbereitesten Putschisten und Freikorpsanführer der Weimarer Republik geboren. Schließlich betrafen die Regelungen des Waffenstillstandsabkommens von 1918 sowie des Versailler Vertrages von 1919 Baden als Grenzland zu Frankreich oftmals direkt und unmittelbar. Dies drückte sich etwa in den Regelungen zu den besetzten Gebieten und der verwaltungstechnisch überaus schwierigen Aufgabe aus, den kurzlebigen Versuch der Gründung einer Republik Elsass-Lothringen durch die Rückführung von ca. 5.000 Flüchtlingen aus Baden nach Elsass-Lothringen zu unterstützen. Trotz dieser Probleme, Angriffe staatsfeindlicher Kräfte und weiterer Hindernisse segneten die Badener per Volksabstimmung die Ausarbeitung der Verfassung ab. Diese Entwicklung war nicht zuletzt wichtigen, aus Baden stammenden Demokraten wie Constantin Fehrenbach zu verdanken, die sich sowohl auf Landes- als auch auf Reichsebene für parteiübergreifende Kompromisse einsetzten. Schließlich zählte auch die DDP als Bestandteil der für Baden so wichtigen Weimarer Koalition zu den staatstragenden Kräften im demokratischen Staatsaufbau. Sie versuchte, angesichts der Wahlen zur badischen Nationalversammlung am 5. Januar 1919, durch eine neue programmatische Ausrichtung neue Wählerschichten zu erschließen.
Revolution 1918/19: Zwischen Räterepublik und parlamentarischer Demokratie
Das Großherzogtum Baden wurde von den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs stark getroffen und es war die daraus resultierende wirtschaftliche Krise, an der sich im Frühjahr 1917 der sozialrevolutionäre Funke entzündete. Revolutionäre forderten erstmals – auch für Frauen – stärkere politische Teilhaberechte in der Badischen Ständeversammlung. Dennoch sollte erst die militärische Niederlage politischen Änderungen den Boden bereiten.
Die Oberste Heeresleitung (OHL) hatte am 29. September 1918 die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen gefordert. Die Ententemächte hatten eine Demokratisierung Deutschlands zur Bedingung von Verhandlungen gemacht, woraufhin Reichskanzler Prinz Max von Baden am 3. Oktober eine erste parlamentarische Regierung bildete. Auch in Baden wurden in öffentlichen Protesten Stimmen laut, die eine Demokratisierung des Landes einforderten. Diese Proteste lösten 1918 auch in Baden die Novemberrevolution aus. Mehrheitssozialdemokratie auf der einen Seite sowie USPD und KPD auf der anderen Seite standen sich bis 1919 im Kampf um einen demokratisch-parlamentarisch geprägten bzw. einem nach dem Muster der Sowjetunion geformten Staat gegenüber.
Unter dem Druck der Straße reagierte der badische Staatsminister Freiherr Heinrich von Bodman am 19. Oktober 1918 mit einer Erklärung, in der er eine Verfassungsreform für Januar 1919 ankündigte. Aufgrund traditionell guter Beziehungen zwischen Vertretern des Bürgertums und den Sozialdemokraten verlief die Revolution von 1918/19 in Baden vergleichsweise unblutig. Zu weitestgehend gewaltlosen Protesten kam es beispielsweise in der Residenzstadt Karlsruhe sowie in Lahr, wo am 8. November rote Fahnen gehisst und Forderungen nach der Republik laut wurden. In den darauffolgenden Tagen kam es auch in Karlsruhe und insbesondere im tiefroten Mannheim zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten und zur Einforderung demokratischer beziehungsweise vom Rätemodell geprägter Ordnungsvorstellungen.
Im Sinne der politischen Konsolidierung hatte Großherzog Friedrich II. (1857-1928, Regierungszeit von 1907-1918) bereits am 9. November eine Versammlung des Landtags für den 15. November einberufen. Am 10. November entließ er die amtierenden Minister. Am 9. November bildeten sich in Karlsruhe und Mannheim Arbeiter- und Soldatenräte, die versuchten, politisch vollendete Tatsachen zu schaffen. So rief der Mannheimer Arbeiter- und Soldatenrat am 10. November die sozialistische Republik Baden aus.
Wie in Städten anderer Länder, beispielsweise in Frankfurt am Main oder Köln, kam es am 10. November auch in Karlsruhe zur Gründung eines sogenannten Wohlfahrtsausschusses, der die Revolution eindämmen und in demokratische Bahnen lenken sollte. Regierungsverhandlungen mit den Soldatenräten mündeten in der Bildung einer provisorischen Volksregierung. Diese Regierung setzte sich parteiübergreifend aus Angehörigen der Sozialdemokratie, der Linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei (FVP), des Zentrums (Z) und der Nationalliberalen Partei (NLP) zusammen. Konservative waren nicht beteiligt. Die Sozialdemokratie stellte fünf von elf Ministerien. Erster badischer Ministerpräsident wurde Anton Geiß (SPD). Großherzog Friedrich II. floh angesichts der revolutionären Unruhen aus seiner Karlsruher Residenz, verzichtete jedoch noch nicht endgültig und nicht offiziell auf die Regierungsgewalt.
Daher erkannte der Großherzog die neue provisorische Volksregierung keinesfalls offiziell an. Doch auf den Druck der Arbeiter- und Soldatenräte hin drängten Geiß und der ehemalige Präsident des badischen Staatsministeriums, Heinrich von Bodman, Friedrich II. am 13. November zum Rücktritt. Friedrich II. verzichtete unter diesen Umständen auf die Regierungsgewalt und am 22. November auch endgültig auf den Thron.
In dieser Hinsicht verlief der politische Umbruch in ruhigen Bahnen, was die revolutionären Forderungen der kommunistisch orientierten Rätebewegung auszubremsen drohte. Um ihre Vorstellungen eines Räte-Deutschlands voranzutreiben, formierten sich Mannheimer Arbeiter- und Soldatenräte am 21. und 22. November zu einer Landesversammlung, die sich – neben der provisorischen Volksregierung – zum Vorparlament ausrief. Auf diese Weise konstituierte sich nach dem Ausscheiden des Großherzogs eine doppelte Regierungsstruktur, innerhalb derer sich die Organe der Rätebewegung sowie die Behörden der Volksregierung gegenüberstanden. Daher hoffte die provisorische Volksregierung, das politische Patt durch das Anberaumen von Wahlen zu einer verfassungsgebenden badischen Nationalversammlung zu klären, die sie am 14. November 1918 für den 5. Januar 1919 ansetzte und hierfür auch Frauen das Wahlrecht zugestand.
In den folgenden Wochen und Monaten ging eine parteiübergreifend zusammengestellte juristische Expertenkommission aus Vertretern der Sozialdemokratie, des Zentrums, der Nationalliberalen Partei und Fortschrittlicher Volkspartei an die Ausarbeitung eines abstimmungsfähigen Verfassungskonzepts. Auch die Vertreter der konkurrierenden Arbeiter- und Soldatenräte, die nicht an diesen Beratungen beteiligt wurden, gingen ihrerseits daran, eigene Verfassungskonzepte auszuarbeiten.
Ziel insbesondere des Sozialdemokraten Dr. Eduard Dietz war es, das undemokratische Zweikammersystem der Badischen Ständeversammlung in ein demokratisch gewähltes Einkammersystem eines Badischen Landtages zu überführen. Am 5. Dezember 1918 gab er ein entsprechendes Verfassungskonzept an die Presse weiter, um einem Einkammersystem öffentlichkeitswirksam den Weg zu bereiten. Denn eine der insgesamt zwei von der Kommission vorgelegten Versionen beinhaltete weiterhin ein Zweikammersystem, dass nach Bekanntgabe in der Öffentlichkeit und im Abgleich mit Dietz‘ Entwurf stark kritisiert wurde. Auch die provisorische Volksregierung stellte sich auf Dietz‘ Seite und verwendete sein Konzept als Grundlage für die weiteren Verfassungsberatungen.
Die Wahlen vom 5. Januar 1919 führten in Baden zur Regierungsbildung von Parteien der sogenannten Weimarer Koalition aus Zentrum (39 Sitze), SPD (36 Sitze) und DDP (25 Sitze). Eine Regierungsbildung, die sich anlässlich der ersten Landtagswahlen am 30. Oktober 1921 trotz starker Verluste für die DDP wiederholte (Zentrum 34 Sitze, SPD 20 Sitze, DDP 7 Sitze). Die Weimarer Koalition, die auf Reichsebene nur bis 1921 die Weichen für den demokratischen Aufbau stellen sollte, bildete in Baden bis 1933 die Grundlage aller Regierungen. Die Rätebewegung in Form der USPD erhielt gerade einmal 15.000 Stimmen, was ihr vorläufiges politisches Aus bedeutete. Damit war die Frage zwischen Rätemodell und parlamentarischer Demokratie, trotz eines letzten revolutionären Aufflammens in Mannheim anlässlich der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) am 21. Februar 1919, zugunsten letzterer entschieden.
Zu den ersten Aufgaben des badischen Parlaments gehörte die weitere Ausarbeitung des Dietzschen Verfassungsentwurfs, die eine aus 21 Landtagsmitgliedern gebildete Verfassungskommission, mit Dietz als Vorsitzendem, übernahm. Am 12. März 1919 wurde der Entwurf dem Landtag vorgelegt, der ihn am 25. März ratifizierte. Der Entwurf wurde zum Plebiszit – dies ein Alleinstellungsmerkmal der badischen Verfassung – vorgelegt und am 13. April mehrheitlich von den Badenern angenommen. Entsprechend der Verfassung wurde ein Staatsministerium gegründet, das nach dem Kollegialitätsprinzip organisiert wurde. Dies bedeutete, dass alle Minister und Staatsräte als Teil des Staatsministeriums fungierten. Dieser Kreis wählte eines seiner Mitglieder für ein Jahr zum Staatspräsidenten, wobei die an der Regierung beteiligten Parteien sich hierbei abzuwechseln pflegten. Damit war der demokratische Umbau der Regierung zumindest de jure abgeschlossen.
Jahre innen- und außenpolitischer Krisenerfahrung 1920-1923
Außen- und innenpolitisch sahen sich Regierung und Parlament bis 1923 vor enorme Herausforderungen gestellt. Nach der Abtretung Elsass-Lothringens grenzte Baden wieder direkt an Frankreich, das eine entmilitarisierte Pufferzone auf der rechten Rheinseite eingerichtet hatte. Daher zählte Baden auch zu den Leidtragenden, wenn es zu Verletzungen des Versailler Friedensabkommens kam. So besetzte Frankreich Ende Juni 1920 die Rheinhäfen in Mannheim und Karlsruhe. Dieser Konflikt gipfelte in der Ruhrbesetzung von 1923, die sich auch auf das badische Territorium auswirkte. In Baden beeinflusste die französisch-belgische Besetzung zusätzlich zur Inflation auch die Infrastruktur. Die Hauptverkehrsverbindungen zwischen Mannheim, Karlsruhe und Basel sowie zwischen Offenburg und Konstanz waren unterbrochen worden. Denn Frankreich hatte im Zuge der alliierten Rheinlandbesatzung strategisch wichtige Brückenköpfe wie Kehl sowie die für das Verkehrsliniennetz Badens so wichtige Stadt Offenburg okkupiert. Personenverkehr und Industrie wurden stark getroffen. Erste Verbesserungen ergaben sich erst ab November 1923, als die Reichsregierung mit der Rentenmark eine neue Währung einführte und der Hyperinflation Herr wurde.
Auch innenpolitisch lagen im Übergangszeitraum bis 1923 einige Prüfsteine auf dem Weg zur gefestigten Demokratie. Das innenpolitische Krisenjahr 1920, das reichsweit von rechtskonservativen und kommunistischen Umsturzversuchen geprägt war, sorgte keineswegs für ideale Ausgangsbedingungen. In Karlsruhe führten Preissteigerungen und Lohnsenkungen im Juli 1920 zu lang anhaltenden Sozialprotesten. Von rechts organisierte sich die sogenannte Organisation Escherich, kurz Orgesch, die zu den wichtigsten paramilitärischen Netzwerken rechter Umsturzplanungen zählte und die auch in Baden Waffendepots anlegte.
1922 folgte ferner ein erster politischer Skandal: Hermann Hummel (DDP) verabschiedete sich im November 1922 aus dem Staatspräsidium und ging anschließend direkt in die höhere Verwaltung der Badischen Anilin- und Sodafabrik (heute BASF). Seine politischen Gegner unterstellten ihm, seine Amtszeit womöglich mit den wirtschaftlichen Interessen der Fabrik vermengt zu haben.
Schließlich kam es 1923 innenpolitisch zu den sogenannten oberbadischen Unruhen, die von Angehörigen der KPD organisiert wurden. Sie planten den bewaffneten Umsturz für Baden und die Errichtung einer Räterepublik. Der Polizei gelang es jedoch, die weitestgehend regional auf Lörrach beschränkten Unruhen unter Kontrolle zu bringen und den Konflikt einzudämmen.
Ein reichspolitischer Konflikt ergab sich schließlich aus der Frage, wie sich Baden nach 1918 zu seinen Nachbarländern sowie zum Reich selbst zu verhalten geachte. Im Zuge der durch den Versailler Friedensvertrag erlittenen Gebietsverluste sowie der Veränderung des politischen Systems in Deutschland mussten sich in einer Zeit der politischen, territorialen und wirtschaftlichen Krise die Länder die Frage stellen, wie reichsnah bzw. eigenständig-föderalistisch sich die jeweiligen Landesregierungen gegenüber den Reichsinstitutionen verhalten sollten. Gerade der über regionales Selbstbewusstsein verfügende sowie traditionell als Gegengewicht zum preußischen Norden agierende Süden des Reiches schloss sich in Form Badens, Württembergs, Bayerns und Hessens zusammen, um sich für eine stärker föderale Staatsorganisation einzusetzen. Letztlich scheiterten solche Bestrebungen jedoch am Zustandekommen einer hierfür vorgesehenen Kommission sowie den Eigeninteressen der beteiligten Länder, insbesondere Bayerns.
Dass die badische Regierung in der Durchsetzung föderalistischer Interessen nicht bereit war, den letzten Schritt zu gehen, zeigt zudem ein weiteres Projekt, das ebenfalls die Errichtung eines süddeutschen Gegengewichts zum politisch dominanten Norden zum Ziel hatte. So kam auch ein Zusammenschluss Württembergs, des Regierungsbezirks Hohenzollern und Badens zu einem Land Großschwaben ebenfalls nicht zustande. Dieses Vorhaben hätte sowohl in weiten Teilen der Bevölkerung als auch insbesondere unter Vertretern der Industrie, die auf die wirtschaftliche Stärke Württembergs verwiesen, Zustimmung gefunden. Es zerschlug sich aber ebenso an der abwarteten Haltung der badischen Regierung, die zum einen auf den eigenen politischen Machterhalt bedacht war und zum anderen die wirtschaftliche Dominanz Württembergs fürchtete. Daher scheiterte auch diese Idee 1923.
Zusammenfassung
Entscheidender Ausgangspunkt für die Entwicklung Badens bis 1923 und damit für die revolutionäre Anfangsphase bildeten die sich den Kriegsjahren anschließenden wirtschaftlichen Negativfolgen. Diese führten 1918 zu ersten revolutionären Forderungen in Baden und beförderte das Entstehen der Rätebewegung. Jedoch begünstigte die annähernd 100-jährige parlamentarische Kultur in Baden mit der Verfassung von 1819 die Bildung einer parlamentarischen Republik Baden und nicht eines sozialistischen Rätemodells. Der Großherzog legte seinen Anspruch auf die Regierungsgewalt nieder, dankte ab und wurde territorial weitestgehend enteignet. Anlässlich der Wahlen zur badischen Nationalversammlung, der Wahlen zum Reichstag sowie bei den ersten Landtagswahlen 1921 siegte in Baden die Weimarer Koalition aus Zentrum, Sozialdemokratie und DDP. Diese Koalition bildete bis 1931 die Grundlage für alle Regierungen in Baden. Auch Frauen wurde das Wahlrecht zugestanden und mehrere weibliche Kandidatinnen gelangten über das passive Wahlrecht in den Landtag.
Ausschlaggebend für das territoriale und staatsrechtliche Verhalten Badens nach 1918 wurden Perspektiven, sich entweder stärker an das Reich anzulehnen oder zu versuchen, föderalistische Strukturen auszubauen. Dieser Zwiespalt drückte sich einmal in der Bedrohung durch Frankreich aus, zu dem Baden ab 1918 erneut eine direkte Grenze besaß. Er artikulierte sich zudem in der Ablehnung des überwiegenden Teils der badischen Regierung, im Verbund mit dem Regierungsbezirk Hohenzollern und Württemberg ein gemeinsames Land Großschwaben zu bilden.