Gernsbach mit Hörden, Gaggenau und Rotenfels

Die Synagoge in Gernsbach, vor 1938. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 624]
Die Synagoge in Gernsbach, vor 1938. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 624]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Die Stadt Gernsbach war als speyerisches Lehen Hauptort der Grafschaft Eberstein. Nach dem unglücklichen Ausgang seiner Fehde mit Württemberg musste Graf Wolf von Eberstein 1387 die Hälfte seiner Grafschaft mit der Stadt Gernsbach an Markgraf Rudolf VII. von Baden verkaufen. Nach dem Aussterben der Grafen von Eberstein 1660 zog Speyer die ebersteinische Hälfte als erledigtes Lehen ein, so dass bis zum Ende des Hochstifts 1803 ein badisch-speyerisches Kondominat bestand. 1803 fiel auch der speyerische Anteil an Baden.

Das Nebeneinander zweier sich häufig befehdender Landesherrschaften und die damit verbundene doppelte Schutzgeldforderung hielt die Juden lange von einer Ansiedlung ab. Erst seit 1683 saß im speyerischen Teil Gernsbachs eine Judenfamilie in Schutz. 1701 waren es bereits zwei. Einige Jahre später finden wir drei Juden in der Stadt, jedoch ohne Schutzbrief. 1724 bzw. 1730 wurden zwei von ihnen in den Schutz aufgenommen, wobei sie das Schutzgeld und die übrigen Abgaben für die vergangenen Jahre nachentrichten mussten. Das Schutzgeld und das Neujahrsgeld für die Beamten wurde zwischen Baden und Speyer geteilt. Wollten die Juden in der Altstadt wohnen, so mussten sie sich im Ghetto, der Judengasse, niederlassen. Später zogen sie es vor, außerhalb der Stadtmauern in den Vorstädten Bleich, Igelbach und Hof ihre Häuser zu bauen. Zwischen 1760 und 1770 zogen aus Hörden zwei Juden zu. Von den beiden war es vermutlich David Kaufmann, der in der Salmengasse eine Wirtschaft „Zum Salmen" als Herberge für jüdische Händler - meist aus Hörden - einrichtete, die aber wegen „faulem Betrieb" wieder einging. Der Enkel Simon Kaufmann versuchte in späteren Jahren vergeblich, die Judenwirtschaft wieder zu eröffnen. Um 1832 erwarb der aus Hörden zugewanderte A. Nachmann das Haus, in dem er das Warenlager seines Einzelhandelsgeschäfts für Geschirr- und Eisenwaren in der Bleichstraße einrichtete. Nach der Emanzipation der Juden ließ sich als erster Eli Neter, der einen Eisengroßhandel betrieb, am Marktplatz nieder. Aus dieser Familie stammte der Mannheimer Kinderarzt Dr. Eugen Neter (1876-1966), der freiwillig seine nach Gurs verschleppten Glaubensgenossen begleitete und später nach Palästina übersiedelte. Die israelitische Gemeinde Gernsbach war auch im 19. und 20. Jahrhundert klein. 1825 zählte sie 56, 1875 32, 1895 68, 1900 57, 1925 65 und 1933 54 Seelen.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts richteten sich die Gernsbacher Juden im Hause Hauptstraße 45 einen Betsaal ein. Da er wegen der Nähe der Kirche beanstandet wurde, bauten sich die Juden außerhalb der Stadtmauer, vor dem Färbertor, eine Synagoge, die am 21. Juni 1860 eingeweiht wurde. Da 1928 die jüdische Gemeinde Hörden bloß noch 23, die in Gernsbach 65 Juden zählte, wurden die beiden Gemeinden zur Israelitischen Religionsgemeinde Hörden-Gernsbach vereinigt. Sie erbaute sich 1928 eine gemeinsame Synagoge in der Austraße, die zum Teil mit dem Verkaufserlös der Hördener Synagoge bezahlt wurde. Seit 1827 gehörten beide Gemeinden zum Rabbinatsbezirk Bühl. Ihre Toten wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof Kuppenheim beigesetzt. Das Verhältnis zwischen Juden und Christen war vor 1933 in Gernsbach gut. Juden waren Gemeinderäte, Bürgerausschußmitglieder sowie Mitglieder im Militär-, Gesangoder Turnverein. Im Ersten Weltkrieg holten sie sich manche Tapferkeitsauszeichnungen. Julius Falk ist den Soldatentod gestorben.

Am Wirtschaftsleben hatten die Juden bis 1937/38 durch eine Möbelhandlung, zwei Konfektionsgeschäfte und eine Eisenhandlung Anteil. Die Eisengroßhandlung Neter war schon vor 1930 durch Wegzug oder Tod der Familienmitglieder eingegangen. Seit 1933 wurden die jüdischen Geschäfte durch Plakate und durch Aufhetzung der Schuljugend boykottiert. Die Bevölkerung billigte diese Maßnahmen nicht, konnte aber nicht viel dagegen unternehmen. In der Kristallnacht im November 1938 wurden von auswärtigen SA-Leuten jüdische Geschäfte und Wohnungen demoliert, die neuerbaute Synagoge angezündet und etwa 20 Männer nach Dachau abtransportiert. Bis 1939 wanderten die meisten Juden aus Gernsbach vorwiegend nach den USA, einige wenige auch nach Palästina, Uruguay und Argentinien aus. Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten 9 Juden aus Gernsbach nach Gurs deportiert. Aus dem Lager Gurs wurden 3 Kinder befreit. Arthur Kahn und Eugen Lorsch starben 1941 im Lager Rivesaltes, Hermann Nachmann 1942 im Lager Noe. Die übrigen Deportierten sind wahrscheinlich nach Auschwitz gebracht und dort ermordet worden. Die Eheleute Moritz und Hedwig Stern, die mit ihrer 1925 geborenen Tochter Eva 1939 nach Stuttgart umgezogen waren, wurden 1941 von Stuttgart aus nach Riga deportiert und sind seither verschollen. In Gernsbach erinnert heute nichts mehr an die ehemalige jüdische Gemeinde. An der Stelle der zerstörten Synagoge wurde noch während des Krieges ein Wohnhaus erbaut, das 1944 durch Bomben zerstört und nach dem Kriege wiedererrichtet wurde.

Der jüdischen Gemeinde Gernsbach waren 1933 die Juden der Murgtalorte Hörden, Gaggenau und Rotenfels als Filialen angeschlossen.

1387 kamen die Hälfte des ebersteinischen Dorfes Hörden durch Kauf an die Markgrafen von Baden. Der Anteil der Grafen von Eberstein kam 1624 an die Grafen von Wolkenstein, 1673 an den Bischof von Speyer und 1676 ebenfalls an Baden-Baden. 1688-98 befand sich Hörden im Pfandbesitz von Baden-Durlach. Seit 1771 gehörte es zur wiedervereinigten Markgrafschaft Baden.

Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wohnten in Hörden zeitweilig ein bis zwei Judenfamilien. Zum ersten Mal berichtet ein Visitationsprotokoll von 1683 von einem Juden, über dessen Nichtsnutzigkeit und Schlechtigkeit sich allerdings die ganze Nachbarschaft beklagte, da er die armen Untertanen aussauge und Veranlassung zu vielen Diebstählen gäbe.

Ein anderer Jude, den Hörden zwischen 1689 und 1700 unter durlachischer Pfandschaft aufnehmen musste, soll ebenfalls viel Wucher und Hehlerei betrieben haben. In der Zeit von 1753-59 wird wieder von einer Judenaufnahme berichtet. 1764 wohnten zwei Judenfamilien in Hörden. Als Bandkrämer und Wucherer fristeten sie ein kärgliches Leben. So oft sich Gelegenheit bot, verlegten Hördener Juden ihren Wohnsitz nach Gernsbach, wo es bessere Verdienstmöglichkeiten gab. In Hörden bildete sich deshalb nie eine große jüdische Gemeinde. 1801 betrug ihre Zahl 20, 1825 46, 1875 70. 1887 hatte die Gemeinde mit 71 Mitgliedern ihren höchsten Stand erreicht. 1900 zählte sie 35, 1925 23 und 1933 nur noch 14 Seelen. 1860-62 baute sie sich eine eigene Synagoge, die am 4. Februar 1862 eingeweiht wurde. Nach der Vereinigung mit der israelitischen Gemeinde Gernsbach wurde die Synagoge am 15. März 1928 durch den Synagogenrat für 6.050 Reichsmark der politischen Gemeinde verkauft und der Erlös noch im gleichen Jahr zum Bau der gemeinsamen neuen Synagoge in Gernsbach verwendet. Die ehemalige Synagoge in der Landstraße dient heute als Wohnhaus. In großherzoglich badischer Zeit besserte sich die wirtschaftliche und soziale Lage der Juden. Die meisten trieben Viehhandel, manche eröffneten ein Ladengeschäft. Bis 1938 konnten sich an jüdischen Unternehmen halten: ein Textilwarengeschäft, ein Kolonialwarengeschäft, eine Metzgerei und das Gasthaus mit Pension „Zum Adler", dessen Inhaber zugleich Viehhandel trieb.

Das Verhältnis zwischen den jüdischen und christlichen Bürgern war in der Zeit der Weimarer Republik gut. Nach Hitlers Machtergreifung versuchte der 1936 verstorbene Bürgermeister Schwan die Juden so gut es ging zu schützen, wofür er im „Stürmer" verleumdet wurde. Noch im Januar 1935 ernannte der Verwaltungsrat der Hördener Feuerwehr mit Genehmigung der Landesführung der Feuerwehr in Heidelberg den Juden Julius Maier zum Ehrenkommandanten. Kurz darauf musste diese Ehrung rückgängig gemacht werden.

In der Kristallnacht im November 1938 selbst fanden in Hörden keine „Aktionen" statt. Erst am nächsten Tag kam die SA aus Gernsbach und demolierte die Einrichtungen des Gasthauses „Zum Adler" und des Textilwarengeschäfts Julius Maier. Der Adlerwirt Ludwig Stern erlag 1938 im KZ Dachau den Mißhandlungen. Nach diesen Ereignissen wanderten die meisten Juden nach Holland, England und den USA aus. In Holland wurde Hans Fritz Maier von der Gestapo verhaftet und in das KZ Mauthausen gebracht, wo er 1941 starb. Zerline Stengel kam 1943 vom KZ Westerbork in Holland nach Auschwitz und wurde dort ermordet. Am 22. Oktober 1940 wurden aus Hörden vier Juden nach Gurs deportiert. Emilie und Julius Maier fanden später in Auschwitz den Tod.

Die Juden von Gaggenau (1875 7, 1900 0, 1925 8) waren bis 1928 der Gemeinde Hörden, danach Gernsbach als Filiale angeschlossen. Die 1933 hier wohnenden beiden Familien wanderten nach Palästina und den USA aus.

Im benachbarten Rotenfels lebte seit 1906 der bei der Bevölkerung sehr geschätzte und beliebte Arzt Dr. Meyerhoff mit seiner Familie. Er starb kurz vor Beginn der Deportationen in Mannheim. Seine Kinder konnten nach den USA auswandern.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Langenbach, Heinrich, Gernsbach im Murgtal. Eine Stadtgeschichte während 700 Jahren, 1922.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Gernsbach, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Gernsbach

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Langenbach, Heinrich, Gernsbach im Murgtal. Eine Stadtgeschichte während 700 Jahre, 1922, S. 107-110.
  • Mohr, Günther, „Neben, mit Undt bey Catholischen“. Jüdische Lebenswelten in der Markgrafschaft Baden-Baden 1648-1771, Köln u. a. 2011.
  • Renger-Zorn, Cornelia, Erste Juden in Gernsbach, URL: https://literaturdesign.de/Juden_in_Gernsbach/Erste_Juden/erste_juden.html (aufgerufen am: 10.01.2023).
  • Renger-Zorn, Cornelia, Juden in Gernsbach, URL: https://literaturdesign.de/Juden_in_Gernsbach/juden_in_gernsbach.html (aufgerufen am 10.01.2023).
  • Schneid-Horn, Irene, Jüdisches Leben in Gernsbach. Eine Spurensuche, 2008.
  • Stiefvater, Oskar, Geschichte und Schicksal der Juden im Landkreis Rastatt (Um Rhein und Murg. Heimatbuch des Landkreises Rastatt, Bd. 5) 1965, S. 42-83.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 297-299.

Hörden

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
Suche