Neckarbischofsheim

Plan zur Einfriedung der Synagoge in Neckarbischofsheim mit Wohnhaus des Vorsängers, um 1871. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 377 3344]
Plan zur Einfriedung der Synagoge in Neckarbischofsheim mit Wohnhaus des Vorsängers, um 1871. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 377 3344]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Die dem Ritterkanton Kraichgau inkorporierte Stadt Bischofsheim war vom 13. Jahrhundert bis 1803 eine Besitzung der Familie von Helmstatt. Nach ihrem Anfall an Baden im Jahre 1806 kam zur Unterscheidung gegenüber Tauberbischofsheim und Rheinbischofsheim die Bezeichnung Neckarbischofsheim auf, obwohl die Stadt mehr als 10 Kilometer westlich des Neckars liegt.

Der Artikel 35 der bürgerlichen Statuten von Neckarbischofsheim aus dem Jahre 1616 bestimmte: „Es solle auch keiner allhie fürtter mit den Juden ohne Vorwissen der Obrigkeit zue thun oder zu schaffen haben, bey straf jedesmal 10 fl." Die Vorschrift lässt offen, ob sie sich auf ortsansässige oder nur zum Handel hereinziehende Juden bezog. Die älteste erhaltene Nachricht über ortsansässige Juden bildet ein Eintrag im Totenbuch vom Jahre 1648, der eine schon mehrere Jahre bestehende jüdische Gemeinde voraussetzt. Am 31. Januar 1648 ertrank der kleine Christoph Haug in einem alten Keller, „worin sich die Judenweiber zu reinigen pflegten". Darunter ist ein jüdisches rituelles Frauenbad zu verstehen. Die Bürgermeisterrechnung von 1694 erwähnt sechs jüdische Haushaltungen. Im 18. Jahrhundert wuchs ihre Zahl. Im Konzessionsbrief vom 22. November 1746 werden die „innerhalb unserer Stadt- und Ringmauer zu Bischofsheim gesessenen Juden" aufgezählt. Bei den 20 Namen handelt es sich wohl um Haushaltungsvorstände. Ein Jude war um 1740 nach Karlsruhe gezogen, um sich in der neuen badischen Residenzstadt ein modellmäßiges Haus zu bauen. Seit 1783 wurde ein heute noch erhaltenes Gemeindebuch geführt. Die Napoleonischen Kriege mit ihren dauernden Truppendurchmärschen, Einquartierungen, Futter- und Lebensmittelrequisitionen waren für die Juden, die vom Handel leben mussten, eine einträgliche Zeit. 1807 war jeder zehnte Einwohner von Neckarbischofsheim ein Jude. 1813 betrug ihre Zahl 140, 1825 187 (10,4 Prozent von 1.798 Einwohnern), 1859 189; dann ging sie durch die Abwanderung in die Industriestädte stark zurück: 1865 160, 1875 117, 1884 122, 1900 109, 1925 40 und 1933 37.

Die Synagoge in Neckarbischofsheim, um 1934. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA EA 99/001 Bü 305 Nr. 1264]
Die Synagoge in Neckarbischofsheim, um 1934. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA EA 99/001 Bü 305 Nr. 1264]

Die älteste Einrichtung der jüdischen Gemeinde war das 1648 erwähnte Frauenbad. Einen eigenen Friedhof besaß sie nicht. Ihre Toten fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem zwischen 1648 und 1690 im Waibstadter Wald angelegten Verbandsfriedhof der pfälzischen und ritterschaftlichen Juden. Im Konzessionsbrief von 1746 ist von der Judenschule in der alten Rathausgasse die Rede. Damit ist wohl eine Religionsschule mit einem Betsaal gemeint. 1769 wurde eine regelrechte Synagoge erbaut, die bis 1848 ausreichte und dann durch einen Neubau für die inzwischen stark angewachsene Gemeinde ersetzt wurde. Den Baugrund für diese neue Synagoge an der Schulstraße erwarb die jüdische Gemeinde von den Grafen von Helmstatt. Da das Gelände sehr sumpfig war, musste das Gotteshaus auf einem Pfahlrost gebaut werden. 1898 wurde das 50jährige Jubiläum der Synagoge festlich begangen. Bis 1824 war Neckarbischofsheim Rabbinatssitz. In diesem Jahre zog der letzte Rabbiner Jakob Koppel Bamberger nach Worms. Bei der Neueinteilung der Rabbinatsbezirke 1827 kam Neckarbischofsheim zum Rabbinatsbezirk Sinsheim. Die jüdische Gemeinde besaß bis zu ihrem Ende einen Wohltätigkeits- und einen Frauenverein, die die erforderlichen Liebesdienste an Lebenden und Toten ausübten. 1938 wurden die Juden der aufgelösten Gemeinde Siegelsbach der jüdischen Gemeinde Neckarbischofsheim zugeteilt.

Wie allerorts lebten auch die Juden in Neckarbischofsheim vom Handel. Mit dem Aufkommen der Industrie suchten sehr viele in größeren Städten ein besseres Auskommen. 1933 befanden sich noch mehrere Einzelbetriebe in jüdischem Besitz, darunter ein Manufaktur- und Kolonialwarengeschäft, deren Inhaber zugleich eine Schnapsbrennerei und eine Landwirtschaft betrieben, und ein Papierwarengeschäft. Außerdem gab es eine Getreide-, Mehl-, Futtermittel-, Kunstdünger- und Kohlenhandlung, ein Baumaterialiengeschäft und ein Reisegeschäft für Eisenwaren und Reklameartikel. Der jüdische Arzt Dr. Georg Homburger leitete das Krankenhaus und besaß daneben eine Privatpraxis.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Bürger von Neckarbischofsheim in der Regel nicht allzu gut auf die Juden zu sprechen, da es diese des Schutzes wegen mit der adeligen Grundherrschaft hielten. Am 4. März 1848 leitete ein „Judenkrawall" die revolutionäre Erhebung der Bürger und Bauern gegen die Herren von Heimstatt ein. Seit der Emanzipation der Juden im Jahre 1862 gestaltete sich das Zusammenleberi von Juden und Christen in zunehmendem Maße tolerant und freundlich.

Während der Herrschaft des Nationalsozialismus hatten auch die Juden in Neckarbischofsheim unter den wirtschaftlichen und sozialen Diskriminierungen zu leiden. In der Kristallnacht im November 1938 wurde die Synagoge bis auf die Grundmauern zerstört und die noch anwesenden jüdischen Männer für einige Wochen in das KZ Dachau verbracht. Das Vorsängerhaus neben der Synagoge war kurz zuvor verkauft worden. Die Religionsschule teilte das Schicksal der Synagoge. Privathäuser blieben verschont. Um den Verfolgungen zu entgehen wanderten 20 Juden nach den USA, nach Palästina, Holland und England aus; einige verzogen in andere deutsche Städte, 2 starben noch in der Heimat. Am 22. Oktober 1940 wurden 12 jüdische Einwohner nach Gurs deportiert. Von ihnen wurden 7 aus dem Lager entlassen oder konnten entfliehen und überlebten den Krieg in Südfrankreich und in der Schweiz. Mindestens 2 wurden in Auschwitz ermordet, 2 starben in Gurs und Rivesaltes. 3 ehemalige Neckarbischofsheimer Juden wurden von Holland aus nach Sobibor verschleppt und dort ermordet. Von denen, die nach 1933 innerhalb Deutschlands umgezogen sind, verloren 2 in der Deportation das Leben. Siegfried Frank starb im Mittleren Osten im Dienst der britischen Armee.

Nur ein in einem Hause an der Schulgasse eingebauter Torpfeiler des ehemaligen Synagogeneingangs blieb in Neckarbischofsheim erhalten.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Schmid, Hans, Altbischofsheim in den Familiennamen, 1938. 
  • Gemeindebuch der Bewohner der heiligen Gemeinde Bischofsheim-Neckar, 1783 ff. (mit einem Bericht über das Ende der Gemeinde von Samuel Jeselsohn aus dem Jahre 1942), Manuskript.

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Neckarbischofsheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Benz, Hans/Bräumer, Hansjörg, Die Juden in Neckarbischofsheim, in: Kraichgau 7 (1981).
  • Benz, Hans/Müller, Manfred, Alt-Bischofsheim. Ein Bildband vergangener Zeit, hg. vom Verein für Heimatpflege Neckarbischofsheim e.V., 1981, S. 13f.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Jeselsohn, Samuel, Das Ende unserer Heiligen Gemeinde Neckarbischofsheim, in: Kraichgau 7 (1981).
  • Teichert, Heinz, Zur Geschichte des Judenfriedhofs im Mühlbergwald, in: Kraichgau 7 (1981), S. 233-242.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 418-419.
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