Breisach

Nach dem Gottesdienst in der damaligen Judengasse von Breisach, 1920er Jahre. Die Synagoge, in der Bildmitte, wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 167]
Nach dem Gottesdienst in der damaligen Judengasse von Breisach, 1920er Jahre. Die Synagoge, in der Bildmitte, wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 167]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Seit 1185 war Breisach, auf altem Reichsboden gegründet, gemeinsamer Besitz der Bischöfe von Basel und des Reiches. 1198-1218 war die Stadt den Zähringern verpfändet. Nach 1275 wurden die Bischöfe aus der Reichsstadt verdrängt, die durch Verpfändung von 1330 ab allmählich eine österreichische Landstadt wurde. Sie hatte ein wechselvolles Schicksal. 1418-25 war sie vorübergehend wieder freie Reichsstadt, 1469-74 in burgundischem Pfandbesitz, 1638 von Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar erobert, 1639 von den Franzosen abgetreten und zu einer starken Festung ausgebaut. Aufgrund des Friedens von Ryswyck (1697) fiel die Stadt nach Fertigstellung der französischen Ersatzfestung Neu-Breisach 1700 an Österreich zurück; sie wurde 1793 von den Franzosen zerstört, mit dem Breisgau im Frieden von Campo Formio 1797 dem Herzog von Modena zugesprochen und fiel endlich im Frieden von Preßburg 1805 an Baden.

Im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts, etwa um die Zeit als Breisach Stapelrecht erhielt und sich als einziger Ladeort zwischen Basel und Straßburg zu großer wirtschaftlicher Bedeutung zu entwickeln anschickte, wanderten von Straßburg Juden ein. Nicht zuletzt ihrer kaufmännischen Erfahrung, ihren weitreichenden Beziehungen und ihrem Kapital hatte die Handelsstadt ihren Aufschwung zu verdanken.

Die erste Nachricht über die Anwesenheit von Juden stammt aus dem Jahre 1330, als sich Breisach mit Herzog Otto von Österreich und anderen gegen Ludwig von Bayern und seine Helfer verbündete. Eine der Forderungen der Stadt an den König lautete: „Er sol uns öch die Juden lassen." Bei dem Pogrom 1348/49 wurden die Juden aus der Stadt ausgewiesen, durften aber bald wieder zurückkehren. 1424 wurden sie gleichzeitig mit den Glaubensgenossen der benachbarten österreichischen Städte erneut vertrieben, doch wenige Jahrzehnte später gab es wieder Juden in Breisach. 1473 gelobte der Statthalter im Breisgau, Ulrich von Pfirt, dass er der Stadt die Juden lassen wolle. Jahrhundertelang war die jüdische Siedlung in Breisach die einzige in Vorderösterreich und bildete gleichsam einen Schonbezirk, in dem eine bestimmte Anzahl jüdischer Familien geduldet wurde. Sie wurden von der allgemeinen Judenausweisung aus Vorderösterreich im Jahre 1574 nicht betroffen. Ihre Zahl war beträchtlich, waren doch von den sechs Ratsfreunden jeder der drei Staffeln der Bürgerschaft je zwei, die allerdings Adelsgeschlechtern angehören mussten, für die Judenschaft gewählt. Eine Aufzählung der Breisacher Juden vom Jahre 1710 enthält 30 Familienoberhäupter, außerdem den Rabbiner, Vorsänger und andere Gemeindebedienstete. Sie bildeten damals nach Mannheim die größte jüdische Gemeinde im heutigen Baden. Bereits 1710 führten die Breisacher Juden Familiennamen: Ettlinger, Geismar, Günzburger, Levi, Liebel, Metz, Mock, Netter, Rießer und Wurmser.

Einige jüdische Einwohner gelangten durch Geschäftstüchtigkeit und Unternehmungsgeist zu großem Ansehen und Vermögen. Josef Günzburger, einer der bedeutendsten Breisacher Juden, „verakkordierte" 1716 mit der Regierung der Markgrafen von Baden-Durlach die Aufnahme einiger jüdischer Familien aus dem Elsass und der Schweiz in den markgräflichen Ortschaften Eichstetten, Ihringen, Kirchen, Opfingen und Turnringen, damit sie seine ausgedehnten Geschäftsbeziehungen förderten. Günzburger bezeichnete sich als ihr „Oberherr" und war für den Eingang des Schutzgeldes verantwortlich. Eine Urkunde der israelitischen Gemeinde Eichstetten aus dem Jahre 1721 vergleicht ihn mit den Patriarchen der Vorzeit: „Gott war mit Josef, so war er ein glücksbringender Mensch, der mit der Fülle seiner Weisheit und seines Einflusses fürsprach beim Markgrafen für die aus der Schweiz und anderen Orten vertriebenen Flüchtlinge Israels, die Verstoßenen zu sammeln in unseren Wohnungen im oberen und unteren Bezirk" (gemeint sind die Amter Rötteln und Hochberg). Sein Sohn David wurde Schultheiß der Juden in der oberen Markgrafschaft. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts trug Gidion (Götz) Uffenheimer durch seine industriellen Unternehmungen zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes wesentlich bei. Um 1785 pachtete er das Zuchthaus in Breisach und richtete dort eine Hanf- und Leinenspinnerei ein. Er beschäftigte in den österreichischen Dörfern am Kaiserstuhl gegen 330 freie Arbeiter für seine Fabrik, durfte aber die Stadt Freiburg nicht betreten. Auch nach der Baar suchte der unternehmungslustige Mann überzugreifen. Der Amtmann von Neustadt im Schwarzwald setzte sich mit ihm 1756 wegen Einführung der Hausindustrie in seinem Bezirk in Verbindung. Uffenheimer erwirkte außerdem die teilweise Freigabe des Lederhandels.

Die Gunst, die Breisach den Juden entgegenbrachte, galt vor allem dem Geld, das durch sie in die Stadtkasse floss. Als Josef II. 1782 das Toleranzedikt erließ, erhob die Stadt nach wie vor von den zuziehenden Juden und den Einheimischen, die ihren eigenen Hausstand gründen wollten, 20 bis 40 Gulden Schirmeinkaufsgeld, sowie das regelmäßige Schirmgeld, das für Bemittelte jährlich 8 Gulden 20 Kreuzer und für Arme die Hälfte betrug. Die Stadt vertrat den Standpunkt, durch das Toleranzedikt sei nur das landständische, nicht aber das städtische Schutzgeld aufgehoben worden.

Bei der Zerstörung der Stadt durch die Franzosen im Jahre 1793 hatten „die Juden allda, welche gegen den Rhein hinzu ihre Häuser hatten, folglich dem Kanonen- und Bombenfeuer am stärksten ausgesetzt waren, am meisten gelitten, indem nicht nur ihre sämtliche Häuser, sondern auch alle Habseligkeiten ein Raub der Flammen wurden." Einige Jahre mussten sie elend umherwandern. Noch 1800 waren sie nicht in der Lage, ihr rückständiges Schutzgeld zu zahlen.

1809 lebten wieder 85 Judenfamilien in Breisach, von denen 15 Ackerbauern waren. 1825 zählte die Stadt 438 (14,1 Prozent von 3.099 Einwohnern), 1835 572, 1855 558, 1861 511, 1875 530 (16,5 Prozent von 3.212), 1880 564 - die Höchstzahl der hier ansässigen Juden-, 1895 501, 1900 434 (12,3 Prozent), 1905 419, 1910 405, 1925 287 (9,2 Prozent) und 1933 231 jüdische Einwohner. Acht Breisacher Juden fielen im Ersten Weltkrieg: Robert und Viktor Breisacher, Ludwig Geismar, Joseph Kahn, Hugo Levy, Arthur Model, Emanuel Weil und Martin Max Wurmser.

Seit 1710 hatte die Gemeinde einen eigenen Rabbiner. 1827 wurde Breisach Amtssitz eines Bezirksrabbinats, das 1885 nach Freiburg verlegt wurde. Seitdem wurde nur ein ständiger Vorbeter und Religionslehrer angestellt. Von 1863-1885 war die junge Freiburger Judengemeinde Filiale von Breisach. Eine Synagoge und ein Bad bestanden ebenfalls schon im 18. Jahrhundert. Zwischen 1830 und 1840 wurde sie durch einen Neubau in der Judengasse ersetzt. Um 1835 wurde eine jüdische Volksschule eingerichtet. Der alte Judenfriedhof inmitten der Stadt, direkt hinter dem ehemaligen Synagogenplatz, wurde um 1550 angelegt. Der neue Friedhof in der Nähe des Rheindammes wurde vermutlich im 19. Jahrhundert geöffnet. Für die Unterstützung Hilfsbedürftiger und Armer sorgten seit dieser Zeit ein Frauen-Krankenverein und ein Männer-Krankenverein.

1933 war das bedeutendste jüdische Unternehmen die Eisenhandlung der Brüder Hermann und Julius Bähr mit nennenswertem Export. Alfred Geismar betrieb einen Eisengroßhandel für Schmiede- und Blechnerbedarf. Im Besitz jüdischer Bürger waren zwei Holz- und Kohlenhandlungen, eine Großhandlung für Weiß-, Woll- und Strumpfwaren, drei Haushaltswaren-, vier Textil-, zwei Kolonialwarengeschäfte, fünf Metzgereien, drei Mehl- und Getreidehandlungen, eine Spirituosenhandlung, ein Schuhgeschäft und einige kleinere Läden. Die Gastwirtschaften „Zum Adler", „Zum Schiff" und „Zum Goldenen Bären" wurden von Juden betrieben.

Vor 1933 herrschte zwischen den Juden und der übrigen Bevölkerung in Breisach ein gutes Verhältnis. Juden waren im Gemeinderat vertreten, gehörten kulturellen Vereinen an und betätigten sich als aktive Sportler.

Der erste Gewaltakt gegen die Juden fand am 31. März 1933 statt. Sie erhielten Ausgehverbot ab 21 Uhr; einige wurden widerrechtlich in den Ortsarrest gebracht. Sprechchöre der SA hetzten gegen die Juden. Durch die dauernden Einschüchterungen der damaligen Machthaber litt allmählich das gute Einvernehmen zwischen jüdischen und christlichen Bürgern. In der Kristallnacht im November 1938 brannte eine aus Freiburg kommende Sturmabteilung unter Leitung eines SA-Standartenführers die Synagoge nieder. Zerstörungen in jüdischen Wohnungen fanden nicht statt. Etwa 30 Männer wurden in das KZ Dachau abtransportiert. Jakob Bernheim starb dort an den Folgen von Misshandlungen. Der Kantor und Religionslehrer Michael Eisemann machte in Dachau einen Selbstmordversuch. Zwar wurde er gerettet, konnte jedoch seine seelischen Depressionen nicht mehr überwinden und nahm sich nach einer Magenoperation im Januar 1939 in einem Freiburger Krankenhaus das Leben. Sein Sohn Rudolf wanderte 1938 mit einigen Kameraden von einem landwirtschaftlichen Umschulungslager bei Fulda aus zu Fuß über Jugoslawien nach Palästina, wo sie nach zweijähriger entbehrungsvoller Wanderschaft anlangten. Als 1939 Leopold Breisacher starb, musste er mit dem Handwagen auf den Friedhof überführt werden, da der städtische Leichenwagen verweigert wurde. Er starb als letzter Jude in der Heimat.

Insgesamt 149 Breisacher Juden konnten nach 1933 auswandern. Davon lebten 1964 83 in den USA. Die in ihrer Vaterstadt zurückgebliebenen Juden wurden bei Kriegsausbruch im September 1939 vorübergehend aus der zum Kriegsgebiet erklärten Stadt nach Württemberg evakuiert. Einige Familien verblieben am Evakuierungsort und wurden von dort aus in den Jahren 1941/42 nach einem KZ im Osten deportiert. Mindestens 14 Personen sind auf diese Weise umgekommen.

Nach der Einnahme des Elsass im Sommer 1940 ließ die Stadt den Rest der jüdischen Bevölkerung durch eigenmächtigen Beschluss nach Rufach im Elsass transportieren und in der dortigen Irrenanstalt unterbringen, von wo sie nach etwa vier Wochen auf höheren Befehl wieder zurückgebracht werden mussten. In der Zwischenzeit waren vielen aus ihren Wohnungen Hausrat, Kleidung und auch Lebensmittel entwendet worden. Die Lebensverhältnisse dieser Juden wurden immer elender, da es sich zum größten Teil um ältere Leute und Kinder handelte, die keiner Arbeit mehr nachgehen konnten und deren Vermögen beschlagnahmt war. Die meisten mussten von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland oder sonstigen gemeinnützigen jüdischen Organisationen unterstützt werden.

Am 22. Oktober 1940 wurden 34 Juden nach Gurs deportiert. Auch viele von denen, die nach Freiburg oder in andere Städte umgezogen waren, erlitten das gleiche Schicksal, so dass sich rund 70 ehemalige Breisacher Juden in Gurs befanden. Von diesen Deportierten sind 18 in französischen Lagern gestorben, unter ihnen der langjährige demokratische Gemeinderat und Vorsteher der jüdischen Gemeinde Hermann Bähr, 15 gelang die Befreiung und Auswanderung, 6 Personen überlebten den Krieg in einem französischen Lager und 33 wurden in ein Vernichtungslager im Osten abtransportiert. Von ihnen hatte vor allem David Bergheimer sich bemüht, das Lagerleben für seine Leidensgenossen erträglich zu gestalten. 2 weitere Juden wurden nach der Auswanderung verhaftet und sind ebenfalls im Osten umgekommen.

In Breisach lebten zwei Jüdinnen in sogenannter Mischehe. Eine wanderte mit ihrer Familie aus, die andere blieb in ihrer Vaterstadt. Sie betreut heute die beiden jüdischen Friedhöfe. Der Platz, auf dem die Synagoge stand, ist zu einer Anlage hergerichtet worden, auf der seit 1959 ein Gedenkstein an eine der ehemals größten jüdischen Landgemeinden in Baden erinnert.
 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Schmidlin, Josef, Breisacher Geschichte, 1936.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Breisach, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Blum, Hans David, Juden in Breisach, hg. von Erhard Roy Wiehn, Konstanz 1998.
  • Boll, Günter, Die Entstehung der letzten jüdischen Gemeinde in Breisach am Rhein, in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“, Jg. 119 (2000), S. 61-69.
  • Boll, Günter, Die erste jüdische Gemeinde in Breisach am Rhein, in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“, Jg. 119 (2000), S. 55-60.
  • Boll, Günter/Kornweitz, Josef Arie, Das jüdische Gemeindehaus in Breisach am Rhein. Eine Annäherung, hg. Förderverein ehemaliges jüdisches Gemeindehaus Breisach am Rhein e.V., Breisach 2000.
  • Dreyfuss, Louis, Emigration – nur ein Wort?, Konstanz 1991.
  • Fahrer, Uwe, Ein Rundgang durch das alte Breisach, Gudensberg-Gleichen 1999.
  • Frank, Werner L., Legacy. The Saga of a German-Jewish Family Across Time and Circumstance, Bergenfield, N.J. 2003.
  • Germania Judaica, Bd. 2, 1. Teilband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 124f.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Haselier, Günther, Geschichte der Stadt Breisach am Rhein in drei Bänden, jeweils Abschnitte in den Bänden II (Der Niedergang Breisachs: 1700 bis 1890, bes. S. 340ff: Anfänge der Judenemanzipation) und III (Der Sturz in den Abgrund. 1890 bis 1945). Breisach 1971 (Bd. II) und 1985 (Bd. III).
  • Huggle, Ursula, Urteile zu Gunsten der Angeklagten. Ein Prozess der Nachkriegszeit über die Pogromnacht von 1938 in Südbaden, in: Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg, 1999.
  • Kallfaß, Elisabeth, Breisach Judengasse, Breisach 1993.
  • Klein, Gebhard, Breisach im Dritten Reich. Ein Versuch, 1995.
  • Kornweitz, Josef Arie/Walesch-Schneller, Christiane/Boll, Günter, Zone 30 - Rückkehr aus dem Exil, hg. vom Förderverein Ehemaliges Jüdisches Gemeindehaus Breisach e.V., Breisach 2003.
  • Longerich, Michael, Judenverfolgungen in Baden im 14. Jh. Am Beispiel von Breisach, Endingen, Freiburg und Waldkirch, in: „s’Eige zeige“. Jahrbuch des Landeskreises Emmendingen, Bd. 4 (1990) S. 33-46.
Suche