Oberdorf am Ipf mit Bopfingen

Die Inneneinrichtung der Synagoge in Oberdorf wurde während der Pogrome im November 1938 beschädigt, das Haus 1939 an die Gemeinde Oberdorf verkauft. In den 50er-Jahren nutzte die katholische Kirche die Räume, auch für Gottesdienste. Ende der 80er-Jahre übernahm ein Trägerverein das Haus, das einige Zeit später als Gedenk- und Begegnungsstätte ehemalige Synagoge Bopfingen-Oberdorf wiedereröffnet wurde. [Quelle: Landeszentrale für politische Bildung BW - Gedenkstätten]
Die Inneneinrichtung der Synagoge in Oberdorf wurde während der Pogrome im November 1938 beschädigt, das Haus 1939 an die Gemeinde Oberdorf verkauft. In den 50er-Jahren nutzte die katholische Kirche die Räume, auch für Gottesdienste. Ende der 80er-Jahre übernahm ein Trägerverein das Haus, das einige Zeit später als Gedenk- und Begegnungsstätte ehemalige Synagoge Bopfingen-Oberdorf wiedereröffnet wurde. [Quelle: Landeszentrale für politische Bildung BW - Gedenkstätten]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Oberdorf gehörte zum größten Teil der Reichsstadt Bopfingen, kleinere Anteile besaßen Oettingen sowie die Klöster Kirchheim, Kaisheim und das Spital Nörd­lingen. Die landesherrlichen Rechte nahm Oettingen in Anspruch. 1806 fiel Ober­dorf an Bayern, 1810 an Württemberg. Erst seit dem Übergang an Württemberg wuchs das Dorf allmählich zu einer Einheit zusammen.

In der Reichsstadt Bopfingen waren bereits 1241 Juden ansässig, die zusammen mit den Juden in Donauwörth eine Steuer von 2 Mark Silber entrichteten. 1349 kam es hier im Gefolge des Schwarzen Todes zu einer Verfolgung, über die Näheres nicht bekannt ist. Ende des 14. Jahrhunderts und fast das ganze 15. Jahr­hundert hindurch lassen sich in der Stadt wieder einzelne Juden nachweisen, die im 16. Jahrhundert endgültig ausgewiesen wurden. Die aus den Reichsstädten Nörd­lingen und Bopfingen vertriebenen Juden fanden teilweise bei den Grafen von Oet­tingen Aufnahme, die ihnen u. a. die Niederlassung in Wallerstein, Pflaumloch und Oberdorf gestatteten.

In Oberdorf siedelten sich die ersten Juden um 1510 auf oettingischem Grund und Boden an. Die anderen Dorfherrschaften verwehrten Juden bis zur Mediatisierung im Jahr 1806 die Niederlassung in ihren Ortsteilen. 1567-1600 wird eine Anzahl Oberdorfer Juden in den Nördlinger Messgeleitsbüchern erwähnt: Löw, Löslin, Jhele, Ambsel - Anstall, Joseph Jöslin, Benedict, Salomon, Mosi, Götz, Abraham, Mändlin, Bel, Rechlin, Lieblin, Händelin, Schönlin Schelin, Dina Denlin Delin, Wibelin. Während des Dreißigjährigen Krieges geriet die kleine jüdische Gemeinde Oberdorf in arge Bedrängnis, vermochte sich aber offensichtlich zu behaupten. 1659 befahl die Gräfin-Witwe Isabelle Eleonore von Oettingen (Baldern) die „Ausschaf­fung" der Juden aus Oberdorf und Aufhausen. Sie durften jedoch bald zurück­kehren. Seit 1673 erscheinen sie wieder in den Nördlinger Messgeleitsbüchern. 1656 lebten hier unter oettingischem Schutz 5 Familien, 1684/87 waren es 4 Familien, 1688 6 Familien in 4 Häusern, 1723 bereits 26, 1735 31, 1752 36, 1798 52 Familien. Der Überlieferung nach sollen sich hier 1704 französische Juden und später auch aus Essingen vertriebene Juden niedergelassen haben. (Die Beschreibung des Oberamts Aalen von 1854 berichtet, dass die Herren von Wöllwarth dort ums Jahr 1685 Juden aufgenommen hatten, die kaum 100 Jahre geblieben seien.)

Die Herrschaft beanspruchte an Abgaben von der Oberdorfer Judenschaft ein jährliches Schutz- oder Herbergsgeld, das 1806 pro Familie 8 Gulden betrug, einen Pauschalbetrag für eines oder mehrere Reitpferde, das sogenannte Kleppergeld (1758 ins­gesamt 33 Gulden 20 Kreutzer), ein Gänsegeld als Ersatz für die Martinigänse, die ursprüng­lich geliefert werden mussten (1806 4 Gulden), einen Herbstzins oder ein Synagogengeld (1806 5 Gulden) für die Benutzung des Gotteshauses, eine Abfindungssumme für per­sönliche Frondienste, an der sich der Hausbesitzer 1798 mit 2 Gulden, der Hausgenosse mit 1 Gulden beteiligen musste. Die Juden wurden außerdem zur Ordinari- und Extra­ordinaristeuer herangezogen. Für die drei Stück Vieh, die 1736 pro Haushalt geschächtet werden durften, erhob die Herrschaft von der jüdischen Gemeinde ein Schächtgeld in Höhe von 24 Gulden im Jahr. Weitere Einnahmen verschafften sich die Grafen bzw. Fürsten von Oettingen durch die Erneuerung der Generalschutzbriefe, deren Gültigkeit sie häufig auf wenige Jahre beschränkten. Für die Ausstellung bzw. Erneuerung der Schutzbriefe verlangten sie neben Ausfertigungstaxen und Kopial­gebühren erhebliche Summen als sogenannte Schutzlosungskonsensgelder, die sich nach der Höhe des Schutzgeldes, des Vermögens der einzelnen Familien, ursprünglich wohl auch einfach nach dem augenblicklichen Geldbedarf der Herrschaft richteten: 1692 war der Judenschaft zu Wallerstein, Pflaumloch und Oberdorf als Bedingung für die Erneuerung des Schutzes die Übernahme einer gräflichen Schuld von 1.200 Gulden auf­ erlegt worden. 1728 mussten die Oberdorfer Juden für einen von Graf Franz Ignatius ausgestellten achtjährigen Schutzbrief 1.000 Gulden in bar entrichten.

Der Schutz war auf eine bestimmte Anzahl von Familien beschränkt: 1735 31, 1752 36, 1798 52. Die Herrschaft erlaubte aber gelegentlich dem Vorsteher, einige Supernumerarii" über die schutzbriefmäßige oder Matrikelzahl hinaus anzuneh­men. Die „Supernumerarii" waren häufig verheiratete Söhne und Töchter von Schutzverwandten, die nach dem Tod des Vaters bzw. dem Aussterben einer Familie in die Matrikelzahl einrückten. Für die Begründung eines Hauswesens und die Aufnahme in den Schutz war ein Konsensgeld zu bezahlen. Die Juden hatten ihre „Brödlinge" (Rabbiner, Lehrer, Vorsänger) zu unterhalten und beträchtliche Summen zur Unterstützung ihrer im 17. und 18. Jahrhundert überaus zahlreichen, heimatlos und bettelnd herumziehenden Glaubensgenossen aufzubringen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Vermögensverhältnisse der damals in Oberdorf ansässigen Juden wenig günstig: 1684 hatte Löw ein Vermögen von 2.300 Gulden, Joseph von 1.050 Gulden, Elias Model von 500 Gulden und Salomon von 200 Gulden 1687 besaß ein Schutzverwandter gutes Vermögen, drei mittleres, einer schlechtes Gewerb und Vermögen, einer geringes Vermögen. Sie bewohnten damals drei Häuser und ein Häuslein. Noch 1770 lehnten die Oberdorfer und Aufhauser Juden die Anstellung eines Rabbiners mit dem Hinweis auf ihre Armut ab. Die Schutz­briefe in der letzten Zeit der oettingischen Herrschaft verlangten den Nachweis eines bestimmten Vermögens: 1798 für Söhne einheimischer Juden 400 Gulden, für Fremde, die den Schutz begehrten, 600 Gulden.

Die Juden durften nach dem Schutzbrief von 1736 „allerlei Hantierungen und Gewerbschaften" treiben, soweit diese „dem zünftigen Handwerker nicht nachteilig oder zur Präjudiz gereichten". Der Erwerb von liegenden Gütern war ihnen ver­boten. Sie hatten Anteil an den Gemeinde-Gerechtigkeiten, durften ihr Vieh auf die Dorfweide treiben, nicht aber ihr Handelsvieh. Sie wurden auch zu den Ge­meindelasten herangezogen. Der Verkauf von gestohlenen und verdächtigen Gegen­ständen wie Meßgewändern, Kreuzen, Kelchen, Bildern, Ampeln und anderen Kirchensachen war ihnen bei Strafe untersagt. An den christlichen Sonn- und Feier­tagen, ebenso während der anderen heiligen Zeiten, sollten sie sich still und einge­zogen verhalten, keinesfalls aber Handel treiben oder hausieren.

Oberdorf hatte 1723 einen Rabbinats-Substitut, der über die „in ihren Cere­moniis ungehorsamen Juden" Strafen bis zum Wert von 5 Gulden verhängen durfte. 1729-32 amtierte hier der oettingische Stadt- und Landrabbiner Abraham Mahler. Später gehörte Oberdorf zum Rabbinat Wallerstein. Graf Ignaz Anton von Oettin­gen-Baldern versuchte wiederholt, ein Rabbinat für die Judenschaft seines Landes­teils (Aufhausen, Oberdorf) zu errichten. Der von ihm 1757 ernannte Löw Uhl­mann, zuvor Vorsänger in Aufhausen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Ober­dorf, das sich 1763 an der Wahl des Wallersteiner Landrabbiners beteiligte, besaß später wieder einen Substitut. Der Schutzbrief von 1728 hatte den Juden die An­stellung eines unverheirateten Lehrmeisters erlaubt.

Der jährlich geforderte Synagogenzins lässt darauf schließen, dass die ersten Synagogen (1704, 1754) von der Herrschaft erbaut wurden. Ihre Toten begruben die Oberdorfer Juden auf dem uralten Friedhof in Wallerstein. Erst 1825 legten sie einen eigenen Friedhof an.

Nachdem das Dorf württembergisch geworden war, fielen allmählich die den Juden auferlegten Beschränkungen. Aus Schutzjuden wurden Bürger. 1812 errich­tete die israelitische Gemeinde eine neue Synagoge, die ihr Mittelpunkt blieb bis zum November 1938. In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts begründete sie eine israelitische Volksschule, die 1840 öffentlichen Charakter erhielt. Die Schule bestand bis 1924 (u. a. Lehrer Marx und Erlebacher); sie erfreute sich zeitweise eines so guten Rufs, dass sie auch von einzelnen christlichen Kindern besucht wurde. 1832 wurde Oberdorf Sitz eines Rabbinats, das die israelitischen Gemeinden Aufhausen, Lauchheim, Oberdorf und Pflaumloch - insgesamt 1.104 Seelen - umfasste, später auch die neugegründeten Gemeinden Ellwangen und Schwäbisch Gmünd. Als Rabbiner wirkten hier Moses Bloch (1830-34), Gabriel Adler (1835-59), der zuvor das Rabbinat Mühringen versehen hatte, Jakob Oberdorfer (1861-84), Dr. Samuel Grün (1887-94), Jesaja Straßburger (1895-97) und Dr. Hermann Kroner (1897-1930). Nach dem Hinscheiden von Dr. Kroner, einem bedeutenden Maimonidesforscher, blieb das Rabbinat Oberdorf unbesetzt. Es wurde zunächst von Rabbiner Dr. Cohn, Ulm, mitversehen, dann aufgehoben und die israelitische Gemeinde dem Rabbinat Schwäbisch Hall zugewiesen. Dem Gottes­dienst in der Synagoge stand bis zu seiner Auswanderung 1939 Oberlehrer Erlebacher vor, der hier über 30 Jahre als Volksschul- und Religionslehrer tätig war.

Im 19. Jahrhundert machten die jüdischen Einwohner zeitweise mehr als ein Drittel der Dorfbevölkerung aus. 1812 waren es 338 Juden, 1824 414, 1831 483, 1843 505, 1854 548 (Gesamteinwohner: 1364), 1869 356, 1886 248 , 1900 166, 1910 128, 1933 87. Seit etwa 1850 ließen sich auch wieder Juden in der nahen Stadt Bopfingen nieder (1854 3, 1880 12, 1900 52, 1933 50), die sich der israeli­tischen Religionsgemeinde Oberdorf anschlossen.

Die jüdischen Bürger nahmen seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine wichtige Stel­lung im Leben des Dorfes ein. Ihnen verdankt die Gemeinde in erster Linie ihren wirtschaftlichen Aufschwung zwischen 1860 und 1914. Die Juden betätigten sich wie früher meist als Händler (Vieh, Metall, Federn, Lumpen, Antiquitäten usw.), wobei es nicht wenige zu Besitz und Ansehen brachten. Doch hatten sie sich um 1872 auch schon zahlreichen anderen Erwerbszweigen zugewandt. So betrieb ein jüdischer Einwohner eine größere Landwirtschaft, mehrere waren Handwerker. Erwähnt werden muss vor allem die Chemische Fabrik von Veit Weil, die heute noch besteht, damals aber schon 36 Arbeiter beschäftigte. Ihre Erzeugnisse (Leim, Kunstdünger, Knochenfett und Gelatine) fanden in Deutschland, in Frankreich und Amerika Absatz. Um 1900 kam die Leimfabrik Heimann hinzu. Bis zur Inflation bestand auch eine von Juden gegründete örtliche Sparkasse. Im Jahr 1933 waren außer der bereits erwähnten Chemischen Fabrik von Veit Weil noch im Besitz von jüdischen Bürgern ein Großhandels- und Detailgeschäft in Web- und Trikotwaren (D. Heimann), das zeitweise 50 Näherinnen und zahlreiche Schloßberger Kleinhändler beschäftigte, ein Lebensmittelgeschäft (M. Pappenheimer), eine Reihe von Vieh- und Pferdehandlungen, eine Metzgerei (Neumetzger), eine Bäcke­rei und Cafe (J. Schuster). Bis in die Zeit des Nationalsozialismus waren die Juden die größten Steuerzahler und die wichtigsten (übrigens alles andere als unbeliebte) Arbeitgeber in der Gemeinde.

Die jüdischen Bürger, die 1933 in Bopfingen lebten, waren kleine bis mittlere Geschäftsleute und Viehhändler. Sally Pappenheimer und später dessen Sohn David betrieben ein Textilgeschäft, das in der Stadt und der Umgebung einen großen Kundenkreis hatte, Adolf und Theodor Wassermann kleinere Manufakturwaren­geschäfte. Von 1898 bis 1930 wirkte als Stadtarzt Dr. Moritz Benedikt. Dr. Albert Spatz, der von 1930-39 hier eine ärztliche Praxis unterhielt, musste 1939 nach Amerika auswandern.

Jüdische Bürger gehörten in Oberdorf bis 1933 stets dem Gemeinderat an, waren an der Gründung des Turnvereins (1863) führend beteiligt, spielten in den anderen örtlichen Vereinen als Mitglieder und Förderer eine bedeutsame Rolle. Zwischen 1900 und 1933 waren Fabrikant Kommerzienrat Carl Weil (Mitglied der Demokra­tischen Partei, mit Theodor Heuss befreundet, seit 1921 Ehrenbürger der Gemeinde), Rabbiner Dr. Hermann Kroner und Religionslehrer Siegfried Erlebacher mit die angesehensten Persönlichkeiten des Dorfes. Sie und eine Anzahl ihrer Glaubens­genossen haben für Oberdorf viel getan. Der allgemein verehrte Dr. Kroner war Zweiter Vorsitzender des Evangelischen Krankenpflegevereins. Im Ersten Welt­krieg starben fünf Juden aus Oberdorf und Bopfingen für ihre deutsche Heimat: Julius Heimann, Josef Leiter, Moritz Leiter, Siegfried Neumetzger und Siegfried Sänger. Siegfried Heimann hatte sich als Kampfflieger das Eiserne Kreuz 1. Klasse erworben.

Wenn man von der Mehlrevolte von 1919 absieht, während der aufgehetzte Arbeiter jüdische Bürger beschuldigten, sie hätten Mehl verborgen, lebten dem übereinstimmenden Urteil jüdischer wie christlicher Zeugen nach Juden und Christen in Oberdorf stets in einer guten Dorfgemeinschaft, in der antisemitische Strömungen keine Bedeutung erlangten. Nach der sogenannten Machtergreifung von 1933 haben sich auch hier einzelne Nationalsozialisten unrühmlich hervorgetan, an ihrer Spitze der damalige Bürgermeister, und den Juden das Leben schwergemacht. Eine der ersten Maßnahmen war, den Ehrenbürgerbrief für Kommerzienrat Weil zurückzuziehen. Die Nationalsozialisten erreichten zwar, dass die jüdischen Bürger immer mehr in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Isolation gedrängt wurden, aber sie konnten die seit Generationen zwischen den Religionsgemeinschaften bestehenden mensch­lichen Bindungen nicht gänzlich zerstören, vor allem vermochten sie nicht die christliche Bevölkerung zu Übergriffen gegen ihre jüdischen Mitbürger zu verleiten. Es ist bezeichnend, dass sich im November 1938 der SA-Führer des Dorfes weigerte, die Synagoge anzuzünden, und dass Oberdorfer Bauern und Juden den Brand im Entstehen löschten, als in der folgenden Nacht auswärtige SA-Leute versuchten, das Gotteshaus einzuäschern. Die Empörung über die Ereignisse der Kristallnacht war allgemein. Die Juden erfuhren trotz der ängstlichen und schwächlichen Zurück­haltung vieler bis zuletzt ein hohes Maß von Hilfe und Unterstützung.

In den ersten Kriegsjahren wurden zahlreiche Juden aus Stuttgart, Heilbronn und anderen Städten eingewiesen. Allen voran ging Bopfingen, das bereits im Septem­ber 1939 seine letzten jüdischen Einwohner mehr oder weniger zwangsweise nach Oberdorf umsiedelte. Die Juden lebten in armseligen Verhältnissen. Die Männer fanden Arbeit bei einer Wehrmachtsdienststelle in Bopfingen, deren Leiter stets bemüht war, ihnen ihre Lage zu erleichtern. In den Jahren 1941 und 1942 traten von hier aus wohl an die hundert Menschen, ihre genaue Zahl konnte bis jetzt nicht ermittelt werden, den Todesweg in die Deportation an. Von ihnen kehrten nach Kriegsende zwei Überlebende zurück, die später nach Amerika auswanderten. Zu den Opfern der Gewaltherrschaft gehört auch der junge Joseph Schuster, der im November 1938 verhaftet und von unbekannt gebliebenen SA-Leuten auf Markung Utzmemmingen erschossen wurde. Sophie Kroner, die Gattin des letzten Ober­dorfer Rabbiners, die seit 1937 in Stuttgart wohnte, kam im September 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinec ums Leben. Die israelitische Religionsgemeinde war bereits im Juli 1939 aufgelöst worden.

Heute lebt kein Jude mehr in Oberdorf. Die Synagoge dient der katholischen Kirchengemeinde als Gotteshaus.[1] Auf dem Friedhof haben nach dem Zweiten Weltkrieg zwangsverschleppte polnische Juden ihre letzte Ruhestätte gefunden. Hier befindet sich auch ein Grabstein, der an das schreckliche Ende der Familie Siegfried Neumetzger erinnert: Die Eltern und die vier Kinder im Alter von 4-17 Jahren wurden nach der Aussage eines Zeugen 1942 in Lublin erschossen, als sich der Vater Siegfried Neumetzger, Frontsoldat des Ersten Weltkriegs, gegen einen SS-Mann zur Wehr setzte, der den Kopf des jüngsten Kindes an einem Stein zerschmettern wollte.  

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Beschreibung des Oberamts Neresheim, 1872.
  • Bild von der Synagoge, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 113.
  • Müller, L., Aus fünf Jahrhunderten. Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinde im Riess. 2. Teil, in: Zeitschrift des Hist. Vereins für Schwaben und Neuburg, 26. Jg., 1899.

Anmerkungen

[1] Diese Information bezieht sich auf das Jahr 1966, als die Studie erschien.

Ergänzung 2023:

Das Gebäude der ehemaligen Synagoge wurde von der katholischen Kirche als Gotteshaus und später als Lagerraum genutzt. 1987 erwarb der Trägerverein ehemalige Synagoge Oberdorf e.V. das Gebäude, sanierte es und stellt es der Öffentlichkeit seit 1993 als Gedenk- und Begegnungsstätte zur Verfügung. 1997 wurde das Angebot um ein Museum zur Geschichte der Juden im Ostalbkreis erweitert.

 

Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Oberdorf am Ipf, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Oberdorf

  • Germania Judaica, Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1044-1045.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Heckmann, Heidrun, Das Museum zur Geschichte der Juden im Ostalbkreis in der Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemalige Synagoge Oberdorf, hg. vom Landratsamt Ostalbkreis Archiv.
  • Hildebrand, Bernhard, Von der Synagoge zur Gedenk- und Begegnungsstätte, hg. vom Landratsamt Ostalbkreis Archiv, 1997.
  • Kucher, Waltraud, Die Geschichte der Oberdorfer Judengemeinde von der Gründung bis zur Emanzipation, Zulassungsarbeit PH Schwäbisch Gmünd, 1976.
  • Sutschek, Felix, Der jüdische Friedhof von Oberdorf, in: Ostalb Einhorn, Nr. 85.
  • Sutschek, Felix, Die jüdische Landgemeinde Oberdorf am Ipf in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Widerstand gegen die Judenverfolgung, hg. von Michael Kißener, 1996, S. 127-153.
  • Sutschek, Felix/Hildebrand, Bernhard, Museum zur Geschichte der Juden im Ostalbkreis in der ehemaligen Synagoge Bopfingen-Oberdorf, Bopfingen 2004, S. 64-65.
  • Sutschek, Felix, Widerstand gegen die Judenverfolgung in der Landgemeinde Oberdorf am Ipf, in: Ostalb Einhorn, Nr. 93.
  • Sutschek, Felix, Zur Geschichte der Oberdorfer Schutzjuden im 16., 17. und 18. Jahrhundert, in: Dokumentationsband XII, 1998.

Bopfingen

  • Enßlin, Helmut, Bopfingen. Freie Reichsstadt. Mittelpunkt des württembergischen Rieses, 1971, S. 51, 63, 183-187.
  • Germania Judaica, Bd.2, 1. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 95.
  • Germania Judaica, Bd.3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1987, S. 138-139.
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