Arbeitskampf
Von Streik und Widerstand in der Arbeitswelt

Von Rebekka Finkbeiner

Proteste sind Ausdruck der Unzufriedenheit mit politischen Institutionen, ih­ren Entscheidungen sowie gesellschaftlichen und sozialen Missständen. Diese allgemeine Definition trifft auch auf Arbeiterproteste als wichtige Form der proletarischen Willensartikulation zu.

Arbeiterdemonstrationen wie am 1. Mai, Arbeitsniederlegungen und Flug­blätter sind klassische Protestformen des Arbeitskampfes. Die Forderungen von Arbeiterinnen und Arbeitern haben sich im Laufe der Geschichte verändert. Immer wie­der aber richteten und richten sie sich gegen fehlende gesetzliche Regelungen oder gegen Probleme innerhalb eines Betriebs. Protest ist dabei selten eine spontane Reaktion von Einzelnen auf ein Ereignis. Er wird meist von Verbänden, Parteien, NGOs und vor allem von Gewerk­schaften organisiert. Widerstand, als soziales Handeln gegen eine als illegitim wahrgenommene Herrschaftsordnung, kann dagegen auch individuell ausgeübt werden, zum Beispiel im Arbeiterwiderstand gegen das NS-Regime.

Zwei konkrete Beispiele zeigen, wie Protest, insbe­sondere Streik, ausgedrückt werden kann, welche Akteure involviert sind und wie deren Forderungen auf teils kreative Weise symbolisch und in Aktionen ausgedrückt werden. Im Fokus stehen Akteure und Handlungen wäh­rend eines Streiks aus den 80er-Jahren zur Verhinderung einer Werksschlie­ßung. Ein zweites Beispiel ist der Streik der Erzieherinnen und Erzieher. Dieser wurde im Jahr 2015 von der Gewerkschaft ver.di zur Ver­besserung der Arbeitsbedingungen des Sozial- und Erziehungsdienstes in ganz Deutschland ausgeführt.

In volkskundlichen Sammlungen lässt sich verhältnismäßig wenig Material zum Thema „Protest“ finden. Warum ist das so?

Volkskundliche Sammlungen dienten einst der Repräsentation einer Gesell­schaft mit ihren dazugehörigen Werten und Vorstellungen. Ziel war es, die posi­tiven und hervorstechenden Werte und Normen der Gesellschaft darzustellen.

So findet man in der Sammlung des Museums der Alltagskultur beispielsweise viel Material zu Arbeitervereinen, die ein Miteinander und ein Zugehörigkeitsgefühl symbolisieren sollen. Widerstandsaktionen symbolisieren dagegen Unzufriedenheit und gesellschaftliche Missstände. Solche widerständigen Repräsentationen einer Gesellschaft passten nicht in die volkskundliche Sammlungslogik des frühen 20. Jahrhunderts.

Die Arbeiterbewegung

Schon im 14. Jahrhundert setzten sich vor allem Handwerkergesellen für einen freien Tag nach einem arbeitsreichen Wochenende ein. So entstand der „blaue Montag“, den man heute noch in der Friseurbranche kennt. Nach Verboten des „blauen Montags“ in vielen Städten des deutschen Reiches gab es im 18. Jahrhundert vereinzelt gewaltsame Aufstände, die sich vor allem gegen die Staatsgewalt richteten. Diese Aufstände lassen sich kaum mit modernen Pro­testformen vergleichen, da sie viel gewaltsamer und unorganisierter geführt wurden.

Die ersten organisierten Arbeitervereine wurden in den Jahren um 1830/40 gegründet. Allerdings waren diese noch sehr instabil. Im Vormärz, den Jahren vor der März-Revolution 1848, fanden dann erste ernstzunehmende Protestbe­wegungen statt. In dieser Zeit etablierten sich neben dem Maschinenstürmen (Zerstörung von Maschinen als Protest gegen die Mechanisierung in der Indus­trie) und Aufständen (bewaffnete Widerstandsaktion) weitere Kampfformen: Zum Beispiel das Streiken und der Boykott.

In den 1860er-Jahren nahmen die Arbeitervereine zwei Rollen ein. Einerseits waren sie zeitlich begrenzte Streik-Koalitionen. Dies waren Sammlungsbewe­gungen, die während eines Konfliktes entstanden und sich anschließend wieder auflösten. Andererseits waren die Arbeitervereine örtlich begrenzte, auf Dauer angelegte gewerkschaftliche Berufsvereine, die auf demokratischen Prinzipien durch die Wahl von Delegierten basierten. Daraus ergeben sich zwei Bedeu­tungen für die Arbeiterbewegung: Unter Arbeiterbewegung in einem weiteren Sinne versteht man die sozialen Massenbewegungen von Arbeiterinnen und Arbeitern in In­dustrienationen des 19. Jahrhunderts, die sich durch vielfältige Protest- und Widerstandsaktionen auszeichnen. Nach der Definition des Deutschen Gewerkschaftsbunds bezeichnet die Arbeiter­bewegung „den organisatorischen Zusammenschluss von Handwerkern und Lohnarbeitern in Arbeitervereinen, Gewerkschaften und Parteien zur Verbesse­rung ihrer sozialen Lage und die Erkämpfung politischer Rechte“. Ziel war die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Eine bedeutende Errungenschaft der Arbeiterbewegung ist die Einführung des Acht-Stunden-Tages. In Deutschland ist dieser seit 1918 gesetzlich vorgeschrieben. Dem vorausgegangen waren mehr als ein halbes Jahrhundert Kampf für Arbeitszeitverkürzung.

In der heutigen Gesellschaft sind vor allem Gewerkschaften von zentraler Bedeutung für die Durchsetzung von verbesserten Arbeitsverhältnissen. Gewerkschaften entstanden als Interessensverbände von Arbeiterinnen und Arbeitern im Verlauf der Revolution 1848/1849. Arbeitervereine gelten als ihr Vorläufer. Sie helfen abhängig Beschäftigten bei der Vertretung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen und setzen sich für die Durchsetzung von Forderungen der Arbeitenden ein. Beispiele hierfür sind Mitbestimmung in Betrieben und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Die Relevanz der Arbeiterkämpfe mithilfe von Gewerkschaften ist heute ak­tueller denn je, denn oft können nur organisierte, vergemeinschaftete Aktionen gezielt Forderungen durchsetzen.

Streik der Trafo-Union Stuttgart

 Soldiaritätsbriefmarke
Solidaritätsbriefmarke, 1985 [Quelle: Landesmuseum Württemberg, Stuttgart. Foto: Frank Lang]

Der Kampf der Trafo-Union war etwas Außerordentliches. Mehr als ein Jahr lang hatten die Frauen und Männer aus dem Cannstatter Werk mit Phantasie, Engagement und Entschlossenheit die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam gemacht.“

Dieses Zitat stammt aus der Stuttgarter Zeitung des Jahres 1985. Es be­schreibt den Streik innerhalb der Trafo-Union (TU) in Bad Cannstatt. Die TU war eine Tochtergesellschaft der Siemens AG mit circa 6.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Am 5. April 1984 gab die Siemens AG bekannt, ihr Werk in Bad Cannstatt zu schließen.

Wie der Name vermuten lässt, stellte das Unternehmen (Groß-)Transforma­toren her. In der Sammlung des Museums der Alltagskultur finden sich meh­rere Zeitungsartikel und Protestplakate zur Werksschließung. Aus diesen lässt sich herauslesen, wie der heftig geführte Protest der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestal­tet wurde, um die Schließung des Industriewerkes zu verhindern. Die Aktio­nen begannen mit einfachen Flugblättern, Plakaten und der Gründung eines Aktionskreises. Später entwickelten sich weitere Aktionskreise und vielfältige Protestaktionen, die auch von den Frauen der Mitarbeiter und der umliegen­den Bevölkerung unterstützt wurden. Die Zeitungsartikel verdeutlichen, wie kreativ und leidenschaftlich gestreikt wurde: So suchten die Aktionskreise das Gespräch mit dem damaligen Wirtschaftsminister, dem Stuttgarter Oberbür­germeister sowie dem Ministerpräsidenten und erhofften sich externe Hilfe bei den Verhandlungen zum Erhalt des Werkes. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie die Angestell­ten der TU entwarfen Solidaritäts-Briefmarken, sie bildeten Menschenketten mit der Bevölkerung des Umlandes und organisierten sich auf Wochenmarkt­ständen, um auf den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze aufmerksam zu ma­chen.

Als nach einem Jahr und vielfältigen Protestaktionen keine Einigung in Sicht war, wurde im Juli 1985 ein Sozialplan vorgelegt, der von den Betriebsräten unterzeichnet wurde. Dieser Sozialplan beinhaltete die Verteilung einiger Mitar­beiterinnen und Mitarbeiter auf Werke der TU in Nürnberg und Kirchheim unter Teck sowie Ab­findungszahlungen. Letztlich wurden die Firmengebäude abgerissen. Auf dem ehemaligen TU-Werksgelände steht heute das Cannstatter Carré, ein Einkaufs-, Büro- und Gesundheitszentrum.

Dieser Protest macht deutlich, dass sich Arbeitskampf nicht nur in Streiks und Demonstrationen ausdrückt, sondern vielfältige Formen annehmen kann. So gehörten klassische Sitzstreiks und Menschenzäune um das Betriebsge­bäude ebenso zum Arbeiterprotest wie Infostände auf Märkten, das Verteilen von Flugblättern in der Bevölkerung oder das gemeinsame Beten für eine ge­rechte Einigung.

Und heute?

Ein aktuelles Beispiel eines Arbeitskampfes ist die Tarifbewegung der Gewerkschaft ver.di für Beschäftigte in pädagogischen und erzieherischen Berufen im Jahr 2015. Ziel war die Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesem Bereich. Es wurde neben der Lohnsituation auch auf die physischen und psychischen Belastungen der Beschäftigten aufmerksam gemacht.

Die bundesweiten Streiks gingen von der Gewerkschaft ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) aus, die insgesamt 13 Fachbereiche in Deutschland vertritt. Verhandelt wurde bundesweit für rund 220.000 Beschäftigte aus Sozial- und Erziehungsberufen. Der Protest fand auf mehreren Ebenen statt: Mitarbeiter von ver.di und Vertreter von Land und sozialen Trägern führten Tarifgespräche und Verhandlungsrunden über mehrere Monate hinweg. Parallel dazu organisierte ver.di Streiks und verschiedene Protestaktionen. Hierbei wurden auch die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes mit Arbeitsniederlegungen und Streiks einbezogen.

Der Unterschied zum Streik der Trafo-Union liegt zum einen in der Motivation der Protestierenden, denn die Beschäftigten kämpften für die Aufwertung ihrer Arbeit durch bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen und nicht gegen ihre Entlassung.

Zum anderen variiert die lokale Ausbreitung beider Streiks: Während der Streik der TU geografisch auf Bad-Cannstatt konzentriert war, Solidaritätsbekundungen jedoch aus der Umgebung und ganz Deutschland eintrafen, wurde der Streik der Erzieherinnen und Erzieher zentral organisiert und deutschlandweit ausgetragen. So wurde schon im Jahr 2014 die Entscheidung für eine Aufwertungskampagne von ver.di getroffen und die ersten Vorbereitungen auf allen Ebenen begannen.

An diesem Protest lässt sich einerseits ablesen, dass Hartnäckigkeit zum Ziel führen kann. Denn nach langen Diskussionen und vierwöchigen, bundesweiten Streiks konnten sich die Beteiligten auf einen Tarifvertrag einigen.

Setzt man die Beispiele der Trafo-Union und des Streiks der Erzieherinnen und Erzieher in Verbindung, lassen sich viele Parallelen finden. Streikformen ändern sich, aber es bleibt die Tatsache, dass Menschen, die sich als Gruppe zusammenschließen, etwas bewegen. Die TU Beschäftigten konnten letztendlich eine Schließung des Werkes nicht verhindern, sie erreichten jedoch höhere Abfindungszahlungen.

Beide Streiks zeigen vor allem, dass Proteste immer vielfältiger werden: Die Kreativität scheint eine immer größere Rolle zu spielen, um Aufmerksamkeit von Arbeitgebern, Politik und vor allem Öffentlichkeit zu erlagen. Klassische Arbeiterproteste wie Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen verschwinden dabei nicht, sondern werden erweitert. Diese Kreativität drückt sich beispielsweise durch selbstgeschriebene Lieder, bedruckte Shirts oder gar bedrucktes Toilettenpapier aus. Natürlich spielen auch moderne Medien wie beispielsweise Fernsehen und Internet eine große Rolle, um auf prekäre Situationen aufmerksam zu machen.

Literatur

  • Bundeszentrale für politische Bildung, Protest und Beteiligung. (APuZ 25-26/ 2012) URL: https://www.bpb.de/apuz/138273/editorial (aufgerufen am 31.07.2020)
  • Ritter, Gerhard A., Arbeiter, Arbeiterbewegung und soziale Ideen in Deutschland. Beiträge zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1996.
  • Rucht, Dieter (Hg.), Berlin, 1. Mai 2002 Politische Demonstrationsrituale, Leverkusen 2003.

 

Zitierhinweis: Rebekka Finkbeiner, Arbeitskampf. Von Streik und Widerstand in der Arbeitswelt, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020

 

Hinweis: Dieser Beitrag von Rebekka Finkbeiner erschien unter dem Titel „Arbeitskampf. Von Streik und Widerstand in der Arbeitswelt“ in der Publikation: Karin Bürkert und Matthias Möller (Hg.): Arbeit ist Arbeit ist Arbeit ist … gesammelt, bewahrt und neu betrachtet. Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde 2019, S. 203-211.

Suche