Von Felix Teuchert
An Fronleichnam, abgeleitet von den mittelhochdeutschen Worten vrône (Herr) und lîchnam (Leib), wird das „Fest des heiligsten Leibes und Blutes Christi“, d.h. die Einsetzung des Abendmahls sowie die Gegenwart von Jesus Christus in Brot und Wein gefeiert. Abendmahl und Fronleichnam stehen also in einem engen Zusammenhang. Nach dem katholischen Abendmahlsverständnis wandelt der Priester während der Eucharistie das Brot zum heiligen Leib Christi, das auch als Hostie bezeichnet wird. Theologen bezeichnen diese Abendmahlslehre als „Transsubstantiationslehre“, die auf dem vierten Laterankonzil 1215 zum Dogma erhoben wurde. Die Feier des Abendmahls geht auf die biblische Passionsgeschichte zurück und wurde bereits im Frühchristentum praktiziert. Drei der vier Evangelisten, nämlich Matthäus, Markus und Lukas erzählen vom letzten Abendmahl, das Jesus kurz vor seiner Verhaftung mit seinen Jüngern teilte. Bis heute gilt das Abendmahl sowohl im Protestantismus als auch im Katholizismus als Sakrament. Das Fronleichnamsfest erhielt dagegen allerdings erst ein gutes Jahrtausend später Einzug in den christlichen Festkalender. Das Fest geht auf eine Vision der heiligen Juliana von Lüttich zurück, die im frühen 12. Jahrhundert von Christus selbst auf das fehlende Fest im liturgischen Kalender aufmerksam gemacht worden sei. Erstmals wurde es 1246 im Bistum Lüttich gefeiert. Knapp 20 Jahre später erhob Papst Urban V. Fronleichnam zu einem Fest der Gesamtkirche. Infolge der Reformation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts avancierte Fronleichnam zu einem ständigen Streitpunkt zwischen den Konfessionen und zu einem wichtigen Bestandteil konfessioneller Identität. Protestantische Theologen und Reformatoren wie Martin Luther kritisierten den fehlenden biblischen Bezug und sahen in den Fronleichnamsprozessionen einen Ausdruck von Aberglauben und Götzendienst. Fronleichnam war für sie das katholische Fest schlechthin. Für die katholische Seite war das Fest hingegen eine sichtbare Machtdemonstration; Fronleichnam wurde als Instrument der Gegenreformation begriffen und sollte den katholischen Charakter des jeweiligen Orts unterstreichen. In gemischtkonfessionellen Orten kam es bis in die 1950er und 60er Jahre hinein vor, dass Protestanten katholische Fronleichnamsprozessionen störten und sich absichtlich respektlos verhielten.
Diese Filmaufnahmen aus den 1960er Jahren zeigen eine Fronleichnamsprozession aus dem kleinen Ort Urach, das seit der Gemeindereform 1971 zur Stadt Vöhrenbach gehört. Zu sehen sind Banner- und Kreuzträger, das Baldachin, das die Monstranz beschirmt, eine Blaskapelle und Kinder mit Blumenkörben. Auch die Uracher Kirche „Allerheiligen“ wird im Film gezeigt. Die später barockisierte Kirche mit dem ummauerten Friedhof wurde um 1275 erstmals urkundlich bezeugt und zählt zu den ältesten Wehrkirchen der Region. Dass auch solche kleinen Gemeinden mit wenigen hundert Einwohnern aufwendige Prozessionen abhielten, verdeutlicht, wie stark die Tradition des Fronleichnamsfestes in der lokalen Kultur verankert war. Zu Störungen durch Protestanten kam es bei diesem Fronleichnamszug mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht: 1961 waren 95,9 % der Einwohner Urachs katholisch und 3,3 % evangelisch. In Urach blieb die konfessionelle Homogenität also auch nach der konfessionellen Durchmischung der Nachkriegszeit, die insbesondere Flucht und Vertreibung mit sich brachten, erhalten.
Zitierhinweis: Felix Teuchert, Fronleichnamsprozessionen, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 11.11.2020