Demobilmachung - Wiedereingliederung der ehemaligen württembergischen Soldaten ins Berufsleben

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Den heimkehrenden Schwaben: Aufruf von Hans Heinrich Ehrler im Namen des württembergischen Arbeitsministeriums, November 1918, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS P 2 Bü 69)
Den heimkehrenden Schwaben: Aufruf von Hans Heinrich Ehrler im Namen des württembergischen Arbeitsministeriums, November 1918, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS P 2 Bü 69)

Kontext

Die provisorische Volksregierung Württembergs gliederte am 21. November 1918 das stellvertretende XIII. Generalkommando in das württembergische Kriegsministerium ein. Am 30. November 1918 dankte König Wilhelm II. ab und befreite alle Beamten und Soldaten von dem auf ihn geleisteten Eid.

Die heimkehrenden Truppen bargen für den politischen Übergangsprozess insbesondere wegen ihrer Bewaffnung eine mögliche revolutionäre Gefahr. Hinzu kam, dass mit Albert Schreiner (1892-1979, USPD) bis zum 15. November 1918 ein sozialistischer Hardliner als Kriegsminister in der provisorischen Regierung amtierte, der auf eine Räterepublik hoffte. Er wurde aufgrund seiner prorevolutionären Einstellung abgelöst und Vizefeldwebel Ulrich Fischer (1889-1950, MSPD) zu seinem Nachfolger bestimmt. Fischer betrieb rigoros die Demobilisierung der heimkehrenden Armee und nahm damit der Revolution das Potenzial zum bewaffneten Aufstand.

Quelle

Die zügige Demobilmachung war ferner dem Arbeitsministerium zu verdanken. Arbeitsminister Dr. Carl Hugo Lindemann (1867-1949, MSPD) gelang es zügig, die heimkehrenden Soldaten in das Arbeitsleben zu integrieren. Aufrufe wie der hier vorliegende „Den heimkehrenden Schwaben“ vom November 1918 bildeten dabei wichtige Kommunikationsmittel, um die Soldaten in ihrer Heimat zu empfangen und im gleichen Atemzug politische Ziele für die Zukunft zu benennen.

Den Aufruf verfasste der Lyriker, Journalist und Schriftsteller Hans Heinrich Ehrler (1872-1951) als freier Mitarbeiter der Stuttgarter Militärverwaltung für das Arbeitsministerium. Wie viele andere Zeitgenossen konnte Ehrler die Weltkriegsniederlage nur schwer verwinden. Sein Biograf, Willi Habermann, urteilte wie folgt: „Die Republik erkannte Ehrler an, die Revolution war ihm verhaßt. So holte er am 9. Januar 1919, dem Entscheidungstag gegen Spartakus, die rote Fahne von der Altane des Stuttgarter Rathauses und steckte die württembergische auf, weil Schwarzrotgold im ganzen Rathaus nicht aufzutreiben war.“

Der Aufruf Ehrlers besticht durch seine poetische Sprache. Sie ist geprägt von zahlreichen Stilmitteln wie Exklamationen, Metaphern, Symbolen, Aufzählungen und Wiederholungen. Ziel des Aufrufes war nicht allein das Anheben der Arbeitsbereitschaft. Seine Hauptaufgabe bestand in der Einhegung der revolutionären Gefahr, die von den heimkehrenden, bewaffneten Truppen potentiell ausging, die sich zu kommunistisch gesinnten Soldatenräten zusammenzuschließen drohten. Ehrler schwor die heimkehrenden Soldaten als Bürger auf eine bürgerlich-demokratische Ordnung in Württemberg ein. Etabliertes Feindbild des Appells waren die Revolutionäre der Rätebewegung, denen sich die Soldaten entgegenstellen sollten. Im Gegensatz zu Vertretern der Rätebewegung betonte Ehrler mithilfe einer rhetorischen Frage, das württembergische Heer sei unbesiegt aus dem Feld zurückgekehrt. Schon Friedrich Ebert hatte die heimkehrenden Truppen am 11. November 1918 mit den Worten begrüßt, sie seien „im Felde unbesiegt“ in die Heimat zurückgekehrt. Ehrler versuchte nun, wie Ebert, die Kriegsleistung der Soldaten anzuerkennen und für den demokratischen Aufbau fruchtbar zu machen. Diesem Zweck diente zudem die anschließende ausführliche Lobpreisung des württembergischen Heeres.

Besonders wichtig für die Indienstnahme des Heeres für politische Zwecke war die im Appell zu findende, ausgiebige Verwendung von Loyalitätskonzepten, wie jenem der Kameradschaft, der Treue sowie der angeblichen Pflicht gegenüber den gefallenen Kameraden. Diese Konzepte bildeten wichtige Solidarisierungsstrategien, mithilfe derer starke Emotionen abgerufen und für politische Zwecke fruchtbar gemacht werden konnten. Die Soldaten sollten wie im Krieg nun auch im Frieden Kameraden bleiben. Ehrler sprach die Soldaten als Bürger an und versuchte damit, den 1914 parteiübergreifend geschlossenen ‚Burgfrieden‘, d.h. das Zurückstellen von Eigeninteressen hinter das gemeinschaftliche Wohl, zu verlängern. Er beschwor zudem die Treue zum württembergischen Vaterland, um durch dieses Loyalitätskonzept Zustimmung zum politischen Umbau zu gewinnen. Die gefallenen Kameraden – dies eine von Ehrler auch in diesem Text zu findende sowie überhaupt in der Weimarer Republik weit verbreitete Strategie – blickten dabei metaphorisch angeblich auf die heimkehrenden Soldaten, um die Veteranen appellativ durch ihr Schuldbewusstsein für politische Ziele einzuspannen.

Im Verbund mit dem Arbeitsministerium sowie Appellen, wie sie Ehrler verfasste, gelang es schnell, die heimkehrenden Truppen in das Berufsleben einzugliedern. Die Entstehung der Reichswehr führte im selben Jahr zur Überführung weiter Teile des deutschen Heeres in die neu entstehenden Verbände. Auf diese Weise war die Demobilisierung in Württemberg im Januar 1919, als die letzten Truppen in Ulm, Esslingen und Stuttgart eintrafen, weitestgehend abgeschlossen. Am 16. April 1919 verfügte das württembergische Kriegsministerium die Auflösung des württembergischen Heeres zum 30. April 1919. Das Kriegsministerium selbst wurde im Juni 1919 aufgelöst.

GND-Verknüpfung: Demobilmachung [4324477-4]

Suche

Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW: 

Aufruf des württembergischen Arbeitsministeriums Den heimkehrenden Schwaben, November 1918