Fürsorge - Der badische Landesverein für Innere Mission
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
Die in der Weimarer Republik erbrachten Fürsorgeleistungen bildeten ein direktes Resultat der Folgen des Ersten Weltkrieges. Kriegsopferversorgung, die Armen-, Witwen- und Waisenversorgung sowie ein stetig wachsendes Heer arbeitsloser Leistungsempfänger bildeten eine schwere Hypothek für die erste deutsche Demokratie. Zahlreiche soziale Härten vermochten dabei von kirchlichen Einrichtungen abgemildert zu werden.
Hierzu zählte beispielsweise die Innere Mission der evangelischen Kirche. Die Innere Mission hatte sich im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Pauperisierung, d.h. die Massenverelendung, die proletarische Schichten im Zuge der Industrialisierung in Deutschland traf, gebildet. Die Problematik des von Industrialisierung und gesellschaftlicher Umwälzung hervorgerufenen sozialen Elends erblickten evangelische Kirchenvertreter vor allem im Verlust christlicher Werte. Zu ihrer Behebung müsse die christliche Moral gehoben und ein Umfeld geschaffen werden, innerhalb dessen die Menschen durch Nächstenliebe wieder zu Gott finden könnten. Daher ging es keineswegs allein um die Verbesserung prekärer Lebensumstände, sondern ebenfalls um die christliche Bekehrung der so Missionierten im Zeitalter der Säkularisierung.
Ein solches Umfeld wurde durch die Gründung von Diakonieanstalten, von Rettungshäusern für verwahrloste Jugendliche sowie von Bildungsanstalten für Armenschullehrer geschaffen. Insbesondere die Diakonissenhäuser umfassten Armen- und Krankenpflege, Kleinkinderschulen sowie Einrichtungen für hilfsbedürftige Jungen und Mädchen (sogenannte Jünglingsvereine, Herbergen zur Heimat, Marthastifte). Unterstützende Maßnahmen hinsichtlich der Resozialisierung entlassener Gefängnisinsassen gehörten genauso zum Aufgabenfeld der Inneren Mission wie die Gründung sogenannter Frauenhäuser und Arbeiterkolonien für Obdach- und Arbeitslose. Die Organisation und Verwaltung dieser Häuser oblag den jeweiligen Stadtmissionen.
Der Badische Landesverein für Innere Mission gehört bis heute zu den größten sozialen Körperschaften in Baden. 1849 im Großherzogtum Baden gegründet, zählen bis heute Pflege und Betreuung von Rentnerinnen und Rentnern, Unterstützung der Bildungschancen unterprivilegierter Kinder und Jugendlicher sowie die Integration von Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung oder psychischen Erkrankungen in die Gesellschaft zu seinen zentralen Aufgabenfeldern. Wie in vielen anderen karitativen Einrichtungen, wie zum Beispiel im Badischen Frauenverein, gehörten auch hier die Großherzoginnen zu den wichtigsten Förderinnen dieses Verbandes.
Quelle
Die vorliegende Akte enthält Korrespondenz der Großherzogin Luise von Baden mit Theodor Koch, dem Sekretär des Badischen Landesvereins für Innere Mission, von Juni bis September 1919. Sie gewährt Einsichten bezüglich der Neuausrichtung des Vereins nach 1918. Denn nach dem Zusammenbruch des Großherzogtums musste sich der Verein, wie so viele ehemals konstitutionell und finanziell vom Großherzogtum abhängige Institutionen, neu positionieren. Im Schreiben vom 29. September 1919 beklagte sich Koch in diesem Kontext über die fehlende Unterstützung in der badischen Bevölkerung und erinnerte sich „Eurer königlichen Hoheit“ gegenüber wehmütig der vorzüglichen vergangenen Zusammenarbeit: Nur mit Mühe, so gestand er der Großherzogin, vermochte sich Koch „der Tränen […] zu enthalten, wie wenn mein Weg mich am Residenzschlosse vorbeiführt.“ Die Hauptstadt komme ihm „verwaist vor“.
Trotz der desolaten Lage in externen Unterstützungsangelegenheiten vermochte Koch der ehemaligen Protektorin vom Aufschwung der Inneren Mission zu berichten, die in der neu entstandenen Republik Baden expandierte. Gerade die Krisenzeit der kommunistischen und rechtsradikalen Umsturzversuche in Baden schienen die Menschen der Inneren Mission näherzubringen. Nicht zuletzt stand im Oktober 1919 die 70-Jahrfeier des Vereins an. Der von Prälat Karl Schmitthenner (1858-1932) geleitete Landesverein beging dieses Jubiläum vom 12. bis 14. Oktober mit einem Festgottesdienst, auf dem der Geheime Konsistorialrat Dr. Konrad Kayser (1848-1929) aus Frankfurt a. M. als oberster Vereinsgeistlicher ein Bild der Entstehung und Entwicklung des Vereins präsentierte.
Ferner wies Koch auf die Expansion des Vereins und zahlreiche Neugründungen hin: Hierzu zählten das Walderziehungsheim Falkenburg in Herrenalb, wo während des Sommers unter der Leitung des früheren Straßburger Seminardirektors Schulrat König und der Karlsruher Haushaltungslehrerin Lina Weiss über 200 Ferienkinder aus Karlsruhe, Pforzheim, Mannheim und Heidelberg versorgt wurden. Ferner nannte er die Diakonenanstalt Beröa auf dem Schwarzacher Hof bei Mosbach und schließlich das Altersheim Watthalden in Ettlingen. Auch die in Karlsruhe befindliche evangelische Stadtmission, so Koch, stehe im Begriff, ihre durch den Krieg gehemmte Arbeit wieder aufzunehmen. Auch hier ergaben sich personelle Änderungen: Als Nachfolger des ins Pfarramt gewechselten Inspektors Joest wurde Missionar Schmidt in sein Amt eingeführt. Die in den Ruhestand versetzte Schwester Lene Hoch wurde durch die früheren Kinderschwestern Luise Jörger und Frau Thiele aus Straßburg ersetzt.
Aus dieser Expansion, im Zuge derer auch die Geschäftsstelle in Karlsruhe erweitert und neues Personal rekrutiert wurde, wird ersichtlich, dass zu Beginn der 1920er Jahre das Augenmerk neben den traditionellen Aufgabenfeldern der Kranken- und Altenpflege, der Beratung und Armenfürsorge sowie der Sorge für Witwen und Bedürftige vor allem auf den Bereich der Kinder- und Jugendlichenhilfe gelegt wurde. Denn junge Menschen hatten besonders unter den Folgen des Ersten Weltkrieges gelitten.
GND-Verknüpfung: Fürsorge [4018801-2]
Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW:
Schreiben Theodor Kochs an Großherzogin Luise von Baden, 29.9.1919