Bühl mit Achern

Alte Judenschule und Synagoge am Johannesplatz in Bühl, um 1930. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge durch Inbrandsetzung zerstört. Die Ruinen wurden zusammen mit weiteren Gebäuden der jüdischen Gemeinde abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 253]
Alte Judenschule und Synagoge am Johannesplatz in Bühl, um 1930. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge durch Inbrandsetzung zerstört. Die Ruinen wurden zusammen mit weiteren Gebäuden der jüdischen Gemeinde abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 253]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Bühl

Der Flecken Bühl erscheint 1302 als ebersteinisches Lehen in der Hand der Herren von Windeck, deren Stammschloss unweit des Ortes liegt. 1386 erwarb Markgraf Rudolf VII. von Baden den nördlichen Ortsteil, während der südliche als Reichslehen in der Hand der Windecker verblieb. Der badische Teil kam bei der Landesteilung 1535 an Baden-Baden, das nach dem Aussterben der Windecker 1592 vergeblich um die Belehnung mit deren Ortsteil nachsuchte. Erst 1686 erhielt Markgraf Ludwig Wilhelm, der „Türkenlouis", das Lehen und vereinigte beide Ortsteile unter badischer Herrschaft. 1835 erhielt Bühl Stadtrecht.

Im windeckischen Teil gab es bereits im Jahre 1579 Juden, denn in diesem Jahr schloss Junker Georg von Windeck einen Vergleich wegen des Schirmgeldes mit den Bühler Juden. Auch im badischen Teil lebten wahrscheinlich um diese Zeit Juden. 1582 teilte Markgraf Philipp seinem Amtmann in Bühl mit, er habe den Juden für sieben Jahre Niederlassung in seinem Lande gewährt. 1584 widerrief er seine Anordnung, doch unter seinem Nachfolger Eduard Fortunat erhielten 1593 vier Juden mit ihren Familien für zehn Jahre Niederlassungsrecht in Bühl. 1605 waren fünf Schutzjuden in Bühl ansässig. Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach, der von 1604 bis 1622 beide Teilmarkgrafschaften regierte, betrieb zunächst eine judenfreundliche Politik, änderte aber dann seine Haltung. Als 1622 die Regierung in der Markgrafschaft Baden-Baden auf Markgraf Wilhelm überging, lebten keine Juden mehr in Bühl, doch während des Dreißigjährigen Krieges siedelten sich allmählich wieder Juden an. Vor der französischen Invasion 1688/89 lebten etwa vier Judenfamilien in Bühl, von denen der Jude Aron der angesehenste war. Ihm sowie seinen Glaubensgenossen Isaak von Ettlingen und Aron Fränkel von Durlach wurde 1673 gegen Entrichtung einer gewissen Summe der Eisenhandel in der Markgrafschaft Baden-Baden und im Territorium der Abtei Schwarzach übertragen.

Während des Pfälzischen Krieges seit 1688 wichen die Juden über den Rhein aus, kehrten aber nach Kriegsende in noch größerer Zahl nach Bühl zurück. 1698 gab es in Bühl 11 jüdische Haushaltungen mit 90 Köpfen. Während des 18. Jahrhunderts nahm ihre Zahl ständig zu. 1700 waren es 14 jüdische Haushaltungen, 1706 12 sowie zwei Ladendiener und zwei Schulmeister. 1721 lebten 17 und 1724 12 Judenfamilien in Bühl. Zwischen 1753 und 1759 wurden fünf Familien neu aufgenommen, obwohl eine Verordnung von 1740 bestimmte, dass die Zahl der Juden in Bühl nicht weiter vermehrt werden dürfe. Schon 1697 war es zu Streitigkeiten über die Benutzung der Viehweiden und die Zahlung des Weidegeldes gekommen. Da die Bühler Juden bis ins 19. Jahrhundert hauptsächlich vom Viehhandel lebten, konnten sie auf ihre Weiderechte nicht verzichten. Sie konnten dieses Recht behaupten, allerdings gegen eine Abgabe an die Gemeinde.

Bei den Beratungen über eine Judenordnung für Baden-Baden wurde 1714 vorgeschlagen, die zu Bühl in Häusern von Christen wohnenden Juden auszuquartieren und ihnen von Amts wegen einen Bauplatz außerhalb der Hauptstraße anzuweisen. Dieser Entwurf wurde in die Judenordnung von 1714 zunächst aufgenommen, auf den Einspruch der Juden 1715 aber dahingehend abgeändert, dass Juden mit einer christlichen Familie in einem Haus mit zwei Wohnungen leben durften. Bis zum Jahre 1789 wohnten die meisten jüdischen Familien in Bühl im sogenannten Hänferdorf und in Seitengassen, nicht in der Hauptstraße oder in der Nähe der Kirche.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die wirtschaftliche Lage der Juden in der ganzen Markgrafschaft sehr ungünstig und verschlechterte sich weiterhin. Ein Bericht des Amtes Bühl vom Februar 1721 schildert die wirtschaftlichen Verhältnisse der Juden in Bühl in düsteren Farben. Die meisten waren verschuldet, handelten mit alten Kühen, schlechten Pferden, Häuten, altem Eisen oder waren an den Bettelstab geraten. „Insgesamt könne man sagen, dass, ausgenommen 4, alle kein Vermögen von 100 Gulden Wert hätten. Sie leben so miserabel, dass ihre Weiber und Kinder gleichsam herumgehen wie Geister. Es bestehe die Gefahr, dass infolge dieser Mängel eine Krankheit ausbreche und die Christen angesteckt würden. Man solle am besten unter den Juden eine Musterung halten und die Unnützen wegweisen."

Die schlechte wirtschaftliche Lage führte zu Streitigkeiten innerhalb der Judenschaft. Doch gegen das allzu rigorose Durchgreifen des Judenschultheißen Josef, der seit 1699 dieses damals von jeweils drei Personen gleichzeitig verwaltete Amt innehatte, beschwerten sich die Juden 1712, weil er „gleich mit Schlägen, nit allein auf öffentlicher Gasse, wie schon geschehen, zufährt, sondern sich ohnlängst gar unterstand, hochsträflicherweise in der Synagog einen blutrünstig zu schlagen". Josef wurde durch Koppel aus Bühl in seinem Amt abgelöst. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besserte sich die wirtschaftliche Lage der Juden wieder. 1770 konnten sie zur Beherbergung durchreisender armer Juden ein eigenes Armenhaus für 20 Gulden jährlich mieten. Eine jüdische Garküche (Wirtschaft) wurde im gleichen Jahr eröffnet.

Seit Beginn des 18. Jahrhunderts hatten die Bühler Juden in der „Eich oder Sinnung" ihren Betsaal, die Judenschule, in dem hohen dreistöckigen altertümlichen Gebäude am Ende der Schwanengasse (früher Kornlaubgasse) am Mühlbach, das um 1720 dem Isaak Bodenheimer gehörte. 1823 wurde eine neue geräumige Synagoge am Johannesplatz erbaut. 1827 wurde das Bezirksrabbinat Bühl mit den Gemeinden Bodersweier, Bühl, Gernsbach, Hörden, Kuppenheim, Lichtenau, Muggensturm, Neufreistett, Rastatt, Rheinbischofsheim und Stollhofen errichtet, von denen einige bald aufgelöst wurden. Baden-Baden, Ettlingen, Kehl und Malsch kamen seit 1881 nach und nach dazu. Seit 1833 besaß die Gemeinde beim sogenannten Kläusel auf der Honau einen eigenen Begräbnisplatz. Bis dahin begrub man die Toten auf dem israelitischen Friedhof in Kuppenheim. Von 1830 bis 1877 bestand in Bühl gegenüber der Synagoge eine israelitische Volksschule am linken Ufer des Mühlkanals, der den Johannesplatz durchfloss. Sie wurde durchschnittlich von 40 Kindern besucht. Als Hauptlehrer unterrichtete von 1830 bis 1870 Moses Sinzheimer.

Schon 1820 wurden Marum Wolf, der dem jüdischen Armenfonds bei seinem Tod 1826 1.000 Gulden vermachte, und G. Massenbach durch Einfluss des Kinzigkreisdirektoriums gegen den Willen der Gemeinde Bühler Bürger 1830 erhielt nach langen Bemühungen auch die Familie Netter das Ortsbürgerrecht. Diese Familien haben später, nach der Gleichstellung der Juden in Baden, in der bürgerlichen Gesellschaft der Stadt im Gegensatz zu den übrigen jüdischen Einwohnern bald Fuß fassen können. Sie haben durch ihren Wohlstand und als Arbeitgeber großen Einfluss ausgeübt und sich durch Schenkungen an die Stadt verdient gemacht. Ein Granitfindling im Stadtgarten erinnert an Adolf und Carl-Leopold Netter, denen Bühl den 1905 angelegten Stadtgarten und den Aussichtsturm, ebenso das Denkmal Großherzog Friedrichs I. mit seiner Brunnenanlage verdankt. Ihr Großvater Wolf Netter betrieb seit 1833 in Bühl eine Eisengroßhandlung. Ihr Vater Jakob und sie selbst machten aus dem kleinen Geschäft die angesehene Firma Wolf Netter & Jacobi, Metallfabrikation, Gießerei und Eisenhandel. Ihr Hauptkontor befand sich in Berlin, eine Zweigniederlassung in Straßburg. 1898 stifteten sie der Gewerbeschule ein Kapital von 5.000 Mark, dessen Zinsen zur Lehrmittelbeschaffung dienten. Die Familien Massenbach und Kusel waren Besitzer einer Spinnerei und Weberei, die Ende des 19. Jahrhunderts durch die Konkurrenz aus dem Elsass zur Liquidation gezwungen wurde. In den ehemaligen Fabrikgebäuden befindet sich jetzt das Bühler Gymnasium. Die um die Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführte Neuzüchtung der Bühler Zwetschgen veranlasste zwei Juden zur Einrichtung von Branntweinbrennereien. Sigmund Bühler gehörte die Sensenfabrik in Achern.

Nicht zuletzt dank des Einflusses der führenden jüdischen Familien war in Bühl das Verhältnis zwischen jüdischen und christlichen Bürgern gut. Als im April 1852 der Freiburger Erzbischof Hermann von Vicari das vom katholischen Oberkirchenrat ohne seine Beteiligung angeordnete Requiem für den verstorbenen Großherzog Leopold untersagte, wohnten in Bühl Katholiken der Trauerfeier in der Synagoge bei.

Im 19. Jahrhundert wuchs die jüdische Gemeinde von 222 Seelen im Jahre 1825 auf 290 im Jahre 1875 an. Von da an gingen Zahl und Bedeutung der jüdischen Gemeinde zurück: 1900 226, 1910 192, 1925 111. Drei ihrer Mitglieder waren im Ersten Weltkrieg gefallen.

Vor Hitlers Machtergreifung, die noch 72 Juden in Bühl erlebten, waren sie im Gemeinderat, im Bürgerausschuss und im Vereinsleben tätig. Der Wohlfahrtspflege dienten ein Wohlfahrtsverein, ein Israelitischer Männerverein und ein Frauenverein. Der allgemein beliebte Rabbiner Dr. Baruch Mayer war Ehrenbürger der Stadt. Er starb 1927; sein Sohn starb 1940 in Gurs. Als am 1. April 1933 der Boykott gegen die jüdischen Geschäfte propagiert wurde, waren auch in Bühl ein Kaufhaus und mehrere andere Geschäfte davon betroffen. Trotzdem soll es nach diesen Ereignissen noch vorgekommen sein, dass SS-Angehörige mit Juden im Kaffeehaus Karten spielten. Durch die andauernde Propaganda und die Angst vor Denunziationen wurde die Bevölkerung allmählich vom Kauf in jüdischen Geschäften abgehalten, die dadurch zur Liquidation gezwungen wurden. Die Firma Netter & Jacobi wurde im März 1938 „arisiert" und vom Mannesmann-Konzern übernommen.

Schon 1935 waren Übergriffe in der Bühler Synagoge gemeldet worden. In der Kristallnacht im November 1938 wurde sie zerstört. Am 22. Oktober 1940 wurden aus Bühl 26 Juden, die nicht mehr auswandern konnten, nach Gurs deportiert. 7 von ihnen überlebten in Frankreich, 9 starben in einem Lager in Südfrankreich, und mindestens 3 sind in einem Vernichtungslager im Osten umgebracht worden. Das Schicksal der übrigen ist ungeklärt. Nur 2 Juden, die in sogenannter Mischehe lebten, blieben in ihrer Heimatstadt zurück. Einer von ihnen wurde noch 1945 nach Theresienstadt deportiert, von wo er am 18. Juni 1945 wieder nach Bühl zurückkehrte. Von den nach Gurs Deportierten kamen nach Kriegsende Amalie Bloch und Fanny Weil aus Frankreich zurück. Beide starben später im jüdischen Altersheim in Heidelberg.

Der von den Nationalsozialisten geschändete Friedhof wird jetzt von den Schülern des Bühler Gymnasiums und ihrem Oberstudienrat Dr. Oser gepflegt. Rasen wächst auf dem Platz der alten Synagoge.

Achern

Im benachbarten Achern ließen sich nach 1850 Juden nieder. Sie bildeten keine eigene Gemeinde, sondern schlossen sich Bühl an. 1933 lebten 18 Juden in Achern. In der Heilanstalt Illenau waren bis zu ihrer Schließung 1940 einzelne jüdische Patienten untergebracht. Die Familie des Zahnarztes Dr. Gerber wanderte Ende 1936 nach Indien, später nach Australien aus. Das Ehepaar Hammel wurde nach Gurs deportiert. Nach Aufenthalten im Lager Recebedou, in Nexon und Masseube gelang ihnen nach dem Krieg die Auswanderung in die USA. Ihre einzige Tochter wurde 1941 von Stuttgart aus nach Riga deportiert, dann ins KZ Stutthof. Sie kehrte nicht mehr zurück.
 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Gerke, Otto/Peter, Karl, Geschichte der Stadt Bühl in Baden, 1936.
  • Greule, Otto, Die Geschichte der Volksschule Bühl, in: Bühler Blaue Hefte 8, 1960.
  • Haefelin, Max, Kleine Plauderei über die alten Bühler Judenfamilien, ebd. 4, 1959.
  • Harbrecht, Joseph, Gassen und Gaststätten von Alt-Bühl, ebd. 1, 1957.
  • Reinfried, Karl, Chronik der Stadt Bühl, in: Katalog der Gewerbe- und Industrieausstellung in Bühl, 1905.
  • Ders., Einige Ergänzungen zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO NF XI,1896.
  • Ders., Kurzgefasste Geschichte der Stadtgemeinde Bühl im Großherzogtum Baden, 1877.
  • Schlier, Josef, Bühler Stiftungen und ihre Wohltäter, in: Bühler Blaue Hefte 4, 1959.

Ergänzung 2023:

Das ehemalige Synagogengrundstück wurde 1983 neu bebaut.

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Bühl, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Im Versteck. Die Geschichte einer Rettung. Nach Naomi Morgenstern, mit zwei Kurzgeschichten von Ehud Loeb, hg. von der International School for Holocaust Studies Yad Vashem Israel, Konstanz 2012.
  • Jüdisches Leben. Auf den Spuren der israelitischen Gemeinde in Bühl (Bühler Heimatgeschichte Nr. 15/2001), hg. vom Stadtgeschichtlichen Institut der Stadt Bühl, Bühl 2001.
  • Mohr, Günther, „Neben, mit Undt bey Catholischen“. Jüdische Lebenswelten in der Markgrafschaft Baden-Baden 1648-1771, Köln u. a. 2011.
  • Piegsa, Helmut, Schicksale jüdischer Familien Bühls. Zulassungsarbeit PH Freiburg, 1962/63.
  • Raulff, H., Die Wolf Netter & Jacobi-Werke, in: Die Ortenau 62, 1982, S. 175-189.
  • Rumpf, Michael, Bühler Judenfriedhof. Beitrag zu einer Monographie XXXI., 1985.
  • Stiefvater, Oskar, Geschichte und Schicksal der Juden im Landkreis Rastatt, in: Um Rhein und Murg 5, 1965, S. 42-83.
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