Die rechtliche Situation und die Aufsicht: Fazit

 

von Christoph Beckmann

Die betrachteten Beispiele zeigen die Bandbreite der möglichen Interaktionen zwischen einzelnen Einrichtungen der Behindertenhilfe und dem Landesjugendamt. Die Besichtigungen der Einrichtungen konnten Anlass für Lob sein und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Gelegenheit geben, der Behörde ihre Sorgen mitzuteilen – oder im Extremfall Anlass zur Schließung einer Einrichtung bieten. Das Landesjugendamt konnte trotz einer eher geringen Anzahl dort untergebrachter Minderjähriger großes Interesse an er Einrichtung haben, sofern diese eine besonders wichtige Funktion für das System der Jugendhilfe hatte. In den Akten ließen sich auch Anzeichen dafür finden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes in bestimmten Fällen der Ansicht waren, eine Einrichtung wäre besser unter die Aufsicht einer anderen Institution zu stellen.

Weiterhin zeigte sich, dass verschiedene Gesetze tatsächlich in der zu erwartenden Form Niederschlag in den Akten fanden, neben dem Jugendwohlfahrtsgesetz mit der in ihr niedergelegten Aufsichtspflicht des Landesjugendamtes, vor allem das Bundessozialhilfegesetz aufgrund seiner finanziellen Bedeutung für die Einrichtungen.

Auch zeigte das Beispiel des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Weissenau, wie in primär psychiatrischen Einrichtungen Jugendliche auch auf Basis des Jugendwohlfahrtsgesetzes untergebracht wurden und wie überaus wichtig diese Einrichtungen sogar für das System der Jugendhilfe waren. Wie genau das Jugendwohlfahrtsgesetz und das Psychiatriegesetz allerdings miteinander in einer Einrichtung die dem Landeskrankenhaus interagierten, dafür konnten hier wenig Anzeichen gefunden werden.

Diese und weitere wichtige Fragen wären nur durch die Auswertung der Akten weiterer Einrichtungen, der jeweils zuständigen unteren Verwaltungsbehörden und der Gesundheitsämter zu klären. Hier konnten lediglich in einigen Schlaglichtern gezeigt werden, wie die rechtlichen Grundlagen, vor allem im Hinblick auf die Überwachung und Aufsicht der Einrichtungen, angewendet wurden.

Rechtlich getrennt, sachlich verbunden

Eingangs wurde die Situation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen als davon bestimmt beschrieben, dass sie als eine Art Schnittmenge Gegenstand von zwei Rechtsbereichen, der Jugendhilfe und der Behindertenhilfe, waren und sind. Als eigene Gruppe kamen sie in den betrachteten Gesetzen wenig bis kaum vor.

In den Akten zeigte sich dagegen, wie sehr die Aufgaben der in diesen Gesetzen beauftragten Institutionen ineinandergriffen – und wie unterschiedlich diese Interaktionen im Einzelfall aussehen konnten. Es zeigte sich, wie zwei bei Lektüre der entsprechenden Gesetze weit voneinander getrennt wirkende Bereiche des Rechts in der tatsächlichen Anwendung eng miteinander verflochten sein können. Auch ohne ein dediziertes Gesetz für Jugendliche mit Behinderungen wurde ihre Situation rechtlich durchaus erfasst, allerdings aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln, die jeweils nur einen Teil ihrer besonderen Situation berücksichtigten. Die Umsetzung der vorhandenen Gesetze unterlag zum Teil den gleichen, zum Teil unterschiedlichen Einrichtungen und Institutionen. Dabei zeigten sich durchaus mögliche Konfliktlinien, insbesondere im Bereich der Aufsicht über Einrichtungen, in denen Jugendliche mit Behinderungen untergebracht waren.

Leerstellen, prinzipiell nicht erfasste Räume oder Situationen, zeigten sich jedoch weder in den Gesetzen noch in den Akten. Dies wäre auch nicht zu erwarten gewesen: Fehlende Überwachung erzeugt keine Akten, fehlende Regelung keine Gesetze.

Beim Blick in die Gesetze und Akten zeigte sich ein enges Ineinandergreifen der zunächst getrennt erscheinenden Rechtsbereiche der Jugendfürsorge und der Behindertenhilfe, sowie die jeweiligen Institutionen, mit meist eindeutig geregelten Zuständigkeiten. Die Komplexität dieses Ineinandergreifens verweist jedoch zugleich auf das, was bei diesem Eindruck außen vor bleibt: Die individuelle Erfahrung von Menschen, die in den Einrichtungen untergebracht waren, mit den Institutionen zu tun hatten und Gegenstand der Gesetze waren, sowie ihrer Angehörigen. Leicht vorstellbar ist, wie insbesondere gegenüber diesem von zwei Ausgangspunkten eng geknüpften Netz von Gesetzen und Verordnungen, Verantwortungen und Aufgaben, viele streng nach Gesetz und Verordnung getroffene Entscheidungen völlig willkürlich erscheinen mussten.

Diese Erfahrung ist bei jeder Beurteilung der besonderen Situation von Jugendlichen mit Behinderungen zu bedenken, ohne jedoch den beteiligten Behörden dadurch automatisch tatsächliche Willkür zu unterstellen.

 

Zitierhinweis: Christoph Beckmann, Die rechtliche Situation und die Aufsicht: Fazit, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2022.