Landeserziehungsheim Flehingen

Von Jürgen Treffeisen

 

Außenansicht von Schloss Flehingen, 1900 [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, Glasnegative Wilhelm Kratt 498-1 Nr. 7268, Bild 1]. Zum Vergrößern bitte klicken.
Außenansicht von Schloss Flehingen, 1900 [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, Glasnegative Wilhelm Kratt 498-1 Nr. 7268, Bild 1]. Zum Vergrößern bitte klicken.

Die Schlossanlage Flehingen kam 1876 in den Besitz der Gemeinde. Der Badische Landesverband der Bezirksvereine für Jugendschutz richtete hier 1889 eine "Zwangserziehungsanstalt für jugend­liche Verwahrloste männlichen Geschlechts" ein, die 1901 zur größten Fürsorgeerziehungsanstalt in Baden für bis zu 70 Jungen ausgebaut wurde.

Von 1901 bis 1909 stand Wilhelm Umhauer der Anstalt vor. Die von ihm eingeleitete Umstellung der Pädagogik von militärischer Zucht auf eine fördernde Beteiligung der Jungen bei der Erziehungsarbeit war damals eine Pionierleistung. Umhauer begründete zudem Ausbildungswerkstätten der Schnei­derei, Schlosserei, Schreinerei, Schusterei, Sattlerei, Korbmacherei, Gärtnerei und Landwirtschaft. Von 1909 bis 1920 leitete Philipp Zimmermann das Heim nach dem Vorbild Umhauers. Hinzu kamen erweiterte Wohnungen für das angestellte Personal, ein Direktorenwohnhaus und eine große Turn- und Festhalle.

Nach kurzer Leitung durch Hermann Moritz (1920–1922) übernahm 1922 Prof. Dr. Adalbert Gregor das Heim (1922–1929). Seine Schulungen und Vorträge trugen dem Heim überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit und Anerkennung ein. Mit dem Anwachsen der Anstalt auf circa 160 Jungen wurden zusätzlich Polsterei, Schmiede, Bäckerei und Wäscherei als Arbeitsstätten und Ausbildungsbetriebe eingerichtet. Diese Reformansätze aus der Weimarer Zeit wurden erst wieder in der modernen Pädagogik seit den 1970er Jahren aufgegriffen.

Die Erziehung während der Zeit des Nationalsozialismus durch Dr. Otto Schell (1929–1934) und Alfred Späth (1934–1945) fiel deutlich strenger aus. Sportlicher und militärischer Drill sowie die Lehre in einem Beruf standen hierbei im Mittelpunkt. Am Ende des 2. Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde das Schloss Flehingen zwischenzeitlich als Ärztehaus zur Versorgung der Bevölkerung genutzt.

Ab 1947 begann der Neuaufbau des Heims unter Paul Seibel. Von 1955 bis 1972 übernahm Hans Zehner die Leitung. Damals wurde die gesamte Anlage renoviert und modernisiert. Man stellte die Arbeiten in der Landwirtschaft ein. Die Gärtnerei wurde zu einer Gewächshausanlage umgebaut, die übrigen Ausbildungsstätten erweitert. Ab 1972 leitete Berthold Augenstein das Heim, führte weitere Modernisierungen durch und reduzierte die Anzahl der Wohnplätze von 160 auf 70. Es wurden eine Trafostation, ein Wirtschaftsgebäude und eine große Sporthalle erbaut. 1985 wandelte man das Erziehungsheim in ein Bildungszentrum des Landeswohlfahrtsverbands um.

Von 1889 bis 1964 war das staatliche Erziehungsheim Schloss Flehingen in der Trägerschaft des Landes (Großherzogtum und danach Republik Baden, Land Baden-Württemberg). Von 1964 bis 2005 lag die Trägerschaft des Erziehungsheims sowie anschließend des Bildungszentrums beim Landeswohlfahrtsverband Baden. Seit 2005 gehört das Bildungszentrum zum im Zuge der baden-württembergischen Verwaltungsreform entstandenen Kommunalverband für Jugend und Soziales.

 

Kommentar:

Auszüge aus: Die Unterlagen der Erziehungsheime Flehingen und Stutensee im Generallandesarchiv Karlsruhe, in: „Aufarbeiten im Archiv“; leicht überarbeitet von Nora Wohlfarth.

 

Literatur:

  • Springer, Brigitte, Vom Wasserschloss zur Fürsorgeanstalt und Fachschule für Sozialwesen. Hg. vom Heimatkreis Oberderdingen e. V., Oberderdingen 2008.
  • Treffeisen, Jürgen, Die Unterlagen der Erziehungsheime Flehingen und Stutensee im Generallandesarchiv Karlsruhe, in: Aufarbeiten im Archiv. Beiträge zur Heimerziehung in der baden-württembergischen Nachkriegszeit, hrsg. von Christian Keitel, Nastasja Pilz und Nora Wohlfarth, Stuttgart 2018.

 

ZitierhinweisJürgen Treffeisen, Landeserziehungsheim Flehingen, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2022.

 
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