Das St. Gertrudisheim in Rosenharz

Von Sarah Hoyer
 

Aufsichtsbericht [Quelle: Landesarchiv BW, StAS Wü 40 T 29 Nr. 154]. Zum Vergrößern bitte klicken.
Aufsichtsbericht [Quelle: Landesarchiv BW, StAS Wü 40 T 29 Nr. 154]. Zum Vergrößern bitte klicken.

Ende Oktober 1929 wurde die St. Oswaldipflege von Heudorf nach Rosenharz (Gemeinde Bodnegg) verlegt und in „Erziehungsanstalt für geistesschwache Kinder“ umbenannt. In der Anstalt waren „schwachbegabte, noch bildungsfähige Kinder (Knaben und Mädchen) vom 7. Lebensjahr an“ untergebracht, die auf „neuzeitlicher, heilpädagogischer Grundlage“ geschult werden sollten. Nicht aufgenommen wurden Epileptikerinnen und Epileptiker sowie psychisch kranke Kinder („Geisteskranke“). Auch nach dem Umzug wurden Epileptikerinnen und Epileptiker sowie psychisch kranke Kinder nicht in Rosenharz aufgenommen; sie kamen in die Obhut der „Pfleg- und Bewahranstalt“ Liebenau, wo auch die Verwaltung für Rosenharz untergebracht war. Die übrigen Kinder lebten in Rosenharz.

Am 29.10.1929 wurde der Neubau in Rosenharz von den zuvor in Heudorf untergebrachten Kindern bezogen. Schon wenige Wochen später lebten in Rosenharz 46 Angestellte, 137 Kinder sowie 48 ältere „Pfleglinge“ (3 männliche und 45 weibliche). Zehn Jahre später hatte sich die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner auf 232 „Pfleglinge“ erhöht. Zu diesem Zeitpunkt lebten 116 Schulkinder, davon 62 männlich und 54 weiblich, 59 erwachsene Männer und 57 erwachsene Frauen in Rosenharz. Das Personal umfasste 39 Schwestern, von denen fünf Lehrkräfte waren, einen Hausgeistlichen, einen weltlichen Lehrer sowie neun Dienstboten, von denen fünf in der Landwirtschaft angestellt waren. Im Jahr 1943 hingegen lebten nur noch 73 Personen im St. Gertrudisheim, nämlich eine Schulklasse mit 26 Schulkindern sowie 36 „Zöglinge“ unter 21 Jahren und 11 „Pfleglinge“. Grund hierfür war vermutlich, dass die Ermordung von psychisch kranken und behinderten Menschen im Nationalsozialismus nicht vor der Anstalt Liebenau mit Rosenharz Halt machte. Aus Rosenharz wurden am 03.10.1940 insgesamt 12 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene nach „unbekannt“ verlegt und am 04.11.1940 nochmals 14. Es ist davon auszugehen, dass diese Personen in Grafeneck ermordet wurden.

Nach Kriegsende war die Anstaltsleitung im Oktober 1945 übergangsweise mit Anita Maier, der Frau des sich zunächst im Wehrdienst und späterhin in Kriegsgefangenschaft befindlichen Rektors Erwin Maier, besetzt.

Im Jahr 1975 stellte die Stiftung Liebenau mit der Zweigstelle Rosenharz einen (vorläufigen) Antrag auf Anerkennung ihrer Werkstätten für Behinderte (WfB). Eine erstmals befristete Anerkennung der Behindertenwerkstätten für die Stiftung Liebenau erfolgte mit Wirkung zum 01.01.1975. Im Jahr 1983 erfolgte schließlich auch die ausgesprochene Anerkennung für die Zweigwerkstatt in Bodnegg-Rosenharz.

Der Arbeitsbereich in den Behindertenwerkstätten umfasste um 1980 drei Abteilungen mit jeweils einer Gruppe. Gab es zunächst nur Arbeitsplätze im Textilbereich, so wurden seit 1984 auch Arbeiten in den Betriebswerkstätten, der Küche bzw. Kantine und im Hausdienst der Einrichtung angeboten. Der Bedarf scheint groß gewesen zu sein: Alleine in Rosenharz arbeiteten 160 Bewohner und Bewohnerinnen in den Werkstätten.

Insgesamt waren 1984 in der Stiftung Liebenau mit Hegenberg und Rosenharz 16 Gruppen untergebracht; 266 Plätze gingen an Erwachsene in Rosenharz. Außerdem gab es noch 35 Gruppen mit 272 Plätzen für Kinder und Jugendliche in Hegenberg, wovon 27 Gruppen für schwerstbehinderte Menschen konzipiert waren. Der Pflegesatz betrug damals 118,10 DM pro Tag.

 

Quellen:

  • Landesarchiv BW, StAS Wü 40 T 29 Nr. 154 und 155, Wü 30/10 T3 Nr. 193
  • Landesarchiv BW, StAL E 191 Bü 3603, EL 90 V Bü 599

 
Literatur:

  • Leben in Rosenharz, hrsg. v, der St.-Gallus-Hilfe gGmbH, Bodnegg 1997.
  • Link, Hermann, 75 Jahre Zweigeinrichtung Rosenharz 1925 - 2000, hrsg. v. der Stiftung Liebenau, Meckenbeuren 2001.
  • Martius, Johannes, Mutig, menschlich, mittendrin. Die Geschichte der Stiftung Liebenau, München 2020.
  • Raible, Helga, 150 Jahre Stiftung Liebenau, in: Caritas: Neue-Caritas-Jahrbuch des Deutschen Caritas-Verbandes, Bd. 2021 (2020), S. 109-113.
  • Schäfer-Walkmann, Susanne, Das Schweigen dahinter. Der Umgang mit Gewalt im lebensweltlichen Kontext von Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern der Stiftung Liebenau zwischen 1945 und 1975, Freiburg i.Br. 2015.
  • So leben wir. Eine Dokumentation. Erlebt, festgehalten und zusammengetragen von Bewohnern und Mitarbeitern des Heimbereichs St. Irmgard, Hegenberg, St. Vinzenz und Bruder Konrad Rosenharz, hrsg. v. Carla Gitschier, Meckenbeuren-Liebenau 1983.

 

ZitierhinweisSarah Hoyer, Das St. Gertrudisheim in Rosenharz, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2022.

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