Wie Aufsichtsbehörden ineinandergreifen – Die Nikolauspflege für Blinde Kinder

 

con Christoph Beckmann

Die Nikolauspflege für blinde Kinder war eine Einrichtung, für die das Landesjugendamt, soweit in den Akten erkennbar, nur wenig Interesse zeigte. Ob sie überhaupt unter die Aufsicht des Landesjugendamtes fiel, war dabei lange unklar. Als Blindenschule war sie eine Heimsonderschule und unterstand damit der Schulaufsichtsbehörde und nicht dem Landesjugendamt. Die Nikolauspflege unterhielt jedoch auch eine (Lern-)Werkstatt für (z.T. minderjährige) Blinde, die ebenfalls im Heim wohnten. In einem Aktenvermerk eines Mitarbeiters des Landesjugendamtes wird die Frage aufgeworfen, ob diese Werkstatt als Teil der Schule anzusehen sei oder ob sie als getrennte Einrichtung zu betrachten wäre, die also in Bezug auf die dort untergebrachten Minderjährigen unter die Aufsicht des Landesjugendamtes fiele. Dieses sei bei Gelegenheit zu klären.[1]

Wenige Tage später wurde die Sache an das Landesinnenministerium herangetragen. Hier heißt es: „Es erhebt sich nun die Frage, ob sich die genannte Aufsicht [der Schulaufsichtsbehörde, Anm. C.B.] auch auf die […] Minderjährigen erstreckt, die in den Werkstätten arbeiten.“ Es sei „nicht sinnvoll, eine kleine Minderheit im Heimbereich der gesonderten Heimaufsicht durch das Landesjugendamt zu unterstellen. Eine Beaufsichtigung des Heimbereichs durch zwei verschiedene Stellen würde zweifellos auch auf Widerstand bei den Heimträgern stossen.“[2]

Dieser Brief ist aus mehreren Gründen interessant. Zum einen legen die Formulierungen des Briefes nahe, dass das Landesjugendamt erreichen wollte, dass die Schulaufsichtsbehörde für zuständig erklärt würde. Die Argumentation dafür ist dabei durchaus nachvollziehbar: Eine eindeutige Regelung würde Klarheit über die Zuständigkeit schaffen und sowohl doppelte Arbeit als auch mögliche unregulierte Räume vermeiden. Eine gesonderte Aufsicht über eine kleine Zahl von Personen in einer Einrichtung, für die ansonsten eine andere Behörde zuständig ist, erscheint tatsächlich nicht sinnvoll. Auffällig sind weiterhin die sprachlichen Unterschiede zwischen dem Aktenvermerk und dem Brief: Während der Aktenvermerk lediglich eine Klärung der Verhältnisse fordert, bemüht sich der Autor des Briefes um einen bestimmten Ausgang.

Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht oder mangelnde Fürsorge für die betreffenden Jugendlichen kann dem Landesjugendamt jedoch nicht unterstellt werden, denn es bemüht sich um klare Verhältnisse – und die Übernahme der Aufsicht durch die Schulaufsichtsbehörde.

Auch, wenn die Antwort des Innenministeriums nicht in der Akte vorhanden ist, so lässt sich doch vermuten, dass das Landesjugendamt mit seinem Anliegen scheiterte: Die Akte konnte nicht geschlossen werden, sondern wurde noch Jahrzehnte weitergeführt.

Da der Anlass des den Brief anregenden Vermerks nichts mit dem besprochenen Problem zu tun hatte, wäre es naheliegend anzunehmen, dass das Landesjugendamt schon länger ein Interesse an einer Klärung dieser Angelegenheit hatte.[3] Die Akte war jedoch bis zu diesem Zeitpunkt durchaus umfangreich. Tatsächlich steht dies nur auf den ersten Blick im Widerspruch zum hier konstatierten mangelnden Interesse des Landesjugendamtes. Die Akte umfasst, zumindest im untersuchten Zeitraum, größtenteils von der Nikolauspflege selbst eingereichte Dokumente wie Weihnachtsgrüße, Einladungen an Mitarbeiter des Landesjugendamtes zu verschiedenen Festakten der Einrichtung et cetera. Sogar ein umfassender Vorschlag zur Neuorganisation des Blindenschulwesens findet sich in der Akte.[4] Auch hier taucht das Bundessozialhilfegesetz auf, und zwar bei der Frage, ob und unter welchen Umständen die im Gesetz festgelegte Blindenhilfe auch den Bewohnern der Nikolauspflege zu gewähren wäre.[5]

Die Antworten auf Einladungen zu Festakten, Weihnachtsfeiern, etc., die (im betrachteten Zeitraum) in der Akte überliefert sind, sind allesamt absagend.

Anmerkungen

[1] Aktenvermerk vom 30.8.1967, Aufsichtsakte des Landesjugendamtes für die Nikolauspflege für Blinde Kinder, Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 90 V Bü 730.
[2] Brief des Landesjugendamtes an das Innenministerium Baden-Württemberg vom 2.10.1967, Aufsichtsakte des Landesjugendamtes für die Nikolauspflege für Blinde Kinder, Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 90 V Bü 730.
[3] Aktenvermerk vom 30.8.1967, Aufsichtsakte des Landesjugendamtes für die Nikolauspflege für Blinde Kinder, Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 90 V Bü 730.
[4] Leitgedanken zum Problem der Beschulung Blinder und Sehender, Aufsichtsakte des Landesjugendamtes für die Nikolauspflege für Blinde Kinder, Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 90 V Bü 730.
[5] Brief der Nikolauspflege an den Landesfürsorgeverband Pfalz vom 3.4.1963, Brief des Direktors der Nikolauspflege an die Kostenträger vom 23.9.1965, Aufsichtsakte des Landesjugendamtes für die Nikolauspflege für Blinde Kinder, Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 90 V Bü 730.

 

Zitierhinweis: Christoph Beckmann, Wie Aufsichtsbehörden ineinandergreifen – Die Nikolauspflege für Blinde Kinder, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2022.