Besetzte Gebiete - französische Truppen in Baden
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
Auf die Weltkriegsniederlage Deutschlands folgte 1918 die alliierte Rheinlandbesetzung. Der Waffenstillstand von Compiègne vom 11. November 1918 sowie der Versailler Vertrag als Verlängerung dieser Verpflichtung 1919 zwangen die provisorische Reichsregierung dazu, den Ententemächten die Besetzung linksrheinischer Gebiete und vier rechtsrheinischer Brückenköpfe zu gestatten. Diese Besatzungsgebiete befanden sich um Köln, Koblenz, Mainz und Kehl. Für das badische Kehl mit seiner strategisch überaus wichtigen Rheinbrücke nach Straßburg führten diese Bestimmungen zu einer französischen Besetzung von 1919 bis 1930. In Verbindung mit Kehl wurde 1923 auch Offenburg französisch okkupiert. Diese Maßnahme hatte die Unterbrechung der Hauptverkehrslinie zwischen Karlsruhe und Basel und langwierige Fahrplanänderungen und Umfahrungsmaßnahmen zur Folge. Die Besatzung wurde jedoch bereits 1924 wieder aufgeben.
Zudem wurde eine neutrale Zone eingerichtet, die sich als ca. 50 km breite entmilitarisierte Pufferzone zu Frankreich am gesamten Gebiet Badens entlang erstreckte und über Kehl und Offenburg hinaus die Amtsbezirke Mannheim, Schwetzingen, Bruchsal, Karlsruhe, Rastatt, Baden-Baden, Bühl, Achern, Lahr, Emmendingen, Freiburg, Breisach, Staufen, Müllheim und Lörrach umfasste.
Mannheim, hier insbesondere die so wichtige Rheinbrücke, die Häfen sowie das Schloss, wurde 1923/24 im Rahmen der Streitigkeiten über die deutschen Reparationsleistungen von den Franzosen besetzt. Auch in Karlsruhe war seit 1918 die Rheinbrücke durch die Franzosen okkupiert worden. Im Zuge des Krisenjahres 1923 wurde in Karlsruhe eine weitere, 80 Mann starke Kompanie stationiert. Bereits am 14. Januar 1923 hatte die Karlsruher Stadtverwaltung zu einer Protestveranstaltung in der hiesigen Festhalle gegen die französische Besetzung aufgerufen. Im März 1923 beschlagnahmten französische Besatzungstruppen, die im Zuge dieses Konfliktes bis September 1924 in Karlsruhe stationiert wurden, wichtige Güter wie Weizen und Kohle, die im Rheinhafen gelagert wurden. Die französische Kompanie okkupierte den gesamten Rheinhafen und dekretierte Ausfuhrverbote für Kohle, Maschinen und Metallwaren. Die weitere Güterausfuhr unterlag ebenfalls französischen Kontrolleuren, die aufgrund der Verschärfung des Konflikts Holz, Eisen und Stahl beschlagnahmten und den Güterverkehr im Hafen nahezu lahmlegten. Dies führte mit einem Gesamtumschlag von 44,5 Tonnen im Jahr 1923 zu einem Rekordtief seit der Eröffnung des Rheinhafens.
Übergriffe der Besatzungstruppen in den Hafengebieten Karlsruhe und Mannheim
Demzufolge stellte die Besatzung Baden vor immense Probleme. Die besetzten Gebiete erlebten wirtschaftliche Einbrüche und der soziale Frieden wurde durch die Anwesenheit und Übergriffe der Besatzungstruppen gestört, von denen die vorliegende Akte viele Beispiele benennt. So beinhaltet sie beispielsweise zahlreiche Meldungen von mehreren Holzdiebstählen, hier insbesondere Diebstählen von Nutzholz, das französische Soldaten zu Heizzwecken im Hafengebiet Mannheim entwendeten. Obgleich die zuständigen Behörden der Polizeidirektionen und Hafenwachen die Diebstähle über Innen- und Staatsministerium der Besatzungsmacht melden ließen, genossen die beschuldigten französischen Soldaten doch die Protektion ihrer Vorgesetzten. Die Franzosen reagierten auf solche Beschwerden zum Teil mit dem Argument, die Meldungen seien von deutscher Seite mit zwei Wochen zu spät erfolgt.
Zudem enthält die vorliegende Akte zahlreiche Berichte und Vernehmungen, in denen die zuständige Karlsruher Polizeidirektion Vernehmungen vornahm. So in einem Fall, in dem Eisenbahner ein Mädchen spätabends im besetzten Hafengebiet verfolgten, weil sie annahmen, dieses suche Sex mit französischen Soldaten. Im Zuge dieser Verfolgungsjagd kam es zwischen beiden Seiten zu verbalen Auseinandersetzungen, wobei ein in die Verfolgung einschreitender französischer Unteroffizier laut Bericht äußerst anmaßend auftrat und seine Argumente mit vorgehaltenem Revolver unterstützte. Erneut protestierte das Badische Bezirksamt Karlsruhe bei der Besatzungsmacht, die mit der Versetzung des besagten Unteroffiziers sowie seiner Mannschaft reagierte und die Angelegenheit damit als erledigt ansah.
In einem weiteren Fall kam es in Mannheim zu Auseinandersetzungen zwischen deutschen Polizisten und angetrunkenen französischen Soldaten in einer Hafenkneipe. Als die deutschen Polizisten die französischen Soldaten aufforderten, ihren Ausweis vorzuzeigen, kam es laut der Akten sogar zu einem Schusswechsel.
Gerade Orte der Begegnung wie Kneipen und Wirtschaften, die in den Hafengebieten zahlreich existierten, schienen sich zu Konfliktherden zwischen französischen Soldaten und Deutschen zu entwickeln. Hierzu zählten ebenfalls in den Akten auftauchende Berichte, in denen Belästigungen von deutschen Mädchen durch Besatzungssoldaten in Mannheim benannt wurden. Polizeiliche Ermittler zeigten sich in einem besonderen Sachverhalt merklich darüber empört, dass es in diesem Fall ein deutsches Mädchen gegeben habe, die sich „Annäherungen“ wie das Anfassen ihrer Brüste durch französische Soldaten gern habe gefallen lassen.
Berichtet wurde ebenfalls von Vorfällen in Mannheim und Karlsruhe, bei denen betrunkene französische Soldaten nach Kneipenbesuchen Revolverschüsse abgegeben haben sollen. Hier stand erneut Aussage gegen Aussage, wobei beispielsweise die deutsche Bedienung angab, keine Schüsse gehört zu haben.
Ein Versuch, für die in Mannheim stationierten französischen Soldaten ein Verbot zum Aufsuchen deutscher Wirtschafen zu erwirken, scheiterte an der Ablehnung der Besatzungsmacht, die den Aufenthalt ihrer Soldaten im Hafenbereich jedoch auf drei Stunden beschränkte und den Waffenbesitz verbot. Von der Art und Weise, wie ein solcher Zapfenstreich kontrolliert werden konnte, berichten die Akten jedoch nichts. Ungeklärt bleibt in diesem Kontext, ob den französischen Soldaten Kneipenbesuche auf dem rechten Rheinufer erlaubt seien, was zwei Kneipen betroffen hätte.
Weitere Vorfälle betrafen beispielsweise die Beschädigung von Signaleinrichtungen der Eisenbahnen durch französische Soldaten am Zentralgüterbahnhof. Zudem wurde in Mannheim in einem weiteren Fall der Zoll alarmiert, da zwei Elsässer im Altwasser des Rheins gefischt hatten. In weiteren Meldungen hatten französische Soldaten an der Gemarkung Eggenstein in der Nähe von Karlsruhe Handgranaten zum Fischen verwendet.
Entsprechend des im Zuge des Weltkrieges aufgestauten Hasses zwischen Deutschen und Franzosen lässt sich die Reaktion der französischen Besatzungsmacht auf deutsche Proteste weitestgehend wie folgt zusammenfassen: Bei Vorfällen wurden den Aussagen deutscher Beteiligter die abweichenden oder gegensätzlichen Aussagen französischer Beschuldigter entgegengehalten und deutsche Vorwürfe als aufgebauscht abqualifiziert. Soweit sich die Vorfälle jedoch außerhalb der Besatzungszonen abspielten, wurden französischer Soldaten stärker und häufiger sanktioniert.
GND-Verknüpfung: Besetzte Gebiete [4287865-2]