Ortslage und Siedlung (bis 1970): | Die Stauferstadt des 13. Jahrhunderts hat die Form eines langgezogenen Rechtecks von 24 Hektar (700 Meter mal 350 Meter) mit leicht ausgeschwungener, dem Bogen der Echaz folgender Langseite. Dieselbe Schwingung wiederholt die Wilhelmstraße, die Hauptachse des Straßennetzes, die zusammen mit der annähernd parallelen Metzgerstraße ein leiterförmiges Grundrißelement bildet. Etwa in der Mitte an der Wilhelmstraße der rechteckige Marktplatz, von dem zur Echaz hin die Katharinenstraße abzweigt. Somit ursprünglich Drei-Tor-Anlage. Noch im Mittelalter entstand vor jedem der drei Haupttore eine ummauerte Vorstadt, darunter die Metmannsvorstadt, später »Tübinger Vorstadt«. Im 18. Jahrhundert kamen dazu die Gerbertor- und die äußere obere Vorstadt. Seit den Gründerjahren des 19. Jahrhunderts legte sich ein Gürtel aus Wohnvierteln mit eingestreuten Gewerbebetrieben um die Altstadt, vor allem im Nordosten und Osten. In Hanglage der Achalm dort Anfänge des Villenviertels. Reine Gewerbegebiete an der Bahnlinie (seit 1861) im Norden sowie an der Echaz oberhalb und unterhalb der Stadt bis an die Grenze der Stadtmarkung. An der Tübinger Straße reines Wohnviertel um 1900, an der Grenze gegen Betzingen Arbeitersiedlung Gmindersdorf 1904 folgende. Zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg verhältnismäßig geringes Wachstum, erst in den 30er Jahren Neubautätigkeit am Fuß des Georgenberges im Süden und neue Wohnsiedlung Römerschanze im Norden. Beim Wiederaufbau nach den großen Zerstörungen durch 5 Luftangriffe 1944/45 Auflockerung des Ausbaugürtels, vor allem zwischen Gartenstraße und Karlstraße. In den letzten Jahrzehnten starke Neubautätigkeit, wobei große geschlossene Wohnsiedlungen entstanden: Römerschanze (1950/53), Burgholz (1953/54), Betzenried (1953/55), Storlach (1954/55), Voller Brunnen I (1954/58), Katzensteg (1959/70), Voller Brunnen II (1970/72), Hohbuch (1971/75, nahe der Pädagogischen Hochschule und Fachhochschule). Alle Großbauprogramme wurden von der Stadt selbst durch die »Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft« durchgeführt. Diese Entwicklung kulminierte 1965/67 in der Gartenstadt Orschel-Hagen für circa 10 000 Einwohner im Norden der Stadt, die vom übrigen Baugebiet abgesetzt ist (Bungalows, Reihen- und Miethäuser, Punkthochhäuser, Ladenzentrum, 2 Schulen, 2 Kirchen). Zugleich Citybildung in der Altstadt durch moderne Geschäfts- und Verwaltungsbauten, ausgreifend nach Norden bis zur Karlstraße. Fußgängerzone seit 1968, Stillegung der letzten Straßenbahnlinie 1974. Weiteres Wachstum der Wohngebiete für gehobene Ansprüche an den Abhängen der Achalm und des Georgenbergs. Hier bauliche Verbindung mit der Nachbarstadt Pfullingen, ebenso durch das neue Gewerbegebiet am Südbahnhof. Größere neue Gewerbegebiete im Norden zwischen Bahnlinie und Вundestraße 28 (Im Laisen) sowie (geplant) im Westen gemeinsam mit der Gemeinde Kusterdingen (Mark Nord, Mark Süd, Bonlanden). |
Geschichte: | 1089 (Chronik 1. Hälfte 12. Jahrhundert, Корie 16. Jahrhundert) Rutelingin (Personenname Rutilo). Einige alemannische Reihengräber im Norden und Süden der Stadt. Als namengebende Ursiedlung wird die Niederlassung angesehen, die sich in unmittelbarer Nähe des alten Reutlinger Friedhofs »Unter den Linden« befunden hat. Hier war auch die ursprüngliche Pfarrkirche. Diese Siedlung dürfte bald nach der Stadtgründung aufgelassen worden sein, denn 1289 wird schon an der Stelle des heutigen Altersheimes »Unter den Linden« die Sondersiechensammlung bezeugt. Kirche und Friedhof liegen unmittelbar neben einem Brühl, der lange Zeit in Händen der Patrizierfamilie Ungelter gewesen ist und vom Reutlinger Spital um 1515 erworben wurde. Im Raum der späteren Stadt bestanden außerdem wohl mehrere andere ältere Siedlungen: Eine alemannische Siedlung in der Gegend der späteren oberen Vorstadt (Reihengräberfunde des 7. Jahrhunderts beim Gasthaus zum See und in der Lindachstraße). Sie war möglicherweise mit eigenem Recht ausgestattet, denn bei der Schadensregelung nach dem Überfall Herzog Ulrichs 1519 wurde die obere Vorstadt besser behandelt als die beiden anderen Vorstädte. Die Metmannsvorstadt links der Echaz, etwa auf dem Gelände des Bruderhauses, wurde dann in die Stadt hinein verlegt. Hier stand das alte, von den Antonitern betreute Spital (noch 1411 Reutlinger Bailei dieses Spitalordens). Ein Gut (praedium) beim späteren Zwiefalter Hof, welches das Kloster um 1130 erworben hat. Dazu gehörender Brühl im Gebiet untere Bismarck-/Charlottenstraße. Kapelle des Zwiefalter Hofs 1277 erwähnt. Vielleicht geht dieser Besitz auf eine Schenkung der Achalmgrafen, der Stifter des Klosters, zurück. Die im Winkel zwischen Katharinen- und Wilhelmstraße gelegene Hofstatt wird als ältester Stadtteil angesehen. Hier hat es sich um einen Adelssitz gehandelt. Noch im 15. und 16. Jahrhundert wird wiederholt »des Teufels Turm« genannt, wohl ein spätmittelalterlicher Wohnturm. Der Gründer der Siedlung ist nicht bekannt. Als Bewohner werden um 1300 die Herren von Tachenhausen, im 14./15. Jahrhundert die Teufel und im 16. Jahrhundert die Becht genannt. Die Hofstattsiedlung erhielt wohl schon von Kaiser Friedrich I. ein Marktrecht, das Otto IV. um 1210 erweiterte. Bis heute hebt sich dieser Bezirk (Pfäfflinshof-/ Hofstattstraße als Südbegrenzung) durch seine unregelmäßige Straßenführung aus der übrigen Altstadt heraus. Die eigentliche Stadtgründung, vor allem die Ummauerung, muss um 1240 von Kaiser Friedrich II. ausgegangen sein. Ansatzpunkt war die Echazfurt der beiden Fernstraßen vom Mittelrhein zum Bodensee und Straßburg-Ulm. Burg Achalm und Stadt bildeten als kaiserlicher Doppelstützpunkt ein Gegengewicht zum hohen Adel in der Nachbarschaft, der um diese Zeit begann, sich eigene Herrschaftsgebiete aufzubauen. Das bestätigte die Belagerung der Stadt 1247 durch die Anhänger des Staufer-Gegenkönigs Heinrich Raspe, Landgraf von Thüringen. Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts erwarb die Stadt in ihrer Umgebung gelegene Ortschaften von dem verarmenden Niederadel: Betzingen schon seit dem 13. Jahrhundert, Bronnweiler 1437, Ohmenhausen 1358, Wannweil 1333 folgende; Gomaringen mit Hinterweiler, Stockach und Ziegelhausen 1342 folgende. Gomaringen mit Hinterweiler musste wegen der im 30jährigen Krieg entstandenen Schuldenlast 1648 an Württemberg verkauft werden. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit auf diesem Territorium war nur in Wannweil von Württemberg angefochten. Im Vergleich von 1484 sicherte Reutlingen durch Verzicht auf Amtmann und Gericht zu Kusterdingen sein Gericht zu Wannweil. Die Grundherrschaft kam bis gegen 1500 überwiegend aus den Händen der reichen Geschlechter durch Kauf und Schenkung über die Reutlinger Pflegschaften (Spital, Sondersiechen-, Heiligen- und Spendenpflege) in den Besitz der Stadt. Die stetige Bedrohung durch die benachbarten Fürsten — vom 14. Jahrhundert ab wollten hauptsächlich die Grafen von Württemberg die aufblühende Stadt gern ihrer Landesherrschaft einfügen — führte dazu, dass die Handwerker schon früh Zutritt zum Rat erhielten und zusammen mit der Ehrbarkeit die Geschicke der Stadt bestimmen konnten. Bei der Gründung leitete die Stadt ein vom kaiserlichen Achalmvogt ernannter Schultheiß (1243 scultetus), 1292 wird ein Bürgermeister erwähnt, der den Reichsschultheiß allmählich aus dem Stadtregiment verdrängt, bis dieser ab Mitte 14. Jahrhunderts nur noch als Gerichtsbeamter fungiert. Nach der von Kaiser Ludwig dem Bayer 1343 gewährten Verfassung wurde der Rat von 12 sich selbst ergänzenden Richtern aus der Ehrbarkeit und jährlich gewählten 8 Zunftmeistern gebildet. Kaiser Karl IV. bestätigte 1374 für Reutlingen die Gewohnheit und Ordnung der Stadt Rottweil. Danach bestand der Rat aus 12 Richtern und 4 alten Herren, die sich nicht mehr selbst ergänzten, und 12 Zunftmeistern. Das führte zur verstärkten Abwanderung der Geschlechter, die seit Mitte 16. Jahrhunderts überhaupt nicht mehr im Rat vertreten waren. Diese Ordnung wurde 1552 durch den der Stadt von Karl V. aufgezwungenen »Hasenrat« zweieinhalb Jahrzehnte unterbrochen. Ab 1576 bis 1802 wieder Magistratswahlen nach der Ordnung von 1374 durchgeführt. Seit 1505 Schirmvertrags Verhältnis mit Württemberg. In dem seit dem 15. Jahrhundert urkundlich bekannten Reutlinger Asyl fanden von 1500 bis zur Aufhebung 1804 weit über 2000 »Totschläger« Zuflucht. Der Zusammenhalt der Bürgerschaft ermöglichte 1377 den Sieg über ein württembergisches Ritterheer, das die Stadt von der Burg Achalm aus belagerte. Im Januar 1519 überfiel Herzog Ulrich die Stadt, wurde dann aber rasch vom Schwäbischen Bund vertrieben. 1802/03 kam Reutlingen unter die württembergische Landeshoheit. Es wurde 1808 Oberamtsstadt und 1811, zusammen mit den sechs anderen bedeutendsten Städten des Landes, zur »Guten Stadt« erhoben, die einen besonderen Vertreter in den Landtag entsenden durfte. 1817 bis 1924 Sitz der Regierung des Schwarzwaldkreises. Reste der Stadtbefestigung des 13. Jahrhunderts: Mauerzüge an der Jos-Weiß-Straße und am oberen Bollwerk, Tübinger Tor (früher Metmannstor) in gotischen Formen, Fachwerkaufsatz 16. Jahrhundert, und das heutige »Gartentor«, das wegen der früher besonders von Württemberg drohenden Überrumpelungsgefahr erst um 1700 geöffnet wurde. Das Obertor und das Untertor an den beiden Enden der Längsachse der Stadt wurden 1834/35 abgebrochen. Spendhaus (1306 Spendenpflege) 1518 neu erbaut, bis 1858 Fruchtkasten, jetzt Stadtbibliothek und Kunsthaus, mit drei Fachwerkgeschossen über Steingeschoß. Lyceum am Weibermarkt, jetzt Landwirtschaftsamt, hervorragender Fachwerkbau um 1727. Marktbrunnen mit Standbild Maximilians II., Renaissance 1570 (Kopie). Kirchbrunnen mit dem Standbild Friedrichs II., spätgotisch 1560 (Kopie). Gmindersdorf, an der Gemarkungsgrenze gegen Betzingen, Arbeitersiedlung im Jugendstil nach Plänen von Theodor Fischer 1904 bis 1914, wird zur Zeit in Zusammenarbeit von Stadt und Landesdenkmalamt restauriert. Mehrmals suchten schwere Brände die Stadt heim. Dem großen Brand von 1726 fielen vier Fünftel der Wohnhäuser und fast alle öffentlichen Gebäude zum Opfer. Ein rector puerorum wird 1276 genannt, demnach besteht eine Lateinschule wohl seit den Anfängen der Stadt, heute Friedrich-List-Gymnasium. Deutsche Knabenschule 1457, Mädchenschule um 1490. Mittelschule 1906. Realanstalt 1810, Oberrealschule 1876, heute Johannes-Kepler-Gymnasium. Isolde-Kurz-Gymnasium 1846 als höhere Mädchenschule gegründet. Gewerbeschulen seit 1827. |