Sigle, Jacob Johann 

Geburtsdatum/-ort: 17.11.1861;  Kornwestheim
Sterbedatum/-ort: 05.07.1935; Wiesbaden
Beruf/Funktion:
  • Schuhmacher, Unternehmer
Kurzbiografie: 1868–1875 Volksschule Kornwestheim.
1875–1878 Schuhmacherlehre Kornwestheim
1878–1881 Schuhmachergeselle in Marbach am Neckar
1881–1884 Wehrdienst Württ. Fußartilleriebataillon 13 (Ulm); zeitweilig „Kompanieschuster“
1884 Schuhmachergeselle in Stuttgart
1885 Schuhmachergeschäft in Kornwestheim
1891 Schuhfabrik Jacob Sigle&Co. OHG, Kornwestheim
1904 Fabrikneubau in Kornwestheim (nahe Bahnhof)
1905 Salamander Schuhvertriebs GmbH
1913 Amerikareise
1916 Jakob Sigle&Co. Schuhfabriken Kornwestheim AG; Ehrenbürger Kornwestheim
1917 Erwerb einer Holzschleiferei am Wertachufer in Türkheim (Bayerisch Schwaben); in den Folgejahren Ausbau zur weiteren Schuhfabrik
1921 Erweiterung Fabrik Kornwestheim
1926 Geheimer Kommerzienrat (Bayern); Einweihung Verwaltungsgebäude Salamander Schuhfabrik, Stammheimer Straße 10 (Architekten: Hans Schlösser/Hugo Weireither)
1930 Salamander AG (Aufsichtsratsvorsitzender)
1932 Ehrenbürger Türkheim
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. Karoline Wilhelmine, geb. Kübler, aus Oppenweiler (1863–1920)
2. 1920 Klara Franziska, geb. Becker, verw. Lempp (* 1896)
Eltern: Vater: Johann Christoph Sigle (1832–1899), Kleinbauer und Amtmann
Mutter: Elisabeth, geb. Hammer (1837–1890)
Geschwister: 4: Christoph Friedrich (1863–1930), Kammerdiener, später Stanzer, Chef der Stanzerei der Salamander AG; Karl Friedrich (1865–1932), Schneider; Ernst Gottlob (1872–1961), Schuhmacher, Kaufmann, Fabrikant, Aufsichtsratsvorsitzender Salamander AG, Dr. h. c.; Marie Pauline (1870–1871)
Kinder: 9 aus 1., davon 4 früh verstorben: Jacob Christoph (1896–1917) gefallen als Leutnant in Flandern; Frieda Caroline (1889–1957); Else Luise (1894–1918); Hedwig (1895–1967); Ida (1899–1978)
GND-ID: GND/1012363619

Biografie: Martin Otto (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 270-273

Sigle entstammte einer seit Generationen in Kornwestheim ansässigen württembergischen Kleinbauernfamilie. Zunächst für eine Bäckerlehre in Ludwigsburg vorgesehen, brach er diese nach kurzer Zeit ab und erlernte das Schuhmacherhandwerk bei dem ältesten Meister seiner Heimatstadt. Die Gesellenzeit verbrachte er bei dem Schuhmachermeister Reißer in Marbach am Neckar. Während seines Wehrdienstes, den er in Ulm ableistete, fand er im Rahmen seines erlernten Handwerks Verwendung. Die Einkünfte aus der Kompanieschusterei und bescheidenes familiäres Vermögen erlaubten es ihm, nach einer kurzen Tätigkeit als Geselle bei dem Stuttgarter Schuhmachermeister Reiner, 1885 in Kornwestheim ein Haus mit einem Grundstück von 6 Ar in der Bahnhofstraße 6 a zu erwerben und dort eine großzügig bemessene Schuhmacherei mit angeschlossenem Schuhverkauf zu eröffnen. Schon bald konnten mehrere Gesellen und Lehrlinge angestellt werden. 1895 beschäftigte Sigle 25 Gesellen, Lehrlinge und Arbeiter. Sigle verfolgte die Mechanisierung der Schuhproduktion in den USA mit großem Interesse. Sigle erfand selbst eine Stanzmaschine zur Vorbereitung der Ledersohlen; sein Bruder Christoph wurde an dieser Maschine ausgebildet und übernahm später diesen Geschäftsbereich. Sigle setzte amerikanische Maschinen früh in seiner Schuhproduktion ein. Früh ging Sigle auch von individuell angefertigten Schuhen zu vorgefertigten Schuhen mit festen Maßen über und produzierte auf Lager. Zu den weiteren Produkten gehörten aus billigen Materialien gefertigte Hausschuhe, die mit Hilfe seiner Ehefrau und des Bruders Ernst auch über Kornwestheim hinaus vertrieben wurden. 1890 hatte Sigle in Stuttgart den jüdischen Lederhändler Max Levi (1868–1925) kennen gelernt, der Mitinhaber der Lederfabrik „Sihler&Co.“ in Zuffenhausen war und als Reisender für die Firma „Weil&Arnstein“ tätig war. Levi verfügte über Kapital und suchte nach einer Absatzmöglichkeit für sein Leder, so dass ein wechselseitiges Interesse an einer Zusammenarbeit bestand. 1891 machte Sigle Levi zu seinem Teilhaber. Die technische Ausstattung des mittelständischen Familienbetriebs in Kornwestheim wurde zunehmend industrieller. Die Schuhproduktion in Kornwestheim konnte bald expandieren; Sigle eröffnete 1891 ein neues Fabrikgebäude und bezeichnete sich ab diesem Jahr als „Fabrikant.“ 1896 wurden Bruder Ernst Sigle und Isidor Rothschild, der Schwager von Max Levi, zu weiteren Teilhabern gemacht. Im gleichen Jahr unternahm Ernst Sigle eine Reise in die USA, um neben der Fertigung auch die Werbung für Schuhe zu studieren. Im Jahre 1903 zählte die Firma in Kornwestheim über 300 Mitarbeiter. 1904/07 wurde ein neues Fabrikgebäude am Feldweg 48 in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Kornwestheim errichtet (Architekt: Philipp Jakob Manz). Nachdem Sigle 1903 einen Wettbewerb des Berliner Schuhhändlers Rudolf Moos gewonnen hatte, der Herrenstiefel zu einem günstigen Festpreis anbieten wollte, fand Sigle Absatzmöglichkeiten im gesamten Deutschen Reich. Moos hatte sich bereits 1899 beim Kaiserlichen Patentamt einen gezeichneten Feuersalamander als Warenzeichen für den „Verkauf von Appreturen und Putzmitteln“ eintragen lassen. 1905 wurde von Sigle und Moos die „Salamander Schuhverkaufsgesellschaft“ gegründet. Zunächst nur in Stuttgart und Berlin, konnte die Firma bis 1916 50 Filialen im Deutschen Reich und weitere Filialen im Ausland eröffnen. 1909 war Moos gegen eine Abfindung von einer Million Reichsmark aus der Gesellschaft ausgestiegen; das Warenzeichen des Feuersalamanders verblieb bei Sigle. 1909 unternahm Ernst Sigle eine zweite Studienreise in die USA, 1913 reiste erstmals Jacob Sigle in die USA, um sich über die Kunstlederproduktion zu informieren und Patente zu erwerben. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte Sigle mit „Salamander“ die größte deutsche Schuhfabrik begründet, deren Besonderheit war, dass sie die Schuhe größtenteils in eigenen Geschäften vertrieb; in kleineren Städten wurden Schuhhändler durch sog. „Alleinverkaufsrechte“ an die Firma gebunden. Produktions- und Vertriebsgesellschaften wurden durch die Familie Sigle zusammengehalten. Während des Ersten Weltkriegs produzierte Sigle Militärstiefel, aus Mangel an Rohstoffen wurde die Produktpalette auf die Kunstlederproduktion („Melvo“) erweitert, die ab 1917 in einem neuen Werk der eigens zu diesem Zweck gegründeten „A. Lehne GmbH“, einer früheren Holzschleiferei, in Türkheim (Bayern) hergestellt wurden. 1916 war die Aktiengesellschaft „J. Sigle&Cie. Schuhfabriken Kornwestheim“ als neue Unternehmensform gegründet worden. Von 1921 bis 1926 wurde die Fabrik in Kornwestheim („Hundertmeterhaus“) ständig erweitert. 1926 wurde das zwischen Expressionismus und Jugendstil changierende Verwaltungsgebäude errichtet, versehen mit Salamanderfiguren des Bildhauers Josef Zeitler. Kurz vor Levis Tod 1925 war es zu einer Entfremdung gekommen, da Levi mit der eigenen Schuhfirma, der „Württembergischen Schuhfabrik Faurndau“ („Mara“) erfolglos eine Übernahme der Sigle AG versuchte. Die Weltwirtschaftskrise 1929 konnte Sigle mit relativ geringen Einschränkungen überstehen. 1930 wurden unter Federführung von Sigle die bislang selbständigen Geschäftszweige Schuhfabrik, Schuhvertriebsgesellschaft und Werk Türkheim zur „Salamander AG“ („Salamander-Konzern“) mit dem Sitz Kornwestheim zusammengelegt. Der Konzern war auch nach Levis Tod zwischen den Familien Sigle und Levi aufgeteilt, Sigle wurde Aufsichtsratsvorsitzender. Neben Jacob Sigle übernahm sein Bruder Ernst wichtige Funktionen, unter anderem als Aufsichtsratsmitglied. Nach 1933 kaufte die Familie Sigle Aktien von sog. „jüdischen“ Aktionären. In seinen letzten Lebensjahren hielt Sigle sich zu Kurzwecken häufig in Wiesbaden auf, wo er im Sommer 1935 auch erkrankte und starb. Als Sigle 1935 starb, hatte sich seine Firma vom Einmannbetrieb zu einem Weltkonzern, oder in seinen eigenen Worten „vom Handwerk zur Fabrikation“ mit 5000 Mitarbeitern und einer Jahresproduktion von 4 Millionen Schuhen und 133 Verkaufsgeschäften, davon 25 außerhalb Deutschlands, entwickelt. Sein Lebenswerk fasste Sigle mit den Worten „dass ein Schwabe immer mehr hält, als er verspricht!“ zusammen.
Neben der Tätigkeit in der Salamander-Schuhfabrik war Sigle Mitglied im Aufsichtsrat der „Commerz- und Privat-Bank AG“ sowie in der Handelskammer Stuttgart. Sigle blieb seiner Heimatstadt Kornwestheim sein Leben lang verbunden, hier war sein unbestrittener Lebensmittelpunkt. Von 1900 bis 1906 gehörte er dem Bürgerausschuss Kornwestheim als einfaches Mitglied an, von 1907 bis 1918 als dessen Obmann; bei der Wahl 1909 hatte er für die „Fortschrittliche Volkspartei“ kandidiert. Von 1918 bis 1925 gehörte er dem Gemeinderat an, daneben viele Jahre dem evangelischen Gemeindekirchenrat. Die Verleihung der Stadtrechte 1931 durch den württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz an Kornwestheim, geht ebenfalls auf die Vermittlung von Sigle zurück. Sigle lebte seit 1896 in einer heute noch bestehenden Villa in der Stuttgarter Straße 26 in Laufweite zur Fabrik; sein Bruder Ernst bewohnte die, nach der gemeinsamen Mutter benannte, „Villa Elisabeth“, sein Bruder Christoph die nahe gelegene, 1902 erbaute (2008 abgerissene) „Villa Anna“ oder „Villa Sigle“ in der Weimarstraße 14. Die besondere Bindung der Gebrüder Sigle fand auch in der Verleihung der Ehrenbürgerschaft Kornwestheims (zusammen mit Max Levi) 1916 und der Eintragung in das Goldene Buch der Stadt 1932 ihren Ausdruck. Aus dem Nachlass wurde die „Geheimrat-Jacob-Sigle-Stiftung“ begründet. Unter großer Anteilnahme der Firma und der Bevölkerung der Stadt Kornwestheim wurde Sigle 1935 beigesetzt. Sigle und seine Ehefrauen fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Neuen Friedhof Kornwestheim, dessen Friedhofskapelle er 1932 gespendet hatte.
In der „Salamander AG“ spielte die Familie Sigle weiter eine führende Rolle, nicht zuletzt durch den 1898 geborenen Neffen von Sigle und späteren Aufsichtsratsvorsitzenden Jacob Sigle Junior (1930–1967 Vorstandsmitglied), der auch in den 1955 und 1956 erschienenen populären „Lurchi“-Abenteuern 13 und 15 (als „allen Leders Jakob“) auftaucht. Die Popularisierung der Firma Salamander durch den von Heinz Schubel (1906–1997, Zeichnungen bis 1972) und Erwin Kühlewein (1915–1971, Text bis 1964) sowie deren Nachfolgern geschaffenen Werbecomic „Lurchi, der Feuersalamander“ (erstmals von einem unbekannten Zeichner und Autor 1937, erneut ab 1951) konnte Sigle nicht mehr erleben. „Lurchi“, die Werbevariante des Firmensymbols Feuersalamander war, noch zu Lebzeiten von Sigle, zum Bewerben der 1934 gegründeten Kinderschuhproduktion erfunden worden.
Die mit der Firmengeschichte eng verbundene Familie Levi musste nach 1933 Deutschland verlassen. Die zur Familie Levi gehörige Lederfabrik Sihler wurde 1937 von der Salamander AG und drei weiteren Firmen zu gleichen Teilen erworben, ebenso die Schuhfabrik in Faurndau; ein von der Familie Levi beabsichtigter Alleinverkauf an die Salamander AG wurde vom Reichswirtschaftsministerium nicht genehmigt.
Die Firma Salamander konnte nach 1945 nicht mehr an die unangefochtene Stellung der Vorkriegszeit anknüpfen; 2004 meldete sie beim Amtsgericht Ludwigsburg vorläufige Insolvenz an und gehört heute zur „Ergana Goldpfeil AG“ in Offenbach am Main. Nach Sigle wurde in Kornwestheim der Rathausplatz benannt. 2008 wurde der Giebel der abgerissenen Villa Sigle auf dem Alten Friedhof Kornwestheim in der Nähe des Grabs von Sigles Eltern aufgestellt. Sigles Biographie führt von dem agrarisch-handwerklichen Alt-Württemberg und der alten württembergischen Armee durch die Gründerjahre des Kaiserreichs, die Industrialisierung des Neckarraumes und über Kriege und Wirtschaftskrisen; das Familienunternehmen wurde nicht durch Kriege und Krisen zerstört, sondern geriet gegenüber der internationalen Konkurrenz in das Hintertreffen. Die Biographie von Sigle ist ein wichtiges Kapitel württembergischer, deutscher und europäischer Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte.
Quellen: WABW.
Werke: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild, Bd. 2, 1931, 1784 (autobiographsiches Porträt)
Nachweis: Bildnachweise: s/w-Fotographie, ca. 1930 (abgebildet bei Sturm und van Klass); s/w-Fotographie, ca. 1932 (Abb. Reichshandbuch); Büste (Heimatgeschichtliche Sammlung Kornwestheim).

Literatur: Degeners Wer ist’s, 10. Aufl. 1935, 1501; H. Sturm, Die Geschichte der Salamander AG, 1958; ders., Jacob Sigle. Gründer einer Weltfirma, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken 7 (1960); ders. Salamander, in: Tradition. Zs. für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie 12 (1967), 309–333; G. van Klass, Salamander. Die Geschichte einer Marke, 1960; G. Freese, Kriechtier vor Gericht, in: Die Zeit, Ausgabe vom 22. Dezember 1978; G. Schmelzer/F. Schneider, Industriearchitektur im Wandel der Zeit. Die Schuhfabrik Salamander Kornwestheim, 1985; Nassauische Biographien, 2. Aufl. 1992, 752; J. Kräubig, Dem Feuersalamander auf der Spur, in: Galerie der Stadt Kornwestheim (Hg.), Lurchi. Dem Feuersalamander auf der Spur, 1994, 55–74; R. Granacher, Lurchi. Eine Werbefigur unter die Lupe genommen, 120–136; P. Bräutigam, Mittelständische Unternehmer im Nationalsozialismus. Wirtschaftliche Entwicklungen und Verhaltensweisen in der Schuh- und Lederindustrie Badens und Württembergs, 1997, 59–64; E. Schmitt, „Schatz, trag Salamander – sonst geh’n wir auseinander!“ Die Kunst, ein Paar Schuhe reizvoll zu vermarkten – Historische Werbestrategien der Firma Salamander, in: Momente. Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg 2/2005.
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