Von Graf Ulrich I. dem Stifter bis zu Graf Eberhard III. dem Milden
Einleitung: Dieter Mertens (Lexikon des Hauses Württemberg, S. 13-20)
In den einhundertzwanzig Jahren vom ersten Auftreten Graf Ulrichs I. im Jahr 1238 bis zum Tod Graf Eberhards III. des Milden 1417 wurde die Herrschaft Württemberg in eben dem Grundriß festgelegt, den sie bis gegen das Ende des Alten Reiches behalten hat. Sie wurde ein zweiteiliges Gebilde, bestehend einerseits aus der Herrschaft Württemberg im nördlichen Schwaben als den Hauptlanden und andererseits aus den linksrheinischen Gebieten, d.h. der elsässischen Herrschaft Horburg mit Reichenweier, Zellenberg und Bilstein, dazu der Rheinfähre der am rechten Flußufer gelegenen Burg Sponeck, und der Grafschaft Mömpelgard mit anhängenden Gebieten. Der Gewinn der Grafschaft Mömpelgard für das Haus Württemberg, wichtiger als die elsässischen Erwerbungen und erst am Ende der hier vorzustellenden Epoche eingeleitet, stellte gewissermaßen den Abschluß einer früher eingeleiteten Politik dar.
Die Herrschaft Württemberg, wie sie im Spätmittelalter mit dem räumlichen Schwerpunkt am mittleren Neckar und an Rems und Fils entstand, wuchs nicht etwa organisch seit der Errichtung der Burg im 11. Jahrhundert, sondern entwickelte sich erst seit dem 13. Jahrhundert. Frühestens seit dem Ende der Staufer in Schwaben konnte sich die Herrschaft Württemberg in dem Großraum entfalten, in dem auch die namengebende Burg lag. Lange Zeit war hier der Weg zu einer Herrschaftsbildung der Württemberger durch die Territorialpolitik der Staufer versperrt geblieben. Diese hatte das Haus-, Herzogs- und Reichsgut in der Herrschaftspraxis immer mehr verschmolzen und mit Hilfe emporgestiegener Ministerialen, also ursprünglich Unfreier, statt mit dem alten hochfreien Adel beherrscht. Unter Friedrich Barbarossa waren die Württemberger – Ludwig (I.), Ludwig (II.) und wohl auch Ludwig (III.) – noch durch Ämtervergabe an der Herrschaft über das Reichs-, Herzogs- und Staufergut im mittleren Neckarraum beteiligt worden. Sie scheinen auch um 1200 aus dem staufisch-welfischen Streit um den Königsthron und das Herzogtum Schwaben Vorteile im Neckarraum gezogen zu haben. Doch die Chancen, zu einer eigenständigen Herrschaftsbildung zu gelangen, hatten die Württemberger nicht hier, sondern in Ost- und Oberschwaben gesehen, und dort haben sie die Chance auch mit beträchtlichem Erfolg wahrgenommen. Die Versippung mit den dort mächtigen Grafenfamilien der Veringer und Kirchberger verschaffte ihnen hierfür die Basis. Die staufische Territorialpolitik der Spätzeit Friedrichs II. holte indes die Württemberger auch hier ein, beschnitt ihnen das Erreichte und die künftigen Chancen. Friedrichs II. Herrschaftssystem konnte, anders als dasjenige Friedrichs I. Barbarossa, die Grafen und Edelfreien nicht mehr einbinden. Seine Prokuratoren aus dem Ministerialenstand wurden mächtiger als die Angehörigen des alten Adels.
Friedrich II. nutzte die großen Erbfälle – 1218 den zähringischen, 1243 den ultenischen im Vorgriff auf den erbenlosen Tod Ulrichs von Ulten – immer zupackender und drängte 1243 Hartmann (I.) von Grüningen zum Verkauf der Grafschaft im Alpgau, einer für diesen offenbar wichtigen Position. Mit Hartmann zusammen hat Ulrich I. von Württemberg, sein Vetter, die entscheidenden Schritte zur Ablösung der Stauferherrschaft in Schwaben und zur Begründung der Herrschaft Württemberg vollzogen. Die rheinischen Erzbischöfe hatten sich schon 1241 gegen Friedrich II. verbündet und auf das Reichsgut in der Wetterau zugegriffen. Nachdem aber Papst Innozenz IV. und das Konzil von Lyon 1245 Friedrich für abgesetzt erklärt und der Stauferherrschaft die Legitimation entzogen hatten, verbanden sich die beiden Vettern mit der päpstlichen Diplomatie und traten im Kampf gegen die Stauferherrschaft an die Spitze der schwäbischen Grafen und Edelfreien, der barones Sueviae, als deren Sprecher Ulrich zum Papst reiste. Ulrich I. und Hartmann (I.) verließen am 5. August 1246 bei Frankfurt vor der Schlacht zwischen König Konrad IV. und dem Gegenkönig Heinrich Raspe das Heer Konrads an der Spitze von zwei Dritteln seiner Krieger, so daß Konrad abziehen mußte und Heinrichs Hoftag ihm das Herzogtum Schwaben absprach.
Begünstigt von der päpstlichen Diplomatie und von den Königen Heinrich Raspe, Wilhelm von Holland und Richard von Cornwall, die ihnen Reichslehen, Pfandschaften und Kirchenvogteien übertrugen, konnten die beiden Vettern ihre Herrschaft erweitern und festigen. Der Erfolg Ulrichs I. im mittleren Neckarraum, an Rems und Fils und am Rand der Schwäbischen Alb hatte aber noch weitere Gründe. Neben dem Zugriff auf staufisches Eigengut ist es die Heirat mit Mechthild von Baden, dank derer unter anderem Stuttgart von badischer Hand in württembergische überging, und ferner der Erwerb der Burg und Herrschaft Urach durch Kauf aus verwandtschaftlich günstiger Position heraus. Die politische Zusammenarbeit der württembergisch-grüningischen Vettern war zweifellos ebenfalls von großer Bedeutung für das Gelingen der Herrschaftsbildung im Neckarraum. Gleichzeitig nahm, trotz aller Verzahnungen, die Verselbständigung der beiden Linien deutlichere Gestalt an. Hartmann (I.) von Grüningen hatte seinen Herrschaftsschwerpunkt südlich der Alb, blieb aber weiterhin auch im Norden aktiv – seit 1252 war er hier mit Markgröningen belehnt. Umgekehrt lag Ulrichs I. eigentlicher Aktionsraum nördlich der Alb, doch besaß er auch im Süden Herrschaftsrechte und Mannschaft. Ein deutliches Zeichen der Verselbständigung der Familien und mittelbar der Herrschaften Württemberg und Grüningen ist die Pflege unterschiedlicher Grablegen. Unter Ulrich I. ist Beutelsbach als Stift und Grablege seiner Familie faßbar; vermutlich hat er das Stift erweitert und neu geordnet. Die Grüninger aber machten das Zisterzienserinnenkloster Heiligkreuztal zu ihrem geistlichen Mittelpunkt. Bemerkenswert ist, daß Stift und Zisterze das Heilig-Kreuz-Patrozinium gemeinsam haben.
Ulrich I. hinterließ einen gleichnamigen, noch unmündigen Sohn aus der ersten Ehe mit Mechthild von Baden. Seine zweite Frau, die Herzogstochter Agnes von Schlesien-Liegnitz, gebar kurz nach Ulrichs Tod Eberhard I.. Die Namen des Brüderpaares der vorangehenden Generation wurden wiederholt und bildeten die fortan bis zum Ende des Spätmittelalters verwendeten Leitnamen. Eine Herrschaftskrise, welche 1265 wegen der Unmündigkeit des verwaisten Nachfolgers hätte eintreten können, wurde dank der Solidarität der grüningischen und kirchbergischen Verwandten vermieden. Erst unter dem starken Druck der Revindikationspolitik König Rudolfs von Habsburg verhielten sich der mündig gewordene Ulrich II. und Hartmann (I.) von Grüningen unterschiedlich.
Beim frühen und anscheinend kinderlosen Tod Ulrichs II. im Jahr 1279 war Eberhard I. gerade mündig. Er regierte sechsundvierzg Jahre lang. Wenig später hat Eberhard II. sogar eine achtundvierzigjährige Herrschaftszeit begonnen. Solch lange Herrschaftsdauer bedeutete in der Auseinandersetzung mit dem Königtum einen unschätzbaren Vorteil – dynastische Kontinuität ist eine wesentliche Ursache für die erfolgreiche Begründung einer Territorialherrschaft. Eberhard I. erlebte während seiner langen Regentenzeit vier Thronwechsel, das sind – wegen der Doppelwahl 1314 – nicht weniger als sechs Könige von Rudolf von Habsburg bis Ludwig dem Bayern und Friedrich von Österreich. Keinem von ihnen gelang es, die Krone an einen Sohn weiterzureichen, wogegen Eberhard I. seine Herrschaft problemlos an seinen Sohn weitergeben konnte. Das Königtum konnte allein schon wegen dieser Schwächen, aber auch wegen seiner umfassenderen Herrscheraufgaben nicht mit der gleichen Beharrlichkeit die württembergische Herrschaftsbildung zurückdrängen, mit der Graf Eberhard den Königen Widerstand zu leisten vermochte.
Habsburg wurde seit König Rudolf (1273–1291) der Hauptkonkurrent Württembergs in der Beherrschung weiter Teile Schwabens. Mehrmals konnten die Habsburger aus der Doppelposition des Königs und des Territorialherrn operieren, während der Württemberger sich auf das Ausnutzen der Herrschaftskrisen des Königtums – Dynastiewechsel, Doppelwahl, kurze Regierungszeiten und andere Schwächeperioden – konzentrieren und überhaupt auf seine Virtuosität als Territorialpolitiker verlassen mußte. Das Königtum – auch wenn es wie bei Adolf von Nassau und Heinrich von Luxemburg keine Hausmachtinteressen in Schwaben verfolgte – konnte über das seit Rudolf von Habsburg mühsam und nur teilweise wieder zusammengebrachte und in Reichslandvogteien organisierte Reichsgut verfügen. Die niederschwäbische Reichslandvogtei und die württembergische Territorialbildung standen einander im Wege. Auf die Reichslandvogtei richtete sich darum die territorialpolitische Begehrlichkeit der Württemberger, sie sollte den Hebel zur Vereinnahmung des Reichsgutes bieten. Je weiter Württemberg anwuchs, umso enger wurde es für die Reichsstädte, denen zudem ihre Stadtherrn, die Könige, keine unbedingt zuverlässigen Herrn waren. Denn wenn die Könige Unterstützung oder Geld benötigten, bildeten die Vogteien als ganze oder in Teilen, voran die Städte, beliebte Objekte der Amtsvergabung und Verpfändung. Die Grafen von Württemberg waren viele Jahre lang Landvögte von Niederschwaben: 1298–1307, 1324–1325, 1330–1360, 1371–1378. Wenn die Könige den benachbarten und darum begehrlichsten Territorialherrn zum Vogt von Reichsgut erhoben, machten sie gewissermaßen den Bock zum Gärtner. Es war darum ein wesentliches Bestreben der Städte, sich gegen Verpfändung oder Gewalt zu schützen und zwar vor allem durch Bündnisse. Genau die umgekehrte Konstellation hätte am Ende der Regierungszeit Eberhards I. der württembergischen Herrschaftsbildung fast ein Ende bereitet. König Heinrich VII. organisierte – formell wegen Landfriedensbruchs, doch politisch als grundsätzlicher Konflikt zwischen traditioneller Königsgewalt und neuer Territorialherrschaft – den Krieg gegen Eberhard mit großer Energie. Der Wimpfener Reichslandvogt Konrad von Weinsberg wurde „Kriegsfürst“ anstelle des Königs, die Städte der Reichslandvogteien und etliche Grafen gingen eine eigenartige Koalition gegen Württemberg ein, beide die Opfer der erfolgreichen württembergischen Territorialpolitik: die Städte von Eberhard bedrängt und die Grafen von ihm überflügelt und deklassiert. Eberhard hat mit viel Tüchtigkeit und Glück diese grundsätzliche und konsequent betriebene Bestreitung seiner Stellung – den nachdrücklichsten Versuch, die Ergebnisse der nachstaufischen Territorienbildung im herzogslosen Schwaben zu revidieren – abgewehrt und gegen den König eine quasi reichsfürstliche Stellung behauptet.
Eberhard I. hat die Grablege der Württemberger von Beutelsbach nach Stuttgart verlegt und dafür die Gebeine der Vorfahren und das mit der Pflege ihres Totengedächtnisses betraute Stift, auch das Heilig-Kreuz-Patrozinium, transferiert. Er hat das Stift mit allen Dignitäten ausgestattet, auf insgesamt fünfundzwanzig Priesterpfründen erweitert und zur Pfarr- und Hauptkirche Stuttgarts erheben lassen. Dies war ein wichtiger Schritt nicht nur auf dem Weg Stuttgarts zur Residenz, sondern auch für das Selbstverständnis und die Selbstdarstellung der Dynastie. Die eindrucksvolle Doppeltumba Ulrichs I. und seiner zweiten Frau Agnes, die zweifellos Eberhard, der Sohn aus dieser Ehe, herstellen ließ, markiert eine neue Epoche der Dynastie, nach der stauferzeitlichen die territorialherrliche; sie rückte – und erhielt – Ulrich als eine Gründergestalt in das Bewußtsein. Die nunmehrige Stuttgarter Stiftskirche ist mit schließlich fast einhundert Bestattungen zu der wichtigsten Grablege der Württemberger überhaupt geworden, bis zur Landesteilung im 15. Jahrhundert blieb sie die einzige. So sind auch alle Grafen des hier zu behandelnden Zeitabschnitts und ihre Frauen in der Stuttgarter Stiftskirche begraben worden.
Eberhards I. Eheschließungen scheinen einer ähnlichen Räson zu folgen wie die seines Vaters Ulrich I. Auch Eberhard schloß eine territorialpolitisch nützliche Ehe mit einer Badenerin – Irmengard von Baden – und eine ständisch ambitionierte Ehe mit der Herzogstochter Margarethe von Lothringen. Wohl dieser letzteren Ehe entstammt Eberhards Nachfolger Ulrich III.. An die Verbindung in den Westen des Reiches knüpfte Eberhard weitere politische Absichten. Denn es handelte sich um den Beginn einer ganzen Serie von Eheschließungen, Käufen und politischen Aktionen, die auf den Erwerb von Herrschaften links des Rheins zielten. Vor 1312 ehelichte Ulrich III. eine Pfirter Grafentochter. 1324 wurden die elsässische Herrschaft Horburg erworben, und Ulrich betätigte sich als Akteur in der elsässischen Politik, 1330/31 sogar als königlicher Landvogt. Eberhard II. vermählte seine Tochter Sophie mit Herzog Johann I. von Lothringen; acht Jahre lang war Eberhard Regent des Herzogtums, 1367 ging er mit Lothringen sogar eine Erbvereinigung ein. Und eine Generation später (1397) gelang es Eberhard III., seinen Sohn Eberhard IV. mit der Erbin Mömpelgards zu verheiraten.
Man darf in diesen linksrheinischen Aktivitäten durchaus einen Ausdruck von Kraft und Macht der Württemberger sehen. Denn sie spielten ja auch weiterhin mit großem Einsatz und Erfolg die schwäbische Karte. Unter Ulrich III., der neben vielem anderen die Burgen und Städte Tübingen und Vaihingen kaufte, wurde klar, welche prominenten Geschlechter im nördlichen Schwaben den Wettlauf zur Territorialherrschaft verlieren und daß die Württemberger ihn gewinnen würden. Auch die Grüningische Linie gehörte zu den Verlierern; ihre Lehnsleute und Diener gingen an Ulrich III. Er erlangte 1336 überdies die prestigeträchtige königliche Belehnung mit Markgröningen, welches aus der Reichslandvogtei herausgenommenen und Ulrich III. als gesondertes Reichslehen mit der Reichssturmfahne verliehen wurde. Die überlegene Finanzkraft der Württemberger speiste sich aus unterschiedlichen Quellen; zunehmend einträglich dürften die aus dem Verkehr resultierenden, als Zoll- und Geleitsrechte faßbaren Einkünfte gewesen sein. Denn mit dem Aufblühen der Stadtwirtschaft verbesserten sich auch die Einkünfte Württembergs aufgrund der komfortablen Lage zwischen Donau- und Rhein-Mainraum, in Städtenamen ausgedrückt, zwischen Ulm und Frankfurt. Es ist nur konsequent, daß die Württemberger nach dem Ausmanövrieren der adeligen Konkurrenten die Städte zu Gegnern bekamen. Die Grafen von Württemberg sahen in den königlichen Städten Niederschwabens, vor allem in Esslingen und Reutlingen, das größte Hindernis für eine weitere Expansion und die räumliche Kohärenz ihrer Herrschaft. Fast acht Jahrzehnte lang haben sie, zwischen 1298 und 1378, als königliche Landvögte von Niederschwaben ihre Hand mehr oder weniger schwer auf die Städte legen können. Doch diese schlossen sich zu Städtebünden zusammen und nahmen den Kampf um ihre Selbständigkeit auf. Nachdem Eberhard I. den Kampf mit dem Königtum bestanden hatte, führte ihn Eberhard II. mit den Städtebünden. Dreimal kam es zu Schlachten mit den württembergischen Grafen Eberhard II. und seinem Sohn Ulrich: 1372 bei Altheim auf der Alb, 1377 bei Reutlingen und 1388 bei Döffingen in der Nähe von Weil der Stadt. Bei Altheim und Döffingen siegte Eberhard, Ulrich verlor vor Reutlingen den Kampf und bei Döffingen das Leben. Das unmittelbare Ergebnis der Auseinandersetzungen war ein Patt, denn der militärische Sieg hatte keineswegs zur Folge, daß irgendeine Stadt dem Territorium hätte einverleibt werden können; die königlichen Städte blieben unabhängig. Aber langfristig hat dennoch das Prinzip fürstlicher Herrschaft die Oberhand behalten, und dazu hat Eberhards militärischer Sieg im städtereichen Schwaben wesentlich beigetragen. Eberhards III. Sache war es dann, nachdem die Kämpfe ausgefochten waren, einen modus vivendi zwischen Fürsten, Ritterbünden und Städten zu finden und ihn durch die Herstellung eines Netzwerks von Einungen und Bündnissen zu praktizieren. Eberhard III. scheint es sehr gut verstanden zu haben, den Einfluß des Königtums außen vor zu halten und seine eigene hervorragende Stellung in Schwaben auf friedliche Weise zur Geltung zu bringen. Auch die Zeit der raschen Vergrößerung des Territoriums durch Aufkaufen ganzer Herrschaften war vorüber, denn die Zahl der Objekte, die zum Verkauf anstanden, nahm ab, und sie waren selten noch von großem Zuschnitt. Gleichzeitig ist unübersehbar, daß Eberhard III. bei weitem nicht mehr über so viele Mittel verfügte wie seine Vorgänger. Die Gründerjahre des Territorialstaats gingen zu Ende.
Bemerkenswert ist in der gründerzeitlichen Periode das Fehlen zweier Erscheinungen, die sonst mit dem Aufbau der Territorialherrschaften vielfach verbunden sind. Das eine ist das möglichst systematisch betriebene Plazieren nachgeborener Söhne in der Reichskirche und damit die Chance, Mitglieder der Familie als Bischöfe in den Reichsfürstenstand zu bringen. Das andere sind Herrschafts- und Landesteilungen. Möglich, daß der Mißerfolg der Grüninger den Württembergern eine Lehre war. In der Generation der Kinder des terrritorialpolitisch so erfolgreichen Ulrich III. trat 1344 überhaupt erstmals der Fall ein, daß zwei volljährige Brüder die Herrschaft erbten: Eberhard II., der ältere und energischere von beiden, und Ulrich IV.. Ihr Großvater Eberhard I. hatte diese Konstellation 1321 kommen sehen und vor einer Teilung der Herrschaft gewarnt. Im 12. und 13. Jahrhundert hatten Herrschaftsteilungen noch den Vorteil der Intensivierung bedeutet; im 14. Jahrhundert jedoch, als die politische Selbstbehauptung immer kostspieliger wurde, konnte sie im Konkurrenzkampf der Dynastien nur nachteilig sein. Seit 1352 drängte Ulrich IV. auf eine förmliche Teilung der Herrschaft Württemberg; er war mit einer Helfensteinerin verheiratet und bei den Helfensteinern wurde 1356 geteilt. Es kam 1361 zu regelrechten Kämpfen zwischen Eberhard und Ulrich und zu einer Klage des letzteren vor dem Kaiser. Während Eberhard einen volljährigen Sohn besaß – den später bei Döffingen gefallenen Ulrich –, war sein Bruder Ulrich IV. erbenlos. Ulrich drang nicht durch, er mußte die einheitliche Vererbung zugestehen und konnte sich nur zwei feste Plätze vorbehalten, die Burg Württemberg und Marbach, wogegen in Eberhards Hand acht solcher Plätze blieben, darunter Stuttgart, das für die Herrschaft und die Dynastie inzwischen eindeutig wichtiger war als die Burg Württemberg. Dank dieses Austrags und auch wegen des baldigen Todes Ulrichs blieb das Teilungsbegehren Episode.
Die Heiraten der Württemberger sind seit Eberhard II. noch ehrgeiziger als früher. Eberhard II. ehelichte Elisabeth von Henneberg-Schleusingen, die Tochter eines „gefürsteten“ Grafen, zwar nicht eines Reichsfürsten, aber doch eines Fürstengenossen, der zahlreiche, seiner Familie 1310 von Kaiser Heinrich VII. verbriefte fürstliche Ehrenvorrechte am Hof und beim Gericht in Anspruch nehmen durfte. Seinen Sohn Ulrich hat Eberhard 1362 mit Elisabeth, einer Tochter Kaiser Ludwigs des Bayern und Schwester von sechs wittelsbachischen Herzögen, verheiratet; sie war die kinderlos gebliebene Witwe des 1359 ermordeten Cangrande II. della Scala. (Freilich hat auch Gerlach von Hohenlohe, der ganz klar hinter den Württembergern rangierte, eine verwitwete Tochter Ludwigs des Bayern zur Frau bekommen.) Eberhard III. war also der Enkel eines Kaisers – eines kinder- und enkelreichen Kaisers – oder, politisch zutreffender gesagt, der Neffe von sechs wittelsbachischen Herzögen. Eberhard III. selber ging 1380 eine Ehe mit Antonia Visconti ein, einer Tochter von Barnabo Visconti und Beatrice Regina della Scala, die miteinander siebzehn Kinder hatten. Die reichen und mächtigen Visconti wurden zwar erst 1395 zu Reichsfürsten erhoben, heirateten aber in den Hochadel hinein. Durch die Visconti-Ehe wurde Eberhard Schwager des (bei Sempach gefallenen) Habsburgers – Herzogs Leopold III. und von vier seiner wittelsbachischen Verwandten, die allesamt ebenfalls Viscontis geheiratet hatten: zwei Vettern, ein Neffe und eine Nichte. Eberhard II. und Eberhard III. nahmen indes mit ihrer Familienpolitik auch hier sehr wohl ihre schwäbischen und linksrheinischen Interessen ins Visier. Denn nicht nur Leopold war ihr Konkurrent und Verbündeter in Schwaben, auch die Wittelsbacher waren damals Landvögte Ost- und Oberschwabens und des Elsaß. Die Württemberger agierten so mit den Herzögen wie Gleiche unter Gleichen. Auch Elisabeth, die zweite Frau Eberhards III., die er 1412 heiratete, Tochter eines zollerischen Burggrafen von Nürnberg und einer Herzogin von Lothringen, gehörte zu einem Geschlecht, das seit 1400 zu den Fürsten gezählt wurde und 1415 in den Kurfürstenrang aufstieg.
Zwei beinahe gleichzeitige Visconti-Heiraten sind signifikant für die unterschiedliche Entwicklung, welche die beiden Linien Württemberg und Grüningen-Landau in den vier bis fünf Generationen seit der Teilung genommen haben. Barnabo Visconti, der etwa zwanzig illegitime Kindern hatte, verheiratete seine unehelichen Töchter an Söldnerführer: so erhielt 1376 der Condottiere Ludwig von Landau die uneheliche Elisabetta zur Frau. 1380 zog hingegen Eberhard von Württemberg durch die Heirat mit der ehelichen Antonia mit mehreren Wittelsbachern und einem Habsburger gleich.
Quellen/Literatur
- Ders., Die Grafschaft Württemberg und das Reich, in: ZWLG 4 (1940), S. 18–47.
- Mertens, Dieter, Württemberg, in: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 2, Stuttgart 1995, S. 13–55.
- Regesten der Markgrafen von Baden 1050-1515, hg. von Badischen Historischen Commission, Bd. 1, bearb. von Richard Fester, Innsbruck 1900.
- Sattler, Christian Friderich, Geschichte des Herzogthums Würtenberg unter der Regierung der Graven, Bd. 1, 2. Auflage, Tübingen 1773.
- Schneider, Eugen, Regesten der Grafen von Württemberg von 1080 bis 1250, in: Württembergische Vierteljahrshefte NF 1 (1892), S. 65–79, hier S. 77–79.
- Stälin, Christoph Friedrich von, Wirtenbergische Geschichte, Bde. 2 und 3, Stuttgart 1856.
- Weller, Karl, Die Grafschaft Württemberg und das Reich, in: Württembergische Vierteljahrshefte 38 (1932), S. 113–162.
- WUB, Bde. 1–11, Stuttgart 1849–1913.
- Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. hist. 20 586: Oswald Gabelkover, Württembergische Geschichte bis 1534, Anf. 17. Jh., Bl. 204r u. 231.
- Württembergische Regesten von 1301–1500, 1,1–3, Stuttgart 1916–1940.
Unterkapitel
Biographien
1. Ulrich I. der Stifter (mit dem Daumen) - Dieter Mertens
2. Mechthild von Baden - Dieter Mertens
3. Agnes von Schlesien-Liegnitz - Edward Potkowski
4. Ulrich II. - Dieter Mertens
5. Agnes (vor 1264–1305) - Oliver Auge
6. Mechthild (Luitgard) (vor 1264–1284) - Oliver Auge
7. Irmengard (1264–vor 1278) - Oliver Auge
8. Eberhard I. der Erlauchte (1265–1325) - Dieter Mertens
8a. Ulrich von Württemberg (vor 1308–1348) - Oliver Auge
9. Margarethe von Lothringen († vor 1296) - Dieter Mertens
10. Irmengard von Baden († nach 1320) - Dieter Mertens
11. Ulrich (nach 1285–1315) - Dieter Mertens
12. Mechthild von Hohenberg († 1316) - Dieter Mertens
13. Ulrich III. (zwischen 1286/1291–1344) - Wilfried Schöntag
14. Sophie von Pfirt († 1344) - Wilfried Schöntag
15. Adelheid Mechthild (zwischen 1295/1300–1342) - Wilfried Schöntag
16. Agnes (vor 1300–1349) - Oliver Auge
17. Agnes (um 1295/1300–1317) - Oliver Auge
18. Irmengard (nach 1300–1329) - Wilfried Schöntag
19. Ulrich (zwischen 1300 und 1335) - Oliver Auge
20. Agnes (vor 1315–1373) - Oliver Auge
21. Eberhard II. der Greiner (nach 1315–1392) - Markus Müller
22. Elisabeth von Henneberg-Schleusingen (1319–1384) - Markus Müller
23. Ulrich IV. (nach 1315–1366) - Wilfried Schöntag
24. Katharina von Helfenstein (vor 1332–nach 1386) - Wilfried Schöntag
25. Ulrich (nach 1340–1388) - Markus Müller
25a. Ulrich von Stuttgart (ca. 1382–1422/25) - Oliver Auge
26. Elisabeth von Bayern (1329–1402) - Markus Müller
27. Sophie (nach 1340–1369) - Markus Müller
28. Eberhard III. der Milde (nach 1362–1417) - Matthias Miller
29. Antonia Visconti (1350–1405) - Matthias Miller
30. Elisabeth von Nürnberg (1391/92–1429) - Matthias Miller