Garbe, Richard von Karl 

Geburtsdatum/-ort: 09.03.1857; (Stettin-)Bredow
Sterbedatum/-ort: 22.09.1927;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Indologe
Kurzbiografie: 1873 Abitur am Marienstiftsgymnasium in Stettin, beeinflußt von Prof. Dr. Hermann Graßmann (1809-1877), Mathematiker und Sanskritforscher in Stettin
1873-1877 Studium, hauptsächlich Orientalia, in Tübingen; Promotion zum Dr. phil.; seinem Promotionsgesuch vom 1. Jul. 1876 legte er die Arbeiten „Das Accentuationssystem des altindischen Nominalcompositums“ und „Atharva-Veda-Anukramanika“ bei
1878 Habilitation als Privatdozent in Königsberg für Sanskrit und vergleichende Sprachforschung mit einer Arbeit auf dem Gebiet der Vedaforschung
1880 außerordentlicher Prof.; erhält von der Bopp-Stiftung ein Stipendium von 450 Mark
1885-1887 offiziell geförderte Indienreise
1887 weil die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin seinen Indien-Aufenthalt durch Zuwendungen der Bopp-Stiftung verlängerte, schenkte er dankbar dieser 19 Sanskrithandschriften
1894 Prof. in Königsberg
1895 Prof. in Tübingen auf dem Lehrstuhl seines Lehrers Rudolf von Roth (1823-1895) für Sanskrit und vergleichende Religionsgeschichte; am 28. Nov. begann er dort seine Lehrtätigkeit
1908/1909 Rektor der Universität Tübingen
1909 Ehrenkreuz des Ordens der Württembergischen Krone (Personaladel)
1926 Ehrendiplom der Philosophischen Fakultät Tübingen zur Jubiläumspromotion (20. Jul.)
1927 emeritiert; sein Nachfolger wurde Jakob Wilhelm Hauer (1881-1962)
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1887 (Königsberg in Preußen) Anna (geb. 1865), Tochter des Ernst Wichert (1831-1902), Oberlandesgerichtsdirektor, Geheimer Justizrat, ostpreußischer Schriftsteller
Eltern: Vater: (Ernst) Gustav Garbe (geb. 2.2.1816 Lübben, gest. 24.12.1860 (Stettin-)Bredow), Fabrik- und Gutsbesitzer
Mutter: (Johanna Clara) Eugenie, geb. Konopka (geb. 11.2.1831 Jänschwalde, Kreis Cottbus; gest. 21.11.1907 Tübingen)
Kinder: 1 Sohn
2 Töchter
GND-ID: GND/116420073

Biografie: Eckhard Wendt (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 85-87

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprachen und Kulturen Indiens begann Ende des 18. Jahrhunderts. Übersetzungen aus dem Sanskrit, verbunden mit dem Entdecken der indogermanischen Sprachverwandtschaft, führten vor allem in Deutschland zu einer Indienbegeisterung. Erste Lehrstühle für Sanskrit wurden eingerichtet. Die Herausbildung einer Religionswissenschaft in diesem Zusammenhang in Deutschland prägten vor allem Tübinger Forscher. Garbe ging mit hoher Begabung und rastlosem Forscherfleiß nach seinem Tübinger Studium an die Königsberger Universität. Rasch machte er Karriere: bereits mit 21 Jahren war er Privatdozent und mit 23 Jahren Professor. Die Zeit dort nutzte der Gelehrte mit intensiven Arbeiten an zahlreichen Problemen der indischen Philosophie und Sprachwissenschaft und befasste sich auch mit dem Litauischen. Anfänglich beschäftigte er sich mit vedischen Ritualtexten, wechselte dann seine Forschungsschwerpunkte und wandte sich den philosophischen und religiösen Traditionen zu (Sâṃkhya-Philosophie), die von der „Kriegerkaste“ geschaffen worden seien und deren System er in einem umfassenden Hauptwerk zusammenfassend darstellte. Diese Ergebnisse fasste Garbe dann in einem Beitrag in Bühlers „Grundriss der indoarischen Philologie und Altertumskunde“, betitelt „Sâṃkhya und Yoga“ (1896), neu zusammen. Daneben publizierte er eine Fülle allgemeinverständlicher Aufsätze. In die Zeit des Extraordinariats fiel sein Indienaufenthalt, welcher zur Übersetzung der Sâṃkhyasûtren mit den Kommentaren des Aniruddha und Vijnânabhikṣu sowie der Sâṃkhyatattvakaumudî des Vâcaspatimiśra und zum Erwerb von Manuskripten für die Universitätsbibliotheken Tübingen und Berlin diente.
Als Garbe 1895 nach Tübingen berufen wurde, war er bereits ein Gelehrter von internationaler Geltung. Garbes ehrenvolle Berufung auf den Tübinger Lehrstuhl, welcher zu den renommierten indologischen in Deutschland zählte, besserte auch seine bedrückenden Finanzen auf. Im Sommersemester 1896 setzte er in direktem Anschluss an von Roth traditionell mit seiner Vorlesung zur Allgemeinen Religionsgeschichte ein, die er 17 Mal bis 1921 hielt. Diese galt als eine Besonderheit der Tübinger Universität bzw. Indologie. Auf diesem Gebiet sind von größerem Interesse Garbes Studien über die Beziehung zwischen indischem und christlichem Denken. Seine schroffe Meinung, wonach im Christentum überhaupt kein buddhistischer Einfluss zuerkennen sei,gab er aufgrund einer Kritik von Albert J. Edmunds auf. An vier Textstellen des Neuen Testaments hielt er nun eine Entlehnung aus dem Buddhismus für plausibel; eine gegenseitige Beeinflussung vermochte er allerdings nur in Marginalien zu erkennen. Garbes Buch „Indien und das Christentum“ erwies sich für die Forschung als sehr bedeutend.
Zwar kam seinen wissenschaftlichen Arbeiten auf diesem Gebiet große Relevanz zu, doch lag sein Schwerpunkt fortan auf dem „Indischen Rationalismus“ und auf den von ethischen Prinzipien geprägten „Krieger-Religionen“. Mit seinem verdienstvollen Werk zur Bhagavadgîtâ legte er zum ersten Mal eine vollständige Rekonstruktion der Textgeschichte vor, welche heftige Diskussionen auslöste, die aber die indologischen Forschungen ungemein befruchteten. Noch heute gilt seine Übersetzung als vorbildlich. Mittelpunkt der Bhagavadgîtâ-Lehre ist nach Garbe die Verkündung einer monotheistischen Gotteslehre verbunden mit der Moral durch einen Krieger. Als Vertreter eines realistischen Indienbildes lehnte er das vorherrschende romantische ab.
Nach dem Ersten Weltkrieg, in welchem sein Sohn gefallen war, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, was vorübergehend zur Entbindung von den Lehrverpflichtungen führte. Leider war ihm kein eigentlicher Ruhestand vergönnt, weil Garbe bald an einer Lungenentzündung starb. Mit seinen Studien zur Bhagavadgîtâ und Sâṃkhya-Philosophie hat er sich bleibende Verdienste in der Indologie erworben. Durch seine überragenden Kenntnisse der indischen Philosophiegeschichte hatte er sehr anregend auf die Forschung gewirkt. Natürlich trug zu seinem Ruf als bedeutender Indologe auch seine rege Herausgeber- und Übersetzertätigkeit bei. Garbes Schriften zur Sâṃkhya-Philosophie sind die bedeutendsten Arbeiten seines Gelehrtenlebens; seine Übersetzungen schwieriger Sanskrittexte sind unvergängliche Dokumente. Das Elogium des Ehrendiploms zu seiner Jubiläumspromotion lautet: „Dem verdienstvollen Erforscher und Darsteller der Sprache und Literatur, Geschichte, Religion und Philosophie des alten Indien“.
Quellen: PA im UA Tübingen; Akten der Preußischen Ak. der Wiss. Berlin (1812-1945), II-VI-105; II-XI-11;-12; etwa vierzig Briefe von Garbe in der UB Tübingen.
Werke: Die indischen Mineralien, ihre Namen und die ihnen zugeschriebenen Kräfte: Narahari’s Raganighantu Varga XIII, 1882, ND1974; The Śrauta Sûtra of Âpastamba belonging to the Taittirîya with the commentary of Rudradatta, 1882ff., 3 Bde.; The Sâṃkhya Sûtra Vritti: or Aniruddha’s commentary and the original parts of Vedantin Mahadeva’s commentary to the Sâṃkhya Sûtras, 1888 [-1889]; Sâṃkhya-pravacana-bhâshya, Vijnânabhiksu’s Commentar zu den Sâṃkhyasûtras, 1889, ND 1966; Der Mondschein der Sâṃkhya-Wahrheit, Vâcaspatimicra’s Sâṃkhya-tattva-kaumudî in deutscher Übersetzung, nebst einer Einleitung über das Alter und die Herkunft der Sâṃkhya-Philosophie, 1892; Die Sâṃkhya-Philosophie. Eine Darstellung des indischen Rationalismus. 1894, 2. Aufl. 1917 [nach wie vor die beste deutschsprachige Einführung]; Verzeichnis der indischen Handschriften der Kgl. UB (Berlin) (Zuwachs der Jahre 1865-1899), 1899; Beiträge zur indischen Kulturgeschichte 1903; Die Bhagavadgîtâ. 1905, 2. Aufl. 1921, ND 1988; Indien und das Christentum. Eine Untersuchung der religionsgeschichtlichen Zusammenhänge, 1914.
Nachweis: Bildnachweise: Wilhelm Rau, 135 Bilder Deutscher Indologen, 1982; Ölporträt in der Univ. Tübingen.

Literatur: Adolf Hinrichsen, Das literarische Deutschland, 2. Aufl. 1891; Kürschner, 1926; H. Weller, in: Schwäbischer Merkur (1927), Nr. 442, 446; (J. W. Hauer), Trauerfeier für Prof. Dr. Garbe, in: Tübinger Chronik vom 26. 9. 1927, 83. Jg., Nr. 224; Altpreußische Biographie I; NDB 6, 69 (Helmut Hoffmann); Horst Junginger, Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft, 1999; Angelika Malinar, „Ksatriya-Glaube“ und „Opferwesen“. R. Garbe und die indischen Religionen, in: Indienforschung im Zeitenwandel: Analysen und Dokumente zur Indologie und Religionswissenschaft in Tübingen, 2003.
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