Goldschmidt, Victor Mordehai 

Geburtsdatum/-ort: 10.02.1853; Mainz
Sterbedatum/-ort: 08.05.1933; Salzburg
Beruf/Funktion:
  • Mineraloge, Kristallograph, Naturphilosoph und Mäzen
Kurzbiografie: 1870 Gymnasialabschluss in Mainz
1870-1871 Studium an der Gewerbeakademie Berlin
1871-1874 Studium an der Bergakademie Freiberg mit Diplom eines Hütteningenieurs
1874-1875 Militärdienst als Freiwilliger beim Sächsischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 28
1875-1878 Assistent für Hüttenkunde an der Bergakademie Freiberg
1878 Nov.-1879 Mär. Studium der Chemie und Paläontologie an der Universität München
1879 Mai-1880 Aug. Studium – Chemie, Mineralogie und Physik – an der Universität Heidelberg; Promotion zum Dr. phil.: „Über Verwendbarkeit einer Kaliumquecksilberchloridlösung bei mineralogischen und petrographischen Untersuchungen“ bei H. Rosenbusch
1882-1887 Selbständige Studien in der Kristallographie in Wien
1888 Feb. Habilitation für Mineralogie an der Universität Heidelberg „Über Projektion und graphische Krystallberechnung“; Probevorlesung (16. 2. 1888) „Die Krystallographie, ihr Wesen und ihre Bildung“
1892 Jul. außerordentlicher Professor für Mineralogie an der Universität Heidelberg
1894-1895 Weltreise mit wissenschaftlichen Aufgaben
1909 Jan. ordentlicher Honorarprofessor an der Universität Heidelberg
1917 Dez. Geheimer Hofrat
1919 Apr. Gründung der Josefine und Eduard von Portheim Stiftung
1933 Apr. Entfernung aus der Universität
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr., ab ca. 1888 ev.
Auszeichnungen: Dr. jur. h. c. der Universität Kingston in Kanada (1904)
Mitgliedschaften: Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften Turin (1905); Ehrenmitglied der Mineralogischen Gesellschaft London (1912); Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften St. Petersburg (1912); außerordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1913).; Auswärtiges Mitglied der Amerikanischen Akademie der Künste und Wissenschaften Boston (1914); Dr.-Ing. h. c. der Bergakademie Freiberg (1923); Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften Barcelona (1928); Ehrenmitglied der Wiener Mineralogischen Gesellschaft (1933)
Verheiratet: 1888 (Prag) Leontine, geb. von Portheim (1863-1942)
Eltern: Vater: Salomon Benedict (1818-1906), Kaufmann
Mutter: Josefine, geb. Porges Edle von Portheim (1823-1869)
Geschwister: 6:
Clara Regine (geb. 1847), verheiratete Meyer
Emil Benedict (geb. 1848)
Pauline Esther (geb. 1850), verheiratete Brandeis
Ernst Gabriel (1851-1935)
Adele Sara (geb. 1854), verheiratete von der Porten
Eduard Isaak (geb. 1857)
Kinder: keine
GND-ID: GND/116757264

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 96-98

Goldschmidt wurde als fünftes von sieben Geschwistern in eine wohlhabende Familie geboren. Goldschmidt besuchte nach der höheren Bürgerschule in Wiesbaden das Großherzogliche Gymnasium in Mainz. Damals schon zeigte er gute Begabungen, besonders in Mathematik und Sprachen. Mit 17 Jahren schloss er das Gymnasium als einer der Besten ab. Auf Wunsch des Vaters, der einen Eisengroßhandel besaß, sollte Goldschmidt Hütteningenieur werden. Zuerst bezog er die Gewerbeakademie zu Berlin, nach zwei Semestern aber vertauschte er die hektische Großstadt mit der Bergakademie im stillen Freiberg in Sachsen. Hier kam Goldschmidt zum ersten Mal in Berührung mit der Mineralogie, besonders bei seinen Lehrern Th. Richter und A. Weisbach, dem er später sein erstes großes Werk, „Index der Kristallformen“ und auch einen Nachruf widmete.
Nach dem Abschluss und der Erfüllung der Militärpflicht arbeitete Goldschmidt noch ein Jahr an der Bergakademie als Assistent für Hüttenkunde, setzte dann aber seinen Wunsch durch, seine Studien fortzusetzen. Einem Semester in München folgten Studium und Promotion in Mineralogie bei H. Rosenbusch an der Universität Heidelberg. Nach fünf Jahren selbständiger Beschäftigung mit der Kristallographie in Wien kehrte Goldschmidt 1887 als Dozent nach Heidelberg, wurde habilitiert und heiratete seine Kusine Leontine, die katholische Tochter des böhmischen Textilfabrikanten Eduard Porges Ritter von Portheim, eines Onkels mütterlicherseits. Leontine wurde ihm eine treue Lebensgefährtin und Mitarbeiterin. Es ist zu vermuten, dass Goldschmidts Konversion zum Christentum vor der Hochzeit stattfand.
Seine Lehr- und Forschungstätigkeit führte Goldschmidt zuerst im Privatlabor in der eigenen Wohnung durch, ab Herbst 1895 im „Mineralogisch-kristallographischen Institut“, das er auf eigene Kosten eingerichtet hatte. Goldschmidt unterrichtete jahrzehntelang zwei Kurse für ein paar Studenten: „Lötrohranalyse“ und „Messen, Berechnen und Zeichnen der Kristalle“. Für diesen Kurs erarbeitete er neue Methoden der graphischen Darstellung der Kristalle und erfand eine Reihe Instrumente, von denen das „zweikreisige Goniometer“ besonders bekannt wurde. Das erste Modell stammt aus dem Jahr 1892, es wurde 30 Jahre lang immer wieder verbessert. Goldschmidt gab der praktischen Forschungsarbeit mit den Studenten eindeutig den Vorzug. Eine der Arbeitsregeln seines Instituts lautete: „Mache alles, auch das Kleinste, als wäre es für die Ewigkeit und sei jeden Augenblick bereit, es besserem zu opfern“. Goldschmidts Ansätze und Lehrmethoden brachten ihm bald auch Ansehen im Ausland ein; er hatte viele Studenten und Mitarbeiter aus aller Welt, die unter seiner väterlichen Leitung ein reges wissenschaftliches Leben führten; denn er wusste, dass in der Kristallometrie „ein gut Stück Pädagogik“ liegt.
Kristallographie, die er immer im Zusammenhang mit anderen Wissensbereichen sah, war für Goldschmidt die „Königin der Wissenschaften“. Durch sie kam er zur Naturphilosophie und beschäftigte sich mit Problemen der Harmonie in der Welt. Im Bereich der Kristalle hatte er zuerst empirisch sein „Komplikationsgesetz“ entdeckt. Darauf aufbauend versuchte Goldschmidt dann die Harmonie in der Musik, in der bildenden Kunst, aber auch im Sonnensystem darzustellen und „verschiedene Wissenschaften durch ein geistiges Band zu verknüpfen“. Die Übertragungen seiner Ideen auf ganz unterschiedliche Bereiche werden noch heute diskutiert.
Goldschmidt war nicht nur Forscher und Lehrer, Kenner der schönen Künste, sondern auch leidenschaftlicher Sammler. Er begann mit Sammlungen schöner Kristalle, die er bald auf die Volkskunst ausweitete. Auf einer Weltreise 1894/95 über Nordamerika nach Japan, Indien und Ägypten hatte er den Grundstock seiner Sammlungen gelegt und erweiterte sie fast bis zum Lebensende.
1919, die Vorarbeit begann schon 1916, gründete die Familie Goldschmidt die „Josefine und Eduard von Portheim Stiftung für Wissenschaft und Kunst“ (nach seiner Mutter und ihrem Vater benannt), worin der größere Teil ihres bedeutenden Vermögens, 2 Millionen Goldmark, aufging. An die Stiftung wurden u. a. das Mineralogisch-kristallographische Institut und die ethnographischen und Volkskunstsammlungen angeschlossen. Die Stiftung gab „Heidelberger Akten“ heraus, in denen weit gefächerte Arbeiten über Kultur und Wissenschaft erschienen. Noch heute existiert in Heidelberg das Völkerkundemuseum der von-Portheim-Stiftung.
Goldschmidt war ein äußerst gütiger und hilfsbereiter Mensch. Jedoch, bei allem äußerlichen Wohl verlief sein Leben nicht immer so glatt, wie es öfters dargestellt wurde. Von Anfang an stieß er auf tiefes Unverständnis, ja feindliche Abneigung gegenüber seinen Ideen bei den meisten Fachkollegen in Deutschland, auch in Heidelberg. Dort leistete H. Rosenbusch Widerstand, ein strenger Protestant, dem Goldschmidts jüdische Abstammung und seine eher kosmopolitischen Bestrebungen widerstrebten. In der Universität fand Goldschmidt kaum Unterstützung. Etatmäßiger Dozent wurde er nie, er blieb Außenseiter, der nur dank seines Vermögens forschen und lehren konnte.
Goldschmidts letzte Jahre waren durch den Vormarsch des Nationalsozialismus bis in die engste Umgebung hinein verdüstert. Seine Frau beging 1942 Selbstmord, der gesamte Haushalt, darunter auch Goldschmidts Nachlass, geriet an die Gestapo. Nach einem Gesuch des Mineralogischen Instituts wurde ihm ein Teil des Nachlasses zurückgegeben, der Rest ging verloren.
Der Hauptteil von Goldschmidts knapp 200 Publikationen widmet sich der Kristallographie, zu der er von der reinen Mineralogie bald übergegangen war. Bereits früh entdeckte Goldschmidt seine Hauptaufgabe in der Kristallographie als „die Ergründung des molekularen Aufbaues der festen Körper und die Ermittlung der Intensität und der Wirkungsweise der molekularen Kräfte“. Als eines der Mittel zur Lösung dieser Aufgabe sah er die systematische Untersuchung der Kristallformen. Damit sollten „Einheiten und Gesetzmäßigkeiten“ für alle Formen desselben Mineralkörpers abgeleitet und die gewonnenen Gesetzmäßigkeiten für verschiedene Körper verglichen werden. Auf diesem Weg erschien Goldschmidts „Trilogie“, zuerst der dreibändige „Index der Kristallformen“, dann „Kristallographische Winkeltabellen“ und endlich der monumentale „Atlas der Kristallformen“.
Die Ergebnisse dieser etwa 40jährigen beharrlichen Arbeit betrachtete Goldschmidt als „Werkzeug“ zur Lösung der formulierten Hauptaufgabe. Ein weiteres Mittel zur Erreichung seines Ziels war ihm das Ätzen und Lösen kristallinischer Stoffe auf der Kugelform, die aus Mineralien erschliffen wurde, wobei ihm allerdings die allzu buchstäblich verstandene Analogie mit den Formen der Verwitterung und Zerstörung auf der Erdoberfläche hinderlich war. Seine Idee aber bleibt richtig, die die Vielfalt der kristallmorphologischen Erscheinungen durch Wachstums- und Auflösungsvorgänge erklärt. Goldschmidt wurde der „Linné der Kristallographie“ genannt. Das aber spiegelt nur einen Teil seiner Verdienste wider: Tatsächlich ging er in die Geschichte der Wissenschaft als ein Begründer der modernen Kristallographie ein. Sein Werk trug wesentlich zu deren Ausbildung zur selbständigen Wissenschaft bei und ermöglichte den Übergang zur röntgenographischen Ära.
Quellen: UA Heidelberg A-702/121; PA 3943; Rep. 27-409; H-IV-102/93, Nr. 50; H-IV-102/119, Nr. 31; Rep. 44 (Nachlass Goldschmidt); HAW, Nr. 180; StA Heidelberg ZGS 1/93; UB Heidelberg, Hs. 3833; Hs. 3695.
Werke: Über Bestimmung des Gewichtes kleiner Silber- u. Goldkörner mit Hülfe des Mikroskops, Zs. analyt. Chem. 16, 1877, 434-448; Unterscheidung d. Zeolithe vor dem Lötrohr, ebd. 17, 1878, 266-275; Chemisch-mineralogische Betrachtungen. Zs. f. Kristallographie, 17, 1889, 25-66; Index d. Krystallformen, 3 Bde., 1886-1891; Goniometer mit zwei Kreisen, Zs. für Kristallographie, 21, 1893, 210-242; Über Entwicklung d. Krystallformen, ebd. 28, 1897, 1-35 u. 414-451; Krystallographische Winkeltabellen, 1897; Über Harmonie u. Complication, 1901; Albin Weisbach †, Centalbl. f. Mineralogie, 1902, 417-425; Über das Wesen d. Krystalle, Ann. d. Naturphilosophie 9, 1910, 120-139 u. 368-419; (mit A. Fersman), Der Diamant 1911; Atlas d. Krystallformen, 9 Bde., 1913-1923; Materialien zur Musiklehre. Heidelberger Akten d. von-Portheim-Stiftung, H. 5, 1923, 1-136; ebd. H. 8, 1924, 137-256; ebd. H. 9, 1924, 257-361, H. 11, 1924, 363-480, H. 14, 1925, 481-560, H. 15, 1925, 561-719; Betrachtungen zur Krystallographischen Systematik, Beiträge zur Krystallographie u. Mineralogie Bd. III, 1934, 113-142; Kursus d. Krystallometrie, 1934; Vorlesungen über Naturphilosophie (hg. von Franz Posch), 1935.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg; (vgl. L); RNZ vom 2. 11. 1995, 10; Berr. d. Dt. Mineralog. Ges., Beihh. zu European Journal Of Mineralogy 13, 2001, 7 f.

Literatur: FS zum 75. Geburtstage von V. Goldschmidt, 1928 (mit Bild u. Bibliogr.); J. C. Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. III, 1898, 530, Bd. IV, 1904, 510, Bd. V, 1926, 435f., Bd. VI, 1937, 918, Bd. VIIa, T. 2, 1958, 236; H. Himmel, V. Goldschmidt zum Gedächtnis, Zentralblatt für Mineralogie, 1933, Abt. A, 391-398; A. E. H. Tutton, V. Goldschmidt †, Nature 131, 1933, 791f.; Ch. Palache, V. Goldschmidt †, Amer. Mineralogist 19, 1934, 106-111 (mit Bild u. Bibliogr.); A. E. Fersman, V. Goldschmidt (1853-1933), Fortschritte d. Mineralogie 37, 1959, 207-212; Goldschmidt C. Amstutz, Goldschmidt, Dictionary of Scientific Biography 5, 1972, 455 f.; F. Hermann, Goldschmidt, in: NDB 6, 1964, 612; W. Berdesinski, V. Goldschmidt, Semper Apertus, Bd. II, 1985, 506-515; C. Schlichtenberger. Die Ordnung d. Welt: Die Sammlungs-Grammatik V. Goldschmidts. 1998 (mit Bild).
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