Gutbier, Alexander Felix Maximilian 

Geburtsdatum/-ort: 23.03.1876; Leipzig
Sterbedatum/-ort: 04.10.1926; Jena
Beruf/Funktion:
  • Chemiker
Kurzbiografie: Apr. 1882–Apr. 1886 Besuch der Teichmannschen Privatschule in Leipzig
Mai 1886–Mär. 1894 Besuch und Abschluss des Kgl. Staatsgymnasiums ebda.
Apr. 1894–Apr. 1897 Studium der Chemie an der TH Dresden
Okt. 1895–Sept. 1896 Einjährig-Freiwilliger bei dem 2. Grenadier-Reg. Nr. 101 ebda.
1897 SS Studium der Chemie an der Univ. Zürich
Okt. 1897–Jan. 1899 Studium der Chemie an der Univ. Erlangen
1. 3. 1899 Promotion magna cum laude ebda.; Diss.: „Beiträge zur Kenntnis der Isorosinduline“
Okt. 1900–Juli 1901und Studium der Chemie an der TH München
Febr. 1899–Sept. 1900 Assistent am Chemischen und
Okt. 1901–Jan. 1902 Laboratorium der Univ. Erlangen
Nov. 1901 Habilitation ebda. über: „Studien über das Tellur“; Probevorlesung „Über den kolloidalen Zustand der Metalle“ (30.11.1901)
Juni 1907 ao. Prof. ebda.
Okt. 1912–Sept. 1922 o. Prof. für Elektrochemie und Chemische Technologie (ab 1915 – für Anorganische Chemie) und Direktor des Chemischen Instituts an der TH Stuttgart
Sept. 1914–Dez. 1918 Militärdienst; EK II (1916), EK I (1918)
Nov. 1920–Apr. 1922 Rektor der TH Stuttgart
Okt. 1922 o. Prof. und Direktor des Chemischen Laboratoriums an der Univ. Jena
1.4.1926 Rektor ebda.
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. 17.1.1902 (Erlangen) Olga, geb. Fischer (* 1882), gesch. 1916
2. 15.8.1919 (Stuttgart) Gertrud, geb. Gaugler (1894–1953)
Eltern: Vater: Carl Gutbier (1843–1916), Kaufmann und Fabrikbesitzer in Leipzig
Mutter: Fanny, geb. Thilo (1846–1919)
Geschwister: 3: Carl Ferdinand Erich (1870–), Kaufmann; Johanne Helene (1874); Marie Elisabeth Johanne (1878), verh. Tohte
Kinder: 3: Harry Karl Otto (* 1902); Rolf Wilhelm Alexander (1903–1992), Architekt, Professor; Eitel-Friedrich Herbert (* 1909), Ingenieur
GND-ID: GND/116931361

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 89-92

Gutbier wurde in eine wohlhabende Familie geboren und genoß eine gute Schulausbildung. Schon früh erwachte in ihm, wahrscheinlich dank der Eindrücke in der väterlichen Färbefabrik, das Interesse für Chemie, so dass Gutbier später eine vielseitige chemische Bildung anstrebte. Zuerst studierte er an der Technischen Hochschule Dresden, wo er die bedeutenden Anorganiker Walther Hempel (1851–1916) und Friedrich Foerster (1866–1931) als Lehrer hatte. Danach ging Gutbier nach Zürich und lernte von dem „genialen Alfred Werner“ (so Gutbier) aus erster Quelle die neue Lehre über die Chemie der Komplexverbindungen kennen. Um auch in der organischen Chemie Kenntnisse zu erwerben, immatrikulierte sich Gutbier an der Universität Erlangen und promovierte dort bei dem Organiker Otto Fischer (1852–1932). So gelten seine ersten Publikationen der organischen Chemie. Andererseits fühlte er sich in die Pflicht genommen, „dass der älteste Zweig unserer Wissenschaft, die anorganische Chemie … neben der immer mächtiger sich ausbreitenden Kohlenstoffchemie nicht völlig verkümmerte, sondern lebenskräftig blieb“. Deswegen entschied er sich wieder für eine anorganische Schule, für Wilhelm Muthmann (1861–1913) an der Technischen Hochschule München. Nach einem Jahr kehrte er mit einer fertigen Habilitationsschrift nach Erlangen zurück und beschritt seine akademische Laufbahn.
Als Privatdozent kündigte Gutbier eine bunte Liste von Vorlesungen an: Gasanalyse, Geschichte der Chemie, Moderne Theorien der anorganischen Chemie. Außerdem führte er gasanalytische Praktika, wie auch chemische Praktika für Mediziner und Kolloquien über die neuere chemische Literatur. Seine Begeisterung und sein geschicktes Experimentieren zog viele Studenten an. 1907, Gutbier hatte einen Ruf an die Universität Montevideo abgelehnt, wurde er zum außerordentlichen Professor befördert. In dieser Eigenschaft lehrte und forschte er fünf Jahre, wobei sein Schwerpunkt mehr und mehr die Herstellung und Erforschung kolloidaler Lösungen von Elementen wurde. Zu den Themen seiner Vorlesungen fügte er noch Physikalische Chemie und Fotographie hinzu.
Zwischen 1907 und 1911 war Gutbier auch als Vorstandsmitglied der Physikalisch-medizinischen Sozietät zu Erlangen tätig; mehrmals trug er dort seine Arbeiten vor (Mitglied seit 1899, gleich nach seiner Promotion). Als Gutbier für Herbst 1912 als Ordinarius nach Stuttgart berufen wurde, begründete er dort unverzüglich die „Chemische Gesellschaft Stuttgart“, wo er Vorsitzender wurde.
In Stuttgart hielt Gutbier mehrere Vorlesungskurse: Physikalische Chemie (SS) bzw. Elektrochemie (WS) je zwei Stunden wöchentlich, Technische Chemie – zwei Stunden wöchentlich in beiden Semestern, wie auch „Analytische Chemie auf physiko-chemischer Grundlage“. Gleichzeitig bereitete Gutbier in einer zweijährigen Übergangszeit eine Neugestaltung der Chemie in der Technischen Hochschule nach Dresdener Muster vor. Ab 1915 wurden die bisherigen zwei Laboratorien in drei Laboratorien eingeteilt: für Anorganische Chemie, für Organische und Pharmazeutische Chemie und für Physikalische Chemie und Elektrochemie. Gutbier selbst leitete die Anorganische Chemie. Dementsprechend las er ab WS 1915/16 „Anorganische Experimentalchemie“ (je vier Stunden in Wintersemestern) und „Anorganisch-Chemische Großindustrie“ (je vier Stunden in Sommersemestern).
Noch während seines Studiums in Dresden „genügte“ Gutbier seiner „Militärpflicht“. Auch später machte er „Übungen“ (Frühjahr 1897, Spätsommer 1898) und wurde zum Leutnant der Reserve befördert. Ab November 1904 wurde Gutbier für dauernd als „Feld- und Garnisondienst unfähig“ gestellt. Trotzdem meldete er sich freiwillig bereits am 7. September 1914 beim Militär zurück. Als Reservist setzte er seine Arbeit an der Technischen Hochschule fort. Ab Anfang 1916 wurde er Hauptmann der Landwehr und „zur besonderen Verwendung“ zum Kriegsministerium kommandiert. Meistens arbeitete er als Militär-Korrespondent und absolvierte sechs vier- bis achtwöchige Frontreisen, insbesondere nahm er an der Sommeschlacht und am Stellungskampf vor Verdun teil. Darüber publizierte er 1916 bis 1917 elf lange Artikel in Stuttgarter Zeitungen, unter dem allgemeinen Titel „Die Württemberger im Felde“. Zuletzt wirkte er als Divisions-Nachrichten-Kommandeur und „hat seine Stellung jederzeit in jeder Lage in vorbildlicher Weise ausgefüllt“, so in seinem Dienstleistungszeugnis, wo auch sein „vortreffliches organisatorisches Talent“ betont wird. Dass Gutbier enthusiastischer Deutscher war, zeigte sich auch nach dem Krieg. In seiner Festrede am 50-jährigen Tag der Reichsgründung rief er auf, „alle guten Kräfte in unserem Volke fest zusammenzufassen, auf dass Deutschland nicht versinke in dem verblendeten Hass und Unverstand einer ganzen Welt!“ und schloss mit dem Motto „Deutschland, Deutschland über alles!“. In dieser Zeit wurde Gutbier auch Erster Landesvorsitzender des Schwabenbundes, der „die Rettung und den Wiederaufstieg unseres deutschen Volkes“ proklamierte. (Gutbier fungierte auch im Ausschuss der im Februar 1922 begründeten Stuttgarter Ortsgruppe des Schwabenbundes).
Nach dem Krieg wurde die Lage der Technischen Hochschule schwierig, indem die Zahl der Studierenden sich mehr als verdoppelte im Vergleich zur Vorkriegszeit. Gutbier konzentrierte sich sofort auf die schnelle Wiederherstellung des normalen Unterrichts. Er kümmerte sich um die Fortführung der Forschungen wie auch um die Reanimation der Chemischen Gesellschaft, die im Juni 1919 ihre erste Sitzung nach dem Krieg unter Gutbiers Vorsitz hatte. 1920 führte Gutbier in seinem Laboratorium ein Praktikum für Kolloid-Chemie ein. Nahezu 40 Studierende promovierten in Stuttgart unter Gutbiers Leitung. „Forscher wollen wir sein in erster Linie, und zu Forschern wollen wir unsere Chemiestudierenden erziehen“, – erklärte er. Einige seiner Doktoranden konnten ihre Arbeiten, wegen des Kriegs, nicht beenden. Gutbier publizierte ihre Ergebnisse unter den Namen der gefallenen Verfasser. Man wählte ihn zum Rektor, und er leistete seinen Dienst mit voller Hingabe. Insbesondere kümmerte er sich um die Versorgung des Hochschulunterrichts: „Noch niemals ist Geld besser angewandt worden, als zur Ausbildung unserer akademischen Jugend, Deutschlands Hoffnung!“
Für Herbst 1922 wurde Gutbier nach Jena berufen, wo insbesondere seine hervorragenden organisatorischen Fähigkeiten gefragt waren. Einerseits bemühte er sich um die schon lange dringend gewordene Abtrennung der selbständigen mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät von der philosophischen und wirkte vom Frühjahr 1924 bis zum Frühjahr 1926 als ihr erster Dekan. Andererseits fungierte Gutbier als Vorsitzender des Jenaer Ortsauschusses des Vereins Deutscher Chemiker, um die Tagung des Vereins und die II. Hauptversammlung der Kolloid-Gesellschaft September/Oktober 1923 in Jena zu organisieren. Gleichzeitig leitete er sein Institut und betreute weitere Forschungsarbeiten. Ab April 1926 wurde er zum Rektor gewählt. Dies erwies sich aber als zu viel: im Herbst, ganz spontan und impulsiv, erschoss sich Gutbier mitten in der Arbeit. Die Ursache war, so die Ärzte, „die Verstörung des Geistes infolge starker beruflicher Überlastung“.
Gutbier war eine markante Persönlichkeit und rastlos auf zahlreichen Gebieten tätig: als Lehrer, der Hunderte von Schülern zu begeistern wusste, als Verfasser erfolgreicher Lehrbücher, als talentvoller Organisator, der insbesondere die Entwicklung der Technischen Hochschule Stuttgart und der Universität Jena befördert hatte, aber vor allem als Forscher. Obwohl er nur bereits erschlossene Felder bearbeitete, wirkte er als überaus eifriger und produktiver Forscher. Von Gutbier stammen etwa 260 Publikationen. Fast alle seine Arbeiten gelten der anorganischen, analytischen, Komplex- und Kolloidchemie. In der anorganischen Chemie führte er fundamentale Forschungen über Tellur durch, einschließlich der neuen Atomgewichtsbestimmung dieses Elements, sowie viele Arbeiten über einige Platinmetalle, wo er eine Reihe neuer Verbindungen entdeckte. Gutbier synthetisierte auch mehrere Komplexverbindungen von Platinmetallen. Gutbiers Ergebnisse in der analytischen Chemie – er entwickelte einige neue analytische Verfahren – waren eher Nebenprodukte, d. h. Mittel, notwendig für seine Forschungen in der anorganischen und Kolloidchemie. Zu letzterem Gebiet gehören seine umfangreichsten Arbeiten. Es gelang ihm, mit seinen Schülern kolloidale Lösungen vieler metallischer und nichtmetallischer Elemente herzustellen und systematische Forschungen der sog. Schutzkolloide durchzuführen.
Gutbier war leidenschaftlicher Experimentator mit außerordentlich geschickter Hand. In stetiger Eile, neue experimentelle Ergebnisse zu erhalten, fand Gutbier keine Zeit, um zusammenfassende Übersichtsartikel zu verfassen; lediglich aus einleitenden Bemerkungen zu seinen laufenden Veröffentlichungen ist zu sehen, dass er immer das ganze Bild des entsprechenden Problems vor Augen hatte. Sein Credo war, die Phänomene genau so zu beschreiben, wie sie direkt zu beobachten waren. Die getreue, unvoreingenommene, hypothesenfreie Wiedergabe der Naturerscheinungen, fast immer nur in tabellarischer Form, ist für alle seine Experimentalarbeiten charakteristisch. Eben deswegen besitzen sie dauernden Wert: Sie werden bis heute in der Fachliteratur zitiert.
Quellen: UA Erlangen: A2/1 Nr. G 31 (PA Gutbier), C4/3 b Nr. 2233 (Promotionsakte Gutbier), C4/4 Nr. 89 (Habilitationsakte), E1/1 Nr. 1 fol. 66 (Autobiographie); UA Stuttgart: 10/103 (Verzeichnis der Dr.-Ing.-Promotionen); Programm der Kgl. Württ. TH in Stuttgart 1912/13 – 1922/23; HStA Stuttgart: M 430/3 Bü 3777 (PA Gutbier); M 1/3 Bü 490 (Frontreisen Gutbiers); M 737 Bü 178 u. M 660/041 Nr. 10 (Kriegsaufsätze Gutbiers); Q 2/30 Bü 22 (Schwabenbund); UA Jena: D Nr. 1005 (Eine Kurzbiographie Gutbiers); StadtA Leipzig, Auskunft vom 8.1.2008; ATU München, Auskunft vom 21.2.2008; StadtA Erlangen, Auskunft vom 10.1.2008; UA Jena, Auskunft vom 15.2.2008.
Werke: Studien über Tellur, 1901; Über das flüssige Hydrosol des Goldes, in: Zs. für anorg. Chemie 31 (1902), 448–450; Beiträge zur Kenntnis anorganischer Kolloide, ebda. 32 (1902), 347–351; (mit C. Trenker) Über Halogenverbindungen des Rutheniums, ebda. 45 (1905), 166–184; (mit A. Krell) Zur Kenntnis der Halogenverbindungen des Palladiums, in: Berr. der Dt. Chem. Ges. 38 (1905), 2385–2389; (mit L. Birckenbach) Praktische Anleitung zur Maßanalyse, 1905, 2. Aufl. 1912, 3. Aufl. 1920, 4. Aufl. 1924; (mit L. Birckenbach) Praktische Anleitung zur Gewichtsanalyse, 1907, 2. Aufl. 1919; Zur Erinnerung an Henri Moissan, in: Sitzungsberr. der Physikalisch-medizinischen Sozietät in Erlangen 39 (1907), 298–556; Studien über anorganische Kolloide, in: Kolloid-Zs. 4 (1909), 180–185, 256–261, 308–311, 5 (1909), 46–52, 105–109; (mit E. Weingärtner) Studien über Schutzkolloide. Erste Reihe: Stärke als Schutzkolloid, in: Kolloid-chemische Beihefte 5 (1913), 211–268; Zur Kenntnis des Osmiums, in: Chemiker-Ztg. 37 (1913), 857–859; Katalyse des Hydrazins durch Platinmohr, in: Zs. für physik. Chemie 84 (1913), 203–249; (mit J. Huber, E. Kuhn, G. L. Weise) Studien über Schutzkolloide, in: Kolloid-Zs. 18 (1916), 141–152, 201–210; 19 (1916),177–191; Über Ammoniumpentahalogenoruthenate, in: Zs. für anorg. und allg. Chemie 109 (1920), 187–212; (mit F. Falco und Th. Vogt) Über die Alkalipentachloro- und pentabromorutheniate, in: ebda. 115 (1921), 225–236; Chemiestudium und Chemieunterricht (Rede bei der Übernahme des Rektorats am 6. Nov. 1920), 1921; Wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung wiss. Forschung (Festrede am 18. Jan. 1921), in: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg 77 (1921), 79–90; Lehrbuch der qualitativen Analyse, 1921; (mit F. Flury, Fr. Heinrich, J. Huber, R. Emslander) Über den Einfluss des Gefrierens auf kolloides Selen, in: Kolloid-Zs. 29 (1921) 161–172, 287–293; 30 (1922) 97–110; (mit J. Huber und W. Schieber) Über einen Schnelldialysator, in: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 55 (1922) 1518–1523; (mit G. F. Hüttig und H. Döbling) Zur Kenntnis des Systems Zinn(IV)-Oxyd/Wasser, in: ebda. 59 (1926) 1232–1246; Goethe, Großherzog Carl August und die Chemie in Jena. Rede. 1926; (mit H. Brintziger) Über den Einfluss hydrophiler Kolloide auf den Farbumschlag von Indikatoren, in: Kolloid-Zs. 41 (1927), 1–6.
Nachweis: Bildnachweise: UA Erlangen, E5/2 Nr. 1 fol. 83.

Literatur: Poggendorffs biographisch-literarisches Handwörterbuch V, 1926, 470–472; VI, Teil 2, 1937, 983 f.; J. Reitstötter, Gutbier, in: NDB 7, 1966, 337 f.; F. Hein, Gutbier, in: Dictionary of Scientific Biography 5, 1974, 575 f.; L. Birckenbach, Alexander Gutbier†, in: Berr. der Dt. Chem. Ges. 59A, 1926, 115–117; G. F. Hüttig, Alexander Gutbier †, in: Zs. für angewandte Chemie 40, 1927, 41 f.
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