Kossel, Hermann Alexander August Richard 

Geburtsdatum/-ort: 02.11.1864; Rostock
Sterbedatum/-ort: 29.04.1925;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Bakteriologe und Hygieniker
Kurzbiografie: 1873 IV.–1882 IX. Besuch des Gymnasiums d. Großen Stadtschule Rostock
1882 X.–1887 VII. Studium d. Medizin an den Univ. Rostock, WS 1882/83, SS 1884, Tübingen, SS 1883, WS 1883/84 u. Berlin, WS 1884/85 bis SS 1887
1887 VII. 27 Promotion „cum laude“ zum Dr. med. an d. Univ. Berlin: „Beiträge zur Lehre vom Auswurf“
1888 VI. 15 Ärztliche Approbation mit Prädikat „gut“
1888 X.–1891 IX. Assistent am Elisabeth-Krankenhaus u. ab Jan. 1890 am Städt. Krankenhaus (Berlin)-Moabit
1891 X.–1899 III. Assistent am Institut für Infektionskrankheiten, Berlin
1898 V. 17 Prädikat „Professor“
1899 III.–XII. Kommissarischer Hilfsarbeiter am Kaiserl. Gesundheitsamt, Berlin
1899 XII.–1904 X. Regierungsrat u. Mitglied des Kaiserl. Gesundheitsamts
1904 XI.–1910 III. o. Professor d. Hygiene u. Institutsdirektor an d. Univ. Gießen
1906 I. 11 Mitglied des Reichsgesundheitsamts
1910 IV.–1925 IV. o. Professor d. Hygiene u. Institutsdirektor an d. Univ. Heidelberg
1916 XI. 8 Geheimer Hofrat
1919 X.–1920 IX. Rektor d. Univ. Heidelberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1890 (Berlin) Mary Alexandrine, geb. Horstfall (1863–1923)
Eltern: Vater: Albrecht (1827–1919), Schiffsreeder, später Direktor
d. Rostocker Bank u. königl.-preuß. Konsul
Mutter: Clara, geb. Jeppe (1830–1911)
Geschwister: 6; Albrecht (vgl. S. 209), Richard (1854–1856), Carl Ludwig (1856–1909), Hans (1857–1908), Clara (1859–1908) u. Max (1860–1906)
Kinder: 2; Marianne Clara Alexandrine (1896-1941), verh. Köhler, u. Mary Louise Dorothea (1901–1928)
GND-ID: GND/117538183

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 213-216

Kossel wurde als jüngstes von sieben Kindern eines Unternehmers in Rostock geboren. Er beendete 1882 das Gymnasium der Großen Stadtschule seiner Heimatstadt mit sehr guten Noten und studierte anschließend wie sein ältester Bruder Albrecht Medizin, zuerst in Rostock, dann in Tübingen und zuletzt in Berlin, wo er 1887 promoviert wurde. Nach der Approbation begann seine Assistentenzeit, wobei er sich „durch seine besondere Gewissenhaftigkeit und Tüchtigkeit ausgezeichnet“ hat.
Kossel kam zur Medizin in einer Zeit, die durch die großen Entdeckungen von Robert Koch (1843–1910), des Begründers der modernen Mikrobiologie, gekennzeichnet ist. Kein Wunder, dass der talentierte junge Arzt davon begeistert war und Assistent von Koch im 1891 neugegründeten Institut für Infektionskrankheiten wurde, dem er dann fast acht Jahre lang angehörte, Jahre, die entscheidend für seine wissenschaftliche und berufliche Entwicklung werden sollten. Neben seiner Arbeit auf der Krankenstation des Instituts, wo er innere Krankheiten bei Männern, Frauen und Kindern studierte und behandelte, war er 1892 bis 1895 auch Choleraassistent und 1894 zur Bekämpfung der Cholera nach Johannesburg in Ostpreußen und nach Kattowitz in Oberschlesien abkommandiert. In Kattowitz errichtete und leitete er eine Cholerauntersuchungsstation.
Bedeutende Verdienste erwarb sich Kossel bei der Erprobung der eben von Emil Behring (1854 –1917) entdeckten Heilserumtherapie beim diphtheriekranken Menschen. In seinen sorgfältigen Untersuchungen stellte er die Abhängigkeit der Diphtheriesterblichkeit vom Zeitpunkt der Seruminjektion fest. Seine Belege für die Notwendigkeit möglichst frühzeitiger Anwendung des Heilserums sind als „Kosselsche Tabelle“ in alle Lehrbücher eingegangen. Außer mehreren wissenschaftlichen Artikeln über Diphtherie und ihre Behandlung mit Behrings Heilserum publizierte Kossel 1895 darüber ein kleines Buch. Dieses zusammenfassende Werk, eine praktische Anleitung für Ärzte, ist binnen eines Jahres in fünf Auflagen erschienen.
Das große Vertrauen, das Kossel bei Koch genoss, fand seinen Ausdruck und Kossel durfte Koch 1898 zur Erforschung der Malaria nach Italien begleiten. Mit Kochs Unterstützung wurde Kossel im gleichen Jahr der Professorentitel verliehen. Anfang 1899 wurde Kossel an das Kaiserliche Gesundheitsamt, damals die höchste gesundheitliche Behörde, berufen, um die Leitung der Forschungen über die Maul- und Klauenseuche zu übernehmen; auch hierfür war er von Koch vorgeschlagen worden. Kossels erster amtlicher Auftrag war die Untersuchung über Hämoglobinurie der Rinder in Finnland. Später folgte eine ziemlich gefährliche Aufgabe, nämlich die Ursachen und die rationelle Bekämpfung der Pest bei Menschen in Portugal zu erforschen, die Kossel glänzend löste: Er entdeckte und bewies die Bedeutung der Schiffsratten für die Verbreitung der Pest und trug viele Erkenntnisse zur Bakteriologie dieser Krankheit bei.
Hervorragend waren auch die Arbeiten Kossels über Tuberkulose – ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Wie zuvor schon Koch wies er mit wohlfundierten Forschungen nach, dass verschiedene Bazillenarten bei Mensch und Tier existieren und dass die Hauptübertragungsart die Ansteckung von Mensch zu Mensch ist. Dies erweiterte die Kenntnisse über Erreger, Verbreitung und Bedeutung der Rinder- und Menschentuberkulose. Kossel kritisierte dabei E. von Behring, den ersten Nobelpreisträger in der Medizin, wegen seiner unbegründeten Annahmen, dass der vom Rinde stammende Tuberkelbazillus im menschlichen Körper seine Pathogenität für das Rind verlieren könne. Den Unterschied zwischen menschlicher und tierischer Tuberkulose untersuchte Kossel bis zu seinem Lebensende; seine Tuberkulose-Forschungen gelten in der Geschichte der Medizin als klassisch.
Für die bakteriologischen Experimentalarbeiten Kossels ist höchste Präzision charakteristisch; größte Aufmerksamkeit wandte er der Reinigung und Sterilisation der benutzten Gefäße zu, der Übertragung von Bakterienkulturen mit ausgeglühten Ösen, wie auch der Injektion gleicher Bakterienmengen bei allen Versuchen. Die von seinen Experimentalergebnissen abweichenden Darstellungen mehrerer anderer Forscher erwiesen sich später als unrichtig, nicht ausreichender Sterilität bei der Arbeit wegen!
Einen weiteren Aspekt von Kossels vielseitiger Tätigkeit im Gesundheitsamt bildeten seine wiederholten Vortragskurse für höhere Baubeamte über „Hygiene beim Städtebau“ und „Wohnungshygiene“, wie auch die Ausbildung in den Hygienischen Wissenschaften der im Gesundheitsamt abgestellten Sanitätsoffiziere. Kossel hielt auch immer als „überaus klar und anregend“ charakterisierte Vorlesungen über die Pest-Epidemiologie.
1904 ging Georg Gaffky (1850–1918), Professor für Hygiene an der Univ. Gießen, nach Berlin, um das Institut für Infektionskrankheiten zu leiten. Als seinen erwünschten Nachfolger nannte er Kossel an erster Stelle und begründete dies damit, dass für diese Gießener Professur nur ein Lehrer und Forscher in Frage komme, der auch „volles Verständnis für die praktischen Aufgaben der Gesundheitspflege“ hat. Gaffky verfasste eine ausführliche Würdigung von Kossels Werk, in der er „wissenschaftlichen Geist, Gründlichkeit [… und] Klarheit der Herstellung“ der Arbeiten Kossels betonte und sie „zum Teil als hervorragend“ bezeichnete.
Kossel wurde berufen und stand damit vor neuen Aufgaben, da er zuvor noch nie akademischer Lehrer gewesen war. Er las nun über „Hygiene“, „Die bakteriologischen und hygienischen Untersuchungsmethoden“, für Nicht-Mediziner über die „Schulhygiene“ und für Pharmazeuten über „Sterilisationsmethoden“. Für 1906/07 wurde Kossel zum Dekan der medizinischen Fakultät gewählt, ein Zeichen des Ansehens, das er bereits erworben hatte. Darüber hinaus sollte er, wie auch sein Vorgänger Gaffky, sich mit verschiedenen Angelegenheiten der Gesundheitspflege im Land beschäftigen, so z. B. mit der Gießener Kläranlage. Die Beratung von Staat, Kommune und Privaten betrachtete Kossel als eine seiner wichtigsten Pflichten.
Während seiner Gießener Zeit bekam Kossel das Angebot, Direktor der neuen Zweigstelle des Kaiserlichen Gesundheitsamtes in Berlin-Dahlem zu werden. Es war dieselbe Abteilung, die er bis 1904 geleitet und an deren Bauplänen er mitgewirkt hatte. Er lehnte ab. Einen Ruf nach Heidelberg, der im Jahre 1909 folgte, nahm Kossel dann jedoch unter der Bedingung an, dass das Hygiene-Institut vergrößert würde. Diese Bedingung wurde gebilligt. Im Januar 1911 wurde das um ein Stockwerk erweiterte Institut fertig. Kossel aber wollte zuerst alles im Gießen zu Ende gebracht haben, so dass er erst zum SS 1910 nach Heidelberg wechselte.
Zu Kosselss Entscheidung für Heidelberg trug sicher auch bei, dass dort sein Bruder Albrecht, mit dem er immer eng verbunden war, als Physiologieprofessor wirkte. In seiner Berliner Zeit, als Albrecht dort ao. Professor an der Universität war, hatten sie 1894 zusammen eine Methode ausgearbeitet, Antikörper gegen Diphtherie in haltbarer Form aus Molke herzustellen. Auf die Anregung von Albrecht hin erforschte Kossel auch die Einwirkung der Nukleïnsäure auf Mikroorganismen.
In Heidelberg las Kossel seinen „Bakteriologischen Kurs“ und „Hygiene, einschließlich praktischer Übungen in der hygienischen Untersuchungsmethode“; außerdem leitete er Arbeiten im Laboratorium für Fortgeschrittene. 1916 erhielt er einen Ruf nach Berlin als Direktor des Robert-Koch-Instituts, den er „nur nach schweren inneren Kämpfen“, wie er zugab, ablehnte. Die bad. Regierung dankte das, indem sie ihm den Titel „Geheimer Hofrat“ verlieh.
Während des I. Weltkriegs musste das Hygiene-Institut neben seinen üblichen Aufgaben für das Heer Impfstoffe in großer Menge herstellen. Mehr als tausend Liter von Cholera- und Typhusimpfstoffen wurden hergestellt und in Flaschen an das Sanitätsamt in Karlsruhe und an die städtischen Lazarette geliefert, und nebenher musste Kossel einen erbitterten Kampf um Mitarbeiter bestehen, die hätten eingezogen werden sollen.
Die letzte wissenschaftliche Publikation Kossels erschien 1919. Danach sollte er fast ausschließlich organisatorisch wirken. Er wurde Rektor der Universität und erfüllte zeitbedingt schwierige neue Pflichten, „die er mit Geschick und Takt zu meistern verstand“ (P. Uhlenhuth). In seiner Rektoratsrede trat Kossel besonders für die Verhütung der Ansteckung und soziale Fürsorge auf breitester Grundlage ein, weil dies notwendig für den Kampf gegen Infektionskrankheiten sei: „Unwissenheit und Armut [sind] die besten Bundesgenossen der Ansteckungskeime“. Ein Jahr später, in seinem „Bericht des Prorektors“, hob Kossel nochmals hervor, dass eine „bildungsfeindliche Gesinnung“, die bisher in breiten Massen herrsche, überwunden werden müsse.
Im Juni 1923 nahm Kossel an der Sitzung des Großen Ausschusses der Bad. Gesellschaft für soziale Hygiene teil. Es ging um unterbrochene oder nicht unterbrochene Unterrichtszeit in der Volksschule. Kossel betonte die Notwendigkeit der „körperlichen Übungen, die mit Bewegung in Luft und Licht verbunden sind“. Nicht zwei Jahre später erlag der 61-jährige ganz unerwartet einem Herzschlag.
Kossels Arbeitsergebnisse spiegeln sich nur teilweise in seinen ca. 60 Veröffentlichungen wider, viele gelangten direkt in die Praxis, ohne publiziert zu werden, und bei der Bekämpfung mehrerer Seuchen hat er an den bahnbrechenden Entwicklungen der Medizin um die Wende zum 20. Jh. maßgeblich mitgewirkt.
Quellen: UA Gießen PrA Nr. 8 Hermann Kossel, Personalakte Kossel, u. Auskunft vom 20.6.2008; UA Heidelberg PA 1028 u. PA 4619, Personalakte Kossel, RA 6794, Lehrstelle für Hygiene sowie H-III-111, Nr. 152 f., Akten d. med. Fakultät 1908–1910; GLA Karlsruhe 235/2235, Akte Kossel; Auskünfte des UA Berlin vom 4. 8. 2008, d. UA Tübingen vom 1. 8. 2008 u. d. UA Berlin vom 4. 8. 2008.
Werke: Werkverzeichnis in: T. Streib, Hermann Kossel: Biographie eines Hygienikers, Diss. med. Heidelberg, 1999. – Auswahl: Über disseminierte Tuberculose, in: Charité-Annalen 17, 1892, 835–848; (mit P. Ehrlich u. A. Wassermann) Über Gewinnung u. Verwendung des Diphtherieheilserums, in: Dt. med. Wochenschr. 20, 1894, 353–355; (mit P. Ehrlich) Über die Anwendung des Diphtherieantitoxins, in: Zs. für Hygiene u. Infectionskrankheiten 17, 1894, 486–488; Über die Behandlung d. Diphtherie des Menschen mit Diphtherieheilserum, ebd. 489–516; Über die Blutserumtherapie bei Diphtherie, in: Dt. med. Wochenschr. 20, 1894, 823– 825; Weitere Beobachtungen über die Wirksamkeit des Behring’schen Diphtherieserums, ebd. 946–950; Behandlung d. Diphtherie mit Behrings Heilserum, 1895; Über die Tuberculose im frühen Kindesalter, in: Zs. für Hygiene u. Infectionskrankheiten 21, 1895, 59–88; Zur Statistik d. Serumtherapie gegen Diphtherie, in: Dt. med. Wochenschr. 22, 1896, 353 f.; (mit P. Frosch) Über die Pest in Oporto, in: Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte 17, 1900, 1–55; (mit Dr. Overbeck) Bakteriologische Untersuchungen über Pest, ebd. 18, 1902, 114–134; Die Hämoglobinurie d. Rinder, in: W. Kolle, A. Wassermann (Hgg.), Handb. d. pathogenen Mikroorganismen Bd. 1, 1903, 841–864; (mit A. Weber) Vergleichende Untersuchungen über Tuberkelbazillen verschiedener Herkunft, in: Tuberkulose-Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte 3. Heft, 1905, 1–109; Tierische Tuberkulose u. menschliche Lungenschwindsucht, in: Dt. medizin. Wochenschr. 37, 1911, 1972–1975; Die Beziehungen zwischen menschlicher u. tierischer Tuberkulose, ebd. 38, 1912, 74–744; Die Tuberkelbazillen, in: W. Kolle, A. Wassermann (Hgg.), Handb. d. pathogenen Mikroorganismen, 21913, Bd. V, 391–480; Zeitliche u. örtliche Disposition bei Infektionskrankheiten im Lichte experimenteller Forschung [Robert Koch zum Gedächtnis], in: Dt. medizin. Wochenschr. 39, 1913, 2448–2450; 25 Jahre antitoxischer Serumtherapie, ebd. 41, 1915, 1145–1147; Emil von Behring †, in: Berliner klinische Wochenschr. 54, 1917, 471; Georg Gaffky †, in: Münchner medizin. Wochenschr. 65, 1918, 1191 f.; Tuberkulose, in: E. Friedberger, R. Pfeiffer (Hgg.) Lehrb. d. Mikrobiologie Bd. 2, 1919, 434 –474; Wandlungen, Wege u. Ziele d. Seuchenbekämpfung, Heidelberger Rektoratsrede, 1919; Geteilte oder ungeteilte Unterrichtszeit? in: Sozialhygienische Abhh. (Karlsruhe) Nr. 6, 1923, 4–6.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg, Pos I 01737 u. I 01738 (vgl. auch Literatur).

Literatur: K. Laubenheimer, Hermann Kossel zum Gedächtnis, in: Dt. medizin. Wochenschr. 51, 1925, 999 (mit Bildnachweis); I. Fischer, Kossel, Hermann, in: Biogr. Lexikon d. hervorragenden Ärzte d. letzten 50 Jahre, 1933, 807; Chronik Ärzte Heidelberg, 1985, 133 f. (mit Bildnachweis); D. Drüll, Heidelberger Gelehrten Lexikon 1802–1932, 1986, 147 f.; T. Streib, Hermann Kossel: Biographie eines Hygienikers, Diss. med. Heidelberg, 1999 (mit Bildnachweis u. Bibliographie d. Werke).
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