Bohn, René Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 07.03.1862; Dornach bei Mühlhausen im Elsaß
Sterbedatum/-ort: 06.03.1922;  Mannheim
Beruf/Funktion:
  • Chemiker, Entdecker des Indanthren
Kurzbiografie: 1869–1878 Besuch d. Gewerbeschule (Oberrealschule) in Mülhausen 1878–1879 Besuch u. Abschluss d. Kantonsschule in Zürich
1879–1882 Studium d. Chemie am Polytechnikum (seit 1911 ETH) Zürich
1882 VII. Diplom-Examen
1883 VI. 23 Schweizerische Staatsbürgerschaft
1883 XII. 19 Promotion an d. Univ. Zürich: „Beiträge zur Kenntniss einiger Oxyazoderivate des Benzols“
1884 I.–IV. Arbeit in d. Kattundruckerei „Rotes Meer“, Mülhausen
1884 IV. 14 Eintritt in die BASF, Ludwigshafen
1892 Vergoldete Gedenkmünze d. Industriellen Gesellschaft von Mülhausen „für seine gesammten Arbeiten auf dem Gebiete d. künstlichen Farbstoffe“
1893 Vertreter d. BASF bei d. Weltausstellung in Chicago
1906 Direktor u. stellvertr. Vorstandsmitglied d. BASF
1911 Leiter d. Alizarin-Abteilung
1914 I. 1 Titel Professor, verliehen durch die Bayer. Staatsregierung
1919 ordentl. Vorstandsmitglied d. BASF
1922 I. 1 Pensionierung wegen Gesundheitsproblemen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1895 (Mailand) Hedwig (Edwiga) Schoch (1874 –1961)
Eltern: Vater: Charles Frédéric (Karl Friedrich, 1829–1886), Administrateur de la Société alsacienne de construction mécanique à Mulhouse (Direktor d. Elsässischen Maschinenbau AG in Mülhausen)
Mutter: Caroline Adèle, geb. Bourry (* 1838)
Geschwister: 11
Kinder: 2; René Jean Charles (1895–1965) u. Marie-Louise (Marise), verh. Röchling (1900–1992)
GND-ID: GND/117617555

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 38-41

Bohn wurde als zweites von zwölf Kindern eines Maschinenindustriellen im Elsass geboren. Sein Vater, ein „self-made-man“ von starkem Pflichtgefühl, großem Fleiß und vornehmer Anständigkeit, war den Kindern Vorbild. Die Familie wohnte in Dornach, einem Vorort der Textilindustriestadt Mülhausen. Bohn besuchte die Gewerbeschule in Mülhausen, lernte aber auch vieles bei mannigfaltigen Beobachtungen in den von Freunden der Familie geleiteten Mülhauser Färbereien und Kattundruckereien. So wuchs in Bohn schon früh Interesse für die Chemie. Der begabte Junge durfte ein kleines chemisches Labor im väterlichen Betrieb einrichten und experimentierte dort begeistert.
Mit 16 Jahren ging Bohn nach Zürich, wo er die letzte Klasse der Kantons-Industrieschule besuchte und mit dem Reifezeugnis „II. Grad“ abschloss, was ihm erlaubte, in die Abteilung für Chemie des Zürcher Polytechnikums aufgenommen zu werden, damals als „Chemisch-Technische Schule“ bezeichnet, wo 1878 ein Lehrplan mit drei Jahreskursen festgelegt worden war. Seine Lehrer waren Victor Meyer (1848–1897) in der Allgemeinen Chemie, dessen Assistent Frederick Treadwell (1857–1918), Georg Lunge (1839–1923) in der Technischen Chemie, und besonders der Organiker Karl Heumann (1850–1893). Im Juli 1882 bestand Bohn sein Diplom-Examen mit vorzüglichen Noten. Anschließend fungierte er etwa eineinhalb Jahre als Vorlesungsassistent bei Lunge. Dazu musste sich Bohn nochmals „als Repetent“ für den letzten Kurs seiner Abteilung anmelden. Gleichzeitig erarbeitete er dort bei Heumann seine Dissertation und wurde im Dezember 1883 an der Univ. Zürich promoviert; denn das Polytechnikum erhielt das Promotionsrecht erst 1909. Gutachter waren der Organiker Victor Merz (1839–1904), o. Professor der Chemie, und der Mineraloge Adolph Kenngott (1818– 1897), bei dem Bohn Mineralogie und Petrographie studiert hatte. Noch zu Studienzeiten, als Bohn mit 21 Jahren volljährig geworden war, hatte er bereits die schweizerische Staatsangehörigkeit erworben, die er bis zum Lebensende behielt.
Während seiner Semesterferien sowie einige Monate nach seiner Promotion arbeitete Bohn in Kattundruckereien in Mülhausen. Diese praktischen Erfahrungen schlugen sich deutlich in seinen späteren Leistungen nieder: Jedes rein chemische Ergebnis betrachtete Bohn vom Gesichtspunkt ihrer Anwendungsarten und -möglichkeiten, und er verstand es meisterhaft, diese Anwendungsmöglichkeiten zielstrebig zu verfolgen.
Anfang 1884 endete die „Ära Engelhorn“ bei der BASF in Ludwigshafen, und der neue technische Direktor der Firma, Heinrich Brunck (1847–1911), forcierte die firmeneigene Forschung durch zahlreiche Neueinstellungen. Dank Victor Meyers Vermittlung wurde der 22-jährige Bohn in der Alizarin-Abteilung der BASF im Betriebslabor eingestellt, das hauptsächlich für Analysen und Verfahrens- und Produktionskontrolle eingerichtet war. In der Athmosphäre geistiger Aufgeschlossenheit, die Brunck kultivierte, zeigte sich Bohn so schöpferisch und erfinderisch, dass man sein Labor als Forschungslabor zu bezeichnen begann. Bereits nach zwei Jahren erhielt er seinen ersten Assistenten.
Schon 1885 war es Bohn gelungen, einen neuen Farbstoff zu entdecken, das sog. Alizarinmarron, ein Gemisch aus Aminoverbindungen von Alizarinderivaten, der als Chrombeizenfarbstoff Bedeutung erhielt. Eine ganze Reihe vergleichbarer Entwicklungen folgte, u. a. Anthracenblau (1886), Alizarinschwarz (1887), Carbazolgelb, wie auch Alizaringrün und -blaugrün (alle 1888). Damit begann eine neue „Alizarinperiode“ in der Farbstoffproduktion, nachdem man dieses Gebiet zuvor bereits als erschöpft eingeschätzt hatte.
Bohn verfügte über eine geniale Intuition, scharfe Beobachtungsgabe und meisterhaftes Experimentiervermögen und erreichte seine Ziele mit relativ wenigen Versuchen; er wusste auch, eine wenig versprechende Versuchsreihe schnell abzubrechen, um einen neuen Weg einzuschlagen. Seine Erfindungen waren „stets eigenartig, verblüffend neu und deshalb grundlegend“, so sein Freund und Kollege Paul Julius (1862– 1931).
Bohn ließ seine freundschaftlichen und beruflichen Beziehungen zu vielen Fachleuten in Mülhausen nie abreissen, wodurch er immer über aktuelle Ergebnisse und Probleme der Industrie informiert blieb. Diese Praxisnähe erlaubte es ihm, dem Färber und Drucker neue Farbstoffe gleich mit technisch brauchbaren Anwendungsvorschriften zur Prüfung zu unterbreiten. Die zahlreichen von Bohn vorgeschlagenen Färbe- und Druckmethoden waren meist nicht weniger originell als seine Darstellungsverfahren von neuen Farbstoffen, die als Erfindungen patentiert wurden.
Die größte und bekannteste Leistung Bohns ist die Entdeckung des Indanthren, die am 6. Februar 1901 als „Verfahren zur Darstellung eines blauen Farbstoffs der Anthracenreihe“ als DRP 129 845 zum Patent angemeldet wurde. Anschließend wurde eine verwandte Verbindung, das sog. Flavanthren entdeckt und patentiert. Auf dieser neuen Basis wurden zuerst durch Bohn selbst und seine Mitarbeiter Dutzende hochkarätiger Küpenfarbstoffe von bisher unerreichbarer Echtheit und Beständigkeit entwickelt. Die Anwendungsvorschriften waren aber ungewöhnlich für Färber und Drucker, so dass diese anfangs Widerstand gegen die neuen Farbstoffe leisteten. Bohn begab sich daraufhin selbst in die Mülhauser Färbereien und Druckereien und ließ nicht ab, bis man die neuen Methoden erlernt und sich von der Bedeutung dieser neuartigen Produkte überzeugt hatte.
1906 wurde Bohn Direktor und stellvertretendes Vorstandsmitglied der BASF, 1911 Leiter der ganzen Alizarin-Abteilung, d. h. nicht nur des Labors, sondern auch der Färberei und der Produktionsbetriebe. 1912 erschloss Bohn mit den Chromium-Komplex-Säure-Farbstoffen eine weitere Farbstoffklasse. Die neue, ungleich höhere Position veränderte Bohn aber nicht. Als gutmütiger bescheidener Mensch von offenem geradem Wesen konnte er immer erfolgreich vermitteln, so dass seine Freunde und Mitarbeiter ihn gerne zum Schiedsrichter beriefen, um Gegensätze zu überbrücken.
Die ersten Jahre seiner Tätigkeit bei der BASF wohnte Bohn in Ludwigshafen. Als er sich entschied, eine Familie zu gründen, wechselte er 1894 nach Mannheim. Fast 20 Jahre mietete die Familie eine Innenstadt-Wohnung in B 1, 5. 1914 dann ließ sich Bohn vom Pariser Architekten L’Ange eine Villa im Stil eines barocken Landschlösschens im Oberen Luisenpark bauen.
Der Ausbruch des I. Weltkrieges wurde für Bohn zur Katastrophe. Aus dem lebhaften heiteren Mann machte der Krieg einen gebrochenen ernsten Menschen. Er war Franzose seiner Erziehung und Kultur nach, beherrschte Französisch besser als Deutsch und hatte in Frankreich zahlreiche Verwandte und Freunde. Er blieb zwar in Deutschland, schien aber zu leiden und meldete auch keine Patente mehr an, sondern beschäftigte sich nur noch mit den laufenden Arbeiten. 1915 legte er die Leitung der Alizarin-Abteilung nieder. Auch nach Kriegsende scheint Bohn sich nicht mehr erholt zu haben. Zum 1. Januar 1922 erklärte er seine Kündigung und nach wenigen Monaten, einen Tag vor Vollendung seines 60. Lebensjahres, starb er, eine Folge unerträglicher psychischer Belastung, wie sein Bruder Carl behauptete.
Das Werk Bohns schlug sich in 87 deutschen und 57 amerikanischen Patenten nieder und gehört grundsätzlich zur Chemie der polyzyklischen aromatischen Verbindungen. Seine Erfindungen wurden auch in England und Frankreich patentiert. Dagegen publizierte er wenig. Die Auswertung der rein chemischen Seiten seiner Erfindungen überließ er anderen, insbesondere Carl Graebe (1841–1927) und Roland Scholl (1865– 1945). Die intensive, fast nur im Briefwechsel erhaltene Zusammenarbeit indessen bereicherte beide Seiten. Bohn kümmerte sich vorwiegend um die praktischen Anwendungen. Jedoch eine seiner Leistungen, die sog. Bohn-Schmidt-Reaktion (1889), d. h. die katalytische Einführung von Hydroxylgruppen in Anthrachinone, hat bis heute direkte Bedeutung in der organischen Chemie, und herausragend bleibt die Entdeckung von Indanthren, deren 50-, 75- und 100-jährige Jubileen gefeiert wurden. Sie hat eine gewaltige Umwälzung auf dem Gebiet der organischen Farbstoffe und ihrer Anwendungsmethoden ausgelöst, wodurch Bohn als einer der genialsten und fruchtbarsten Erfinder in die Geschichte der Farbstoffchemie einging.
Quellen: UnternehmensA d. BASF, Ludwigshafen W1, B.; StadtA Mannheim Familienbogen, S1/2309, S2/0483- 3, Zeitungsausschnitte; Rektoratskanzlei d. ETH Zürich, Studentenakten Bohn; Auskünfte des A d. ETH Zürich vom 11. 10. 2007 u. des StadtA Zürich vom 15. 10. 2007, d. Rektoratskanzlei d. ETH Zürich vom 7. 11. 2007 u. des Archive municipale de Mulhouse vom 8. 11. 2007.
Werke: Schriftenverzeichnis bei: P. Julius u. M. A. Kunz,
René Bohn (1862–1922), in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 56, 1923, A, 13–20. – Auswahl: (mit K. Heumann) Über Paraazophenol, in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 15, 1882, 3037–3039; (mit K. Heumann) Zur Charakteristik d. Azophenole, ebd. 17, 1884, 272–276; (mit C. Graebe) Über Galloflavin, ebd. 20, 1887, 2327–2331; Über Indanthren, ebd. 36, 1903, 1258–1260; Über Indanthrenfarbstoffe, in: Chemiker-Ztg. 32, 1908, 809 f.; Über Fortschritte auf dem Gebiete d. Küpenfarbstoffe, in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 43, 1910, 987–1007.
Nachweis: Bildnachweise: StadtA Mannheim: Kleinformat Nr. 36231, ca. 1895, Nr. 36232, ca. 1902; UnternehmensA d. BASF W1, Bildarchiv, 1884 –1919 (vgl. auch Literatur).

Literatur: K. Saftien, Bohn in: NDB 2, 1971, 421; (Anonym), Professor René Bohn †, in: Die Chemische Industrie 45, 1922, 198; (Anonym), René Bohn †, in: Zs. für angewandte Chemie 35, 1922, 180; E. Noelting, René Bohn †, in: Helvetica chimica Acta 5, 1922, 566–570; M. A. Kunz, René Bohn †, in: Chemiker-Ztg. 46, 1922, 297 f.; A. Beyer, René Bohn †, in: Revue textile et Revue des chimistes-coloristes 20, 1922, 957 f. (mit Bildnachweis); A. Steigelmann, Professor Dr. René Bohn †, in: Textilberr. über Wissenschaft, Industrie u. Handel 3, 1922, 117 f.; BASF, René Bohn †, in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 55, 1922, A, 99–101; P. Julius u. M. A. Kunz, René Bohn (1862–1922), ebd. 56, 1923, A, 13–20 (mit Bildnachweis u. Schriftenverzeichnis); M. A. Kunz, 50 Jahre Indanthren, in: Melliland Textilberr. 33, 1952, 58–69; E. Vaupel, Carl Graebe (1841–1927) – Leben, Werk u. Wirken im Spiegel seines brieflichen Nachlasses, Diss. München, 1987, 296–301, 531 f., 615 u. Quellenband, 555– 561; Lexikon bedeutender Chemiker, 1989, 53; Carsten Reinhardt, Forschung in d. chemischen Industrie: die Entwicklung synthetischer Farbstoffe bei BASF u. Hoechst, 1863 bis 1914, 1997, Freiberger Forschungshefte D, 202, 212–224, 338; W. Abelshausen (Hg.), Die BASF. Eine Unternehmensgeschichte, 2002, 63, 70–72, 108, 126 f.
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