Buch, Walter 

Geburtsdatum/-ort: 24.10.1883;  Bruchsal
Sterbedatum/-ort: 12.09.1949;  Ammersee/Schorndorf
Beruf/Funktion:
  • MdR-NSDAP, Leiter des Obersten Parteigerichts
Kurzbiografie: 1902 Abitur in Konstanz, Beginn d. Militärkarriere als Fahnenjunker
1914 –1918 Teilnahme am I. Weltkrieg, als Major verabschiedet
1919–1922 Mitglied d. DNVP
1922 XII. 9 Mitglied d. NSDAP, Nr. 13 726
1923 XI. 9 Teilnahme am Hitler-Putsch, Träger des „Blutordens“ 1923–1924 Führer d. illegalen SA
1925 Wiedereintritt in die NSDAP, Nr. 7 733
1927–1945 zunächst kommissarischer, ab 1. 1. 1928 Vorsitzender des Untersuchungs- u. Schlichtungsausschusses d. Reichsleitung
d. NSDAP, seit 1. 1. 1934 Vorsitzender des Obersten Parteigerichts
1928–1945 MdR-NSDAP
1933–1945 „Reichsleiter“ d. NSDAP
1945 IV. 30 Verhaftung
1949 VII. 29 Einstufung als „Hauptschuldiger“ durch eine Münchener Spruchkammer, verurteilt zu fünf Jahren Arbeitslager, Verrechnung mit Internierung, sofortige Freilassung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., ab 1938 gottgläubig
Verheiratet: 1908 Else, geb. Pleuser (1887–1944)
Eltern: Vater: Hermann (1854 –1921), zuletzt Senatspräsident am bad. Oberlandesgericht Karlsruhe
Mutter: Hedwig, geb. Heidlauff (* 1863)
Geschwister: Hedwig (1886–1978)
Kinder: 3; Gerda (1909–1946), Walter (* 1912) u. Lore (* 1913)
GND-ID: GND/118667831

Biografie: Konrad Dussel (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 50-53

Wie für viele andere bedeutete auch für Buch, den Sohn eines hohen bad. Juristen, die deutsche Niederlage im I. Weltkrieg einen Einschnitt, der seinem Leben eine neue Richtung gab. Sein Glaube an die Nation, der er 16 Jahre lang als Soldat und Offizier auf insgesamt 26 verschiedenen Posten gedient hatte, bedurfte ideologischer Ergänzung. Hilfe bot ein rigider Antisemitismus, der ihm ansatzweise schon im Vaterhaus vermittelt worden war: Schuld an Deutschlands Schmach waren die Juden, die die Grundlagen des Deutschtums, die deutsche Familie und Ehre, unterminiert hätten. Unmittelbar nach Kriegsende erfolgte deshalb die Positionierung im extrem rechten Lager: Noch 1918 schloss Buch sich dem antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund an, außerdem dem Deutschen Vaterländischen Orden und dem Bund Oberland und wurde Funktionär im Bad. Verband ehemaliger Kriegsteilnehmer. 1919 trat er auch der DNVP bei. Nebenbei war er als Mitherausgeber eines kleinen völkischen Blatts in Karlsruhe tätig, der „Bad. Wochenzeitung“. Nachdem Buch 1920 Hitler persönlich kennengelernt hatte, wurde er von dessen ‚Bewegungʻ immer mehr fasziniert. 1922 wechselte er zur NSDAP.
Buchs Lebensumstände in dieser Zeit liegen einigermaßen im Dunkeln. Er war mit Frau und Kindern 1915 nach (heute: Gernsbach-) Scheuern gezogen, wo sein Vater in einer neu erbauten Villa seinen Ruhestand verbrachte. Immerhin brachte ihm dies 1936 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Gernsbach ein. Möglicherweise beschäftigte er sich mit Hühnerzucht. Sein Streben war jedoch auf eine Kommandoposition ausgerichtet, allerdings nicht in der Reichswehr, sondern in Hitlers paramilitärischer SA, der er mit Jahresbeginn 1923 beigetreten war. Zu diesem Zweck reiste er im Juli 1923 nach München und traf sich mit Hitler, den er von seinem Anliegen überzeugen konnte. Schon im August 1923 wurde er zum Bezirksführer Franken der SA mit Hauptquartier in Nürnberg ernannt. Am 8./9. November 1923 nahm er an Hitlers Putsch in München teil.
Nach Hitlers Verhaftung und der Verwundung und Flucht von Hermann Göring wurde Buch am 13. November von der geheimen Parteiführung zu dessen Nachfolger als oberster SA-Führer ernannt. Aufgrund der dazu erforderlichen vielfältigen geheimen Aktivitäten war er nicht imstande, seine Familie zu unterstützen, weshalb Buch 1924 zurücktrat.
Als Hitler im Februar 1925 seine Partei neu begründete, war auch Buch wieder zur Stelle. In den engeren Kreis der Parteiführung rückte Buch allerdings erst im November 1927 ein, als Hitler nach einem Nachfolger für den obersten Parteirichter suchte. Buchs Tätigkeit in dieser Position begann formell am 1. Januar 1928. Zu seinen zentralen Aufgaben zählte es, das komplexe Parteigerichtswesen zu organisieren und hierarchisch zu strukturieren. Auf jeder Stufe der Parteiorganisation gab es nun ein parteirichterliches Gremium, bestehend jeweils aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, das seit der Wiedergründung der Partei im Frühjahr 1925 den Namen Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss, Uschla, trug: Den Orts-Uschlas waren die Kreis-Uschlas übergeordnet, diesen die Gau-Uschlas und an der Spitze stand der Reichs-Uschla mit seinem Leiter Buch.
Um die Autorität des neuen Gremiums zu stärken, unterstellte Hitler die gesamte Partei einschließlich ihrer Funktionäre und ausdrücklich auch ihres Vorsitzenden, also seiner selbst, in einer am 28. April 1928 im „Völkischen Beobachter“ veröffentlichten Anordnung ihrem Urteil. Buch sollte völlig freie Hand haben, NS-Recht zu sprechen. Dass dabei Kollisionen mit Hitlers Vorstellungen eintreten könnten, schien völlig ausgeschlossen – zu unbedingt war die Loyalität Buchs Hitler gegenüber, die durch immer neue Gunstbeweise belohnt wurde: Im Mai 1928 rückte Buch als einer von zwölf NSDAP-Vertretern in den Reichstag ein und wenig später avancierte er sogar zum Herausgeber des Zentralorgans der Partei, wobei ihm seine Immunität als Parlamentarier eine zusätzliche Unangreifbarkeit verlieh.
Seine Aufgabe erledigte Buch mit großem Erfolg, auch wenn er insgeheim schon ab und zu darunter gelitten haben mag, wie sehr der jeweilige persönliche Kontakt zu Hitler den Gang der Untersuchungen beeinflusste. Zu offenen Zweifeln kam es jedoch nicht. Buch gelang es, die Arbeit der Uschlas zu formalisieren und die eigene Organisation zunehmend zu strukturieren und zu disziplinieren. Die Anfang August 1929 herausgegebenen „Richtlinien für die Untersuchungs- und Schlichtungsausschüsse der NSDAP“ sprachen diesen nicht nur das Recht zu, aus eigenem Antrieb heraus Untersuchungen einzuleiten, sie regelten auch deren Gang durch rechtsförmige Elemente wie Zeugenvernehmungen und Zeugnisverwendungen. Ihr Ziel war jedoch eindeutig: „Deutsches Recht“, daran ließ Buch auch später keinen Zweifel, war immer nur, was „dem deutschen Volk und Deutschland nützt“.
Über Mangel an Arbeit hatten die Uschlas nicht zu klagen, gab es doch auf allen Ebenen genügend Probleme zwischen den Parteifunktionären sowie – besonders heikel – zwischen Partei und SA. Die Spitze war davon nicht ausgenommen. Bis 1932 war das Verhältnis zwischen Buch und dem obersten SA-Führer Ernst Röhm in eine derartige Feindschaft ausgeartet, dass sogar Mordpläne gegen diesen erwogen wurden. Nur die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten ließ dies vorübergehend in den Hintergrund treten.
Allein die Überprüfung der neuen Parteimitglieder hinsichtlich ihrer arischen Abstammung hätte die Uschlas schon völlig ausgelastet; immerhin hatte die Partei zwischen dem 30. Januar und dem 1. Mai 1933, als eine Aufnahmesperre verhängt wurde, rund 1,5 Mio. Neuaufnahmen zu verzeichnen. Hinzu kam eine Fülle weiterer Aufgaben, bis hin zu den ganz neuen Problemen, die sich aus der Abgrenzung von staatlicher und Parteigerichtsbarkeit ergaben. Die entsprechende Terminologie war am 9. Dezember 1933 eingeführt worden. Alle Uschlas wurden damals „Parteigerichte“, der Reichs-Uschla avancierte zum Obersten Parteigericht. Wenig später wurde letzteres zweigeteilt in die I. Kammer mit dem Vorsitzenden Buch und die II. Kammer unter Wilhelm Grimm.
Den Höhepunkt seiner parteiinternen Karriere erreichte Buch im Frühjahr 1934, als er aktiv an der Ermordung seines Intim-Feindes Röhm beteiligt war und anschließend sein Vorschlag Viktor Lutze als Nachfolger Röhms angenommen wurde.
Deckten sich im Falle Röhms die Vorstellungen Buchs, Hitlers und weiterer führender Nationalsozialisten, so traten im Laufe der folgenden Jahre immer größere Diskrepanzen auf. Buchs Versuche, gegen den Trinker Robert Ley vorzugehen, wurden genauso blockiert wie sein publizistischer Feldzug gegen jegliche Immoralität der Parteifunktionäre, die gerade auf der höchsten Ebene erschreckende Ausmaße gewann. Hinzu kamen wachsende Konflikte zwischen Buch und Martin Bormann, der 1929 Buchs älteste Tochter Gerda (vgl. S. 42) geheiratet hatte. Buch wird ein Stück weit eifersüchtig auf den raschen Aufstieg Bormanns gewesen sein, dem ja erst durch ihn Einlass in den innersten Zirkel der Parteiführung verschafft worden war. Bormann andererseits erwies sich alles andere als dankbar, und war nur auf den Ausbau seiner eigenen Macht bedacht. Diese Differenzen blieben innerhalb der Partei nicht verborgen, so dass in Konfliktfällen immer öfter die Parteileitung statt des Obersten Parteigerichts angerufen wurde.
Buchs eigenartige Ehrenhaftigkeit ist wahrscheinlich nirgends besser zu studieren als am Beispiel der „Reichskristallnacht“, jenes vor allem von Goebbels initiierten Pogroms gegen die deutschen Juden am 9. und 10. November 1938. Buch war kein Freund der Juden – sein Antisemitismus steht außer Frage, gerade im Oktober 1938 hatte er in der Fachzeitschrift „Deutsche Justiz“ geschrieben: „Der Jude ist kein Mensch. Er ist eine Fäulniserscheinung.“ (S. 1660) –, aber was in jenen Tagen an ökonomischen Werten zerstört wurde, war ihm zuviel. Unterstützt von Göring und verschiedenen Gauleitern wurden Untersuchungen eingeleitet und Anfang 1939 verschiedene Prozesse vor dem Obersten Parteigericht geführt. Die Straftaten wurden dabei ganz im NS-Sinne bewertet: strafwürdig war vor allem das Vergewaltigen – aber weniger an sich, sondern mehr der „Rassenschande“ wegen! Morde an Juden waren zu verzeihen. Zur weiteren Demontage von Buchs Position trug bei, dass er eine Untersuchung gegen die Rädelsführer des Pogroms nahelegte, zu der es freilich nie kam.
Nach Kriegsbeginn versuchte Buch, zumindest gegen die unverschämtesten Bereicherungen von NS-Funktionären vorzugehen, hatte dabei aber kaum Erfolg, weil sich immer wieder Bormann als mächtigerer Schutzherr erwies, zumal nachdem dieser nach dem Ausscheiden von Rudolf Heß die Leitung der Parteikanzlei übernommen hatte und zum „Sekretär des Führers“ avanciert war. Seine definitive Grenze bekam Buch gezeigt, als er es wagte, im Frühjahr 1942 im Falle Josef Wagners sich in offenen Widerspruch zu Hitler zu setzen. Der westfälische Gauleiter war von Hitler wegen zu enger Verbindungen zur kath. Kirche seines Amtes enthoben worden. Buchs Oberstes Parteigericht sollte dem nun den Anschein zumindest parteiinterner Legalität verleihen. Wagner vermochte es jedoch, sich so geschickt zu verteidigen, dass er am Ende freigesprochen wurde. Hitler war außer sich und verweigerte die Anerkennung des Urteils. Buchs politisches Ende schien gekommen, nach außen aber blieb die Fassade gewahrt. Buch behielt formal seinen Posten. Inhaltlich wurde er jedoch jeglicher Kompetenz beraubt: Seine Urteile, so der Erlass Hitlers vom 21. November 1942, sollten nur noch mit der Unterschrift Bormanns Rechtskraft erlangen.
Selbst dieser Triumph war für Bormann noch nicht genug. Verschiedentlich drang er 1943 und 1944 darauf, Buch auch formal von seiner Position abzulösen, doch dazu war Hitler nicht zu bewegen. Wie in vielen anderen Fällen seiner ältesten Mitstreiter, bewahrte er auch Buch gegenüber ein erstaunliches Maß an Nachsicht.
Auf der Flucht aus München wurde Buch am 30. April 1945 verhaftet. Bei einem ersten Entnazifizierungsverfahren in Garmisch wurde er im August 1948 zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt. Ein Revisionsverfahren in München endete am 29. Juli 1949 zwar mit der Einstufung als „Hauptschuldiger“, die Strafe aber wurde auf dreieinhalb Jahre vermindert, die als verbüßt betrachtet wurden. Buch erhielt eine Freiheit, mit der er nichts mehr anzufangen wusste. Nur wenige Wochen später ertränkte er sich im Ammersee.
Quellen: BA (ehem. BDC) Buch, Walter, OPG&SSO/SS; Auskünfte des StadtA Gernsbach.
Werke: Ehre u. Recht, 1932; Nationalsozialismus, Volk u. Familie, 1932; Niedergang u. Aufstieg d. dt. Familie, 1932; verschiedene Artikel in: ‚Völk. Beobachterʻ u. ‚Parteirichter, amtl. Mitteilungsbl. des Obersten Parteigerichtsʻ, 1934/35–1943; Des NS-Menschen Ehre u. Ehrenschutz, in: Dt. Justiz 100, 1938, 1657–1664.
Nachweis: Bildnachweise: Wistrich, 36; Zentner/Bedürftig, Großes Lexikon des Dritten Reiches, 1985, 92; Reichstagshandbücher 1928/1930/1932/1933 (vgl. Literatur).

Literatur: Donald M. McKale, The Nazi Party Courts, 1974, bes. 53–63; Jochen von Lang, Der Sekretär: Max Bormann, 177; Robert Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich? 1983, 37 f.; DBE 2, 1995, 181; Hermann Weiß, Biograph. Lexikon zum Dritten Reich, 1998, 64–66; Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstages 1933–1945, 2004, 121 f.
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