Starke, Ottomar Ludwig Emil Georg 

Geburtsdatum/-ort: 21.06.1886; Darmstadt
Sterbedatum/-ort: 08.08.1962; Berlin
Beruf/Funktion:
  • Bühnenbildner, Graphiker, Schriftsteller
Kurzbiografie: 1893-1906 Schulzeit in Freiburg i. Br.
1906-1910 Dekorationsmalerlehre in Coburg, Schauspieler in Mülhausen (Elsaß), Kunstgewerbeschule München, erste Bühnenbildaufträge für das Münchener Hoftheater
1910-1911 Bühnenbildner am Frankfurter Komödienhaus, erster Wohnsitz Frankfurt/M. von 1910-1923 (mit Unterbrechungen)
1911-1912 Bühnenbildner („Chef des Ausstattungswesens“) am Großherzoglichen Hoftheater in Mannheim, 1912-1913 in gleicher Eigenschaft am Opern- und Schauspielhaus Frankfurt/M.
1913-1915 Einjährig-Freiwilliger, Infanterist an der Westfront, nach schwerer Verwundung Entlassung aus dem Militärdienst
1915-1923 Journalist, Graphiker, Kunsthändler; Aufenthalte in Leipzig, München, Düsseldorf, Italienreisen
1923-1925 Bühnenbildner am Hessischen Landestheater Darmstadt
1925-1926 Aufenthalt in Paris, Journalist, Graphiker
1926-1934 In gleicher Eigenschaft in Berlin, 1927 Aufenthalt in Dänemark
1934-1937 In gleicher Eigenschaft in Freiburg i. Br., außerdem Kritiker (Buchbesprechungen), Bühnenbildaufträge für das Freiburger Stadttheater
1937-1939 Bühnenbildner am Schauspiel Baden-Baden
1939 Übersiedlung nach Berlin, 1939-1940 in Diessen am Ammersee, 1940 Rückkehr nach Berlin, bis 1942 dort Kartograph
1942-1950 Kartograph, Graphiker und Schriftsteller in Dobbrikow bei Luckenwalde
1950 Rückkehr nach Berlin (West)
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1. 1912 Augustenfeld, Susanne Berta Hedwig Margarete (Margot), geb. Schindler, Pianistin, gesch. 1920
2. 1921 wohl Düsseldorf, Ilse, geb. Behrens, Bildhauerin
Eltern: Gustav Starke (1862-1931), Erster Kapellmeister am Stadttheater Freiburg i. Br.
Elisabeth, geb. Bensel (1860-1937)
Geschwister: Antonie, Hirlinda
Kinder: 1 vorehelich
aus 1. Ehe Gregor (geb. 1913), gefallen (1936) als Freiwilliger auf kommunistischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg
GND-ID: GND/118752812

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 440-443

„Ich habe mich mein Leben lang nie aus Erwägungen pekuniärer Möglichkeiten mit irgendeiner Materie beschäftigt, ich folge immer einer augenblicklichen Neigung, die oft nichts als eine Versuchung ist“ (Starke). Tatsächlich ist der Lebenskünstler Starke vielen „Versuchungen“ erlegen, in denen er der Neigung des Augenblicks nachgab: Der Vielzahl der beruflichen Tätigkeiten, die er ausgeübt hat, entspricht eine Vielzahl der Ortswechsel.
Toleranten Eltern dankt Starke unbeschwerte Jugendjahre in der „lärmabseitigen Gemächlichkeit“ (Willy Hellpach) der Breisgaumetropole um die Jahrhundertwende. Die Schule spielte eine absolute Nebenrolle, eine viel wichtigere die Theaterluft, die er schnuppern durfte, und in Verbindung damit die wachsende Vertrautheit mit der Welt des klassischen Dramas, vermittelt durch Zwanzig-Pfennig-Reclamheftchen. Den sich hieraus ergebenden Berufswunsch „Schauspieler“ neutralisierten die Eltern dadurch, daß sie ihn zu dem Bühnen-Dekorationsmaler Professor Lückemeyer in Coburg in die Lehre schickten; aber das „verantwortungslose Malerhandwerk“ (Starke) gab er nach kurzer Zeit auf und verschaffte sich ein Engagement – Monatsgage: 90 Mark – in Mülhausen (Elsaß), wo er ein halbes Jahr lang Chargenrollen spielte; aber als er als Kammerdiener in „Kabale und Liebe“ die Lady Milford in einer extemporierten Philippika beschimpfte, zeichnete sich das Ende der Schauspielkarriere ab. Er überbrückte dieses Tief: „Ich fand eine Freundin und wurde Vater“ (Starke). Auch dieses Ereignis lag innerhalb der Toleranzgrenze des Elternhauses. Der Vater ermunterte den Sohn zur Fortsetzung seiner Studien an der Kunstgewerbeschule in München, und dort sah er sich durch bedeutende Lehrer – u. a. Carl M. Cornelius, Maximilien Dasio – gefördert, gewann Preisausschreiben und erhielt bald Ausstattungsaufträge, so für die erste Münchener Aufführung von „Pelléas und Mélisande“. Auch mit dem Bühnenbild für „Orpheus und Eurydike“, Dirigent: Felix Mottl, hatte er Erfolg. „Ich verschrieb mich nicht dem Theater, ich war ihm verfallen“ (Starke).
1910 übernahm er die Ausstattung in dem von seinem Schulkameraden Karlheinz Martin gegründeten „Frankfurter Komödienhaus“. Als es schon nach sieben Monaten mit seinen Finanzen am Ende war, wurde Starke mitten in der Spielzeit an das Mannheimer Hoftheater verpflichtet. Es war eine Zeit des Aufbruchs auf dem Gebiet des Bühnenbilds, die kühnen Visionen eines Adolphe Appia und Edward Gordon Craig von die Guckkastenbühne überwindenden modernen Entwürfen fanden mehr und mehr Anhänger, unter ihnen Starke und seinen Freiburger Landsmann Heinz Daniel. Craig versuchte, Starke für eine Versuchsbühne in Florenz zu gewinnen, die aber nicht zustande kam. In Mannheim setzte Starke mit großem Elan seine Bemühungen um die Entrümpelung des naturalistischen Bühnenbilds des 19. Jahrhunderts und den Einsatz der Lichtregie anstelle gemalter Dekorationen fort, stieß jedoch im Theater und außerhalb auf heftigen Widerstand. Mehr als einmal mußte er seine Entwürfe, u. a. für den „Ring“, an das traditionelle Schema anpassen. Auch in Frankfurt „fehlte der Intendanz der Mut“ (Starke), Starkes Vorstellungen von einer Lichtbühne zu unterstützen. Welchen Bekanntheitsgrads sich Starke inzwischen erfreute, zeigt das Angebot der Metropolitan Opera in New York, das Ausstattungswesen dort zu übernehmen. Aber Starke mußte erst sein Militärjahr – 1913-1914 – abdienen – „in der ganzen Kompagnie war ich der schlechteste Soldat“ (Starke) –, und danach begann der erste Weltkrieg, der für Starke schon am 22.8.1914 zu Ende war. Im Wald von Bertrix (Belgien) erlitt er eine schwere Beinverwundung und entging nur mit Mühe der Amputation. Seine anhaltende Renitenz gegen die Staatsgewalt führte ihn in der Genesungszeit schließlich in eine Irrenanstalt in Koppen im Taunus, von wo aus er „wenn auch nicht geheilt, so doch als gebessert“ ins Zivilleben entlassen wurde.
Auf der Straße in Frankfurt traf er zufällig den ihm schon von München her bekannten Schriftsteller Carl Sternheim (1878-1942), der ihn zur Illustration seiner Novellen einlud. In rascher Folge erhielt er eine Reihe von anderen Aufträgen. Da wurde es ihm plötzlich in Frankfurt zu eng und er zog nach München, hatte auch dort sofort Auftraggeber und durfte im Jahre 1920 in Düsseldorf eine erste Ausstellung seiner Graphiken erleben. Es waren erfolg- und ertragsreiche Jahre; aber Starke fand, daß es gut sei, „eine Zeitlang die Hände ganz von diesem Metier zu lassen“, und wie ein Deus ex machina kam der Ruf an das Darmstädter Theater.
Hier bewegte er sich auf vertrautem Terrain, aber auch dort gab es viel „Stilsalat“ (Starke): moderne Bühnenbilder und mit dem Pathos des 19. Jahrhunderts deklamierende Schauspieler, so daß Starke das überraschende Angebot eines Buchhändlers, in Essen einen „Kunstsalon“ zu übernehmen, annahm. Auch diese Tätigkeit sagte ihm schon nach kurzem nicht mehr zu, und der Neigung des Augenblicks folgend setzte er sich in den Zug und fuhr nach Paris, wo er drei Wochen bleiben wollte – es wurde ein Jahr daraus. Finanziert wurde der Aufenthalt mit Presseberichten über die Pariser Szene des Jahres 1925 – ein neuer Star erschien: Josephine Baker –, im übrigen genoß er das Pariser Leben in vollen Zügen. Als ihm einmal das Geld ausging, setzte er die letzten Franken beim Glücksspiel ein und gewann 60 000. Aber als er, wieder an ernsthafte Arbeit denkend, nach Berlin zurückfuhr, hatte er nur noch 50 Mark in der Tasche. Und wieder gab es Aufträge genug, so daß er in verschiedenen Zeitschriften sogar unter Pseudonym publizierte. Zwischendurch schrieb er einen in acht Zeitungen veröffentlichten Kriminalroman. „Es war damals ein gutes Leben in Berlin“ (Starke). Nach der „Machtübernahme“ brachte eine „Ulk“ genannte Zeitschrift Hitlerkarikaturen von Starke, worauf ihm – wie er jedenfalls berichtet – das „Ultimatum“ gestellt worden sei, entweder zu emigrieren oder in die NSDAP einzutreten. Er tat das letztere; „es war Kurzsichtigkeit und Dummheit“ (Starke). Als dann die Partei auch noch ein Buch von ihm wollte, das er nicht machen wollte oder konnte, entwich er nach Freiburg-Zähringen, wo seine Mutter wohnte. Wieder kamen interessante Aufträge: vom Freiburger Stadttheater die Ausstattung von „Kabale und Liebe“ und „Die goldenen Schuhe“ (Tschaikowsky), im Ekkart 1936 veröffentlichte er ein Porträt des Schriftstellers Friedrich Schnack (1888-1977), und für den Frankfurter Rundfunksender schrieb er Buchbesprechungen und Hörspiele, alles übrigens ohne die geringste Konzession an den braunen Zeitgeist.
1937 folgte er einer Einladung des Baden-Badener Theaters, die Ausstattung für „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ (Grabbe) zu entwerfen, und daraus wurde eine feste Verpflichtung. Eine Reihe bedeutender moderner Bühnenbilder – u. a. „Sturm“, „Richter von Zalamea“, „Sommernachtstraum“ – entstanden; in Strindbergs „Königin Christine“ führte er außerdem Regie.
Eine „unvorsichtige Bemerkung“ (Starke) führte zur überstürzten Rückkehr nach Berlin. Er betätigte sich zunächst als „künstlerischer Beirat“ eines Verlags, danach als Kartograph – Zeichner von Geschichtskarten – in einem Institut für Grenz- und Auslandsstudien. Als die Luftangriffe auf Berlin immer unerträglicher wurden, wurde das Institut nach Dobbrikow (Mark Brandenburg) verlegt. Am 21.4.1945 drangen die sowjetischen Panzerspitzen in das Dörfchen ein, und die Gegend wurde zum Schlachtfeld. Furchtbare Szenen spielten sich ab, Brandschatzungen, Vergewaltigungen, Plünderungen. In einer bedrohlichen Situation rettete Starke das Vorweisen einer russischen Besprechung seiner Tolstoi- und Dostojewski-Illustrationen das Leben.
Als sich die Verhältnisse halbwegs normalisierten, entdeckte Starke zufällig in Luckenwalde eine „Lithographische Anstalt“, in der man seinen Namen kannte. Er entwarf dort ein Legespiel für Kinder – „ein Riesengeschäft“ –, Tierbücher etc. Der Ertrag reichte für den Lebensunterhalt und sogar für einen Beitrag zum Wiederaufbau einer halbzerstörten Berliner Wohnung. Aber erst 1950 gelang die Rückkehr. In Berlin entstanden im Lauf der folgenden Jahre viele Buchillustrationen und Vignetten, vor allem jedoch seine Selbstbiographie „Was mein Leben anlangt“. Natürlich trägt auch dieses Buch des so vielseitig begabten Künstlers wie alle Selbstbiographien romanhafte Züge und sind, wie beim großen Vorbild, Dichtung und Wahrheit zeitweise unentwirrbar verschränkt; aber insgesamt ist es ein ehrlicher Spiegel der inneren Auseinandersetzungen dieses durch und durch musischen Menschen mit den menschlichen, künstlerischen und gestalterischen Problemen seiner Zeit. Das bildnerische Bühnenwerk Starkes, sein graphisch-zeichnerisches und schriftstellerisches Œuvre, seine gescheiten Einsichten, sein kostbarer Humor und seine packenden Zeitbilder aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts verdienen, nicht in Vergessenheit zu geraten.
Quellen: Mitteilungen der Stadtarchive Freiburg i. Br., Baden-Baden, Mannheim, Frankfurt/M., des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt, des Deutschen Rundfunkarchivs Frankfurt/M., des Schiller-Nationalmuseums – Deutsches Literaturarchiv, Handschriften-Abteilung, Marbach am Neckar
Werke: Mappen: Schippeliana (Graphiken zu „Bürger Schippel“ von Carl Sternheim), 1917; Strindberg, Die Brandstätte, 1917; Mädchen an den Flußufern, 1918; Voltaire, Candide, 1921; Das Europäische Ballett, 1922; Bordell, 1927; Kataloge: Die schöne Bücherei, 1917; Die neue Gesellschaft, 1917; Hörspiele: Fahrender Leute Christnacht, 1936; Das Spiel von der Zeit, 1936; Komödien: Die Nachbarn, 1938; Der Doppelgänger, 1942; So ein Lümmel, 1942; Bücher: Sizilianisches Tagebuch, 1923; Eisvogel, 1939; Vorsicht! Baustelle, 1951; Was mein Leben anlangt (Selbstbiographie), 1956. Buchillustrationen zu: Carl Sternheim, Die drei Erzählungen, 1916; ders., Mädchen, 1916; Flaubert, November, 1916; Stendhal, Armance, 1920; ders., Rot und Schwarz, 1952; Goethe, Die Leiden des jungen Werther, 1922; Strindberg, Königin Christine, 1923; Dostojewski, Der Spieler, 1923; Tolstoi, Hadschis Murad, 1924; ders., Va banque, 1926; Norbert Jacques, Die Limmburger Flöte, 1927; Le Fèvre, „Je suis un gueux“, 1929; Grillparzer, Das Kloster von Sendomir, 1930; Marco Alemán, Guzmán de Alforade, 1930; Rust, Der Teufel an der Wand, 1931; Werner Finck, Neue Herzlichkeit, 1931; Raabe, Die Akten des Vogelsangs, 1931; Stehr, Meister Cajetan, 1931; Clara Hofer, Bruder Martinus, 1932; Edlef Köppen, Vier Mauern und ein Dach, 1934; Georg Brates, Du und die Philosophie, 1952. Ungedruckt (aus dem Nachlaß im Schiller-Nationalmuseum, Marbach/Neckar). 1. Dramen: Arche Noah; Arsinoe; Campaspe; Don Juans Wiederkehr; Schinghis Khan; Die dumme Frau; Durcheinander; Die Erfindung; Der ewige Kongreß; Fauler Zauber; Der Gelehrte; Gestatten – Don Juan; Journaille; Komödie vom reichen Mann; Krösus; Lazarill; Die letzte Insel; Der Mann mit dem Bart; Miss Syrup; Mummenschanz; Napolium; Der Schurke; Die sieben Todsünden; Das skandalöse Kunstwerk; Ulrich Mensch, Schankwirt; Die Welt, 1927-1941; Volpone (Opernszenarium). 2. Gedichtsammlung: Gedichte (89 Blatt). 3. Buchmanuskripte: Asiatische Novellen; Bildnis eines fetten Herrn; Diese jungen Jahre; Das Loch in der Schöpfung
Nachweis: Bildnachweise: in: Ernst Leopold Stahl, Das Mannheimer Nationaltheater (Literatur)

Literatur: Carl Nießen, Das Bühnenbild, 1924; ders., Handbuch der Theaterwissenschaft, 3. Aufl. 1958; Moderne Theaterkunst, Geleitworte, 13. Ausstellung des Freien Bundes, Kunsthalle Mannheim, Januar/Februar 1913; Willy F. Storck, Die neue Bühnenbildkunst, Zur Ausstellung moderner Theaterkunst in Mannheim, 1913; Ernst Leopold Stahl, Das Mannheimer Nationaltheater, 1929; Hermann Kaiser, Modernes Theater in Darmstadt 1910-1933, 1955; Mannheim in Plakaten 1900-1933, 1979; Alfred Richard Mohr, Zauberwelt, Bühnenbildentwürfe der Frankfurter Oper aus zwei Jahrhunderten, 1986; vgl. auch die Literatur-Angaben zu Daniel, Heinz; Reiner Haehling von Lanzenauer, Düstere Nacht, hellichter Tag – Erinnerungen an das 20. Jahrhundert, Karlsruhe 1996, 17 f.
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