Ziegler, Karl Waldemar 

Geburtsdatum/-ort: 26.11.1898; Helsa, Landkreis Kassel
Sterbedatum/-ort: 11.08.1973; Mülheim an der Ruhr
Beruf/Funktion:
  • Chemiker, Nobelpreisträger
Kurzbiografie: 1915 Abschluss des Realgymnasiums in Marburg
1915-1916 Dienst bei der Deutschen Südarmee als Freiwilliger in der Krankenpflege
1916-1920 Studium an der Universität Marburg, unterbrochen 1918 von Jun. bis Sep. durch Kriegsdienst bei Jägerformationen
1920 28. Jul. Dr. phil. der Universität Marburg: „Untersuchungen über Semibenzole und verwandte Verbindungen“
1919 Mai-1925 Mär. Assistent im Chemischen Institut
1923 18. Dez. Habilitation: „Zur Kenntnis „dreiwertigen“ Kohlenstoffs: Über Tetra-arylallyl Radikale und ihre Abkömmlinge“; Probevorlesung: „Über die Anwendung Wernerscher Ideen auf die Organische Chemie“
1925-1926 Stellvertretender Abteilungs-Vorsteher am Chemischen Institut der Universität Frankfurt
1926-1928 Privatdozent, ab 24. Mär. Assistent am Chemischen Institut der Universität Heidelberg; Antrittsvorlesung: „Über natürliche und künstliche Synthesen organischer Materie“, ab 12.1.1928 außerordentlicher Professor
1936 Feb.-Mär. Gast-Professor an der Universität Chicago, USA
1936 Okt.-1943 Sep. Professor an der Universität Halle, ab 1.3.1938 ordentlicher Professor und Direktor des Chemischen Instituts
1943 Okt.-1969 Jul. Direktor des (Kaiser-Wilhelm-) Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr
1946 Sep.-1951 Dez. Erster Vorsitzender der neugegründeten Gesellschaft Deutscher Chemiker (bis 1949: Gesellschaft Deutscher Chemiker in der britischen Zone)
1954-1957 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mineralölwissenschaft und Kohlechemie
1963 Nobelpreis für Chemie (zusammen mit G. Natta)
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1922 (Marburg) Maria Mathilde, geb. Kurz (1899-1980)
Eltern: Vater: Karl August (1858-1933), Dr. theol., evangelischer Pfarrer
Mutter: Luise Helene Caroline, geb. Rall (1862-1934)
Geschwister: 3:
Wilhelmine Charlotte Hedwig (1890-1951)
Luise Klara Auguste (1892-1947)
Carl Otto Heinrich (1894-1927)
Kinder: 2:
Marianne, verheiratete Witte (geb. 1925)
Erhart (geb. 1927)
GND-ID: GND/119179105

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 419-421

Ziegler wurde als jüngster Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren. Die ersten Schuljahre verbrachte er in Kassel, 1910 übersiedelte die Familie nach Marburg, wo Ziegler die für seine Entwicklung entscheidenden 15 Jahre lebte. Der lernbegierige und talentierte Junge begann bereits als 11-jähriger sich selbständig mit der Chemie zu beschäftigen. In Marburg richtete er ein kleines Labor zu Hause ein. Im März 1915 erhielt der 16-jährige von einer Stiftung den ersten Preis seines Lebens: eine Woche zum Besuch des Deutschen Museums in München, was zum großen Erlebnis für ihn wurde. Als Ziegler sein Studium an der Universität begann, konnte er seinen akademischen Lehrern, K. von Auwers und W. Strecker, „beweisen“, so er selbst, dass er „den Stoff der ersten zwei Semester bereits beherrschte“. Er studierte Chemie mit Physik und Mineralogie als Nebenfächern und konnte nach nur zwei Jahren die beiden Verbandsexamina bestehen. Danach unterbrach er sein Studium im Juni 1918, um als Jäger in den Heeresdienst einzutreten. Von Anfang August bis zum Kriegsende war Ziegler bei verschiedenen Jägerformationen im Felde und machte die letzten Kämpfe mit. Diese Erfahrungen bestimmten dann seine Antikriegseinstellung.
Nach Marburg zurückgekehrt, arbeitete Ziegler an seiner Doktorarbeit. Schon vor der Promotion bekam er eine Assistentenstelle in der organischen Abteilung des Chemischen Instituts und musste gleich nach der Promotion gemäß dem Verlangen von Auwers mit selbständigen Arbeiten beginnen. Er wählte ein bis heute modernes Thema, über sogenannte freie Radikale, und habilitierte sich mit einem wichtigen Beitrag zu diesem Gebiet, wobei er mit physikalisch-chemischen Forschungen über freie Radikale einen neuen Bereich eröffnete und während der nächsten 27 Jahre erfolgreich weiter bearbeitete. Es ist für Ziegler charakteristisch, dass er nach der Habilitation gleichzeitig mit Vorlesungen insbesondere über „Stereochemie“ und über „Moderne Valenzprobleme der organischen Chemie“ begann und als Assistent der anorganischen Abteilung tätig wurde, zur Vervollständigung seiner Ausbildung, wie er schrieb.
Zwei Semester war Ziegler nach Frankfurt beurlaubt, wo er den fehlenden Abteilungs-Vorstand am chemischen Institut vertrat. K. Freudenberg, der begabte Mitarbeiter suchte, gewann ihn aber für Heidelberg: „Nach einem Jahr,“ berichtete Freudenberg im März 1930, „hatte Ziegler die [organische] Abteilung fest in der Hand.“ In Heidelberg begann Ziegler seine grundlegenden Untersuchungen über alkalimetallorganische Verbindungen, damals noch curiosa der organischen Chemie: selbstentzündlich und mit Wasser heftig explodierend. Sein Interesse an diesen Stoffen war dank einer Nebenbeobachtung bereits in Marburg geweckt. Jetzt erforschte Ziegler sie vor allem unter dem Aspekt der Polymerisation von Butadien zum Kautschuk mit Alkalimetallen als Katalysatoren. Butadien bekam er von der damaligen IG Farbenindustrie, Werk Ludwigshafen (BASF). Freudenberg berichtete 1930 über das besondere Talent Zieglers, stets Hilfsquellen für seine Arbeit zu finden: die Unterstützung der Notgemeinschaft und der Industrie und zu „wirtschaften, ohne den Institutsetat zu belasten“.
Ziegler zeigte, dass es sich bei der Polymerisation um eine metallorganische Synthese handelt: Die Zwischenstufen sind metallorganische Verbindungen, die in der Lage sind, weitere Butadienmoleküle anzulagern. Erfahrungen bei diesen Studien ermöglichten Ziegler, eine neue Arbeitsrichtung zu erschließen, die Synthese vielgliedriger Ringsysteme. Eines der wichtigsten Ergebnisse der Heidelberger Periode war die Entdeckung eines universellen Verfahrens zur Herstellung lithiumorganischer Verbindungen. Später entwickelte sich diese Entdeckung zu einem riesigen Forschungsgebiet.
Die Jahre 1933 bis 1936 in Heidelberg brachten Ziegler manchen Kummer: „Beide Eheleute sind ausgesprochene Gegner der Nationalsozialistischen Bewegung“, wurde im Februar 1934 aus der NS-Ortsgruppe dem Kultusministerium berichtet. In einer anderen Denunziation hieß es: „In demonstrativer Weise verkehrt er öffentlich fast nur mit einer jüdischen Familie und bei Gelegenheit der Volksfeste bekundet er keinerlei Teilnahme. Es war z. B. am Geburtstage des Führers an seiner Wohnung kein Zeichen, keine Fahne, nichts dergleichen.“ Deswegen konnte Ziegler keinen Ruf bekommen, obwohl ihn die Dozenten von Karlsruhe und Frankfurt wünschten. Erst 1936, teilweise dank einer sehr klug aufgebauten Unterstützung Freudenbergs, bekam Ziegler zunächst vertretungsweise den Lehrstuhl in Halle, wodurch „frischer Wind“ in dieses Institut kam: „Ein großes Glück war, daß Ziegler kein Nazi war. So konnten wir in dem Institut politisch frei leben. [Ziegler hat] im Krieg viele junge Menschen vor der Front bewahrt“ (M. Becke-Goehring). Die Jahre in Halle betrachtete Ziegler selbst später als Zwischenspiel. Von seinen damaligen Forschungen erlangte insbesondere die „Zieglersche Bromierung“ Bedeutung, eine hochselektive Reaktion der organischen Synthese.
1943 erhielt Ziegler den Ruf als Nachfolger Franz Fischers nach Mülheim an der Ruhr, um das Institut für Kohlenforschung zu leiten. Er schwankte, weil er seine Schüler in Halle weiter führen wollte, pendelte bis 1945 zwischen Mülheim und Halle und nahm den Ruf auch unter der Bedingung an, dass er volle Freiheit erhalten müsse, sich im gesamten Bereich der Chemie der Kohlenstoffverbindungen zu betätigen. Später konnte Ziegler die Erfolge dieser Freiheit nachweisen. Unter seiner Leitung wurde das Institut – seit Juli 1949 „Max-Planck-Institut für Kohlenforschung“ – umgebaut und erweitert; u. a. wurden einige physikalische Laboratorien sowie die Hochdruck-Versuchsanlage erstellt und die neue Abteilung für Strahlenchemie errichtet. Aufgrund fundamentaler Forschungen waren in Mülheim mehrere neue technische Verfahren gefunden worden, insbesondere zur Herstellung von Bleitetraäthyl, zur Herstellung höherer primärer Fettalkohole aus Olefinen, zum Auftragen elektrolytischer Schutzüberzüge aus reinstem Aluminium auf andere Metalle, zur elektrolytischen und zur rein chemischen Aluminiumraffination. Zum Höhepunkt dieser Forschungen wurde die Entdeckung der gemischten metallorganischen Katalysatoren aus Aluminium- und Titanverbindungen, die Polymerisation von Äthylen unter normalen Druck ermöglichten. 1953 patentierte Ziegler diese Erfindung. Nach 10 Jahren stürmischer Entwicklung des Verfahrens, Ziegler verglich sie mit einer „Explosion“, wurde an Ziegler zusammen mit G. Natta der Nobelpreis „für ihre Entdeckungen in der Chemie und in der Technologie der hochpolymerisierten Stoffe“ verliehen.
Die Lizenzierung der Verfahren auf Basis der „Ziegler-Katalysatoren“ machte sein Institut finanziell unabhängig und hat ihm die Gründung des „Ziegler-Fonds“ ermöglicht, mit dessen Hilfe das Institut zu einer der besteingerichteten Forschungsanstalten der Welt wurde; es machte das Bonmot die Runde, Ziegler sei „der letzte Al-Chimist“, der über Aluminium forscht und daraus Gold macht.
Ziegler hat nach dem Krieg auch viel dazu beigetragen, der Chemie in Deutschland wieder den Anschluss an die internationale Wissenschaft zu verschaffen. Er gab die dreibändige „Präparative organische Chemie“ heraus, einen Bericht über Chemie in Deutschland während 1939 bis 1946, stand von Anfang an an der Spitze der neugegründeten „Gesellschaft Deutscher Chemiker“ und schuf internationale Kontakte für die Naturwissenschaft Deutschlands. Er trat auch aktiv für die Freiheit der Wissenschaft ein: „Die Forschung lebt und bestimmt ihren eigenen Weg“ und seine wichtigsten Erfindungen, so behauptete er, „können ... als ein Musterbeispiel für die Notwendigkeit und den Wert der voraussetzungslosen reinen wissenschaftlichen Forschung angesehen werden.“
Die Klarheit des Denkens, die sich auch im Stil seiner Schriften widerspiegelt, kennzeichnet Zieglers Leben, in dessen Verlauf ihm viele Ehrungen zuteil wurden, vom Orden „Pour le mérite“ für Wissenschaft und Kunst bis zur Ernennung zum Ehrenhäuptling der Ponca-Indianer. Seiner vielseitigen Natur entsprechend war Ziegler ein begeisterter Liebhaberastronom, ein guter Alpinist, reiste gern in alle Welt, liebte Musik und sammelte zusammen mit seiner Frau Bilder des 20. Jahrhunderts, die sie der Stadt Mülheim vererbt hat.
Quellen: LkA Kassel Personalakten Landeskirchenamt Nr. 1332 u. 1333; UA Marburg Phil. Fak. acc. 933/7-423 u. Auskunft; UA Heidelberg Personalakte 6473, Rep 14-80, 14-320, 14-574, 14-803, 14-883; GLA Karlsruhe 235/2681; Auskünfte des StadtA Mülheim a. d. Ruhr, Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung, StadtA Marburg, StadtA Heidelberg, UA Halle, von Dr. Marianne Witte, geb. Ziegler, u. Dr. Erhart Ziegler.
Werke: (mit F. Thielmann), Über Alkalimetall als Reagens auf abgeschwächte Valenzen in organ. Verbindungen, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 56, 1923, 1740-1745; (mit K. Bähr), Über den vermutlichen Mechanismus d. Polymerisationen durch Alkalimetalle, ebd. 61, 1928, 253-263; Probleme u. Ergebnisse d. neueren Erforschungen d. freien Radikale, in: Angew. Chemie 43, 1930, 915-919; (mit H. Colonius), Untersuchungen über alkali-organische Verbindungen, V. Eine bequeme Synthese einfacher Lithiumalkyle, in: Liebigs Ann. d. Chemie 479, 1930, 135-149; Die Bedeutung d. alkalimetall-organ. Verbindungen für die Synthese, in: Angew. Chemie 49, 1936, 455-460, 499-502; (mit Mitarbeitern), Die Halogenierung ungesättigter Substanzen in Allylstellung, in: Liebigs Ann. d. Chemie 551, 1942, 80-119; Aluminium-organ. Synthese im Bereich olefinischer Kohlenwasserstoffe, in: Angew. Chemie 64, 1952, 323-329; (mit Mitarbeitern), Metallorgan. Verbindungen, XIX: Reaktionen d. Aluminium-Wasserstoff-Bindung mit Olefinen, in: Liebigs Ann. d. Chemie Bd. 589, 1954, 91-121; Die Unteilbarkeit d. Forschung – erläutert an Arbeiten des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung, in: Glückauf 91, 1955, 1266-1272; (mit E. Holzkamp, H. Breil u. H. Martin), Das Mülheimer Normaldruck-Poyäthylen-Verfahren, in: Angew. Chemie 67, 1955, 541-547; Folgen u. Werdegang einer Erfindung (Nobelvortrag vom 12.12.1963), ebd. 76, 1964, 545-553; A Forty Years' Stroll through the Realms of Organometallic Chemistry, in: Advances in Organometallic Chemistry 6, 1968, 1-17.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg; StadtA Mülheim; M. Rasch, 1998, Hafner, 1999 (vgl. Quellen u. Lit.).

Literatur: Les Prix Nobel en 1963, 30-32, 100 f. (mit Bild), 117; G. Wilke, K. Ziegler 70 Jahre, in: Chemie in unserer Zeit 2, 1968, 194-200 (mit Bild); G. Hesse, K. Ziegler †, in: Jb. d. Bayer. Akad. d. Wiss. 1974, 202-205 (mit Bild); G. Wilke, Nachruf auf K. Ziegler, in: Ann. d. Chem. 1975, 804-833 (mit Schriftenverz. u. Bild); C. E. H. Bawn, K. Ziegler, Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society 21, 1975, 569-584 (mit Bild); J. J. Eisch, K. Ziegler: Master Advocate for Unity of Pure and Applied Research, in: Journal of Chemical Education 60, 1983, 1009-1014 (mit Bild); M. Rasch, K. Zieglers Berufung 1943 zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kohlenfoschung, in: Zs. des Geschichtsvereins Mülheim an d. Ruhr H. 70, 1998, 155-206 (mit Bild); Hafner, Hommage an K. Ziegler, in: Nachrr. aus Chemie, Technik u. Laboratorium 47, 1999, 24-29 (mit Bild).
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