Diesbach, Alfred Jakob 

Geburtsdatum/-ort: 11.04.1899;  Heidelberg
Sterbedatum/-ort: 27.10.1983;  Konstanz
Beruf/Funktion:
  • SPD-Politiker, Oberbürgermeister
Kurzbiografie: 1917–1919 Teilnahme am I. Weltkrieg
1919–1925 Eintritt in den bad. Schuldienst, Tätigkeit an d. Oberrealschule Konstanz
1925–1944 Lehramtstätigkeit in Mannheim, gleichzeitig Fortbildung an d. Handelshochschule Mannheim u.a. in den Fächern Philosophie, Psychologie u. Pädagogik
1944–1945 Einberufung zum Kriegsdienst, u.a. in d. Eifel, in Franken, im Donauried u. in Königsberg
1945 Rückkehr aus dem kriegszerstörten Mannheim nach Konstanz
1948 als Stadtrat Vorsitzender d. SPD-Fraktion
1950 Mitglied des Kultusausschusses des dt. Städtetags
1950–1964 1. Beigeordneter bzw. Bürgermeister d. Stadt Konstanz
1952 Kandidatur für den Landtag von Baden-Württemberg
1953 Bundestagskandidatur
1954 Mitglied d. Dt. Bundesversammlung
1957–1959 Geschäftsführender Oberbürgermeister d. Stadt Konstanz
1964 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., später freireligiös
Verheiratet: 1924 (Konstanz) Margarete (Gretel) Regina, geb. Schleier (1901–1976)
Eltern: Vater: Jakob (1872–1957), Lokomotivführer
Mutter: Franziska, geb. Kettenmann (1876–1956)
Geschwister: Berta Luise (geboren 1901)
Kinder: Alfred Hubert (geboren 1924, im Krieg vermisst, 1977 rückwirkend für 1945 als tot erklärt)
GND-ID: GND/101237680X

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 63-65

Nach eigenem Bekunden prägte den Lokomotivführersohn das romantische Heidelberg der Jahrhundertwende, das in so starkem Kontrast zu Mannheim stand, wohin die Familie 1907 umgezogen war: „Dort eine letzte Idylle und hier die nüchtern harte und ganz und gar von der Gegensätzlichkeit der Zeit gezeichnete Erscheinungswelt“ (Südkurier, 9.10.1957). In Mannheim besuchte Diesbach die Oberrealschule, die er mit der Mittleren Reife abschloss, um anschließend das Lehrerseminar I in Karlsruhe zu besuchen. Während des letzten Kriegsjahres wurde er eingezogen. Nach dem Ende seines Dienstes 1919 ließ er sich in Konstanz nieder, der Heimatstadt seiner späteren Frau. Hier hat sich Diesbach sozialdemokratischen Vereinen angeschlossen, wurde aktiv bei der Arbeiterjugend und bei den Naturfreunden. Zudem engagierte er sich in dem damals von Karl Großhans geführten „Konstanzer Volksblatt“. 1925 ist er in die SPD eingetreten. Im gleichen Jahr zog er wieder nach Mannheim um, wo er dann als Lehrer tätig war. Auch in Mannheim war Diesbach in der SPD, der Arbeiterjugend, der freireligiösen Gemeinde und schließlich der Friedensbewegung engagiert, u.a. als Redner bei der Einweihung des Anti-Kriegsdenkmals in Lambrecht (Pfalz). Sein Eintreten als Redner gegen den heraufziehenden Totalitarismus in SPD-Veranstaltungen, besonders aber seine Tätigkeit in der freireligiösen Gemeinde in Mannheim hatten zur Folge, dass Diesbach seit 1933 automatisch von der Gestapo überwacht und von der NSDAP schikaniert wurde. Sein Lehrbuch „Baden“ wurde aus den Schulbibliotheken entfernt. Aktiven Widerstand hat er nicht geleistet, hielt aber Kontakt zu anderen SPD-Anhängern; u.a. sprach er wiederholt auf Beisetzungen ehemaliger Parteifreunde und würdigte deren Leistungen als Partei- und Gewerkschaftsmitglieder. Während des II. Weltkrieges wurde Diesbach 1943 nach Gebweiler im Elsass versetzt und im Jahr darauf zum Kriegsdienst einberufen. Unmittelbar nach Kriegsende kehrte er aus dem zerbombten Mannheim an den Bodensee zurück, wo er sich ab 1948 politisch engagierte und als Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion Konstanz schon bald zur Spitze seiner Partei gehörte.
Nach dem Tod von Fritz Arnold (1883–1950) wurde er 1950 an dessen Stelle zum Ersten Beigeordneten gewählt und übernahm von diesem auch die Leitung des Vermessungsamtes sowie des Hoch- und Tiefbauamtes. Damit verbunden war die besondere Herausforderung im Konstanz der Nachkriegszeit: Zwar war die Stadt unzerstört, so dass man sich auf den Erhalt und die Verbesserung der bestehenden Bausubstanz konzentrieren konnte, gleichwohl gestaltete sich die Wohnungssituation schwierig; viele waren, wie Diesbach selbst, aus zerstörten Städten zugezogen, man rechnete damals mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 900 bis 1100 Einwohnern. Erschwert wurde die Situation schließlich, als auch die französische Zone Flüchtlinge aus den Ostgebieten aufnehmen musste. Besonders problematisch war es, die Substanz der Altstadt zu erhalten, nicht zuletzt, um als Fremdenverkehrsstadt attraktiv zu bleiben. Gleichzeitig benötigte Konstanz dringend Industrieansiedlungen.
Diesbachs ausdrückliches Ziel war es, die Altstadt zu erhalten. Er beklagte, dass es Konstanz im 19. Jahrhundert nicht gelungen sei, das Bild seines Ursprungs zu bewahren und dass man an allzu vielen Stellen der Stadt das Ruhige, Gemessene durch pures Protzentum ersetzt habe, wodurch Dissonanzen im Stadtbild entstanden seien.
Seine baupolitischen Vorstellungen hat Diesbach 1955 in einem Aufsatz im Konstanzer Almanach formuliert: „Sonne, Licht und Grün [sind] die Devisen eines modernen Bauens“ (ebd., 22), sowohl im Wohnungs- wie im Schulhausbau, in dem ein Bruch mit der Bautradition vorangegangener Jahrzehnte vollzogen werden sollte. Es könne nicht mehr gelten, alle Kinder eines Ortsteils in einem möglichst großen Schulhausneubau zu sammeln. Kleine Schulen sollten in den Wohnquartieren entstehen, so könne den Kindern in der Nähe des Elternhauses in Frieden und Geborgenheit bessere Erziehung und Bildung vermittelt werden und angesichts wachsenden Verkehrs sei ein kurzer, gefahrloser Schulweg garantiert. Auch privatwirtschaftliche Unternehmungen wollte Diesbach dazu anregen, bei Neubauten neben betriebstechnischen Erwägungen „die Neuwertung des arbeitenden Menschen, die echte Sorge um Hygiene und um eine innere Verbundenheit mit der Arbeit“ (ebd., 25) einfließen zu lassen.
So erklärt sich, dass in der Amtszeit Diesbachs eine ganze Reihe sozialer Projekte verwirklicht wurde, sowohl im Wohnungsbau als auch bei der Anlage öffentlicher Spielplätze und Bäder. Diesbachs Initiativen im Schulhausneubau spiegeln sein Projekt der Gründung von kleinen, dezentralen Schulen zumindest in Teilen wider. Auch das Straßennetz der Kreisstadt wurde ausgebaut. Die Rheinbrücke erhielt vier Spuren, Sternenplatz und Mainaustraße wurden erweitert. Der Durchgangsverkehr zwischen der Schweizer Grenze und dem ebenfalls in den 1950er-Jahren ausgebauten Fährhafen konnte besser fließen. Große Beachtung schenkte Diesbach der Trinkwasserversorgung. Zuvor hatte die Stadt Konstanz ihr Trinkwasser einfach dem Bodensee entnommen und Abwässer ungeklärt in den See zurückgeführt. Bei der Erneuerung von Kanalbauten und dem Bau einer Kläranlage finanzierte das Land 30, nicht, wie ursprünglich vorgesehen, nur 20 Prozent, was dem Bürgermeister sicher entgegenkam. Über Konstanz hinaus wirkte Diesbach als zweiter Vorsitzender des Kreistages und Kreisrates und als Mitglied des Kultusausschusses des deutschen Städtetags.
Trotz seiner erfolgreichen kommunalpolitischen Tätigkeit scheiterte Diesbach 1952 und 1953 als Kandidat bei den Land- und Bundestagswahlen. Lediglich 1954 wurde er in die Bundesversammlung berufen. Diesbach scheiterte auch bei den Oberbürgermeisterwahlen von 1957, stand dann aber als geschäftsführender Oberbürgermeister für zwei Jahre an der Spitze der Stadt. Bei den Wahlen 1957 hatte Bruno Helmle (1911–1996) im ersten wie im zweiten Wahlgang eine Mehrheit erzielt, seine Wahl wurde jedoch von innerparteilichen Gegnern in der Konstanzer CDU vor dem Gemeinderat, dem Regierungspräsidium, dem Verwaltungsgericht Freiburg und schließlich dem Verwaltungsgerichtshof des Landes angefochten. Bis zur endgültigen Klärung bzw. der Neuwahl 1959 fungierte Diesbach mit großer Bescheidenheit als Stadtoberhaupt. Nach Auskunft eines Konstanzer Gemeinderates habe er im Bestreben um besondere formale Korrektheit es sogar vermieden, sich auf den Stuhl des Oberbürgermeisters im Gemeinderatssaal zu setzen.
Bei den Neuwahlen 1959 trat Diesbach nicht mehr an, wurde jedoch in seinem Amt als erster Bürgermeister bestätigt. Er legte es fünf Jahre später nach Erreichen der Pensionierungsgrenze nieder. Seine Liebe zur zweiten Heimat Konstanz freilich hielt an und schlug sich in einer ganzen Reihe von geschichtlichen Darstellungen nieder. Die Landesbibliographie weist insgesamt 70 Titel auf, die Diesbach bis 1981 veröffentlichte. Im Zentrum seiner historischen Forschungen stand neben der Stadtgeschichte die der gesamten Bodenseeregion vom Vormärz bis zur Revolution von 1848/49. Diesbach behandelt deren Protagonisten wie auch die wirtschaftliche und soziale Lage dieses Zeitabschnittes. Schon früher war er u.a. zusammen mit dem Bruder des badischen Staatspräsidenten, Joseph Ludolf Wohleb, als Autor von Schulbüchern hervorgetreten. Mit Stolz hat Diesbach auch in seiner Wahlwerbung immer wieder betont, dass er sich eine sehr breite Bildung angeeignet habe, nicht nur auf dem Gebiet der Pädagogik, sondern auch als Journalist, in der Literatur, Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften. Veröffentlichungen Diesbachs zur Siedlungsforschung, sprachkundliche Abhandlungen und belletristische Aufsätze lassen sich hierfür anführen, die z.T. auch der Rundfunk im benachbarten Ausland übernommen hatte.
Quellen: Nachlass im StadtA Konstanz; StAF L 50/1, 1407/1, 1407/2; D 180/2 20088.
Werke: (Auswahl) (mit K. Baas) Bad. Realienbuch enth. Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Physik, Chemie u. Mineralogie, 1920; Baden, 1938; (mit J. L. Wohleb) Dt. Sprachbuch für Volksschulen. Teil 3. Oberstufe 6., 7. u. 8. Schuljahr. 1951; Die Bauplanung d. Stadt Konstanz in: Konstanzer Almanach 1, 1955, 19-26; Die ersten Beziehungen d. Stadt Konstanz zum Dorf Wollmatingen, in: Hegau 18, 1964, 255-266; Das Konstanzer Wochenblatt 1832–1833, in: Hegau 20, 1965, 243-275; 1847: Ein Jahr wirtschaftlicher Zusammenbrüche, ebd. 21/22, 1966, 113-126; Die Halbinsel Höri u. die Insel Reichenau 1848/49, ebd. 23/24, 1967, 53-63; Konstanz u. das Hambacher Fest, ebd. 25, 1968, 253-255; Der Kampf d. Stadt Konstanz um eine zweite Rheinbrücke, in: Konstanzer Almanach 15, 1969, 11-20; Zweite Rheinquerung in d. Stadt Konstanz: 1965–1969. Dokumentation zur Verkehrsplanung, 1969; Der Bodanrück zu Beginn d. badischen Volkserhebungen. Verfolgtenschicksale aus dem Hegau u. aus dem Linzgau, in: Hegau 26, 1969, 145-166; Die deutschkath. Gemeinde Konstanz 1845–49, 1971; Konstanz im Revolutionsjahr 1848, in: Konstanzer Bll. für Hochschulfragen 40, 1973, 93-109; Josef Ficklers Rolle in der dritten bad. Volkserhebung, 1974.
Nachweis: Bildnachweise: Südkurier vom 9.10.1957.

Literatur: Südkurier vom 17.2.1956 u. 9.10.1957; Konstanzer Almanach, 1957; Konstanzer Bll. für Hochschulfragen 1973, 3; Günther Behrens, Bürgermeister Diesbach 75 Jahre alt, in: Die Kulturgemeinde 1974, 15, Heft 8, 15; Berthold Schlegel, Ein reich erfülltes Leben, in: Hegau 32/33, 1975/76, 244; Rathaus-Information 1983/11: Altbürgermeister Alfred Diesbach zum Gedenken, 84 (alle Artikel in: Personengeschichtl. Sammlung des StadtA Konstanz); Lothar Burchardt, Konstanz zwischen Kriegsende u. Universitätsgründung, 1996.
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