Freiherr von Waldberg, Max 

Geburtsdatum/-ort: 01.01.1858; Jassy (Rumänien)
Sterbedatum/-ort: 06.11.1938;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Germanist
Kurzbiografie: 1877–1884 Studium d. Germanistik, Geschichte u. Philosophie in Wien, Czernowitz, Berlin
1881 Promotion zum Dr. phil. in Czernowitz bei Josef Strobl: „Studien zu Lessings Stil in d. Hamburgischen Dramaturgie“
1884 Habilitation für neuere dt. Sprache u. Literatur in Czernowitz: „Die galante Lyrik“
1888 ao. Professor für dt. Sprache u. Literatur in Czernowitz
1889 ao. Professor in Heidelberg
1893 Lehrauftrag für dt. Literaturgeschichte
1908 o. Honorarprofessor in Heidelberg
1933 auf eigenen Antrag auf Lehrtätigkeit verzichtet
1935 Beurlaubung von d. Univ. Heidelberg, danach Entzug d. Lehrbefugnis aus rassischen Gründen
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr., später ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Ritterkreuz I. Klasse vom Orden des Zähringer Löwen (1910); Badisches Kreuz für freiwillige Kriegshilfe (1916); Preuß. Verdienstkreuz für Kriegshilfe (1918)
Verheiratet: 1897 (Salzburg) Viola (Violetta) Malwina Regina, geb. Platshek (1877–1942)
Eltern: Vater: Moses Freiherr von Waldberg (1833–1901), Bankier
Mutter: Anna, geb. Kahané (1831–1892)
Geschwister: 2 Brüder
GND-ID: GND/109834437

Biografie: Volker Sellin (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 507-509

Waldbergs Vorfahren stammten väterlicherseits aus Galizien, mütterlicherseits aus Ostrumänien. Der Vater wurde 1875 zum Ritter des Franz-Josephs-Ordens geschlagen und 1884 in den Freiherrnstand erhoben. Waldberg wurde wie seine beiden Brüder durch Hauslehrer unterrichtet. Halbjährlich nahm er an den Semesterprüfungen des Gymnasiums teil. 1877 machte er am deutschsprachigen Gymnasium in Czernowitz (Bukowina) das Abitur. Es folgte das Studium zuerst der Jurisprudenz, danach der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Wien, Czernowitz und Berlin. Nach der Promotion in Czernowitz 1881 unter Betreuung des Altgermanisten Josef Strobl setzte Waldberg sein Studium in Berlin bei Wilhelm Scherer fort. Am 29. Juni 1884 habilitierte sich Waldberg in Czernowitz mit einer Abhandlung über die galante Lyrik. Vier Jahre später wurde er dort zum außerordentlichen Professor ernannt. Die magere Ausstattung der Universität und die für einen Germanisten besonders missliche weite Entfernung vom deutschen Sprachraum bewogen Waldberg jedoch bereits im folgenden Jahr, sich um eine Umhabilitation an die Universität Heidelberg zu bemühen. Noch im Dezember 1889 wurde er dort ebenfalls zum außerordentlichen Professor ernannt. Einen 1892 an ihn ergangenen Ruf auf den Lehrstuhl für neuere deutsche Literaturgeschichte in Czernowitz schlug er aus. Während des I. Weltkriegs wirkte Waldberg ehrenamtlich für das Deutsche Rote Kreuz, seine Frau Violetta arbeitete als Krankenpflegerin in Heidelberger Lazaretten.
Seit 1907 beantragte die Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg beim badischen Ministerium des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe mehrfach vergeblich ein Ordinariat für Waldberg. Im Jahre 1920 wurde nicht er, sondern Friedrich Gundolf zum „persönlichen“ Extraordinarius berufen. Die beiden Kollegen hätten gegensätzlicher nicht sein können. Während der geniale Gundolf sich mit großem Erfolg auf seine Vorlesungen konzentrierte, hielt der bescheidene und gewissenhafte, zugleich außerordentlich kenntnisreiche, aber als trocken und positivistisch geltende Waldberg regelmäßig Seminare ab und betreute Doktoranden. Karl Wolfskehl charakterisierte ihn bei Gelegenheit als „Panbarockist und Omnignothe“ (Kühlmann, 359). Waldberg konzentrierte sich auf die Tatsachen und auf die Methoden, sein Vortrag war stockend, aber er nahm sich viel Zeit für die Teilnehmer seiner Seminare und für seine Doktoranden. Aus seiner Schule stammten so bedeutende Gelehrte wie Richard Alewyn, Karl Vossler, Hermann August Korff, Leonardo Olschki und Max Wieser. Zu seinen Doktoranden zählte auch der nachmalige NS-Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, der im Jahre 1922 mit einer Dissertation über den Dichter Wilhelm von Schütz in Heidelberg promoviert wurde.
Waldberg und seine Frau waren von Hause aus vermögend. Das erlaubte es ihm, sich bis zum Ende des Weltkriegs mit dem bescheidenen Gehalt eines Honorarprofessors zu begnügen. Die nachfolgende Inflation aber zehrte sein Vermögen auf. Waldberg war gezwungen, sein herrschaftliches Haus in der Mönchhofstraße mitsamt dem rund 5000 Quadratmeter großen parkähnlichen Garten dem badischen Staat gegen eine jährliche Leibrente von 7000 M. und die lebenslange Nutzung von Haus und Garten zu verkaufen. Gleichzeitig vermachte er seine wertvolle Bibliothek von Todes wegen an die Universitätsbibliothek Heidelberg. Die etwa 5000 Bände wurden 1939 dorthin verbracht und sind bis heute gesondert aufgestellt. Der Bestand, der die Arbeitsgebiete und Interessen Waldbergs widerspiegelt, ist reich an Erstausgaben der deutschen Literatur. Besonders stark vertreten sind die Romane des 17. und 18. Jahrhunderts aus verschiedenen europäischen Ländern. Im Übrigen findet sich darin die zu seiner Zeit maßgebende germanistische Literatur.
Am 12. April 1933 verzichtete Waldberg von sich aus auf die Lehrtätigkeit, um einer Entlassung aufgrund des „Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zuvorzukommen. Aufgrund des „Reichsbürgergesetzes“ von Nürnberg wurde er im September 1935 beurlaubt und zum 31. Dezember desselben Jahres in den Ruhestand versetzt. Die Lehrbefugnis wurde ihm entzogen. Diese Diskriminierungen trafen einen Mann, der vor 1933 ausgesprochen deutschnational gesinnt gewesen war.
Der 80-jährige Waldberg starb an den Folgen einer Krebsoperation. Seine Frau Violetta nahm sich am 10. April 1942 das Leben, um der drohenden Deportation nach Theresienstadt zu entgehen. Zuvor hatte sie den gesamten schriftlichen Nachlass ihres Mannes verbrannt. Die Vorarbeiten zu verschiedenen wissenschaftlichen Projekten hatte Waldberg noch selbst nach der NS-„Machtergreifung“ vernichtet.
Das wissenschaftliche Werk Waldbergs ist überwiegend der Epoche zwischen Renaissance und Barock gewidmet. Lyrik, Lied und Roman sind die hauptsächlichen Gattungen, mit denen er sich beschäftigt hat. Methodisch hat Waldberg sich eng an die positivistischen Grundsätze der Berliner Scherer-Schule angelehnt. Ein Kritiker bemängelte bereits an der Dissertation über Lessings Stil die „Sucht zu rubrizieren und zu titulieren“. In der Gliederung des Hauptteils der „Galanten Lyrik“ (1885), seiner zweiten selbständigen Schrift, folgte Waldberg konsequent der von Scherer vorgeschlagenen Unterscheidung von innerer und äußerer Form. Im Vorwort zur „Deutschen Renaissance-Lyrik“ (1888) bekennt Waldberg selbst die Abhängigkeit seiner Betrachtungsweise von Scherers Poetik. Der positivistische Zugriff wird dort schon in der Einleitung erkennbar, wo Waldberg hervorhebt, dass bei der Analyse der dichterischen Werke der „Bodensatz des Angelernten und Übernommenen“ identifiziert werden müsse, um die Quellen zu bestimmen, auf die sich der Dichter gestützt habe. Im Jahre 1906 veröffentlichte Waldberg den ersten Teil einer Untersuchung über den empfindsamen Roman in Frankreich. Das Werk umfasst die Epoche von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Erscheinen von Rousseaus „Nouvelle Héloïse“. Weitere Teile sind nicht erschienen. Die Untersuchung gilt als Waldbergs Hauptwerk und hat vor allem in der Romanistik lebhafte Resonanz erfahren. Seine an Wilhelm Scherer orientierte Methodik behielt Waldberg auch in seiner Untersuchung über die Entwicklungsgeschichte der „schönen Seele“ bei den spanischen Mystikern bei, dem ersten und einzigen erschienenen Band seiner ursprünglich auf mehrere Bände angelegten Studien und Quellen zur Geschichte des Romans (1910). Die Hinwendung zur spanischen Literaturgeschichte begründete der Germanist Waldberg mit der Erwägung, dass die Entwicklung der Literatur bei den verschiedenen europäischen Nationen in der Neuzeit zunehmend konvergiere.
Nach 1910 hat Waldberg fast nichts mehr veröffentlicht. Wie es scheint, konzentrierte er sich ganz auf eine Reihe von größeren Vorhaben. Dazu zählten eine Geschichte des deutschen Kirchenlieds und eine Geschichte des neueren deutschen Romans. Die dafür geleisteten Forschungsarbeiten kamen vor Hitlers Machtantritt nicht mehr zur Veröffentlichung und fielen daher zusammen mit allen anderen wissenschaftlichen Studien und Manuskripten der Vernichtung durch Waldberg zum Opfer.
Über Waldbergs Leben und Werk ist wenig geschrieben worden. Die ausführlichste Darstellung stammt von Gerhard Sauder. Ihr verdankt auch die vorliegende biographische Skizze das Wesentliche.
Quellen: UA Heidelberg PA 6219, Personalakten Waldberg; GLA Karlsruhe 235/2632.
Werke: G. Sauder, Bibliographie d. Schriften Max von Waldbergs, in: Euphorion 65, 1971, 404-408. – Auswahl: Studien zu Lessings Stil in d. Hamburgischen Dramaturgie, 1882; Die galante Lyrik, 1885; Die dt. Renaissancelyrik, 1888; Goethe u. das Volkslied, 1889; Der empfindsame Roman in Frankreich. I. Teil: Die Anfänge bis zum Beginn des XVIII. Jh.s, 1906; Studien u. Quellen zur Geschichte des Romans, Teil I: Zur Entwicklungsgeschichte d. „schönen Seele“ bei den spanischen Mystikern“, 1910.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg, Bildarchiv Pos. III 00062; Dia II 00108; UB Heidelberg, Graphische Sammlung, Fotos P_1874, P_1875.

Literatur: Grosse Jüdische National-Biographie 6, 1931, 198; Kürschner 4, 1931, Sp. 3153; G. Sauder, Positivismus u. Empfindsamkeit. Erinnerung an Max von Waldberg, in: Euphorion 65, 1971, 368-408; D. Bergstraesser, Die Bibliothek des Germanisten Max Freiherr von Waldberg (1858–1938) u. die Universitätsbibliothek Heidelberg. Zum Verhältnis von Gelehrtenbibliothek u. öffentlicher Bibliothek im Übergang vom 19. zum 20. Jh., in: Bibliothek u. Wissenschaft 13, 1979, 1-81; D. Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803–1932, 1986, 283; D. Mußgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten. Zur Geschichte d. Ruprecht- Karls-Universität nach 1933, 1988, 31-33; Internationales Germanistiklexikon 1800–1950, hg. von C. König, 2003, Bd. 3, 1977f.; W. Kühlmann, Germanistik u. Dt. Volkskunde, in: W. Eckart/V. Sellin/E. Wolgast (Hgg.), Die Univ. Heidelberg im Nationalsozialismus, 2006, 351-369, hier: 358-361.
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