May, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 06.05.1900;  Schwäbisch Gmünd
Sterbedatum/-ort: 15.07.1961;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Erfinder, Industrieller und Hochschullehrer
Kurzbiografie: 1905–1918 Volksschule u. Realgymnasium Schwäb. Gmünd bis Abitur
1918 Soldat bei einer Ersatzbatterie in Ulm
1919–1925 Studium des Maschinenbaus an den TH Stuttgart u. Charlottenburg
1925 Dr. ing. bei Prof. R. Baumann, TH Stuttgart: „Festigkeitstechn. Untersuchungen an Friktionsspindelpressen als Prägepressen“
1925–1928 Konstrukteur für Werkzeuge d. spanlosen Formung in New York u. Connecticut, USA
1928–1935 Geschäftsführer d. Metallwarenfabrik Gebr. Gabler, Schorndorf
1935–1945 Inhaber u. Leiter d. Colliswerke, Westhausen
1945–1951 Inhaber eines Konstruktionsbüros in Schwäb. Gmünd
1947 VII. 22 Spruchkammerverfahren Ellwangen: unbelastet
1951–1958 Geschäftsführer u. Mitinhaber d. M.-Pressenbau GmbH, Straßdorf bei Schwäb. Gmünd
1958–1961 o. Professor an d. TH Stuttgart
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: I. 1929 (Freiburg/Schweiz) Suzanne, geb. Kaiser (geboren 1902), Tochter des Dr. Wilhelm Kaiser aus Freiburg/Schweiz, gesch. 1945
II. 1955 (Schwäb. Gmünd) Gertrude, geb. Popper, (geboren 1910), Dr. phil., Studienrätin
Eltern: Vater: Friedrich Hermann Julius (1862–1936), Gold- u. Juwelengroßhändler in Schwäb. Gmünd
Mutter: Hedwig, geb. Gabler (1877–1939), Tochter des Paul Gabler, Fabrikant
Geschwister: 3; Paul (geboren 1901), Hugo (geboren 1903) u. Gertrud, verh. Peclard (geboren 1909)
Kinder: 2 aus I.;
Ann Franziska (Rufname Franka, geboren 1931),
Peter Michael (geboren 1934)
GND-ID: GND/1011447037

Biografie: Gerhard Taddey (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 264-266

May wurde als Sohn eines Großkaufmanns der Schmuckwarenbranche und einer Fabrikantentochter geboren. Nach dem Besuch des Realgymnasiums in seiner Heimatstadt, das er mit dem Abitur abschloss, diente er noch bis Kriegsende bei einer Ersatz-Batterie in Ulm und studierte dann, dem Wunsch seiner Familie und seinen eigenen Neigungen entsprechend, Maschinenbau, zunächst in Stuttgart, später an der TH Berlin-Charlottenburg. Im Mai und Juni 1921 kämpfte er mit einer Stuttgarter Studentenkompanie in Oberschlesien. 1925 schloss er das Studium als Dr. ing. in Stuttgart mit einer Arbeit über Friktionsspindelpressen, Maschinen zur span losen Verformung von Metall, ab. Danach verbrachte er einige Jahre in den USA und verschaffte sich dort als Konstrukteur von Werkzeugen für spanlose Verformung in verschiedenen Metallwarenfabriken in Elisabeth, New York und Waterbury in Connecticut praktische Erfahrung in seinem Spezialgebiet, insbesondere dem Ziehen von Blechen. Nach der Rückkehr übernahm er 1928 die Leitung der kleinen, in Familienbesitz befindlichen Metallwarenfabrik Gebr. Gabler in Schorndorf. Die 1807 von Johann Ferdinand Gabler gegründete Firma stellte vorwiegend Fingerhüte und andere kleine Metallgegenstände her. Durch Konstruktion neuer Maschinen und Vorrichtungen suchte May die Fingerhutherstellung zu automatisieren. Hier lernte der gebürtige Schorndorfer Rechtsanwalt und spätere württembergische Wirtschaftsminister Reinhold Maier den jungen Unternehmer und dessen Familie kennen. Daraus erwuchs eine lebenslange Freundschaft.
In den Krisenjahren 1928 bis1932 ging das Geschäft der Firma Gabler mehr und mehr zurück. Auf der Suche nach neuen Artikeln für die Produktion stellte May auch Versuche mit der Umformung dickerer Bleche an. Da in der heimischen Firma die Voraussetzungen dafür fehlten, fand er Gelegenheit zur Durchführung praktischer Versuche in Großpressenwerken. Er erfand durch die Umgestaltung der Ziehwerkzeuge, vor allem der Ziehringe, eine patentierte Möglichkeit, Ziehvorgänge deutlich zu verkürzen und zu optimieren. Sein Ziel war zunächst die Anfertigung von Zahnkronen mit einer dicken, widerstandsfähigen Kaufläche. Bei Versuchen in der auf die Herstellung von Großpressen spezialisierten Firma Schuler in Göppingen stellte sich aber heraus, dass sich die technischen und wirtschaftlichen Vorteile des neuen Ziehverfahrens erst bei größeren Produkten voll auswirkten; Fingerhüte und Zahnkronen waren keine geeigneten Objekte. Grundlegend war sein Patent für die sogenannte Traktrix-Kurve mit nachfolgenden Mehrfachziehringen zur kalten Verformung von Metall. Weil das Verfahren für die Herstellung von Munitionskartuschen fast jeden Kalibers geeignet erschien, bot das Heereswaffenamt dem Konstrukteur, der sein Patent vergeblich im In- und Ausland angeboten hatte, den Bau einer eigenen Fabrik nach seinen Vorstellungen an. Sie sollte mit Reichsmitteln errichtet und von May gepachtet werden. Den Betrieb sollte May auf eigene Kosten betreiben. Die streng geheim gehaltene, in den Hang hineingebaute Fabrik entstand in zwei keilförmig aufeinanderstoßenden Ausläufern der Alb bei Westhausen-Reichenbach, unweit der Kapfenburg. Der Firmenname Collis-Metallwerke ist vom lateinischen collis, also Hügel, abgeleitet und verweist auf die Lage. Bis zu 1800 Mitarbeiter waren dort beschäftigt, in der Spätphase des II. Weltkriegs auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Das durch Tarnnetze für die feindliche Luftaufklärung nicht auszumachende Werk überstand den Krieg völlig unbeschädigt; es war seit 1942 durch ein weiteres in Nördlingen ergänzt. Durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen in die Schweiz und aufgrund seiner zunehmend wichtiger werdenden Produktion gelang May damals im Bund mit anderen Helfern die Rettung der als Jüdin verfolgten Frau Reinhold Maiers und der beiden Kinder durch die Flucht nach England. Auch den von der Gestapo gesuchten Anwalt brachte May in seinem Betrieb, nach der Zerstörung von Maiers Stuttgarter Haus in seinem Haus in Schwäbisch Gmünd und später in einer dem Ehepaar May gehörenden Mühle unter. Dort erlebten sie gemeinsam mit dem ebenfalls verfolgten befreundeten Konrad Wittwer den Einmarsch der Amerikaner.
May setzte unmittelbar nach Kriegsende Reinhold Maier als Liquidator seiner Firma Collis ein, die als Reichs-Rüstungsbetrieb keine Überlebenschancen besaß. Durch die Fürsprache Maiers wurde May aus kurzer amerikanischer Haft entlassen. Frustrierend verliefen dann die Bemühungen Mays, wenigstens Teile seines in die Firma gesteckten Vermögens und seiner Maschinen aus dem Demontageprozess zu retten. Die Fabrik entging aber der beabsichtigten Sprengung nach der Entfernung der Tarnung und wurde – allerdings ohne ihren Schöpfer – Keimzelle einer neuen Industrieansiedlung nach der Währungsreform. Trotz seiner wichtigen Funktion stand May dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber und trat sehr spät unter dem Druck der Verhältnisse in die Partei ein. Den Titel eines „Wehrwirtschaftsführers“ hatte er, wie er stets betonte, vom Heer und nicht von der Partei erhalten. Die Spruchkammer Ellwangen stufte ihn unter Zustimmung des Befreiungsministeriums als „unbelastet“ ein, nicht zuletzt, weil er zahlreiche Fürsprecher aus der NS-Partei fernen Kreisen fand, darunter auch den inzwischen amtierenden Ministerpräsidenten Maier.
May hatte bereits 1942 in seinem Haus in Schwäbisch Gmünd ein eigenes Konstruktionsbüro für neuartige Pressen gegründet und erwarb nach Kriegsende insgesamt 34 Patente auf diesem Sektor. In einem geeigneten Gelände bei Straßdorf mit Bahnanschluss für den Transport der schwergewichtigen Produkte erbaute er 1951 eine neue Fabrik, die May-Pressenbau GmbH, in der er seine Erfindungen zu realisieren und wirtschaftlich erfolgreich zu produzieren versuchte. Die May-Kniehebelpressen wurden zunächst für die Fertigung in der feinmechanischen Industrie – Uhren, Brillen und Fotoapparate – eingesetzt. Später wurden auch Kurbelpressen mit deutlich höherem Pressdruck gebaut. Ein Großauftrag der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, Bührle&Co. für Pressen bis zu 800 t Druck, der finanziell nicht allein zu schultern war, führte 1954 zu einer Beteiligung dieser Firma und zur Vergrößerung und Modernisierung des Werkes. Als Spezialfabrik für Kaltformpressen exportierte die Firma ihre Produkte unter dem Markenzeichen „Maypres“ nach ganz Europa, in die USA und nach Japan. Ein Teil der Produktion wurde nach Oerlikon ausgelagert.
1958 beschäftigte May über 170 Mitarbeiter. Die Kapitalknappheit zwang ihn zur Abgabe seiner Mehrheit an den Schweizer Oerlikon-Konzern. Ende Juli 1958 gab May seine Tätigkeit als Geschäftsführer seiner Firma auf. Als im April 1961 das zehnjährige Bestehen der Firma gefeiert wurde, nahm der Gründer und Ideengeber nur noch als gern gesehener und hochgelobter Gast an der Feier teil.
Im Jahre 1957 nämlich hatte die TH Stuttgart einen neuen Lehrstuhl für spanlose Formgebung geschaffen. May galt als der herausragende Vertreter dieser Technologie. Obwohl er über keinerlei Lehrerfahrung verfügte, wurde er auf den neuen Lehrstuhl für Umformtechnik berufen und gewann schnell hohe Anerkennung, die sich nicht zuletzt in wachsenden Studentenzahlen und der Gründung eines neuen Instituts ausdrückte. Dessen Fertigstellung erlebte May aber nicht mehr. Der 61-Jährige, der wegen Kreislaufstörungen die Universitätsklinik Freiburg aufgesucht hatte, war unerwartet verstorben.
May war ein begnadeter Erfinder, ein genialer Konstrukteur, der die kalte Verformung von Blech, heute aus der industriellen Fertigung nicht mehr wegzudenken, in entscheidenden Bereichen theoretisch wie praktisch vorangetrieben hat. Seine Menschlichkeit, sein Humor, die Hinwendung zu seinen Studenten wurden in der akademischen Trauerfeier gewürdigt. Hier, in der Weitergabe seines Wissens, hatte May seine eigentliche Berufung und sein wenn auch nur kurzes Glück gefunden.
Seine ehemalige Fabrik wurde 1970 von der Firma Weingarten übernommen. Die Lizenz für die eigentlichen May-Pressen wurde von der japanischen Firma Komatsu erworben. Nach der Fusion der Firmen Müller in Esslingen und der Weingarten AG, 1982, machten schon bald Schließungsgerüchte die Runde. Das Werk in Straßdorf mit über 200 Beschäftigten wurde im Juni 1983 aufgegeben.
Quellen: BA Berlin R 121; HStAS EA 3/150 u. 6/006; StAL EL 402 u. 403, EL 902 Bü 6741; OMGUS 12; UA Stuttgart 57/134, Personalakte.
Werke: Festigkeitstechn. Untersuchungen an Friktionsspindelpressen als Prägepressen, Diss. ing. TH Stuttgart, 1925.
Nachweis: Bildnachweise: UA Stuttgart 57/134; Otto May, 1962, 24/25 (vgl. Literatur).

Literatur: Reinhold Maier, Ein Grundstein wird gelegt, 1964; ders., Briefwechsel mit seiner Familie, hg. von Paul Sauer, 1989; ders., Ende u. Wende, 2. Aufl. 2004; Otto May. Ansprachen bei d. akad. Trauerfeier, in: TH Stuttgart. Reden u. Aufsätze 28, 1962; Gerhard Taddey, Otto May u. Reinhold Maier – eine Freundschaft in d. Bewährung, in: ZWLG 69, 2010, 351-385.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)