Maier, Georg Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 16.04.1907;  Tübingen
Sterbedatum/-ort: 01·1946-11-01.10.1944; Baranowitschi (Weißrussland)
Beruf/Funktion:
  • Rechtshistoriker (Romanist)
Kurzbiografie: Gymnasium in Göttingen, Heidelberg, Berlin
Studium der Rechte in Berlin; Dr. iur. utr. Universität Berlin
1933 Habilitation in Berlin, jedoch Verweigerung der „venia legendi“ wegen antinationalsozialistischer Einstellung
1934 sechs Wochen Haft im KZ Oranienburg
1934-1939 Rechtsanwalt in Berlin; regimekritischer juristischer Journalist in der Vossischen Zeitung (bis März 1934) und in der Frankfurter Zeitung (bis Herbst 1936)
1939 Eintritt in die Wehrmacht, zuletzt Oberleutnant der Luftwaffe
1945 Russische Gefangenschaft und Tod in Baranowitschi
1952/54 Publikation der Habilitationsschrift
1967 Wiedergutmachung durch Gerstenmaier-Professur
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: (Berlin) Hedwig, geb. Reimer (geb. 1905), Dr. iur., Richterin
Eltern: Vater: Heinrich Maier (1867-1933), Prof. für Philosophie in Zürich (1900), Tübingen (1902/11), Göttingen (1911/18), Heidelberg (1918/22) und Berlin (1922/33)
Mutter: Anna (1870-1953), Tochter von Christoph Sigwart (1830-1904), Prof. für Philosophie in Tübingen (1865/1903), Enkelin von Christoph Wilhelm Sigwart (1789-1844), Prof. für Philosophie in Tübingen
Geschwister: Anneliese (1905-1971), Wissenschaftshistorikerin
Kinder: 4, darunter: Dr. iur. Georg Maier-Reimer
GND-ID: GND/101228526X

Biografie: Karl Heinz Burmeister (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 167-169

Georg Heinrich Maier machte eine vielversprechende Karriere als Romanist. Sie wurde jedoch durch das Naziregime (1934) und seinen frühen Tod in russischer Gefangenschaft (1945) jäh unterbrochen, sonst wäre er wohl einer der führenden Vertreter des römischen Rechts der Nachkriegszeit geworden. Werner Flume hat 1951 in seinem Nachruf auf Maier dessen tiefe Verwurzelung in der schwäbischen Wissenschaft hervorgehoben. Für den Sohn, Enkel und Urenkel von drei Tübinger Philosophen, aufgewachsen in akademischen Kreisen traditionsreicher Universitätsstädte, war es keine Frage, wie auch für seine kaum zwei Jahre ältere Schwester Anneliese, als Akademiker in der vierten Generation ihre Zukunft in einer Hochschullehrer-Laufbahn zu suchen. Umfassende Bildung, Weite des wissenschaftlichen Interesses und ein phänomenales Gedächtnis wiesen gleichfalls auf diesen Lebensweg hin, den Maier auch folgerichtig einschlug. Während seine Schwester dem Vater in der Philosophie nachfolgte, entschied sich Maier für eine wissenschaftliche Laufbahn im Römischen Recht. Es ist ein bemerkenswerter Zufall, dass einer der berühmtesten deutschen Vertreter des Römischen Rechts, der 1461 geborene Ulrich Zasius, wie Maier eine Mutter namens Anna Sigwart hatte. Ob Maiers Genealogie hier tatsächlich ins 15. Jahrhundert zurückgeht, ist nicht erweislich. Immerhin hatte sich Maiers Großvater Christoph Sigwart um die Erforschung dieser Genealogie bemüht, sodass die Zusammenhänge in der Familie Sigwart-Maier bekannt gewesen sein dürften.
Maier studierte in Berlin Jurisprudenz, wo er die Erste Juristische Staatsprüfung ablegte. Bereits in seiner Berliner Referendarzeit beteiligte sich Maier am wissenschaftlichen Diskurs, zunächst 1930 mit einer Miszelle „Regress wegen Zahlung fremder Schulden, wenn nicht nomine debitoris gezahlt ist?“ in der renommierten Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte; dann 1931 mit drei Beiträgen zum „Rechtsvergleichenden Handwörterbuch“ von Franz Schlegelberger: „Erbschaftsanspruch“, „Erbschaftskauf“ und „Erbschein (Publizität im Erbrecht)“.
1932 promovierte Maier in Berlin bei Ernst Rabel „summa cum laude“ zum Dr. iuris utriusque mit einer romanistischen Dissertation über die „Prätorischen Bereicherungsklagen“. Robert R. Neuner (Prag) lobte in einer Rezension in der „Juristischen Wochenschrift“ 62 (1933), 2639, Umsicht, wohl abgewogenes vorsichtiges Urteil und juristischen Verstand dieser Arbeit. Auch sonst fand diese Arbeit viel Anerkennung (vgl. u. a. H. Kreller in: ZSRG Rom. 53, 1933, 575-580).
Schon im folgenden Jahr 1933 habilitierte sich Maier in Berlin mit einer weiteren romanistischen Arbeit „Juris vinculum inter personas, Studien zum Römischen und modernen Obligationenbegriff“. Obwohl die Berliner Juristische Fakultät diese Habilitationsschrift angenommen hatte, verweigerte ihm 1934 das Preußische Kultusministerium die „venia legendi“ wegen in einigen Zeitungsartikeln zum Ausdruck gekommener ablehnender Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime. Auch Maiers Schwester Anneliese hatte 1934 an der Universität Berlin aus politischen Gründen Probleme mit ihrer Habilitation; sie ging daraufhin nach Italien, wo sie sich einen bedeutenden Namen in der Wissenschaft machte; das Land Nordrhein-Westfalen verlieh ihr 1951 den Professorentitel.
Maiers steile Karriere eines künftigen Romanisten schien ernsthaft bedroht, wenn nicht sogar jäh unterbrochen, zumal er nicht bereit war, seine Haltung gegenüber dem Regime zu ändern; eher das Gegenteil war der Fall. Dennoch arbeitete Maier unbeirrt weiter an seiner akademischen Karriere. So veröffentlichte er in der Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte 1934 eine Besprechung des Buches von Harald Sieg, Quellenkritische Studien zur Bessergebotsklausel (in diem addictio) im Römischen Kaufrecht (1933). 1935 folgten zwei weitere Besprechungen romanistischer Arbeiten aus Italien, einmal von Cesare Sanfilippo, Il metus nei negoti giuridici, (Padua 1934), zum andern die von Gianetto Longo, L’heriditatis petitio (Padua 1933). Als seine letzte wissenschaftliche Arbeit erschien 1936 der rechtsvergleichende Artikel „Novation“ in Schlegelbergers Handwörterbuch. Die folgenden Jahre brachten dann das endgültige Ende für Maiers akademische Laufbahn. Vorerst ungeklärt bleibt eine angebliche Berufung Maiers um das Jahr 1937 an eine Universität in Südafrika. 1942 war Maier im Gespräch, als es um die Wiederbesetzung des Lehrstuhls von Gerhard Dulckeit für Römisches und Bürgerliches Recht in Heidelberg ging. Vermutlich infolge einer negativen Stellungnahme seitens des NS-Dozentenbundes und der daraus folgenden Aussichtslosigkeit fand Maier auf der endgültigen Berufungsliste keine Berücksichtigung. Maiers Habilitationsschrift konnte erst nach dem Krieg in zwei Teilen erscheinen: ein erster Teil „Irrtümliche Zahlung fremder Schulden“ im Archiv für die civilistische Praxis 152, 1952/53, ein zweiter Teil 1954 unter dem Titel „Zur Geschichte des Zession“ in der Festschrift für Ernst Rabel. Die Habilitationsschrift Maiers stellt sich als eine großartige historisch-methodische Betrachtung über die Natur des Forderungsrechtes dar. Erst 1967 wurden Maier posthum im Zuge einer Wiedergutmachung durch die Bundesregierung mit einer sogenannten Gerstenmaier-Professur die Rechte eines Ordinarius mit entsprechenden Versorgungsansprüchen für die Witwe und Halbwaisen zuerkannt.
Nachdem Maier wegen seiner Weigerung, dem NS-Dozentenbund beizutreten, und wegen eines kritischen Artikels in der Vossischen Zeitung vom 23. 1. 1934 über die Ausbildung des akademischen Nachwuchses in nationalsozialistischen Lagern für sechs Wochen in das Konzentrationslager Oranienburg in Haft genommen worden war, hatte das Kultusministerium nach seiner Entlassung seine akademische Laufbahn für beendet erklärt.
Unter diesen Umständen blieb Maier zunächst nichts anderes übrig, als sich als Rechtsanwalt zu betätigen. Er hatte jedoch auch hier Schwierigkeiten bei seiner Zulassung zur Anwaltschaft, hatte Probleme mit seinem Sozius und klagte 1936, dass die Ausübung dieses Berufes in Berlin wenig einträglich sei, ja kaum die Büro-Unkosten trage.
Maier ließ auch nicht locker in seinem publizistischen Kampf gegen den Nationalsozialismus, den er zunächst in der Vossischen Zeitung, nach deren Verbot vom 31.3.1934 in der Frankfurter Zeitung intensiv fortsetzte, meist unter dem Kryptogramm „M“ oder unter dem Pseudonym „Richter“ oder – in Anlehnung an den Sachsenspiegel – „Spiegler“. Die Artikel Maiers richteten sich vor allem gegen aktuelle Fragen der Justizpolitik, insbesondere die Änderung der Gerichtsverfassung und Justizverwaltung, gegen die gefährdete Unabhängigkeit der Richter, die Beschränkung der Rechtsmittel, die Aufgaben des Reichsgerichts, den Volksgerichtshof, die Ausbildung und Besoldung der Referendare, die Lage der Rechtsanwälte, die Zurückdrängung der Frauen aus dem Justizdienst. Maier äußerte sich vor allem auch zu Strafrecht und Strafprozessrecht, zu den Rassegesetzen, zur Pressezensur und zum Schriftleitergesetz und über vieles andere mehr. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten seine Berichte über juristische Veranstaltungen, etwa den deutschen Juristentag in Leipzig 1936 oder die Tagungen der Akademie für Deutsches Recht. Er kritisierte, dass zunehmend der Partei eine tonangebende Rolle zufiel. Maier berichtete wiederholt kritisch über das Auftreten des bis heute umstrittenen Rechtslehrers Carl Schmitt und dessen „Kampf der deutschen Rechtswissenschaft wider den jüdischen Geist“. Maier widmete auch immer wieder den von den Nazis verfolgten, zur Emigration oder Emeritierung gezwungenen Rechtsgelehrten ausführliche Artikel, in denen er deren Verdienste anerkannte. In einer Reihe von Artikeln nahm Maier auch die nationalsozialistische Hochschulpolitik aufs Korn und rügte in aller Offenheit, dass an der Berliner Universität die traditionelle Amtstracht mit dem braunen Hemd kombiniert wurde. Im Herbst 1936 führte eine gezielte Kampagne der Nationalsozialisten dazu, dass die Frankfurter Zeitung künftig auf Maiers Mitarbeit verzichten musste. Damit war auch der kritische Journalist Maier kaltgestellt.
Maier blieb letztlich nur mehr der Ausweg, sich weiterer Verfolgung durch den Eintritt in die Wehrmacht zu entziehen, zu der er sich 1939 bereits vor Kriegsausbruch meldete. Im Rang eines Oberleutnant der Luftwaffe geriet Maier im April 1945 bei der Eroberung Berlins durch die Russen in Gefangenschaft. Den Transport in das Innere Russlands hat er nicht überlebt. Lange galt Maier als verschollen; erst 1951 berichteten Mitgefangene, dass sie ihn im Oktober 1945 in Baranowitschi in Weißrussland begraben hatten.
Maier war ein aufrechter Kämpfer für das Recht, das er durch das Nazi-Regime gefährdet sah; er war aber kein Widerstandskämpfer.
Werke: Regress wegen Zahlung fremder Schulden, wenn nicht nomine debitoris gezahlt ist?, in: ZSRG Rom. 50 (1930), 486-500; Erbschaftsanspruch, in: Franz Schlegelberger, „Rechtsvergleichendes Handwörterbuch“ 3, 1931, 122-125; Erbschaftskauf, ebda., 125-128; Erbschein (Publizität im Erbrecht), ebda., 129-135; Prätorische Bereicherungsklagen (Romanistische Beiträge zur Rechtsgeschichte 5), Diss. 1932; Juris vinculum inter personas. Studien zum Römischen und modernen Obligationenbegriff, Habilitation 1933 (erschienen posthum in zwei Teilen: 1. Irrtümliche Zahlung fremder Schulden, in: Archiv für die civilistische Praxis 152 (1952/53), 97-111; 2. Zur Geschichte des Zession, in: Geschichte der antiken Rechte und allgemeinen Rechtslehre, FS für Ernst Rabel, 2, hg. von Wolfgang Kunkel, 1954, 205-233; Besprechung von Harald Sieg, Quellenkritische Studien zur Bessergebotsklausel (in diem addictio) im Römischen Kaufrecht (1933), in: ZSRG Rom. 54 (1934), 468-471; Besprechung von Cesare Sanfilippo, Il metus nei negoti giuridici, (Padua 1934), in: ebda. 55 (1935), 402 f.; Besprechung von Gianetto Longo, L’heriditatis petitio (Padua 1933), in: ebda. 55 (1935), 413-419; Novation, in: Franz Schlegelberger, Rechtsvergleichendes Handwörterbuch 5, 1936, 451-456.
Nachweis: Bildnachweise: Hedwig Maier, Hirschau, 74.

Literatur: Nachruf von W. Flume, in: ZSRG Rom. 68 (1951), 633 f.; G. Gillessen, Auf verlorenem Posten, 1986, 260 ff.; Hedwig Maier, Die Eroberung von Hirschau. Das Kriegsende in den Tagebuchbriefen von G. H. Maier, red. von Ulrike Pfeil, 1992; A. Wacke, Erinnerungen an G. H. Maier als kritischen Juristen und Journalisten unter dem Naziregime, in: ZSRG Rom. Abt. 117 (2000), 473-481.
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