Meyer, Moritz 

Geburtsdatum/-ort: 16.10.1872; Neuwied
Sterbedatum/-ort: 07.09.1942; Mauthausen
Beruf/Funktion:
  • Landgerichtsrat in Hechingen und Naturheilkundler, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: ca.1882-1891 Gymnasium Neuwied
ca.1891-1894 Jurastudium
1894 Dr. jur. (Universität Göttingen); Erstes Staatsexamen
1895 Militärdienst (Infanterie)
1896 Gerichtsassessor in Wetzlar
1900 Zweites Staatsexamen
1903 elfmonatiger Englandaufenthalt: Studium des englischen Rechts
1908 Landrichter in Hechingen; davor Gerichtsassessor in Niederlahnstein
1910 Landgerichtsrat in Hechingen
1914-1918 Kriegsfreiwilliger: Offiziers-Stellvertreter in einem Infanterie-Regiment
1920 vom Dienst beurlaubt; seither Naturarzt und Landwirt in Hechingen
1924 in den Ruhestand versetzt
1929 Eröffnung des „Waldbads Zollern“
1938 kurzzeitige Verhaftung Meyers im Zuge der „Reichspogromnacht“
1942 Deportation ins KZ Mauthausen bei Linz
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Eltern: Vater: Emil Meyer (1836-1893), Herrenausstatter in Neuwied
Mutter: Johanna, geb. Löwenthal (1839-1901)
Geschwister: Ida (1866-1926), Mutter des Dramatikers Friedrich Wolf
Julius (1868-1916)
Siegfried (geb. 1871)
Selma (geb. 1877)
GND-ID: GND/1012288714

Biografie: Ines Mayer (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 180-181

Seinen Zeitgenossen galt Meyer – v. a. in seinen späteren Jahren – als kauziger Junggeselle und Sonderling. Diesen Ruf brachte ihm seine Tätigkeit als Naturarzt in Hechingen und überhaupt seine unkonventionelle Lebensweise als Vegetarier, Viehhalter und Selbstversorger ein, die angesichts fortschreitender Urbanisierung und Modernisierung seit der Jahrhundertwende eine Rückwendung zu naturromantischen Vorstellungen bedeutete, wie sie gerade in der Weimarer Republik als Teil der Kulturkritik bestanden. Am stärksten geprägt ist das Bild, das wir heute von Meyer haben, durch die Äußerungen seines Neffen, des berühmten Arztes und Dramatikers Friedrich Wolf, dessen Novelle „Das Oehmchen“ von 1944 im Grunde das einzige gedruckte Quellenzeugnis über Meyer darstellt.
Tatsächlich ist die Beziehung zwischen Onkel und Neffe von zentraler Bedeutung für beide gewesen. Meyer, der sich schon in England – er war 1903 vom Oberlandesgericht Frankfurt als Austauschjurist nach London geschickt worden, um das englische Recht zu studieren – mit Naturheilkunde beschäftigt hatte, vermittelte dem jungen Friedrich Wolf auf langen Spaziergängen durch den Westerwald die Liebe zur Natur und weckte in ihm den Wunsch, Arzt zu werden. Wolf erinnert sich: „Wir sammelten an den vulkanischen Seen der Eifel [...] seltene metalloide Steine, die er schon damals zerrieb, mit Milchzucker verdünnte und die homöopathische Reiz- und Heilwirkung an sich selbst und mir ausprobierte, zum Mißfallen meines Vaters, der sich diese „Kinkerlitzchen“ verbat und das Oehmchen für einen Narren hielt. Mir aber war er Freund, Helfer und Lehrer in den entscheidenden Tagen meiner Jugend.“ Später (1923) widmete Wolf seinem Onkel die „Schrankkomödie“, einen Schwank über die Auseinandersetzung eines Naturheilkundlers mit Vertretern der Schulmedizin, der allerdings erst posthum publiziert wurde. Meyer wiederum veröffentlichte 1910 anonym die „Sinai-Briefe“, eine Sittenlehre auf der Basis der Zehn Gebote, die sich an „seinen Neffen Fritz“ richtete und diesen auf den Weg des Glaubens zurückführen sollte. Vier Jahre später erschien die philosophische Schrift „Von der Wissenschaft und Nichtwissenschaft“, in der Meyer das Empfinden als unerlässliche Vorbedingung sowohl für das Verstehen als auch für das Wollen wertet.
Meyer, der als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg war, ließ sich – aus heute nicht mehr zu klärenden Gründen – 1920 von seinem Amt als Landgerichtsrat in Hechingen freistellen und ging 1924 in den Ruhestand. Seither widmete er sich ganz der Naturheilkunde und behandelte Tausende von Patienten der näheren und ferneren Umgebung – zumeist kostenlos. 1929 eröffnete er im Hechinger Fasanenwald das „Waldbad Zollern“, ein rustikales Blockhaus mit Veranda, dessen Vorbild der „Jungborn“ des seinerzeit berühmten Pfarrers und Naturheilkundlers Felke in Repelen bei Krefeld war. Meyer hatte die Heilmethoden des „Lehmpastors“ Felke an Ort und Stelle studiert und wandte deren wichtigste Bestandteile nun auch in seinem Waldbad an: Lehm- und Luftbehandlung, Rohkost, Gymnastik und Lichtbäder. Mit einem Plakat warb er für sein Erholungsheim: „Die Erkenntnis, dass wir wieder mehr zur Natur zurück kehren müssen, in ihr vor allem unsere Freuden und Erholung finden, muss Allgemeingut des Volkes werden. Hier werden unsere Leiden aufgehoben! Deshalb müssen gerade die am meisten Beladenen und Bedrückten unserer schweren Zeit nach solcher Befreiung streben! – Hier hilft das Waldbad! Hier findet Ihr in einer herrlichen Heimatsnatur Erfrischung und Genesung: Gesundung von Euren Leiden!“
Das Waldbad, dessen Betrieb Meyer aus finanziellen Gründen bald wieder einstellen musste – auch hier hatte er von den Kurgästen kein Entgelt für Unterbringung und Verköstigung verlangt – und das er später noch kurze Zeit als Wohnhaus nutzte, wurde in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 demoliert. Meyer, der trotz seiner unkonventionellen Lebensweise politisch konservativ war und nach dem Zeugnis seines Neffen auf der Seite der „staatstragenden Mächte“ stand, wurde nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten als Jude diskriminiert und verfolgt. Nachdem er im Zusammenhang mit der „Reichspogromnacht“ schon einmal festgenommen worden war, wurde er 1942 ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert, wo er am 7. September zu Tode kam.
Das Waldgrundstück im Hechinger Fasanenwald, auf dem noch heute die Grundmauern des Waldbads zu finden sind, ist seit 2001 im Besitz des Schwäbischen Heimatbunds.
Werke: Die Prozeßfähigkeit Minderjähriger, Diss. Göttingen 1894; Gedanken zur Reform der Rechtspflege 1907, 2. Aufl. 1920; Sinai-Briefe an meinen Neffen Fritz. Eine moderne Glosse des Zehngebots, 1910, 2. Aufl. u. d. T.: Die Vernunft in der religiösen Moral, 1914; Von der Wissenschaft und Nichtwissenschaft. Zwei Briefe vom menschlichen Verstehen und Wollen, 1914; Exerzier-Reglement der Rechtspflege, 1919.
Nachweis: Bildnachweise: Porträtskizze und Werbeplakat des „Waldbads Zollern“ (mit Foto von Meyer) in der Hohenzollerischen Heimatbücherei Hechingen; weitere Fotos in: Lew Hohmann, Friedrich Wolf. Bilder einer deutschen Biographie 1988, 21 und 134; Henning Müller, Friedrich Wolf. Weltbürger aus Neuwied, 1988, 52.

Literatur: Friedrich Wolf, Das Oehmchen. Eine Novelle [1944], in: Schwäbisches Tagblatt vom 24. 5. 1946; Ines Mayer, „Zurück zur Natur“ – Auf den Spuren des Hechinger Landgerichtsrats und Naturarztes Dr. M. Meyer (1872-1942), in: ZHG 40 (2004).
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)