Scholl, Apollonia 

Andere Namensformen:
  • Ordensname Schwester Arcadia
Geburtsdatum/-ort: 18.10.1824; Rüdesheim am Rhein
Sterbedatum/-ort: 30.04.1900; Straßburg
Beruf/Funktion:
  • Generaloberin der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul in Untermarchtal e. V.
Kurzbiografie:

1843 Aufnahmegesuch ins Noviziat bei den Barmherzigen Schwestern in Straßburg

1843–1846 Franz. Sprachunterricht bei Pfarrer Ludwig Scheider in Eibingen, Wiederentdecker der Gebeine der Hl. Hildegard von Bingen

1847 Eintritt ins Noviziat nach dem Tod des Vaters

1848.XII 12 Einkleidung durch Generaloberin Vinzenz Sulzer (1778–1868) und Erhalt des Ordensnamens

1851 VI 18 Ablegung der Gelübde

1851 Entsendung nach Colmar, Obernai, Mutterhaus Straßburg, dann Oberin im Krankenhaus in Baden-Baden, Mutterhaus Freiburg

1852 VIII 7 Entsendung als Oberin nach Gmünd zum Aufbau einer städtischen Spitalverwaltung; Ordensgründung in Württemberg, 1858 Aufbau des Mutterhauses Gmünd, seit 1897 in Untermarchtal

1855 IV 14 Publikation der Ordensstatuten im Württembergischen Regierungsblatt

1858 Kirchliche und staatliche Genehmigung der Ordensgründung; Vollzug der Errichtung des Mutterhauses

1858 VII 2 Ernennung zur Generaloberin; die Ordensgemeinschaft mit Namen „Genossenschaft“ als erste von Bischof Dr. Joseph Lipp (1795–1869) vollzogene Ordenseinrichtung nach der Säkularisation in Württemberg mit Vorbildcharakter für das Land

1858.IX 17 Hirtenbrief an alle Pfarrämter als bischöfliche Bekanntmachung der Ernennung von Scholl

1866 Staatliche Genehmigung zur Ausbildung von Schwestern als Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen

1871 IX Ablegung der ewigen Gelübde in Straßburg

1871 Erhalt der Kriegsgedenkmünze und des Württembergischen Olgaordens

1878–1888 Regelmäßige Wahl zur Generaloberin

1878 IV 25 Scholls Bericht über 20 Jahre Barmherzige Schwestern in Gmünd

1883 25-jähriges Jubiläum als Generaloberin

1888 VII 13 Rückkehr ins Mutterhaus, Straßburg; Ordensgröße mittlerweise über 400 Schwestern

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet:

unverheiratet


Eltern:

Vater: Peter (gest. 1847), Fuhrmann in Rüdesheim

Mutter: Anna, geb. Kiefer aus Rüdesheim


Geschwister:

3; Catharina Josepha (geb. 1818), Johannes Paulus (geb. 1820) und Maria Ursula (geb. 1822)


Kinder:

keine

GND-ID: GND/1012303691

Biografie: Ruth Kappel (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 492-498

Scholl war von 1852 bis 1858 erste Oberin, von 1858 bis 1888 erste Generaloberin der Barmherzigen Schwestern in Württemberg. In den 36 Jahren ihrer Tätigkeit wurde ihr mehr Mut als tüchtigen Männern, so Superior Spitz im Biogramm Scholl, zugeschrieben. Die als charismatisch beschriebene Ordensfrau überzeugte auf dem Weg der Nachfolge des Hl. Vinzenz von Paul und der Luise von Marillac durch Tatkraft, Demut, Frömmigkeit und Mütterlichkeit, auf dem ihr anfänglich 4, bis 1888 über 400 Mitschwestern folgten.

Scholl wurde in Rüdesheim geboren und lebte dort bis 1847. Sie war unter den vier Geschwistern das jüngste Kind. Da die Eltern und Großeltern im Fuhrmanns-, Gast- und Schifffahrtsgewerbe tätig waren, hatte die Familie ein gutes Auskommen. Um 1843 baten ihre Eltern um die Aufnahme von Scholl in das Noviziat der Barmherzigen Schwestern in Straßburg, wofür die qualitätsvolle Ausbildung in der Krankenpflege mitausschlaggebend gewesen sein dürfte. Eine Bewerberin musste aus katholischem Elternhaus stammen, das in unbescholtenem Ruf stand, sie sollte ausreichend intelligent sein, Entschlusskraft und Willensstärke zeigen, untadeliges Betragen und Auftreten haben und über gute Gesundheit verfügen; keine in der Familie vorhandenen Krankheiten durften die Arbeitsfähigkeit mindern. Als Mitgift waren 600 Gulden in den Orden einzubringen. Mit 19 Jahren entsprach Scholl dem vorgegebenen Alter zwischen 15 und 28 Jahren. Grundvoraussetzung war die innere Berufung zum Schwesternstand. Not oder Verdruss mussten ausgeschlossen sein. Scholl erfüllte alle Aufnahmekriterien bis auf das Französische als elsässische Amtssprache. Um es zu lernen, erhielt sie Unterricht vom Stadtpfarrer im Nachbardorf Eibingen, der so gut war, dass sie später württembergische Familien Französischunterricht erteilen konnte.

Als ihr Vater 1847 gestorben war, trat Scholl in das Noviziat in Straßburg ein. 1848 wurde sie von der Generaloberin eingekleidet und erhielt ihren Ordensnamen. 1851 legte sie ihre Gelübde ab und war danach kurze Zeit in Colmar und Obernai in untergeordneter Funktion tätig. Danach war sie als Oberin im Baden-Badener Krankenhaus eingesetzt, wobei sie dem 1846 in Baden, Erzdiözese Freiburg, neu gegründeten vinzentinischen Mutterhaus unterstellt war. Dort wurde ihre Stärke als Führungskraft sichtbar. Sie sammelte Wissen zum zivil- und kirchenrechtlichen Prozess einer Mutterhausgründung, was ihr später in Württemberg zugute kam.

Nachdem der württembergische Kaplan Sebastian Zeiler (1812–1872) im Mutterhaus in Straßburg um die Entsendung von Barmherzigen Schwestern zur Übernahme der städtischen Spitalpflege in Gmünd gebeten hatte, wurden 1852 Scholl und drei weitere Barmherzige Schwestern nach Gmünd entsandt. Die aus Straßburg kommende und aus Rüdesheim stammende Oberin stieß als „Ausländerin“ zunächst auf Vorurteile, die sie durch ihre zupackende Art rasch überwinden konnte. Sie baute in kürzester Zeit eine leistungsfähige Spitalverwaltung auf. Aus Gründen der Arbeitseffizienz legte Scholl die beiden Spitalstandorte St. Katharina und Hl. Geist in Hl. Geist zusammen. Die Arbeit im Spital regelte sie durch Haus- und Kostordnungen neu. Die ebenfalls im Spital lebenden städtischen Almosenempfänger beschäftigte sie, so dass sie zu ihrem Unterhalt beitragen konnten. 1854 erhielt Scholl die staatliche Genehmigung zur Eröffnung einer Landwirtschaft zur Ernährung der Spitalbewohner. Scholl veränderte durch die Spitalneuordnung, mit dazugehöriger Armenhausverwaltung sichtbar das Stadtbild und bot den bis dahin in Gmünder bettelnden Armen Unterkunft, Arbeit und Auskommen. Zudem setzte sie in enger Zusammenarbeit dem württembergischen Bischof Josef Lipp (1795–1869) den Auftrag zur Gründung eines vinzentinischen Mutterhauses im Lande um und unterstützte den Bischof beim Aufbau von katholischen Verwaltungsstrukturen durch vinzentinische Filialbildung besonders in den neuwürttembergischen Gebieten. Filialen entstanden dort bereits, bevor die Mutterhausgründung staatlich genehmigt war. Dazu wurden von Scholl 1852/53 fünf weitere Schwestern aus Straßburg angefordert, später aus Württemberg stammende Schwestern eingesetzt.

Von 1852 bis 1858 führte Scholl zu den genannten Themenstellungen umfangreiche Verhandlungen mit den württembergischen Ministerien, wobei ihre präzise Ausdrucksweise, bemerkenswerte Urteils- und Entscheidungskraft, Diskussionssicherheit, aber auch ihre Hartnäckigkeit gepaart mit beeindruckendem Auftreten und Temperament zum Erfolg führten. Zunächst wurde sie von Kaplan Sebastian Zeiler, dem Vorsitzenden der Gmünder Armenkommission, unterstützt. Nach der Ordensgründung 1858 stellte der Bischof ihr Superior Franz Sales Khuon (1858–1867) zur Seite.

Bischof von Lipp unterstützte die Barmherzigen Schwestern maßgeblich, war dies doch die erste erfolgreiche kath. Ordensgründung in Württemberg nach der Säkularisation. Dass eine Verfassungslücke die Ordensgründung 1858 ermöglichte, lässt sich heute noch am Ordensnamen ablesen. Innerhalb Deutschlands ist die vinzentinische Einrichtung in Württemberg die einzige, die die Bezeichnung „Genossenschaft“ im Namen trägt. 1858 war der Orden nämlich als kirchliche Genossenschaft diözesanen Rechts mit besonderer ethischer Aufgabenstellung ins Leben gerufen worden, also auf der Grundlage des damaligen württembergischen Vereinsrechts, 1924/25 durch den zivilrechtlichen Namenszusatz e. V. ergänzt.

Es dauerte sechs verhandlungsreiche Jahre, bis der Orden staatlich genehmigt war. Auf diesem Weg gelang es Scholl, die öffentliche Meinung in Gmünd für die französischen Ausländerinnen einzunehmen. Gebäude und landwirtschaftlich Flächen ausfindig zu machen, deren Erwerb den Schwestern zur Führung eines württembergischen Mutterhauses von der Regierung auferlegt worden war. Die drei erworbenen aneinandergrenzenden Grundstücke in Gmünd waren von Scholl so gewählt, dass das einzurichtende Mutterhaus Expansionsmöglichkeiten besaß und mit vorhandenen Gartenanlagen und Grundstücksflächen die Versorgung der Schwestern sichergestellt war. Am 20. Februar 1858 erfolgte die kirchliche und staatliche Genehmigung dieser Kaufverträge.

Bis zur Vertragsratifizierung führte Scholl die Schwestern als nach Straßburg berichtspflichtige Oberin. Mit der Gründung 1858 wurde sie vom Bischof in das Amt einer Generaloberin eingesetzt und erhielt Gesamtverantwortung, Entscheidungs- und Verfügungsgewalt für das Mutterhaus mit Filialen. Berichtspflichtig war sie jetzt gegenüber dem Bischof, der ihr einen Superior als Unterstützung zur Seite stellte.

Scholl oblag es, die Finanzverwaltung des Mutterhauses aufzubauen. Dem vom Bischof vorgegebenen Vieraugenprinzip folgend verfügte sie zunächst über die Mitgift der Schwestern und die Einnahmen aus „Gestellung“, der seit 1852 ins Spital entsandten Schwestern. Die von Scholl ausgehandelten sog. Mutterhaus- bzw. Gestellungsverträge regelten die Rechte und Pflichten der Barmherzigen Schwestern im Gmünder Spital: Die pflegenden Schwestern waren der Leitung des Spitals unterstellt und erhielten dort Unterkunft und Verpflegung. Die Pflege der Patienten lag allein in ihren Händen. Den ärztlichen Anordnungen hatten sie Gehorsam zu leisten. Die weltliche Spitalverwaltung verpflichtete sich, die Würde der Schwestern zu wahren und sie nicht vor Patienten zu tadeln. In allen disziplinarischen und religiösen Angelegenheiten unterstanden die Spitalschwestern der Generaloberin. Scholl war es vorbehalten, Schwestern nach eigenem Ermessen einzusetzen und auszutauschen.

Das Spital/die Stadt bezahlte für die Leistung der Schwestern Gestellungsgeld an das Mutterhaus. Zusätzlich erhielten die Schwestern, die in Gmünd die Pflege der Spitalinsassen ohne Ansehen des Standes, Alters, Geschlechts und religiösem Bekenntnis übernahmen, zur Deckung ihrer alltäglichen Bedürfnisse vom Mutterhaus ein Taschengeld.

1852 setzte Scholl Schwestern in Gmünd in der Spitalverwaltung, im Armenhaus, in der Krankenpflege, der Kostreichung und Haushaltsführung für Bedürftige und Privatkrankenpflege in der Stadt ein. Bereits im Juni 1855 wurden 80 Kinder in zwei von Pfarrern geführten Kleinkinderschulen in Gmünd betreut. Außerdem wurden sogenannte Pensionäre auf Zeit oder auf Dauer gegen ein jährliches Pensionsgeld aufgenommen, die seit 1858 im Mutterhaus untergebracht waren. 1874 wurde das dreistöckige Pensionshaus St. Lazarus auf dem Mutterhausareal gebaut, worin 715 Personen wohnten.

Für Mädchen ließ Scholl 1860 ein Pensionat zum Erlernen der Haushaltsführung und St. Loreto, das erste private Lehrerinnenseminar, einrichten. 1862 wurde die „Irrenheil- und Pflegeanstalt St. Vinzenz“ für 100 bis 120 Kranke in Betrieb genommen, wozu aus Eigenmitteln ein Gebäude im ehemaligen Gmünder Kapuzinergarten gebaut wurde. 1867 übernahm Scholl die bislang städtische Klein- und Industriekinderschule St. Maria zur Krippe im Ordensbesitz, worin 150 Kinder Aufnahme finden konnten. Angeschlossen war die Industrieschule mit 60 und die Nähschule mit 30 Mädchen. Ein Jahr später eröffnete Scholl die Taubstummenanstalt mit 36 staatlichen und zahlenmäßig unbegrenzten privaten Versorgungsplätzen; 1868/69 entstand die Anstalt für geistig und körperlich behinderte Kinder, 1872 die Anstalt zum Guten Hirten für gefallene und gefährdete Mädchen sowie die Anstalt zur Heranbildung christlicher Dienstmägde.

1874 konnte dann ein weiterer Neubau der Pensionsanstalt St. Lazarus bezogen werden. Eine Augenklinik wurde auf dem Mutterhausareal eingerichtet. 1882 entstand die „Paradies“ genannte Bewahr- und Fortbildungsanstalt für ältere taubstumme Mädchen mit dem Zweck der Weiterbildung aus der Schule entlassenen Mädchen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwer taten.

Alle unter der Regie von Scholl in Gmünd entstandenen Eigenhäuser waren so geführt, dass die finanziell besser gestellten Patienten, Bewohner wie Auszubildende durch ihre Zahlungsbeiträge die Versorgung der Bedürftigen absicherten. Die weniger gut gestellten Personen übernahmen nach körperlichen Möglichkeiten Aufgaben in den Haushaltsführungen der Einrichtungen, fertigten Gegenstände im Auftrag, die verkauft wurden und so ihren Beitrag für den Aufenthalt leisteten. Außerdem wurden in Württemberg weitere Filialen eingerichtet, in denen Scholl Schwestern zur Gestellung einsetzte.

Bereits mit Bekanntwerden des Eintreffens der Barmherzigen Schwestern in Gmünd hatte es Anfragen von katholischen Spitälern im Lande wegen Übernahme der Krankenpflege gegeben und noch von Straßburg aus fand 1852, also bevor sich die ersten vier Schwestern nach Gmünd auf den Weg gemacht hatten, eine erste Entsendung in das Spital am Bischofssitz Rottenburg statt. Als die Schwesternzahl anstieg, entsandte Scholl von Gmünd aus Schwestern zu Spitalkrankenpflegen, z. B. in die St. Nikolauspflege Gundelsheim, nach Wangen, Horb, Rottweil, Riedlingen, Weingarten, in die Piuspflege Oggelsbeuren. Meist übten die Schwestern in den Filialen außerhalb Gmünds zunächst krankenpflegerische Tätigkeiten in den Spitälern aus, um in der Folge weitere Aufgaben am Ort zu übernehmen, z. T. verbunden mit Eigenhauserwerbungen.

Neben den Einnahmen aus Eigenhäusern erhielt die Ordensleitung die Gestellungsgelder aus diesen Filialen, die von Oberinnen geführt wurden und die zur Buchführung und Jahresberichterstattung an Scholl im Mutterhaus verpflichtet waren. Einmal im Jahr hatten die Oberinnen Scholl die Bücher, wesentliche Korrespondenzen und die Kassen vorzulegen.

Neben den von Straßburg ausgegangenen Mutterhausgründungen, so 1823 Zams, 1832 München, 1834 Fulda, 1846 Freiburg, 1858 Gmünd, damals typischen Tätigkeiten in Eigenhäusern und Filialen, gelang es Scholl in Württemberg neue Aufgabenfelder für die Schwestern in Kindergärten und Schulen zu erschließen. 1852 hatte sich Scholl den Zugang zum Gmünder Bürgertum eröffnet, in dem sie Französisch, die Sprache des Adels, unterrichtete. Bereits im Juni 1855 versorgten die Schwestern 80 Kleinkinder in Gmünd. Unterstützt vom katholischen Kirchenrat plante Scholl Schwestern im Schulfach ausbilden zu lassen, die zunächst in Kinderrettungsanstalten als Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen tätig werden konnten. 1866 wurde dazu die staatliche Genehmigung erteilt. Es entstanden Kleinkinderschulen in Wangen und Horb. Schwestern gaben Handarbeitsunterricht, waren als Volksschullehrerinnen, in Kinderanstalten und Elementarschulen in Wangen, Böhmenkrich, Aulendorf, Ödheim und Neckarsulm tätig.

Weitere Einnahmequellen waren Kollekten, Zuwendungen, Spenden, Stiftungen und Erbschaften, die eine Vielzahl von Werken und Diensten realisieren halfen. Die Einnahmen- und Ausgabenbücher des Gmünder Mutterhauses belegen die Komplexität der Finanzverwaltung des Ordens unter Scholl.

Durch vielfältige Finanzierungs- und Versorgungskonzepte gelang es Scholl in kurzer Zeit, ein großes Netz zur Eigenversorgung der Schwestern und zur Versorgung Bedürftiger unterschiedlichster Art in Württemberg aufzubauen. Randgruppen der Gesellschaft, Armenfürsorge und Bedürftigenhilfe, aber auch die Bedürfnisse von Familien hatte Scholl in der sich durch die Industrialisierung veränderten Lebenswelt immer im Fokus.

Eine weitere Herausforderung für Scholl war die Sicherstellung der Ernährung der Menschen, die im Mutterhaus, in den Einrichtungen und Filialen lebten. Die Stadt Gmünd stellte Scholl Felder zur Verfügung, worin ergänzt durch die das Mutterhaus umgebenen Gärten Landwirtschaft zur Eigenversorgung betrieben werden konnte. Daraus entstand in Gmünd eine Landwirtschaft mit angestellten weltlichen Mitarbeitern. 1880 erweiterte Scholl das Gebiet durch Bodenzukauf. Der immer größer werdende Bedarf zur Ernährung der Schwestern und Bedürftiger in den von ihnen geführten Einrichtungen ließ Scholl 1882 über eine Verlegung des Mutterhauses nach Untermarchtal nachdenken und eine erste Besichtigung des zum Verkauf stehenden Speth’schen Schlosses und angrenzender Grundstücke vornehmen. Das Alb-Dorf Untermarchtal bot günstige Voraussetzungen; denn die Expansionsmöglichkeiten in Gmünd waren begrenzt, zumal angesichts konstant zunehmender Schwesternzahl. Eine weitere Überlegung war, dass die Schwestern auf dem Land eine weitaus größere spirituelle Bewegungsfreiheit erlangen könnten.

Nach dem Aufbau der Spitalverwaltung und -krankenpflege in Gmünd widmete sich Scholl in den ersten 20 Jahren als Generaloberin in Württemberg dem Aufbau und der Versorgung von insgesamt 58 Einrichtungen, die als Eigenhäuser im Eigentum der Genossenschaft oder als Filialen unter Gestellung von Schwestern geführt wurden. Bis 1888 konnten mehr als 400 Frauen für die Kongregation gewonnen werden. Davon waren 54 Schwestern zwischen 1852 und 1871 zur Ausbildung in Straßburg, um neben Spitalverwaltung und -pflege das spirituelle Leben des Ordens zu erlernen. Die in Straßburg ausgebildeten Schwestern waren zur Übernahme von Führungsaufgaben in Württemberg vorgesehen bis 1869 die Ausbildung aller Novizinnen vom Gmünder Mutterhaus übernommen wurde.

Scholl handelte planvoll und überlegt; sie war auch bedacht darauf, Barmherzige Schwestern als Multiplikatorinnen und zur Imagebildung am Bischofsitz in Rottenburg und am Regierungssitz in Stuttgart einzusetzen. Wesentliche Entsendungen dorthin geschahen 1852 und 1865. In Stuttgart konnte auch bereits 1869 ein eigenes Haus in der Kanalstraße 13 erworben werden. 1875 kam das Eigenhaus in der Silberburgstraße 160 dazu. Die unter Scholl 1883 begonnene Kollekte für ein Spital in Stuttgart mündete in den Bau des Marienhospitals.

Staatliche Anerkennung von Scholl manifestierte 1865 der erste Besuch des württembergischen Königspaars in Gmünd; 1867 besuchte sie Königin Olga erneut. 1883 spendete das Königspaar Scholl einen kostbaren Kelch und als besondere Auszeichnungen für die Arbeit ihrer Schwestern als Lazarettschwestern wurde Scholl 1866 und 1870/71 die Kriegsgedenkmünze und der Württembergische Olgaorden verliehen.

Während der Aufbauzeit des Ordens bis 1872 bestand zwischen Scholl und Bischof Lipp, Kaplan Zeiler sowie den Superioren Khuen und Revellio ein Verhältnis vertrauensvoller Kooperation. Dies begann sich ab 1869 zu ändern, als Lipp und die Straßburger Generaloberin Sulzer starben. Eine weitere Stütze Scholls fiel 1872 durch den Tod des Superiors Revellio weg. Außerdem hatte der 1870/71er Krieg die regelmäßige Kommunikation mit Straßburg gestört.

Lipps Nachfolger Bischof Carl Josef Hefele (1809–1893) zeigte nicht nur eine unglückliche Hand bei der Auswahl der Superioren Anselm Staiger (1872–1874) und Theodor Schray (1874–1878), die anstelle harmonischer Kooperation mit der Generaloberin in deren Führungsaufgaben einzugreifen begannen. Hefele verfolgte gänzlich andere Ziele als sein Vorgänger. Bei Lipp, der selbst aus einfachen Verhältnissen stammte und als Vater der Armen gelten darf, lief alles unkompliziert, unter Bischof Hefele dagegen wurde der Amtsweg für Scholl hierarchisch. Ordensbelange durften nur noch vom Superior weitergegeben werden. Außerdem wurde aufgrund der stetig wachsenden Schwesternzahl dem Superior ein Beichtvater zur Seite gestellt. Auch das erschwerte die Zusammenarbeit der Instanzen, da bald alle Beteiligten in die Kompetenzen von Scholl hineinzuwirken begannen. 1886 wurde der Generalrat als zusätzliche Verwaltungsinstanz eingeführt, durchaus mit dem Effekt, die Generaloberin weiter und nachhaltig in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken. Der Beichtvater begann, die Ratsschwestern gegen Scholl aufzubringen. Dazu wurde Pater Bernhard von Sales, OSB, vom Bischof zur Durchführung von Schwesternexerzitien beauftragt und mit dem Ziel, ihm über die interne Situation zu berichten. Das Ergebnis war dann, dass die Kongregation wegen Scholls angeblicher Führungsunfähigkeit vor der Auflösung stünde. Mag dies auch eine, wie Emil Scherer 1930 urteilte „eigenartige Fügung“ (ebd. S. 252) gewesen sein, die nicht den Tatsachen entsprach, es muss durchaus als Ausdruck dessen gelten, was die Kirchenleitung anstrebte.

Warum verfügte Bischof Hefele die Amtsaufgabe von Scholl? 1869, nach dem Tod von Vinzenz Sulzer, als der 1870/71er Krieg sich abzeichnete, der das Elsass deutsch werden ließ, hatte der Straßburger Superior Spitz bei der Tagung der Generaloberinnen, die aus den von Straßburg aus gegründeten Einrichtungen in Deutschland kamen, die Diskussion damit eröffnet, dass Mutterhäuser bischöflichen Rechts unter der Ägide von Straßburg zu Einrichtungen päpstlichen Rechts werden könnten. Dazu war die Einführung der Hl. Regel erforderlich, die das innere Zusammenleben der Schwesterngemeinschaft auf einzelstaatlicher Ebene festlegt. In Württemberg hätte dies die Position der Schwestern zum Nachteil des Bischofs verändert und die Funktion des Superiors in Gmünd wäre zugunsten eines direkten Berichtsweges nach Straßburg ganz entfallen; denn der Straßburger Superior wäre an seine Stelle getreten.

Dies hatte Scholl 1869 zwar rigoros abgelehnt; denn die Einführung der Hl. Regel hätte neue Zulassungen der jungen Kongregation durch die württembergischen Ministerien erfordert, sie also durchaus existenziell gefährdet. 1871 legte Scholl in Straßburg erneut ihre Gelübde ab, diesmal als ewige Gelübde. 1872 approbierte Papst Pius IX. die Straßburger Konstitution probeweise auf 10 Jahre. 1875 erhielt Gmünd 200 Exemplare der Straßburger Konstitution und der neue Superior Josef Eisenbarth (1878–1898) wurde von dem Straßburger Superior Spitz für die Idee der Wandlung von Gmünd in eine Provinz von Straßburg begeistert. Er berichtete dem Bischof davon und erhielt den Hinweis, dass dies die Aufhebung der Position des Superiors nach sich zöge und einen Machtverlust des Bischofs einleite. Scholl war die einzige Schwester der württembergischen Ordensgemeinschaft, die die ewigen Gelübde in Straßburg abgelegt hatte und sogleich die Rolle einer Provinzoberin hätte übernehmen können. Bischof Hefele, der seinen Einfluss ungeschmälert erhalten, also den Orden nicht zu einer Einrichtung päpstlichen Rechts werden lassen wollte, war entschlossen, Scholl zu verdrängen, was 1888 mit ihrer Amtsniederlegung vollzogen wurde.

Um seinem Bischof zu Diensten zu sein, verfasste Superior Joseph Eisenbarth (1878–1898) eine Abhandlung, in der er mit angeblich fehlenden Führungskompetenzen den Amtsrücktritt begründete. Das wurde später oft ungeprüft übernommen. Die Ordensgemeinschaft aber erwies sich als so stark, dass der Weggang der Gründungsoberin keine Krise auslöste, wie die konstant steigenden Zahlen der Ordenseintritte und die bruchlos weitergeführten Projekte belegen.

Die Folge war, dass Scholl Leben bis in die Gegenwart als eine fast unbeachtete Frauenkarriere im 19. Jahrhundert gewertet blieb. Das mag zwar typisch sein für eine Zeit, in der Frauen nicht wählen und studieren durften und nur mit Unterschrift des Ehemanns kaufmännisch handlungsfähig waren. Wie gezeigt, weicht dieses Urteil aber deutlich von den historischen Tatsachen ab; denn Scholl war ein charismatisches, temperamentvolles und durchsetzungsstarkes Vorbild, eine Persönlichkeit, der es gelang, Frauen zu einer Ordensgemeinschaft zu vereinen. Auch wenn sie am Ende Opfer der Umstände wurde, überdauerten die von ihr entwickelten Konzepte bis heute als Grundlagen der Ordensgemeinschaft. Werke wie die Genossenschaft e. V., das Mutterhaus und das Bildungsforum in Untermarchtal, die Vinzenz von Paul Kliniken gGmbH, die Vinzenz von Paul Hospital gGmbH Rottweil/Rottenmünster, die Vinzenz von Paul gGmbH Soziale Dienste und Einrichtungen, wurden durch Scholl erst ermöglicht: sie sind ihr Verdienst.

Quellen:

OrdensA Straßburg, Biogramm Soeur Arcadia Scholl, „Mémoire pour les Confesseurs, la Supèrieure, les Officières et ceux à qui les jeunes filles s’adehsent pour examinier leur vocation, Aufnahmekriterien, Mutterhauschronik, Band II, S. 131 ff.; OrdensA Untermarchtal, Beschreibung Mutter Arcadia nach Erzählungen der hochbetagten Schwester Notburga, in: Der Geist der neugegründeten Gemeinschaft, o. J.; Mutterhauschronik, Bd. 1, 1852–1951 und Beilagen; DiözesanA Rottenburg G 1.1. C 2 1 b; Rüdesheimer Kirchenbücher DAL Rüd K 4 und K ); StadtA Gmünd, Albert Deibele, Zur Geschichte der Barmherzigen Schwestern vom Orden des hl. Vinzenz von Paula in Gmünd, Ms, 1942, F1 Nr. 15/13.

Werke: Ordensstatuten, in: Württembergisches Regierungsblatt vom 14.4.1855, Jubiläumsbericht (teilweise abgedruckt in: Eisenbarth, 1883, Anhang).
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 1868), Gmünd, OrdensA Untermarchtal.

Literatur:

Josef Eisenbarth, Das Mutterhaus der barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vincenz von Paul in Schwäbisch Gmünd und dessen Wirksamkeit. Zum 25-jährigen Jubiläum 2. Juli 1883, 1883; Hans Lobmiller, Der Staat und das katholische Ordenswesen in Württemberg seit der Säkularisation bis zur Gegenwart. Rottenburger Diözesangeschichte nach amtlichen Quellen, 1914; Emil Clemens Scherer, Die Kongregation der Barmherzigen Schwestern von Straßburg, 1930; Albert Deibele, Zur Geschichte der Barmherzigen Schwestern vom Orden des hl. Vinzenz von Paula in Gmünd, Ms, 1942 (in: StadtA Gmünd F1 Nr. 15/13); August Hagen, Gestalten aus dem Schwäbischen. Katholizismus, 2. Teil, Portraits Josef Eisenbarth und Paul Stiegele, 1958, 268–309 und 223–267; ders., Die Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern zu Untermarchtal. Zum 100–jährigen Bestehen, 1958; Hermann Tüchle, Die Barmherzigen Schwestern von Untermarchtal, Zur 125–jährigen Tätigkeit der Vinzentinerinnen im Bistum Rottenburg-Stuttgart, 1983; Ruth Kappel, Schwester Arcadia. Apollonia Scholl (1824–1900), in: heute, Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften, Nr. 3, Juli, August, September 2017, 13–18.

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