Schlötermann, Heinz Fritz 

Geburtsdatum/-ort: 14.06.1913; Lüdenscheid
Sterbedatum/-ort: 27.02.1985;  Mannheim
Beruf/Funktion:
  • Freireligiöser Landesprediger und Autor
Kurzbiografie:

bis 1932 Schulausbildung in Lüdenscheid, zuletzt: Zeppelin-Gymnasium, abgebrochen zur Aufnahme eines Praktikums im väterlichen Betrieb

1933–1935 Gymnasium Bethel bis Abitur

1935–1938 Studium der Theaterwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte an den Universitäten Köln, dann auch evangelische Theologie und Kirchengeschichte in Berlin und in Jena mit Abschluss Promotion bei Otto Carl August zur Nedden (1902–1994): „Das deutsche Weltkriegsdrama 1919–1937“

1938 XII 1–1939 VII 18 Mitarbeiter des Volksbunds deutscher Kriegsgräberfürsorge

1939–1945 Soldat; weitere Angaben nicht ermittelt

1945–1946 V Aufbau und Leitung des Schauspiel-Ensembles, später Volkstheater Pankow

1946–1951 Leitung eines Laienspielrings und Mitbegründer der Volkshochschule Lüdenscheid

1951 Landessprecher der Freireligiösen Landesgemeinschaft Niedersachsen in Hannover

1952–1973 Landesprediger der Freireligiösen Landesgemeinde Baden

1972 Vizepräsident des Weltbunds für religiöse Freiheit, IARF

1983 VIII 11 Bundesverdienstkreuz am Bande

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch, ab 1951 freireligiös
Verheiratet:

1938 (Berlin) Liselotte, geb. Kuffner (1912–2009)


Eltern:

Vater: Alfred (1884–1933), Werkmeister, später Fabrikant

Mutter: Wilhemine Maria, geb. Wengenroth (1890–1972)


Geschwister:

Helmut Walter (1920–1979)


Kinder:

Barbara, verh. Breth (geb. 1950)

GND-ID: GND/1012384853

Biografie: Eckhart Pilick (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 477-480

Schlötermann hat in über zwei Jahrzehnten als Landesprediger die Freireligiöse Landesgemeinde Baden maßgeblich geprägt. Von Mannheim aus, der mit ca. 2000 Mitgliedern stärksten Gemeinde und Sitz der Verwaltung, betreute er ab 1970 zusammen mit seiner Frau und einem Kollegen, die Gemeinden von Konstanz, Singen, Schopfheim und Lörrach im Süden über Freiburg, Karlsruhe und Pforzheim bis Heidelberg und Mannheim sowie jenseits der badischen Grenze Heilbronn und Tübingen.

Schlötermann kam als Sohn eines Fabrikanten in Lüdenscheid auf die Welt und sollte nach dem Willen des Vaters später die Firma übernehmen. Darum verließ er, nach eigenem Bekunden ohnehin ein schlechter Schüler, 1932 das Zeppelin-Gymnasium und volontierte versuchsweise im väterlichen Industriebetrieb, besuchte aber nach dem Tod des Vaters 1933 wieder das Gymnasium in Bethel bei Bielefeld, wo er 1935 die Reifeprüfung bestand.

Nach dem Abitur immatrikulierte sich Schlötermann an der Universität Köln für das Studium der Theaterwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte und setzte seine Studien dann an der Berliner Friedrich-Wilhelms-, seit 1949 Humboldt-Universität, fort, wo er ev. Theologie und Kirchengeschichte vornehmlich bei Hans Lietzmann (1875–1942) hörte. Die letzten Semester absolvierte er an der Universität Jena, wo er 1938 mit einer literaturwissenschaftlichen Dissertation über „Das deutsche Weltkriegsdrama 1919 bis 1937“ promovierte.

Nachdem sein Gesuch um ein Dozentenstipendium an der Humboldt Universität Berlin abgelehnt worden war, fand Schlötermann am 1. Dezember 1938 bis zum 18. Juli 1939 eine Anstellung als Korrespondent beim 1919 gegründeten Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Berlin Grünewald, der zu dieser Zeit bereits knapp eine halbe Million Mitglieder zählte.

Schlötermann war kein NSDAP-Mitglied. Er war aber vom 1. Februar 1935 bis Ende 1937 als Mitglied Nr. 2101494 bei der Hitlerjugend Pressereferent und seit dem 1. Oktober 1938 Mitglied der Reichsschrifttumskammer. Er veröffentlichte Artikel im Lüdenscheider Generalanzeiger, in der NS-Volkszeitung Bielefeld und der Westfälischen Zeitung Bielefeld sowie seit 1937 im Deutschen Kulturwart. Gegenüber der Militärregierung erklärte er 1946, dass er wegen kultureller Differenzen aus der HJ ausgeschlossen worden sei.

Bei der Musterung am 24. April 1934 war er als nur bedingt tauglich eingestuft worden. Im Juli 1939 als Kompanieschreiber ins Heer einberufen und am 1. Januar 1940 zum Unteroffizier befördert worden.

Die Zeit von 1940 bis zum Kriegsende erscheint als ein dunkler Abschnitt in seinem Leben: nicht ein Detail daraus ließ sich trotz aller möglichen Versuche, auch im Nachlass, erhellen.

Unmittelbar nach Kriegsende schloss sich Schlötermann in Berlin einem Kreis junger Künstler an, die sich den kulturellen Wiederaufbau zum Ziel gesetzt hatten. Sie gründeten das Schauspielensemble Pankow, später Pankower Volkstheater, das schon anderthalb Monate nach der Kapitulation, am 1. Juli 1945, einem Sonntag, den „Kreidekreis“ von Klabund im Tivoli aufführen konnte, einem damals trotz Kriegsschäden immer noch imposant ausgestatteten Kino mit 400 Sitzplätzen. Das mag die allererste Theatervorstellung im Nachkriegsdeutschland gewesen sein! Die Künstler und Schlötermann als Regisseur und Dramaturg arbeiteten ohne Gage, wie anfangs überall in Deutschland üblich, gegen Briketts oder Nahrungsmittel als Eintrittspreis. Aus Luftschutzbetten, Verdunkelungspapier u. ä. wurde die Bühnenausstattung gewerkelt. Schlötermann zeichnete als Dr. Fritz Schlötermann verantwortlich für die Redaktion der „Mitteilungsblätter des Schauspiel-Ensemble Pankow“, die ab Heft 2 „Mitteilungsblätter des Volkstheaters Pankow“ hießen und unter dem Titel „Das Stichwort“ bis 1946 erschienen. Sie informierten über den Spielplan und die aktuelle Bedeutung des Theaters. Gelegentlich führte Schlötermann auch Regie, so bei Märchen- und Kasperlespielen nach Franz Pocci, bis die Bühne Ende Mai 1946 schließen musste.

Daraufhin zog Schlötermann mit seiner Frau in seinen Geburtsort Lüdenscheid. Als erstes etablierte er hier einen Laienspielring, den er fünf Jahre lang leitete und mit dem er anspruchsvolle Stücke wie Goethes Faust und Klabunds Kreidekreis inszenierte. Ein Abgeordneter des County Council der englischen Grafschaft Yorkshire und der Leiter des Jugendamtes im Regierungsbezirk Arnsberg bereiteten im März 1950 ein Jugendaustausch-Programm zwischen Lüdenscheid und West Riding vor, und bereits im Juli desselben Jahres ging Schlötermann mit seinem Laienspielensemble in London, Brighouse und fünf weiteren Städten der Grafschaft Yorkshire auf Tournee. Nach einem Gegenbesuch einen Monat später wurde auf der Grundlage dieses ersten deutsch-englischen Jugendaustauschs Brighouse die Partnerstadt Lüdenscheids, 1983 urkundlich besiegelt mit der Großgemeinde Calderdale, in die Brighouse mit acht weiteren Städten inzwischen eingemeindet worden war.

1946 gehörte Schlötermann in Lüdenscheid zu den Mitbegründern und ersten Dozenten der dortigen Volkshochschule. Er gab Kurse und hielt Vorlesungen über Philosophie, Religionskunde und Literatur, so eine Einführung in Goethes „Faust“, über Spiritismus und Okkultismus in der epischen Literatur des In- und Auslandes sowie im Film, ferner über die Grundprobleme der Ethik, den deutschen Humanismus und die Bewusstseinsentwicklung der europäischen Völker bis zum Beginn des Christentums.

Schlötermann publizierte 1946 bis 1950 in der „Zeitschrift für philosophische Forschung“ und von 1948 bis 1960 als freier Mitarbeiter im „Philosophischen Literaturanzeiger“. Eine dreibändige Einführung in die Philosophie in Gesprächen veröffentlichte er 1947/48. 1951 zog Schlötermann von Lüdenscheid zunächst nach Hannover, wo er die Stelle des Landesprechers der Freireligiösen Landesgemeinschaft Niedersachsen übernahm, allerdings nur für ein Jahr, nicht zuletzt deshalb, weil ihm die dort herrschende areligiöse Weltanschauung als unvereinbar mit seiner Grundeinstellung erschien; denn freireligiös bedeutete ihm frei in und nicht frei von Religion.

Für die nächsten 20 Jahre, von 1952 bis 1973, wirkte er als hauptamtlicher Landesprediger der Freireligiösen Landesgemeinde Baden, FLGB, in den seinerzeit zwölf badischen und zwei württembergischen Gemeinden. Auch außerhalb dieser Körperschaft des öffentlichen Rechts machte er sich einen Namen, da er damals zu den wenigen Geistlichen gehörte, die gegen ein geringes Entgelt für die Gemeinde auch tausende Trauerfeiern für Konfessionslose und Nichtmitglieder übernahmen. Er hat mit seinen regelmäßigen Feierstunden, Kulthandlungen und Vorträgen, durch Rundfunkreden sowie als Dozent in Seminaren und Vorlesungen an den Pädagogischen Hochschulen Heidelberg und Karlsruhe, ferner als Autor und Chefredakteur der Monatsschrift für religiöse Selbstbestimmung „Freie Religion“, später „Wege ohne Dogma“, die Entwicklung der Freien Religion maßgeblich beeinflusst. Schlötermann lehrte und predigte einen mystisch vertieften Pantheismus in der Tradition des religiösen Humanismus. Seit 1966 setzte er sich im Auftrag der FLGB für die internationale Vermittlung und Versöhnung von östlicher und westlicher Kultur ein.

Durch sein Engagement in der International Association for Religious Freedom, IARF, Weltbund für religiöse Freiheit, dessen Exekutiv- Komitee er angehörte, konnte er 1972 den ersten Kongress dieser ältesten weltweiten Vereinigung liberaler und undogmatischer Religionsgemeinschaften in Deutschland organisieren. Die IARF war 1900 zunächst als Weltbund für freies Christentum in Boston von evangelischen Theologen gegründet worden und nahm im Lauf der Jahre mehr und mehr nichtchristliche Gemeinschaften auf. Der Kongress in Heidelberg wählte ihn zum Vizepräsidenten. In dieser Eigenschaft unternahm er Vortragsreisen in die USA, um die engen historisch fundierten Verbindungen der Freireligiösen zu den amerikanischen Unitariern und Universalisten zu pflegen. Unter anderem hielt er Vorlesungen an der Meadville/Lombard Theological School Chicago. In der Folge verbrachten mehrmals unitarische Geistliche ihr Sabbatical in Baden, um hier für ein Jahr als pfarramtliche Mitarbeiter die Gemeinden zu betreuen. Auch nach Indien, Japan, Rumänien, Ungarn und in die Schweiz lud man Schlötermann zu Vorträgen ein. Zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1983 war u. a. der Bischof der Unitarischen Kirche Ungarns, Josef Ferencz, erschienen, der ein Grußwort Béla Bártoks, des Vorsitzenden der Gemeinde Budapest, überbrachte. Schlötermann wurde auf dem nächsten IARF-Kongress allerdings wider Erwarten nicht zum Präsidenten des Weltbundes gewählt und zog sich enttäuscht von der internationalen Bühne zurück.

1983 musste Schlötermann sich wegen einer Tumorerkrankung in ärztliche Behandlung begeben. Er starb im 72. Lebensjahr in Mannheim.

Quellen:

QBA R 9361 V /34951, Personenbezogene Unterlagen der Reichskulturkammer, RKK, ca. 25 Blatt, R 9361 V /151504, Personenbezogene Unterlagen der RKK, Military Government of Germany, Laufzeit 1946, ca. 25 Blatt, und BA R 9361 VI /2644, Personenbezogene Unterlagen von Gliederungen der NSDAP, 2 Blatt; StadtA Mannheim, Nachlass Heinz Schlötermann; [Studienbelege hier]; Interviews mit Barbara Breth, geb. Schlötermann, vom Mai 2017.

Werke: Das deutsche Weltkriegsdrama 1919 bis 1937. Eine wertkritische Analyse, Diss. phil. Jena, 1939; Kultspiel und Drama. Kant-Studien, 1943; Einführung in die Philosophie in Gesprächen, 3 Bde., 1947/48; Logos und Ratio. Zeitschrift für philosophische Forschung 3, 1949; Die Kunst im Banne der Philosophie. Studia Philosophica. Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft 3, 1950; Vom göttlichen Urgrund. Acht Gespräche über das Christentum von Meister Eckhart bis Berdiajew, 1950; Vom Hellsehen. Versuch einer Erklärung übersinnlicher Erscheinungen, 1951; Vom Leben und Wesen der freireligiösen Gemeinschaft, 1952; Die Religionen der Völker, 1954; Mystik in den Religionen der Völker, 1958; Die protestantischen Wurzeln der Freireligiösen Bewegung. In Wesen und Auftrag, 1959; Bekenntnis zu Goethe. Drei Vorträge, 1963; Rainer Maria Rilke. Versuch einer Wesensdeutung, 1966; Säkulare Religion, 1968; Ostasiatische Religiosität. Berichte über Studienreisen in Indien und Japan, 1983.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 1980) S. 473, Dieter Freiberger, Karlsruhe

Literatur:

Eckhart Pilick (Hg.): FS. für Heinz Schlötermann zum 60. Geburtstag, 1973; Eckhart Pilick, Religion ohne Kirche. Zum 70. Geburtstag von Heinz Schlötermann, in: Freie Religion Heft 8/9, 1983; Friedrich Heyer, Religion ohne Kirche. Die Bewegung der Freireligiösen. Ein Handbuch, 1977.

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