Hart, Wolf 

Geburtsdatum/-ort: 13.06.1911; Meiningen/Thüringen
Sterbedatum/-ort: 05.07.2002; Vogtareuth bei Rosenheim
Beruf/Funktion:
  • Filmproduzent und -regisseur
Kurzbiografie: 1932 Abitur am humanist. Berthold Gymnasium in Freiburg
1932–1933 Studium an d. Univ. Freiburg: Geschichte, Kunstgeschichte u. Sport
1933–1936 Kamera-Assistent bei Sepp Allgeier bis 1934, dann für je ein Jahr bei Terra-Film Berlin u. bei Lex-Film Berlin sowie 1936 bei Lex-Film u. Olympia-Film
1937–1938 Kameramann bei Lex-Film
1939–1940 Regisseur bei Lex-Film
1941 Regisseur bei Tobis Berlin, Kulturabteilung
1942–1944 Regisseur bei d. UFA-Kulturabteilung, auch eigene Filmproduktionen, daneben Ausbildung zum Kunstmaler
1945 beim Kriegsende in Freiburg
1946 Drehlizenz d. französischen Militärregierung
1948 eigene Produktionsfirma „Hart-Film“ in Freiburg
1953 Umzug nach Hamburg
1988 Umzug nach Fischbachau bei Bayerisch Zell
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Dt. Filmpreis in Silber (1955); Honorable Mention für „Hafenrhythmus“ bei den Internat. Filmfestspielen Berlin (1960); Dt. Filmpreis, Filmband in Gold (1981)
Verheiratet: I. 1939 (Freiburg) Edith, geb. Lorenz (1912–1977), gesch. 1952
II. 1952 (Freiburg) Helga Weber, geb. Schuh (geboren 1922)
Eltern: Vater: Ernst, Schauspieler (1877–1954)
Mutter: Margarethe, geb. Volitz (1877–1962)
Geschwister: 2
Kinder: aus II. Sabine Rech, Schauspielerin (geboren 1955)
GND-ID: GND/1012396029

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 137-139

„Bitte sofort nach Baden Baden kommen dringend“, mit dieser telegrafischen Botschaft wurde Hart im April 1946 ins Hauptquartier der französischen Militärverwaltung gerufen. Die „Section Cinéma“ erteilte ihm als einem der ersten Einheimischen eine Drehlizenz. Dieses Blatt Papier aus den Beständen der Reichspost mit aufgeklebten Textstreifen vom Bandfernschreiber hat Hart lebenslang gehütet, zusammen mit einem Dokument von 1948, worin die Säuberungskommission Freiburg feststellt: „Nicht vom Gesetz betroffen“. Hart war nie Mitglied der NSDAP gewesen. Auch ohne Parteibuch konnte er sich während des „Dritten Reiches“ aktiv an der Filmproduktion beteiligen; Regimegegner war er gewiss nie.
„Filmregisseur“ lautet Harts Berufsbezeichnung in Ausweisen und Meldedateien. „Filmproduzent“ entspricht später seinem Status als Selbständigem mit eigener Firma. In erster Linie aber war er Künstler. Die Fachwelt zählt den mehrfach Ausgezeichneten zu den wichtigen Vertretern des deutschen Kulturfilms. 35 seiner besten Schaffensjahre verbrachte er in Hamburg, aber Freiburg, wo sich seine Eltern 1919 niedergelassen hatten und der Vater als Schauspieler am Stadttheater arbeitete, war seine eigentliche Heimat. Hart besuchte dort das Berthold-Gymnasium und schrieb sich nach dem Abitur 1932 an der Universität ein. Aus politischen Gründen musste er die Hochschule bald wieder verlassen. Klaus Hosemann, der Hart persönlich gekannt hat, schreibt, Hart wollte „1933 als Führer des Sozialistischen Studentenbundes die Universität Freiburg durch die SPD-Truppe Reichsbanner besetzen“. Hart selbst erwähnt den Vorgang im Meldebogen von 1947, formuliert aber weniger dramatisch: „1933 als Leiter der sozialistischen Studentengruppe der Universität Freiburg von der Universität verwiesen.“ Sein Vater brachte ihn danach bei dem überregional bekannten Kameramann Sepp Allgeier unter. Der wurde sein Lehrmeister.
1934 fuhr der 23-Jährige mit Allgeier nach Nürnberg zum Reichsparteitag, um an den Aufnahmen des unter der Regie von Leni Riefenstahl entstehenden Reichsparteitagsfilms „Triumph des Willens“ mitzuwirken. 1936 war er in Berlin an den Aufnahmen zu Riefenstahls Olympiafilmen beteiligt, jetzt im Range eines Dienstleiters, „berechtigt zum Passieren sämtlicher Sperren“. Den Dienstleiter-Ausweis hat er seiner Familie hinterlassen samt einer Anekdote: In einem Heißluftballon sei er abgetrieben worden und habe unerwünschte Aufnahmen von einer geheimen Rüstungs-Produktionsstätte mitgebracht. Das ist glaubhaft, denn der Olympia-Film GmbH standen alle erdenklichen technischen Mittel und die entsprechende Finanzierung durch das Reichspropagandaministerium zur Verfügung.
Als Künstler, der selbst gestalten wollte, wandte sich Hart ab 1937 dem Kulturfilm bei der Berliner Lex-Film zu, einem Unternehmen von Albert Graf von Pestalozza. Ungewollt wurde aus dem Film „Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?“ von 1939 ein historisches Dokument. Ein Kaminfeger klettert nämlich über die Dächer der Freiburger Altstadt. Ihr Zustand vor der Zerstörung von 1944 wurde so festgehalten. „Der Landbriefträger“ (1941) versieht seinen Dienst im Hochschwarzwald auf Skiern und lässt keinen der entlegenen Höfe aus – ein beliebter Film, auf den das regionale Fernsehen immer wieder zurück- greift. Hart scheint zwischen Berlin und Freiburg, dem Wohnort der Eltern, gependelt zu sein. 1939 heiratete er eine Freiburgerin, die mit ihm nach Berlin zog und sich auch mit dem Medium Film, auch in technischer Hinsicht, vertraut machte. Laut Meldebogen von 1947 war Berlin von 1941 bis 1944 der Hauptwohnsitz Harts.
1941 wurde Hart Regisseur in der Kulturabteilung der Tobis Tonbild Syndikat AG, einer Gesellschaft, die maßgeblichen Anteil an der Filmproduktion der NS-Zeit hatte. Zusammen mit seiner Frau drehte er zwei Kurzfilme, die auf der Reichswoche für den deutschen Kulturfilm 1943 präsentiert wurden: „Mutter des Dorfes“ über die Tätigkeit der NS-„Volkswohlfahrt“ und „Kinder reisen ins Ferienland“ über die „Kinderlandverschickung“, eine Reaktion auf die Bombenangriffe auf die Städte. „Kinder reisen“ entstand unter dem Siegel der Ufa, von der die Tobis 1942 übernommen worden war. Mit dem Film „Rüstungsarbeiter“ legte das Ehepaar eine weitere Arbeit vor, die in den Kriegsalltag passte und die UK-Stellung des wehrtauglichen Hart rechtfertigte.
Das Kriegsende erlebte Hart in Freiburg. Zeitweise wohnte er in Oberried. Als Maler und Autor habe er sich betätigt, wie im Meldebogen vermerkt. Die Felder „Arbeitgeber“ und „Einkommen“ musste er offen lassen. Es mag ihn überrascht haben, als er elf Monate nach der Kapitulation von der Besatzungsmacht zur „Section Cinéma“ gerufen wurde. Vielleicht sollte er bei der Sichtung der weiterhin in den Kinos spielbaren Filme assistieren. In der Einleitung zu einem der Münsterbücher (Skulpturenband) erwähnt er, dass die „Section Cinéma“ auch Anregungen zur Produktion neuer Filme gab, was aber an der Verfügbarkeit von Filmmaterial scheiterte.
Schon während des Krieges hatte sich Hart mit Malerei beschäftigt. Die Denkpause der frühen Nachkriegsjahre bot ihm Raum, diese Kunst auszuüben. Im Übrigen schmiedete er Pläne und entwarf Drehbücher. 1948 gründete er seine Produktions-Firma Hart-Film. Wie viele seiner Kollegen aus der Vorkriegszeit praktizierte er nun den gründlich gelernten Beruf und seine Kunst angepasst an die Erfordernisse der neuen Zeit. Die ersten Arbeiten bewegten sich in der Nähe des Unterrichts- oder Lehrfilms, eine Sparte, die Hart eher gering schätzte, da sie der individuellen Gestaltung Grenzen setzte. Doch dann kamen aus Hamburg verlockende Angebote für den Meister von Wahrnehmung, Inszenierung und Komposition. Es entstanden eindrucksvolle Filme wie „Werftarbeiter“, „Artisten des Hafens“, „Der Strom führt Eis“.
Nach Scheidung und Neuverheiratung zog Hart 1953 nach Hamburg und verlagerte die Firma dorthin. Mehrfach wurde er in jenen Jahren ausgezeichnet, 1955 mit dem Deutschen Filmpreis in Silber „für die Kameraführung im Kulturfilm ‚Der Strom führt Eis‘“. Auch bei Filmfestivals in Venedig, Melbourne, Montreal, Vancouver, Montevideo und San Francisco wurden seine Arbeiten zur Kenntnis genommen. Finanzielle Bewegungsfreiheit verschaffte ihm indes ein Auftrag des Karlsruher Oberbürgermeisters Günther Klotz, der ein Freiburger Klassenkamerad Harts war. 1961 hatte „Karlsruhe – Stadt im Umbruch“ Premiere. Das Portrait der im II. Weltkrieg stark zerstörten Stadt wurde begeistert aufgenommen und ist bis heute ein Dokument ihrer Geschichte. Weitere Arbeiten über Karlsruhe folgten. Bei der Premiere von „Bilanz einer Stadt“ war die Ära Klotz gerade zu Ende gegangen.
Mit dem Karlsruher Honorar von 1961 konnte sich Hart einen lang gehegten Wunsch erfüllen und den Film über das Freiburger Münster drehen. An Ermutigung dazu und ideeller Unterstützung hatte es nie gefehlt, nun aber passte alles: Hart hatte eine Atempause, verfügte über die Mittel, die anspruchsvollen technischen Voraussetzungen zu schaffen; er war noch jung genug, an exponierter Stelle seine Kunst zu verwirklichen. Der faszinierende Farbfilm „Münsterbauhütte 63“ wurde 1964 mit dem Deutschen Filmpreis in Gold in der Sparte Kulturfilm ausgezeichnet. Harts intensive Beschäftigung mit dem Münster ist auch in drei Bildbänden festgehalten.
In den 1960er-Jahren geriet der traditionelle Kulturfilm in eine Krise, wenn er auch nicht aus den Beiprogrammen der Lichtspielhäuser verschwand. Mit dem Prädikat „künstlerisch wertvoll“ bewirkte er nämlich eine Reduzierung der Vergnügungssteuer. Im Film wie in allen anderen Bereichen indessen hatte sich damals Widerstand der jungen Generation geregt. Hart spürte das 1963 bei den Festspielen von Oberhausen, wo sein Aufklärungsfilm „Inge“ durchfiel. „Kein Geniestreich“ kommentierte „Der Spiegel“.
Mit Kulturfilmen fand Hart aber wieder auf die Erfolgsspur zurück. Werke aus den 1970er-Jahren, seinem letzten Schaffensjahrzehnt, sind weitere Filme über Karlsruhe, seinen Hafen, die Industrieanlagen. 1981 zog sich der 70-Jährige aus dem aktiven Filmgeschäft zurück. Zeitgleich wurde er noch einmal „für langjähriges Wirken im deutschen Film“ ausgezeichnet. Den Ruhestand verbrachte er in Bayern. Sein Nachlass befindet sich im Filmmuseum Hamburg.
Riskante Drehorte hat Hart nicht gescheut, berufliches oder geschäftliches Risiko waren jedoch nicht seine Sache. Er war eher zurückhaltend, Familienmensch, naturverbunden, ein Künstler, der nur durch sein Werk auffallen wollte. Harts großes Vorbild war der Filmemacher Robert Flaherty, der in den 1920er-Jahren mit „Nanook of the North“ Maßstäbe für den modernen Dokumentarfilm gesetzt hatte. Die einzige persönliche Begegnung zwischen Hart und Flaherty ergab sich im März 1950 in Schluchsee bei einem internationalen Filmtreffen, zu dem bekannte Filmemacher erschienen waren: Jean-Pierre Melville, Marc Allégret, Chris Marker als Vertreter des französischen Films und die Deutschen Wolfgang Staudte, Helmut Käutner und Curt Oertel.
Quellen: Nachlass im Hamburger Film- u. Fernsehmuseum e.V.; Kopien d. Südwestdeutschland betreffenden Arbeiten im Haus des Dokumentarfilms Stuttgart; StAF D 180/2 Nr. 187520, Spruchkammer-Akte mit Meldebogen von 1947, C 15/1 Nr. 1126, T 1, Zug. 1976/ 0049, Nr. 93; StadtA Freiburg, Meldekarten; Einzeldokumente u. mündliche Mitteilungen d. Tochter Sabine Rech u. von Dorothea Werner, beide Freiburg.
Werke: Filme: Heide, 1937/38; Feuer im Schiff, 1938; Hafen, 1938; Wer hat Angst vor dem Schwarzen Mann, 1939; Der Landbriefträger, 1941; Mutter des Dorfes, 1942; Kinder reisen ins Ferienland, 1943; Dämmerung über dem Teufelsmoor, 1943; Rüstungsarbeiter, 1943; Schwester Helga. Aus dem Tagebuch einer Gemeindeschwester, 1944; Der große Bergpreis, 1949; Gemeindeschwester Anna, 1950; Denk an deine Gesundheit, Rolf, 1951; Werftarbeiter, 1952; Was der Bauer nicht kennt, 1952; Das Leben ist in uns, 1953; Blinde finden ihren Weg, 1953; M 4 fährt an, 1954; Der Strom führt Eis, 1954/55; Winzer an d. Mosel, 1955; Artisten des Hafens, 1956; …erwachsen sein dagegen sehr, 1956; Ein Bürgermeister hat Kopfschmerzen, 1956; Regen, 1957; Abseits, 1957/58; Kleine Weltentdeckung, 1957/58; Eine Raffinerie fährt an, 1958; Nord-Ostsee-Kanal, 1958/59; Buddelschiff, 1959/60; Hafenrhythmus, 1959/60; Stadt im Umbruch (Karlsruhe), 1960/61; Kaischuppen 76, 1961; Seit 1275, 1961; Hütet eure Töchter: Inge.., 1962ff.; Bauhütte 63 (Freiburg), 1961– 1963; Energie-Schwerpunkt Süd-West, 1963/64; Lebenslauf einer Stadt (Karlsruhe), 1964/65; Hallig, 1965; Barlachstudien, 1965/67; Ich bin Schwester, 1966/67; Schwestern, 1967/68; Ein Mann, d. schreiben wollte, 1968; Maßwerk, Fialen u. Propheten, Theaterfassung von Bauhütte 63, 1968; Freiburg u. natürlich Freiburg (Kurzfassung), 1969/70; Bilanz einer Stadt (Karlsruhe), 1970; Raffinerie, 1971/72; Sie kommen wieder (Resozialisierungsprobleme von Strafgefangenen), 1973; Sag mir, wie man Betten baut (Gebrauchanweisung für die Bundeswehr), 1973/74; Drachen (für WDR, Sendung mit d. Maus), 1973/74; Lebenslauf einer Stadt II (Karlsruhe), 1974/75; Bilanz einer Stadt II (Karlsruhe), 1975. – Bücher: (mit Ingeborg Krummer-Schroth) Die Skulpturen des Freiburger Münsters, 1975, 1981 u. 1999; Das Freiburger Münster, 1978 u. 1999; Die künstlerische Ausstattung des Freiburger Münsters, 1981 u. 1999.
Nachweis: Bildnachweise: K. Hosemann, 1987, 125 (vgl. Literatur).

Literatur: Bühnenjahrb. des Freiburger Stadttheaters 1919/20, 85, 1920/21, 33 u. 1921/22, 35; Oberhausener Dichter u. Dreher, in: Der Spiegel 10/1963, 92-96; Klaus W. Hosemann, Sepp Allgeier – Erinnerungen an einen Meister, in: Freiburger Almanach 1986, 115; ders., Wolf Hart – Film als eigengesetzliche Kunst, in: ebd. 1987, 125-127; Hilmar Hoffmann, Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit. Propaganda im NS-Film, 1988; Joachim Paschen, Portrait: Die Wirklichkeit steckt voller Wunder. Über den Filmemacher Hart, in: Hamburger Flimmern, Zs. des Film- u. Fernsehmuseums Hamburg e.V., H. 10, 2003, 23–27; Peter Zimmermann, Zwischen Sachlichkeit, Idylle u. Propaganda. Der Kulturfilm im Dritten Reich, in: ders. u. Kay Hoffmann (Hgg.): Triumph d. Bilder. Kultur- u. Dokumentarfilme vor 1945 im internationalen Vergleich, 2003, 59-73; Thomas Tode Kurzbiographie Hart, in: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland Bd. 3: „Drittes Reich“, Kay Hoffmann u.a. (Hgg.), 2005, 800f.
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