Helmle, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 26.10.1875;  Bruchsal
Sterbedatum/-ort: 16.03.1953;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Elektroingenieur, Vorstandsmitglied der Badenwerk AG
Kurzbiografie: 1894 Reifeprüfung in Konstanz
1894-1897 Mechanikerlehre
1897-1900 Ingenieurschule Zwickau; Abschlußprüfung für Maschinen- und Elektroingenieure
1900-1911 Konstruktionsingenieur in der Elektroindustrie und Betriebsleiter in Energieversorgungsunternehmen
1911-1918 Oberingenieur und Handlungsbevollmächtigter bei der Rheinischen Schuckert-Gesellschaft für elektrische Industrie AG, Mannheim
1919-1921 Oberingenieur und Leiter der „Stromvertriebsstelle“ bei der „Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues“ in Karlsruhe; Aufbau der Landeselektrizitätsversorgung
1921-1933 Vorstandsmitglied der „Badischen Landeselektrizitätsversorgung A.-G. (Badenwerk)“ in Karlsruhe; Aufsichtsratsmitglied zahlreicher Energieversorgungsunternehmen
1923 Verleihung des Titels „Oberbaurat“
1925 Dr.-Ing. E.h. der TH Karlsruhe
1933 Abberufung als Vorstandsmitglied des Badenwerks auf Druck der nationalsozialistischen Regierung
1934 endgültig aus dem Badenwerk ausgeschieden
1937-1939 Verfahren wegen „Volksverrat“, Devisenvergehen und Steuerhinterziehung, Verurteilung zu Zuchthausstrafe
1941 Haftentlassung auf Bewährung
1949 Umwandlung in Gefängnisstrafe und Strafmilderung
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1. 1907 Adolfine, geb. Neiteler
2. 1930 Heidelberg, Margaretha Sofie, geb. Kreecker
Eltern: Wilhelm Helmle (1842-1920), Postsekretär
Maria Elisabetha, geb. Franz (1846-1913)
Geschwister: 10
Kinder: aus 1. Ehe Adolfine („Fini“), Hans Wilhelm
GND-ID: GND/1012409775

Biografie: Bernhard Stier (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 212-215

Nach Mechanikerlehre und Absolvierung der Ingenieurschule gelang Helmle ohne akademische Ausbildung in der expandierenden Elektroindustrie ein rascher beruflicher Aufstieg. Ein gutes Jahrzehnt arbeitete er als Konstruktions- und Montageingenieur bei renommierten Unternehmen der Elektrotechnik und als Betriebsleiter verschiedener Gas- und Elektrizitätswerke. Entscheidend für seinen weiteren Lebensweg wurde der Wechsel zur Rheinischen Schuckert-Gesellschaft für elektrische Industrie AG in Mannheim (RSG); hier bearbeitete er seit 1911 eigenverantwortlich die Pläne für eine flächendeckende Stromversorgung in der bislang noch nicht elektrifizierten Region zwischen Rastatt, Bruchsal und Sinsheim. Als Projektleiter und Handlungsbevollmächtigter der RSG und als treibende Kraft der geplanten „Mittelbadischen Bahn- und Elektrizitätsgesellschaft“, eines Gemeinschaftsunternehmens der RSG und der größeren Kommunen, führte Helmle die Verhandlungen mit den Ministerialbehörden der großherzoglichen Regierung, vor allem der Abteilung für Wasserkraft und Elektrizität in der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues.
1912 war in Baden die Entscheidung für den Bau des staatlichen Murgwerks bei Forbach getroffen worden, und die Behörden bemühten sich, den mittelbadischen Raum als Absatzgebiet für die im Murgwerk erzeugte Elektrizität zu erschließen. Die Kooperation mit der Privatindustrie, vor allem mit der RSG, führte jedoch zu rasch eskalierenden Konflikten zwischen staatlicher Stromversorgung zu Selbstkosten und privatwirtschaftlicher, gewinnorientierter Elektrizitätswirtschaft. Zum Hauptträger des politischen Widerstandes gegen eine Beteiligung des Privatkapitals und eine mögliche Ausbeutung der Stromverbraucher durch private Monopole entwickelte sich die Zweite Kammer des Landtags. Nach kriegsbedingter Verzögerung des Projekts der RSG setzte sich diese Linie unter dem Eindruck der Revolutionsereignisse endgültig durch: Im Dezember 1918 ließ die provisorische Regierung das Vorhaben einer gemischtwirtschaftlichen Elektrizitätsversorgung Mittelbadens fallen und entschloß sich stattdessen zum reinen Staatsbetrieb und zum Aufbau einer staatlichen „Landeselektrizitätsversorgung“. In der Energieknappheit der Nachkriegszeit war es nur folgerichtig, diese staatliche Elektrizitätsversorgung auf den Planungen der RSG aufzubauen. Daß Helmle als Urheber dieser Pläne in den Staatsdienst trat und sein Konzept nunmehr für die Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues in die Praxis umsetzen konnte, erwies sich als Glücksfall, sicherte es doch eine wichtige personelle Ressource und den raschen Aufbau der Elektrizitätsversorgung. Seit Anfang des Jahres 1919 war Helmle als Oberingenieur bei der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues in Karlsruhe angestellt; als Leiter der „Stromvertriebsstelle“ baute er in Zusammenarbeit mit seinem Partner Rudolf Fettweis, dem Leiter der „Stromerzeugungsstelle“, d. h. des Murgwerks in Forbach, das Netz der staatlichen Stromversorgung auf. Dieses beschränkte sich bald nicht mehr auf das ursprüngliche mittelbadische Absatzgebiet des Murgwerks, sondern griff auf alle noch nicht elektrifizierten Regionen des Landes aus. Bis 1920 kamen so die ausgedehnten Versorgungsgebiete „Unterbaden“ vom Neckar bis in den Taubergrund und „Oberbaden“ im Norden und Nordosten des Bodensees hinzu.
Wirtschaftliche Zwänge, aber auch der ausufernde Umfang des Projekts der Landeselektrizitätsversorgung führten 1921 zur Umwandlung in eine Aktiengesellschaft im Staatsbesitz. Am 16. Juli 1921 wurde Helmle zusammen mit Fettweis in den Vorstand der neugegründeten „Badischen Landeselektrizitätsversorgung A.-G.“ in Karlsruhe berufen. In dieser Funktion und als Aufsichtsratsmitglied zahlreicher Energieversorgungsunternehmen (u. a. RWE, Schluchseewerk AG, Großkraftwerk Mannheim AG, Neckar AG) sowie als badischer Staatskommissar bei den Kraftübertragungswerken Rheinfelden AG und der Kraftwerk Laufenburg AG, schließlich in der Vorstandschaft der frühen Verbundgesellschaften trieb Helmle den Aufbau der Stromversorgung im deutschen Südwesten ebenso energisch voran wie die Ansätze zu einer umfassenden nationalen und internationalen Verbundwirtschaft. In seine Amtszeit fallen die großen Kraftwerksprojekte des Badenwerks am Hochrhein und im Südschwarzwald (Ryburg-Schwörstadt, Schluchseewerk), zahlreiche Beteiligungen und Gründungen von Tochtergesellschaften und der Aufstieg des Unternehmens zum beherrschenden Stromversorger im Land, der sich auch in einer glänzenden wirtschaftlichen Entwicklung niederschlug.
Selbst aus der Industrie hervorgegangen und mit dem Management von Industriebetrieben bestens vertraut, verstand es Helmle, auch den großen Staatskonzern „Badenwerk“ nach effizienten privatwirtschaftlichen Grundsätzen zu führen und auszubauen. Sein hervorragender Ruf in Industriekreisen begünstigte die Zusammenarbeit mit den großen Energieversorgern, vor allem mit dem RWE. Nach dem Zeugnis des Finanzministers H. Köhler besaß das Badenwerk in Helmle eine Fachkraft von „nicht genug zu preisenden organisatorischen Fähigkeiten“. Für seine Verdienste wurde ihm 1923 von der Staatsregierung der Titel eines „Oberbaurats“, 1925 von der Technischen Hochschule Karlsruhe jener eines Dr.-Ing. E. h. verliehen – für den Nichtakademiker Helmle der Höhepunkt gesellschaftlicher Anerkennung seines Wirkens. Als leitender Direktor des Badenwerks und vor allem im öffentlichen Ansehen rangierte er damit deutlich vor seinem Kollegen Fettweis, im Vorstand für die spezielleren Fragen des Kraftwerksbaus und -betriebs zuständig. Trotz ebenfalls exzellenter Leistungen wurden diesem vergleichbare Ehrungen erst deutlich später zuteil.
Unter Helmles tatkräftiger Mitwirkung entwickelte sich das Badenwerk zu einem prosperierenden Unternehmen und zu einer verläßlichen Einnahmequelle für die notleidenden Staatsfinanzen. Dabei rückte der sozialpolitisch begründete Auftrag staatlicher Stromversorgung gegenüber der privatwirtschaftlichen Unternehmensführung, der Sicherung des Kapitals und der Gewinnabsicht in den Hintergrund. Seit der Unternehmensgründung, vor allem in der Inflationsperiode und erneut während der Wirtschaftskrise, entbrannten deshalb in Landtag und Öffentlichkeit immer wieder Auseinandersetzungen um die Geschäftspolitik des Badenwerks. Die Kritik richtete sich gegen angeblich überhöhte Strompreise bei gleichzeitigen hohen Unternehmensgewinnen. Tatsächlich stand das Badenwerk als Versorger der weitläufigen und nachfrageschwachen ländlichen Regionen vor weit schwierigeren Voraussetzungen als Elektrizitätswerke in den industriellen Ballungszentren mit hohem, gut durchmischtem und ausgeglichenem Verbrauch. Die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit kostendeckend kalkulierter Tarife – den Fachleuten ohne weiteres einsichtig – beeindruckte die Kritiker angesichts der erzielten Überschüsse jedoch wenig, und für die Öffentlichkeit repräsentierte Helmle wie kein anderer die harte, kaufmännisch kalkulierende Unternehmenslinie gegen den Auftrag der Stromversorgung zu möglichst billigen Preisen.
Die Finanzminister der Weimarer Regierungskoalition hatten Helmles Politik stets gutgeheißen, weil sie den Bestand des Badenwerks zu sichern versprach und dem Staat üppige Dividenden garantierte. Mit dem Niedergang der Demokratie und eskalierender Agitation der extremistischen Parteien verstärkten sich jedoch die Vorwürfe einer angeblichen „Ausbeutung“ der Stromverbraucher, und als bedeutendster Repräsentant des Badenwerks wurde Helmle zum Opfer dieser Agitation: Besonders niederträchtig verknüpfte NSDAP-Gauleiter Robert Wagner, seit 1929 Mitglied der nationalsozialistischen Landtagsfraktion, die Kritik an den Strompreisen mit heftigen Angriffen gegen Helmle und schürte den Neid mit parlamentarischen Anfragen über seine angeblich astronomischen Bezüge – nach den Maßstäben der Branche erhielt der gefragte Spezialist indessen nur ein mäßiges Gehalt. Nach der „Machtergreifung“ wurde Helmle in einer außerordentlichen Generalversammlung des Badenwerks vom 1. Juni 1933 auf Druck des Reichsstatthalters Wagner und des Ministerpräsidenten und gleichzeitigen Finanz- und Wirtschaftsministers W. Köhler, der beiden prominentesten badischen Nationalsozialisten, seines Amtes enthoben – keine Viertelstunde nahm die Abschiebung des verdienten Vorstands in Anspruch. Im Herbst des Jahres hob die nationalsozialistische Führung Helmles Dienstvertrag mit fragwürdigen Argumenten auf, aber erst nach einem gerichtlichen Vergleich gelang es ihr im Frühjahr 1934, ihn endgültig aus dem Badenwerk hinauszudrängen. 1935 siedelte Helmle nach Heidelberg über und lebte dort im Ruhestand.
Technisch und kaufmännisch gleichermaßen versiert und erfolgreich, galt Helmle den Nationalsozialisten als typischer Vertreter der „Systemzeit“. Vor allem Reichsstatthalter Wagner suchte in den folgenden Jahren mehrfach nach einer Gelegenheit, mit dem verhaßten Gegner abzurechnen, obwohl selbst Ministerpräsident Köhler Helmle hervorragende Verdienste um den Aufbau der Stromversorgung bescheinigen mußte. Offensichtliche Devisenvergehen und Steuerhinterziehungen Helmles, durch – vermutlich von der politischen Führung instruierte – Vertrauensleute der Mannheimer Zollfahndung entdeckt, boten schließlich die ersehnte Handhabe für eine öffentliche Abrechnung. Zweifellos hatte Helmle, trotz seiner hohen Einkünfte persönlich beinahe übertrieben sparsam, gegen die bereits 1931 eingeführte Meldepflicht für Auslandsguthaben verstoßen und sich damit strafbar gemacht. Das Verfahren wegen „Volksverrats“, Devisenvergehen und Steuerhinterziehung vor dem Mannheimer Sondergericht für den OLG-Bezirk Karlsruhe diente jedoch in erster Linie als juristischer Rahmen für die gesuchte Revanche und war im Kern ein politischer Prozeß – vor Gericht stand nicht das Rechtssubjekt Helmle, sondern der Repräsentant des Badenwerks und der Weimarer Zeit. Aus dem geschätzten Spezialisten war nach der Prozeßberichterstattung der NS-Presse der „reinste Devisen-Jongleur“, vor allem jedoch „ein echter Systembonze“ geworden, dessen fragwürdige Karriere „nur in der Systemzeit“ möglich gewesen sei; angeblich regimefeindliche Äußerungen waren als Zusatzargument ebenso willkommen wie die seit 1928 bestehende Parteimitgliedschaft Helmles beim Zentrum.
Die Prozeßakten, vor allem ein psychiatrisches Gutachten des Heidelberger Neurologen und berüchtigten Nationalsozialisten Carl Schneider über Helmle, der in der Untersuchungshaft einen Selbstmordversuch verübt hatte, geben Auskunft über seine problematische Familiengeschichte und machen die Brüche in der Persönlichkeit des Aufsteigers deutlich, der es aus kleinsten Verhältnissen und der 13köpfigen Familie eines großherzoglichen Postsekretärs zum erfolgreichen Manager und Gestalter der südwestdeutschen Elektrizitätswirtschaft gebracht hatte, dabei aber stets unter innerer Unruhe und einem labilen seelischen Gleichgewicht litt und auch im Privatleben keinen Rückhalt finden konnte, obwohl er sich nach dem Tod seiner ersten Frau erneut verheiratet hatte. Die politische Absicht des Verfahrens schlug sich im überaus harten Urteil einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und neun Monaten nieder. Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte, eine hohe Geldstrafe, Vermögenseinzug und Verlust aller Ruhegehaltsansprüche an das Badenwerk ruinierten Helmle sozial und finanziell. 1941 wurde er auf Bewährung aus der Haft entlassen, 1944 eine Reststrafe von knapp drei Monaten erlassen. Aber auch die Befreiung vom Nationalsozialismus rehabilitierte Helmle nicht vollständig, da das Devisenvergehen, Kern des strafrechtlichen Vorwurfs, bestehenblieb. Allein auf dem Gnadenweg konnte er eine Umwandlung der Zuchthaus- in eine Gefängnisstrafe und Strafnachlaß erreichen und so in weiteren Verfahren wenigstens zivilrechtliche Ansprüche gegen das Badenwerk geltend machen. Den Verlust seines Rufs hatte Helmle bis an sein Lebensende zu tragen: Die früheren Mitstreiter der Elektrizitätsversorgung gingen auf Distanz, und als er 1953 in Heidelberg starb, war auch beim Badenwerk, das ihm seinen Aufstieg zu einem guten Teil verdankte, jede Erinnerung an ihn getilgt.
Quellen: GLAK 233/25324 f.; 466/Zug. 1979/2, Nr. 3016; 481/117 und 1978; 507/2815-27; Badenwerk AG, Karlsruhe: Abt. DI-A (Materialsammlung Heimle)
Werke: Wilhelm Engler, Freiburg, Baden und das Reich. Lebenserinnerungen eines südwestdeutschen Sozialdemokraten (1873-1938), 1991, 150 f., 153; Heinrich Köhler, Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes (1878-1949), 1964, 112, 115 f.; Bernhard Stier, Politische Steuerung großtechnischer Systeme. Elektrizität und Energiepolitik in Baden 1890-1935, in: ZGO 142 (1994); ders., Otto Helmle – Schöpfer der Landeselektrizitätsversorgung oder Weimarer ‚Systemverbrecher‘? Eine verspätete Würdigung, in: BH 74 (1994), 127-134

Literatur: Badenwerk AG, Karlsruhe; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, 1930, Bd. 1, 709
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