Schlienz, Robert 

Geburtsdatum/-ort: 03.02.1924;  Zuffenhausen
Sterbedatum/-ort: 18.06.1995;  Dettenhausen
Beruf/Funktion:
  • Fußballnationalspieler
Kurzbiografie:

1930 –1938 Grundschule Zuffenhausen

1939 –1944 Lehre als Maschinenschlosser und Geselle bei Fa. Kreidler, Zuffenhausen

1945 –1959 Fußballprofi beim VfB Stuttgart

1950 Silbernes Lorbeerblatt

1949 –1966 Betreiber eines Sportgeschäfts am Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet:

1950 Antonia (Netti, geb. 1928)


Eltern:

Vater: Paul (1890–1952)

Mutter: Anna, geb. Necker (1893–1943)


Kinder:

2; Monika (geb. 1950) und Petra (geb. 1955)

GND-ID: GND/1012411044

Biografie: Klaus Schlütter (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 475-477

Seit dem ersten Länderspiel einer deutschen Fußballnationalmannschaft am 5. August 1908 in Basel gegen die Schweiz trugen rund 950 Spieler das DFB-Trikot. Aber keiner mit einem so gravierenden Handicap wie Schlienz Der Meisterspieler und langjährige Kapitän des VfB Stuttgart hatte durch einen Autounfall den linken Unterarm verloren, was für jeden andern Spitzenspieler das Ende der Karriere gewesen wäre. Nicht so für Schlienz! Mit amputiertem Arm aber unbändiger Willenskraft kämpfte er sich zurück und bestritt unter Bundestrainer Sepp Herberger noch drei Länderspiele, was eine weltweite Ausnahme darstellte.

Bereits als 6-jähriger kickte Schlienz beim FV Zuffenhausen. Trainiert wurde er von seinem Vater. Mit 16 half er in der ersten Mannschaft aus. 1942 wurde Schlienz mit der A-Jugend des FVZ ganz überlegen mit 73 Siegen in 79 Spielen bei einem sagenhaften Torverhältnis von 371:45 württembergischer Gebietsmeister. Auf dem Weg zum Titelgewinn wurden die Junioren des VfB Stuttgart mit 6:1 und die der Stuttgarter Kickers mit 7:0 geschlagen, im Endspiel der SSV Ulm mit 3:0.

Der II. Weltkrieg stoppte jäh die Karriere. Schlienz wurde zum Kriegsdienst an die Ostfront geschickt. Eine russische Gewehrkugel traf seinen Kiefer, wovon eine große Narbe zurückblieb. Schlienz wurde aus der Wehrmacht entlassen.

Als Spieler gegen Ende des Krieges immer knapper wurden, erlaubte der Verband den Einsatz von Gastspielern in anderen Vereinen. So kam Schlienz, der eigentlich Mittelstürmer beim Klub aus dem Stuttgarter Norden war, zum VfB. Entdeckt hatte ihn der ehemalige VfB-Torwart und spätere Spielausschussvorsitzende Ernst Schnaitmann (gest. 1981) bei einer Partie der Jugend-Stadtauswahl. Schlienz bestritt in der Saison 1944/45 einige Spiele für den VfB in der Gauliga. Das letzte vor Kriegsende am 2. April 1945 gegen die KSG Untertürkheim-Wangen wurde beim Stande von 5:2 wegen Fliegeralarms abgebrochen. Kaum drei Wochen später wurde Stuttgart besetzt.

Im Oktober 1945 wurde die Süddeutsche Oberliga als höchste Spielklasse in der amerikanischen Besatzungszone eingeführt, ein Schritt hin zur Professionalisierung des Fußballs. Mit aus diesem Grund schloss sich Schlienz endgültig dem in der neu gegründeten Liga spielenden VfB an. Reichtümer waren damals allerdings nicht zu verdienen. 320 DM gab es, die zu versteuern waren. Gleich in seiner ersten Saison 1945/46 bewies er seine außergewöhnlichen Qualitäten als Torjäger; er erzielte in 30 Spielen 46 Treffer. „Ein Rekord, der nie gefährdet sein wird. […] Schlienz ist die allerhöchste Stufe von dem gewesen, was der Engländer 'Goalgetter' und der Franzose 'Gagneur' nennt“, schrieb Hans Blickensdörfer in seinem Nachruf (Stuttgarter Zeitung vom 19.6.1995).

Schlienz war 24 Jahre alt und in der höchsten Blüte seiner Karriere, als ihn ein schwerer Schicksalsschlag traf. Am 14. August 1948 bestritt der VfB ein Pokalspiel beim VfR Aalen. Weil seine Mutter ernsthaft krank war, wollte Schlienz zu Hause bleiben, doch sie überredete ihn, mitzufahren. Er kam zu spät zur gemeinsamen Abfahrt, lieh sich das Auto eines Freundes und raste hinterher. Es war ein heißer Sommertag. Um die Hitze ein wenig erträglicher zu machen, streckte er den Arm zum Autofenster hinaus, lenkte mit einer Hand. Plötzlich kam ein Schlagloch, der Wagen kippte zur Seite und zerschmetterte den linken Arm von Schlienz Die Ärzte mussten amputieren.

„Ich hatte wenig Hoffnung auf eine Fortsetzung meiner Fußballkarriere – aber einen guten Freund“, schrieb Schlienz („Schwabenstreiche“, 1989, S. 81). Dass der Einarmige allen Prophezeiungen zum Trotz auf den Platz zurückkehrte, hatte er seinem Trainer Georg Wurzer (1907–1982) zu verdanken, der mit Schlienz neue Bewegungsabläufe einübte; denn dessen Gleichgewicht war zuvor gestört gewesen und bei Stürzen im Spiel durfte er nicht auf den Armstumpf fallen. Um das Verletzungsrisiko zu minimieren, zog Wurzer den Torjäger auf die Position des Liberos, des linken Läufers also, zurück.

Kaum vier Monate nach seinem Unfall stand Schlienz beim 2:1–Heimsieg gegen Bayern München wieder auf dem Spielfeld, das Trikot um den Armstumpf herum hochgebunden. „Er hat sein Handicap nie als Behinderung empfunden. Hat nie gejammert oder geklagt“ berichtete seine Frau (in: Oliver Trust, 2013, S. 53). So gut es ging Schlienz führte ein normales Leben, putzte seine Schuhe mit einer Hand und schaffte es sogar, die Schnürsenkel einhändig zu binden. In seinem Sportgeschäft reparierte er die Ski der Kunden mit einem Arm. Nur nach den Spielen zog ihm sein Mannschaftskamerad Lothar Weise immer die Manschette an und half ihm beim Anziehen.

Nach seinem Comeback begann die goldene Ära des VfB Stuttgart, was zweifellos mit Schlienz zusammenhing. Er war Mannschaftskapitän, kein „Fußballästhet“, sondern Kämpfer und Antreiber mit großem Ehrgeiz, der keinen Ball verloren gab und immer gewinnen wollte. „Wenn du bei ihm nicht marschiert bist, dann ist er über den Platz gerannt und hat dir in den Hintern getreten. […] Auf dem Platz war er ein Drecksack, aber nach dem Spiel mein bester Freund.“ (Lothar Weise, in: SPIEGEL online vom 9.1.2008).

Von der neuen Position aus schoss Schlienz in 391 Oberligaspielen und 425 Partien für die Mannschaft mit dem roten Brustring insgesamt 143 Tore. Er wurde mit Stuttgart zweimal Deutscher Meister und zweimal deutscher Pokalsieger. Die große Erfolgsgeschichte begann am 25. Juni 1950 im Berliner Olympiastadion. Der VfB gewann die Meisterschaft mit 2:1. Führungsfiguren waren Schlienz, Erich Retter und Kalli Barufka. Bei der Rückkehr jubelten 300 000 in Stuttgart.

Im folgenden Jahr verfehlte der VfB die Endrundenteilnahme, 1952 war er wieder dabei. Die Finalisten wurden in zwei Vierergruppen mit Hin- und Rückspielen ermittelt. Der VfB setzte sich gegen den VfL Osnabrück, Rot-Weiß Essen und Tennis Borussia Berlin durch. Den Ball zum Spiel überreichte übrigens das Film- und Revue-Idol Marika Rökk, wofür sich Spielführer Schlienz mit einem galanten Kuss bedankte. Im Endspiel traf Stuttgart im Ludwigshafener Stadion auf den 1. FC Saarbrücken. Schlienz bremste den schussgewaltigen Momber und kurbelte das eigene Sturmspiel an: 3:2, der zweite deutsche Meistertitel, zu dem Bundespräsident Theodor Heuss ein Glückwunschtelegramm sandte! „Die Rückfahrt war triumphal. Auf einer 30–Kilometer- Fahrt durch Ludwigsburg, Zuffenhausen, Stuttgart und Bad Cannstatt wurden die Spieler wie Könige gefeiert, […] Schlienz musste sich einen dritten, riesigen Kranz um seine Schultern hängen lassen“, schrieb Gerd Krämer (100 Jahre VfB, 1992, S. 119)

Dem Titelverteidiger gelang 1953 der dritte Meistertitel in vier Jahren. Diesmal war der 1. FC Kaiserslautern der Endspielgegner. Zum ersten Mal wurde ein Finale im Fernsehen übertragen. Es begann mit einem Knalleffekt. Der Schiedsrichter gab einen höchst umstrittenen Foulelfmeter. Der VfB protestierte, das Publikum zeigte seinen Unmut mit Pfiffen. Torwart Karl Bögelein hielt den Strafstoß von Fritz Walter, der aber zurückschlug und mit seinem Tor zum 1:0 den 4:1 Sieg seiner Mannschaft einleitete. Schlienz dazu: „An diesem Tag war uns der Gegner klar überlegen. Das hat entschieden. So sind wir wenigstens kämpfend untergegangen“. (100 Jahre VfB, 1992, S. 122). Der Ehrenspielführer der deutschen Nationalelf wurde später ein enger Freund der Familie Schlienz.

Erfolge danach waren die DFB-Pokalsiege 1954 und 1958. Der erste war eine harte Nuss. 90 Minuten fiel kein Tor in Ludwigshafen gegen den 1. FC Köln. In der 5. Minute der Verlängerung dann ein genialer Steilpass von Kapitän Schlienz auf den jungen Erwin Waldner. Der nahm den Ball im Strafraum mit dem rechten Fuß an, schlug noch einen Haken und schoss aus spitzem Winkel mit links das entscheidende Tor. Vier Jahre später hieß der Endspielgegner Fortuna Düsseldorf. Das aufregende Spiel ging wieder in die Verlängerung. Mittelstürmer Lothar Weise entschied die Partie per Kopfball zum 4:3. Beim Bankett ließ Schlienz den Pokal bis zum Rand mit Sekt füllen und zuerst bei den Verlierern kreisen. Schlienz, der die „Roten“ als Kapitän zu zwei Meisterschaften und zwei Pokalsiegen geführt hatte, war ein prägender Teil der Stuttgarter Erfolgsgeschichte in den 1950er-Jahren. Lob aus berufenem Munde nach einem Freundschaftsspiel gegen die spanische Nationalelf kam von Alfredo di Stefano (1926–2014), der als überragender Spieler und Kopf des legendären „weißen Balletts“ den Mythos von Real Madrid begründete: „Der beste Mann auf dem Platz war der Einarmige. Was der geleistet hat, war unglaublich“ (SPIEGEL online vom 9.1.2008). Der Ritterschlag für Schlienz aber war 1955 und 1956 die Berufung durch Bundestrainer Sepp Herberger zu drei Länderspielen gegen Nordirland, Niederlande und England. „Als er eines Tages anrief und mir am Telefon sagte, dass ich zum Kader für das nächste Länderspiel gehörte, war ich im siebten Himmel. […] Ich als Einarmiger in der Nationalelf. Der VfB war stolz auf mich, und ich war dankbar.“ (Schwabenstreiche, 1989, S. 81).

Nach der Sommerpause 1959 gehörte Schlienz zwar noch zum Spielerkader des VfB, wurde aber nicht mehr eingesetzt. Schlienz war 35 und der Trainer wollte altershalber einen Schnitt machen. Der ganze Freundeskreis von Schlienz ging auf die Barrikaden, aber es half nichts. Wurzers einstiger Ziehsohn war schwer enttäuscht. Abgeschoben zu den Alten Herren nahm Schlienz leise Abschied. Nicht einmal ein Abschiedsspiel war ihm vergönnt. Als der damalige Präsident Dr. Fritz Walter ihn mit 500 Mark im Stadion verabschieden wollte, lehnte Schlienz ab: „Kommt nicht in Frage“, sagte er nur und trennte sich in Unfrieden von seinem Verein. Er trainierte für kurze Zeit in Backnang und Esslingen.

Erst viele Monate später spielte Wurzers Sohn den Vermittler und überbrachte eine Botschaft des reumütigen Vaters. Schlienz nahm an und schloss seinen Klub wieder ins Herz. 1969 gehörte er für kurze Zeit sogar dem Vorstand an. Nach der dritten Deutschen Meisterschaft 1984 saß Schlienz als Ehrengast im ersten Auto des Triumphzuges durch die Stadt. Den Fans war er wie kein Zweiter an’s Herz gewachsen. Über 50 Jahre nach seinem Karriereende schaffte es Schlienz als Einziger der „Alten“, von 25 000 VfB-Anhängern in die Stuttgarts „Jahrhundert-Elf“ gewählt zu werden.

1995 erlitt Schlienz einen Hirnschlag, erholte sich wieder, starb jedoch bald darauf an einem Herzinfarkt. Seiner Beisetzung bei strömendem Regen in Dettenhausen wohnten mehr als 300 Trauergäste bei. Der VfB benannte das Amateurstadion zwischen Mercedes-Benz-Arena und Klubhaus in „Robert-Schlienz Stadion“ um.

Nachweis: Bildnachweise: Foto (ca. 1947), S. 473, VfB Stuttgart.

Literatur:

(Auswahl) Oskar Beck/Hans Reski, Schwabenstreiche, 1989; Autorenteam, 100 Jahre VfB, 1992; Christian Dittmar, Fußball-Legende Schlienz, in SPIEGEL Online vom 9.1.2008; Christian Dittmar, „Der Besieger“ im Fußballmagazin 11 Freunde, 30.10. 2011; Klaus Schlütter, 111 Gründe, den VfB Stuttgart zu lieben, 2013; Oliver Trust, VfB ein Leben lang, 2013; Einarmig ins DFB-Dress, weltfussball.de, 2015.

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