Weil, Albert 

Geburtsdatum/-ort: 22.01.1862;  Ellwangen
Sterbedatum/-ort: 24.03.1946; Lengnau (Schweiz)
Beruf/Funktion:
  • Zeitungsverleger
Kurzbiografie: 1865 Weils Vater Leopold gründet die „Jagstzeitung“ in Ellwangen
1896-1903 Weil leitet die „Jagstzeitung“ in Ellwangen (mit Bruder Sigmund)
1903 Übernahme der „Tübinger Chronik“ (bis 1914 mit Bruder Sigmund)
1903 Verkauf der „Jagstzeitung“ in Ellwangen
1905 Bezug des neuen Verlagsgebäudes in der Uhlandstraße 2
1923 Antisemitischer Angriff gegen die Familie Weil
1930 Verkauf der „Tübinger Chronik“ an Dr. Karl Höhn in Ulm; Sohn Hermann bleibt vorerst in der Geschäftsleitung
1931 Weil emigriert nach Baden (Aargau)
1933 Hermann Weil wird aus der Geschäftsleitung entlassen; Emigration nach Tanganjika
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: Frieda, geb. Moos (1872-1942), Fabrikantentochter aus Buchau
Eltern: Vater: Leopold Weil (1832-1913), Druckereibesitzer und Zeitungsverleger in Ellwangen
Geschwister: Sigmund (1863-1945), ging 1914 nach Erfurt, 1925 nach Konstanz
Kinder: Martha (geb. 16.8.1892), verheiratet mit Carl Hugo Dahl (gest. 1944), 1950 in 2. Ehe mit Constant van Schepdael
Vera (geb. 3.7.1894, gest. 1962), verheiratet mit Ernst Steckelmacher, Rabbiner, in Auschwitz ermordet
Fanny (geb. 30.12.1895, gest. 1962)
Hedwig (geb. 23.12.1896) verheiratet mit Arthur Hecker
Else (geb. 3.11.1901), verheiratet mit Leo Satanower
Hermann (11.7.1903-3.2.1973)
GND-ID: GND/1012556719

Biografie: Karl Heinz Burmeister (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 295-297

Seit 1.1.1865 erschien dreimal wöchentlich (seit 1.10.1866 täglich) die „Jagstzeitung“ in Ellwangen. Gründer und Leiter der Zeitung war Leopold Weil, in den ersten Jahren zugleich Setzer, Drucker, Berichterstatter, Redakteur und Austräger. 1880 kaufte er zwei Häuser in der Spitalstraße 17–19 und richtete dort den Zeitungsbetrieb ein. 1896 übernahmen Leopold Weils Söhne Albert und Sigmund die Leitung des Betriebes. 1898 gelang es den Brüdern, durch rasches Beobachten und Handeln, in ihrer „Jagstzeitung“ den Tod des Bischofs von Eichstätt noch vor der dem Zentrum nahestehenden „Ipf-Zeitung“ bekannt zu geben; und einen Tag später brachten sie dank ihres Tempos vor der Konkurrenz ein Foto des aufgebahrten Bischofs.
1902 kauften die Brüder Weil die „Tübinger Chronik“; zugleich verkauften sie 1903 den Druckerei - und Zeitungsverlag mit der „Jagstzeitung“ sowie das Weilsche Anwesen in Ellwangen an die AG „Deutsche Volkszeitung“ in Stuttgart. In einer Übergangsphase leitete ab 1. 1. 1903 Sigmund Weil die „Tübinger Chronik“, während Albert Weil vorübergehend noch in Ellwangen blieb und erst im Juli 1903 nach Tübingen übersiedelte.
Die Brüder Weil standen 1903 in Tübingen vor einem völligen Neubeginn. Die Räumlichkeiten der „Tübinger Chronik“ in der Hirschgasse 1 waren äußerst eingeengt; auch hatte die Zeitung nicht mit der Technik Schritt gehalten: Die Herstellung erfolgte noch durch Handsatz und Handpresse bei Gasbeleuchtung, es gab nur eine beschränkte Zustellung, die meisten Abonnenten holten die Zeitung am Schalter in der Hirschgasse ab. Weil verkaufte anfangs noch selbst die Zeitungen an einem kleinen Schalter.
Das sollte sich jedoch sehr rasch ändern. Weil, ein Anhänger des fortschrittsorientierten Liberalismus, verhalf durch Innovationen und Investitionen der „Tübinger Chronik“ in kürzester Zeit zu einem enormen Aufschwung, der sich an höheren Auflageziffern und inhaltlichen Verbesserungen der Zeitung ablesen lässt. Es war sein erklärtes Ziel, der Konkurrenz stets voraus zu sein. Weil legte größten Wert auf die Schnelligkeit der Informationen, die er durch Sonderberichterstatter, Einsatz des Telefons und des Funks, aber auch durch harte Nacht- und Sonntagsarbeit zu erreichen suchte. Ziel einer Zeitung sei es nicht, der Unterhaltung der Leser an langen Winterabenden zu dienen, sie sei vielmehr ein echtes Bedürfnis und müsse daher stets auf der Höhe der Zeit stehen. Ein neuer Geist erfasste die „Tübinger Chronik“. Der Betrieb sollte ausgedehnt werden, die Zeitung in ihrem Umfang vergrößert werden, um neue Abonnenten zu gewinnen.
So verbesserte Weil zunächst die aufholbedürftigen technischen Mittel der Zeitung. Schon 1903 schaffte er eine Linotpype Setzmaschine an. 1905 begann er den Neubau in der Uhlandstraße 2, um ausreichend Fläche für neue Maschinen zu schaffen. Noch im gleichen Jahr wurde der Neubau bezogen. Eine neue Rotationsmaschine wurde angeschafft, die stündlich 10 000 Bogen zu acht Seiten herstellen konnte (die bisherige Leistungsfähigkeit lag bei 3 000 Bogen zu vier Seiten). 1910 kam eine zweite Linotype Setzmaschine dazu. 1920 wurde die Rotationsmaschine durch eine neue ersetzt, die pro Stunde 27 000 Bogen zu 16 Seiten druckte. Bei der 80-Jahrfeier der Zeitung zählte diese 60 Arbeiter und Angestellte. 1926 wurde die Produktionsfläche durch die Verlegung von Verlagsleitung, Redaktion und Werbeabteilung in den ersten Stock erweitert. 1927 waren vier Setzmaschinen in Betrieb. 1930 wurde ein Anbau bezogen. Hatte die „Tübinger Chronik“ 1883 eine Auflagenhöhe von 4 000 Stück, brachte es Weil schon 1905 auf 7 000, 1911 auf 8 000 und 1918 auf 12 000 Exemplare.
Weil und seine Redakteure traten stets für das Moderne ein. Sie wollten Tübingen in modernem Chic sehen als eine Großstadt im Kleinen. 1906 begrüßte die „Tübinger Chronik“ den württembergischen Frauentag und setzte sich für die Gründung eines Tübinger Frauenclubs ein, in dessen Räumen feministische Literatur aufliegen sollte.
Als Weil die „Tübinger Chronik“ übernahm, kündigte er an, sie im bisherigen Sinne und mit den bisherigen Kräften unverändert weiterführen zu wollen. Politisch stand die „Tübinger Chronik“ der nationalliberalen Deutschen Partei nahe. Seit 1917 schlug sie patriotische Töne an, 1918 begrüßte sie die Gründung der DDP und vertrat deren Linie für die Weimarer Republik, für die demokratischen Institutionen und für ein einiges liberales Bürgertum. Weil kaufte 1923 das Konkurrenzblatt „Neue Tübinger Zeitung“ und stellte diese ein, konnte aber nicht verhindern, dass seit dem 1. 1. 1924 die nationalsozialistische „Tübinger Zeitung“ erschien, die zunehmend antisemitische Artikel brachte, die „Tübinger Chronik“ als „Judenblatt“ verunglimpfte und Weil auch immer wieder persönlich angriff. Im Herbst 1930 verkaufte Weil die „Tübinger Chronik“ an den (deutschnationalen) Verleger Dr. Karl Höhn in Ulm und übersiedelte am 20. 6. 1931 in die Schweiz; sein Sohn Hermann Weil sollte kraft Vertrags in der Geschäftsführung bleiben und damit sichern, dass die Zeitung ihre bisherige Linie beibehielt; die „Tübinger Chronik“ rückte jedoch deutlich nach rechts. Im Sommer 1933 musste Hermann Weil aus der Geschäftsleitung entlassen werden, im Dezember 1933 verkaufte Höhn die Zeitung an die NS-Presse.
Weil hatte, wie Dr. Karl Höhn am 1. Dezember 1930 der Leserschaft anlässlich des Besitzwechsels mitteilte, die „Tübinger Chronik“ aus kleinen Anfängen zu einem vielgeachteten Organ umgestaltet und die Zeitung zu einer der angesehensten des Landes ausgebaut. Durch zwei Generationen haben Leopold Weil und sein Sohn Albert Weil einen gewichtigen Beitrag zum württembergischen Zeitungswesen erbracht. Was der Vater in einem Einmannbetrieb in harter Arbeit aufgebaut hat, das konnte der Sohn durch neue Ideen und unternehmerischen Mut zu einem führenden Zeitungsverlag ausbauen und vollenden. Das Naziregime setzte der Aufbauleistung durch die dritte Generation ein gewaltsames Ende.
Seit dem Juli 1903 wohnte die Familie Weil in Tübingen, anfangs zunächst auch in der Hirschgasse 1, später im neu erbauten Firmensitz in der Uhlandstraße 2a. Die Familie gehörte zur Tübinger Oberschicht. Auch die führenden Tübinger Juden blieben unter sich. Nur begrenzt nahmen sie Anteil am Tübinger Vereinsleben. Weil war 1928/30 Schriftführer im Allgemeinen Deutschen Automobilclub, sein Sohn Hermann Mitglied des Tübinger Rudervereins „Fidelia“. Weil hat immer sein Deutschtum betont. In seiner Zeitung traten jüdische Belange völlig zurück; Weil orientierte sich mit seiner Zeitung ganz am Vorbild Tübinger protestantischen Lebens. Der herzkranke Weil verkaufte 1930 unter dem Zwang der drohenden Naziherrschaft noch rechtzeitig sein Unternehmen, um in der Schweiz Ruhe vor den antisemitischen Angriffen zu finden. Auch seine große Familie gab ihre schwäbische Heimat auf und wurde in alle Weltteile zerstreut.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte Weil mit seiner Ehefrau Frieda im jüdischen Altersasyl in Lengnau im Aargau. Hier fanden beide auch auf dem traditionsreichen jüdischen Friedhof in Endingen-Lengnau ihre letzte Ruhestätte.
Von Weils Töchtern, die alle in Ellwangen geboren wurden, heiratete Martha in erster Ehe Carl Hugo Dahl (gest. 1944), 1950 in zweiter Ehe Constant van Schepdael in Brüssel. Vera heiratete 1916 in Ulm den Rabbiner Ernst Steckelmacher, der in Auschwitz ermordet wurde, lebte später in Ludwigshafen, kam über Gurs und Palästina nach London, wo sie im Mai 1962 gestorben ist. Fanny blieb unverheiratet; sie ging mit den Eltern in die Schweiz, emigrierte 1946 nach New York, wo sie 1962 starb. Hedwig heiratete Arthur Hecker, mit dem sie nach New York auswanderte. Else heiratete 1927 den Kaufmann Leo Satanower, mit dem sie nach Tel Aviv emigrierte. Der einzige Sohn Hermann, am 11. 7. 1903 in Tübingen geboren, besuchte die Grundschule und Oberrealschule in Tübingen. 1930/33 war er Geschäftsführer der „Tübinger Chronik“, emigrierte 1934 nach Arusha Tanganjika/Ostafrika (heute Tansania), 1963 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er am 3. 2. 1973 in Burscheid bei Köln gestorben ist.
Quellen: StAS Restitutionsakten Wü 65/33: Albert Weil ET 4793/A.; UA Tübingen 117/1144/Nr.5.
Werke: Lebenserinnerungen unseres allverehrten Familienoberhauptes Leopold Weil, 1929.
Nachweis: Bildnachweise: in: Lang,155/168 (jeweils mit Frau Frieda, geb. Moos).

Literatur: Josef Fischer, Ellwangen. Die gute Stadt, 1961, 124; Lilli Zapf, Die Tübinger Juden, 1974, 62; Der Judenfriedhof in Endingen-Lengnau, 1993, 2, 15, Grab 6, 89; 2, 21, Grab 8, 87; Hans-Joachim Lang, Die „Tübinger Chronik“ in der Ära A. Weil, in: Zerstörte Hoffnungen. Wege der Tübinger Juden (Beiträge zur Tübinger Geschichte, 8), 1995, 154-172.
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