Wittmann, Herta 

Geburtsdatum/-ort: 21.03.1913;  Seißen/OA Blaubeuren
Sterbedatum/-ort: 09.10.1960;  Ulm
Beruf/Funktion:
  • evangelische Pfarrersgattin, Stadträtin-FDP/DVP
Kurzbiografie:

1924–1929 nach Grundschule in Seißen und Lateinschule Blaubeuren humanistisches Gymnasium Ulm bis zur Mittleren Reife

1929–1934 bis zur Heirat Arbeit in einem Frankfurter, dann im väterlichen Pfarrhaushalt

1934–1940 Mitarbeit in der Pfarrei ihres Mannes in Böhringen

1940 nach dem Tod des Ehemanns Rückkehr nach Ulm

1947–1960 Stadträtin in Ulm

1948–1960 Mitbegründerin, dann Beisitzerin im Vorstand des Überparteilichen Frauenarbeitskreises

1952 als Mitglied des Ulmer Stadtrates dreimonatiger Studienaufenthalt in den USA

1962 Städtischer Kindertagheim Herta Wittmann in Ulm-Weststadt

2018 Postkarte des Ulmer Frauenbüros zum Gedenken an Herta Wittmann

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet:

1934 (Ulm) Herbert Wittmann, Pfarrer in Böhringen/OA Urach (1908–1940)


Eltern:

Vater: Eugen Schmid (1880–1960), Pfarrer

Mutter: Karoline Pauline, geb. Mößner (1883–1954)


Geschwister:

5; Elise Margot (geb. 1912), Mathilde (geb. 1914), Hermann Eugen (geb. 1915), Heinrich (geb. 1917) und Oskar (geb. 1920)


Kinder:

4; Elsbeth (geb. 1935), Ursula (geb. 1937), Albrecht (geb. 1939) und Margarete (geb. 1940).

GND-ID: GND/1012758095

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 568-571

Wittmann besuchte die Grundschule in Seißen, dann die Lateinschule in Blaubeuren. Nachdem ihr Vater an die Dreifaltigkeitskirche in Ulm versetzt worden war, wurde sie Schülerin am humanistischen Gymnasium in Ulm, das sie 1929 nach der Mittleren Reife verließ. Danach war sie drei Jahre in einem Frankfurter, anschließend im väterlichen Pfarrhaushalt tätig, lernte ihren späteren Mann als Vikar ihres Vaters kennen und heiratete. Die begonnene Ausbildung als Fürsorgerin brach sie ab. Sie leitete nun Bibelkurse, besuchte Wöchnerinnen und pflegte kranke und hilfsbedürftige Gemeindemitglieder.

Durch den Tod ihres Mannes im Westfeldzug 1940 wurde Wittmanns Leben empfindlich getroffen. Obwohl Pfarrer und mehrfacher Familienvater, war Herbert Wittmann wohl deshalb einberufen worden, weil er als Mitglied der Bekennenden Kirche das NS-Regime abgelehnt hatte. Wittmann musste das Pfarrhaus in Böhringen räumen, erhielt aber ein repräsentatives Haus im Stauferring in Ulm, wo auch ihre 1944 ausgebombten Eltern unterkamen.

Die finanziellen Verhältnisse der jungen Witwe gestalteten sich aber äußerst angespannt. Wegen des geringen Dienstalters ihres Mannes erhielt sie nur wenig Pension. Umso bemerkenswerter scheint, wie sie damit umzugehen verstand: sie engagierte sich, trat besonders für Frauenrechte ein und fand sie in der Ulmer Kommunalpolitik ihr Betätigungsfeld.

Frauen waren in der Ulmer Nachkriegspolitik nicht repräsentiert. Im von den Amerikanern im Herbst 1945 ernannten vorläufigen Beirat aus 18 Mitgliedern saß keine einzige Frau und bei den ersten Gemeindewahlen 1946 kandidierten zwar 11 Frauen, jedoch auf aussichtslosen Plätzen.

Während 1919 immerhin drei Frauen in den Ulmer Gemeinderat gewählt worden waren, herrschte 1945 noch eine Haltung vor, die der Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion, Franz Wiedemeier, so charakterisiert hatte: Bei Politik handle es sich um eine derart schmutzige Arbeit, die man Frauen nicht zumuten solle. Offenbar hielt man es in den ersten Nachkriegsjahren unter Frauen auch kaum für angemessen, politische Verantwortung zu übernehmen. Das lautstarke Auftreten vieler Männer habe Frauen eher abgeschreckt, obwohl viele das NS-Regime und die Niederlage im Krieg als Scheitern männlicher Politik empfanden. Selten sei die Haltung erwachsen, dass jetzt erst recht Frauen gewählt werden müssten. Die hätten sich vor allem sozial engagiert.

Wittmann wurde von ihren ehemaligen Lehrer am Ulmer Gymnasium, Hermann Wild (1884-1962), für die Politik gewonnen. Nach ihrer erfolgreichen Wahl 1947 war sie sechs Jahre lang die einzige Frau unter 35 Männern im Ulmer Stadtrat. Bei der Wiederwahl 1953 und 1959 hatte sie jeweils das beste Ergebnis der Liberalen errungen.

Es entsprach auch dem Selbstverständnis Wittmanns, ihr Hauptgewicht auf sozialpolitische Themen zu legen. Vor allem daraus ergab es sich dann, dass sie sich in Bau-, Verkehrs- und Wirtschaftsfragen einschaltete. Wegen des wachsenden Verkehrs trat sie für den Bau der Neuen Straße als Ost- West-Achse durch die Stadt ein. Sie setzte sie sich auch für den Theaterneubau beim Hauptbahnhof ein, was für auswärtige Theaterbesucher hilfreich schien. Anhand der nicht wörtlich überlieferten Ratsprotokolle fällt es aber schwer festzustellen, für welche Themen sie sich noch engagiert hat. Sicher ist, dass ihr die Frauenarbeitsschule am Herzen lag. Wittmann war es zu verdanken, dass diese 1957 in ein Gebäude am Weinhof in der Innenstadt einziehen konnte. Den Zeitgenossen blieb auch in Erinnerung, dass Wittmann 1953 gegen den Antrag der Ulmer Sparkasse votiert hat, auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge eine neue Filiale zu errichten.

1952 gehörte sie zu den neun Mitgliedern des Ulmer Stadtrats, die an einer USA-Reise teilnahmen, amerikanische Demokratie kennenlernen und sich über Stadtverwaltungen in den Staaten informieren konnten. Die Verabschiedung der Ulmer Delegation erhielt hohe Aufmerksamkeit in der Presse. Zugleich zeigt die USA-Reise aber auch, vor welch großer Herausforderung Wittmann als alleinerziehende Kriegswitwe stand, die für vier Kinder zu sorgen hatte und nur ehrenamtlich als Stadträtin für die Allgemeinheit tätig war. Wittmann musste während ihrer dreimonatigen Abwesenheit für sich selbst zuerst Ersatz zu Hause beschaffen, eine Frau finden, die Haushalt und Kinder versorgte. Gleichzeitig musste sie eine Sondergenehmigung für die älteste Tochter besorgen, die während der Abwesenheit der Mutter für die jüngeren Geschwister zeichnungsberechtigt war.

Neben dem Ulmer Gemeinderat bildete der „Überparteiliche Frauenarbeitskreis“ einen zweiten Schwerpunkt von Wittmanns Aktivitäten. Im WS 1947/1948 hatte sich an der Volkshochschule Ulm eine Frauengruppe konstituiert, die sich frauenspezifischer Themen in Politik und Gesellschaft annahm. Die Teilnehmerinnen waren ältere Frauen, die bereits in der Weimarer Zeit aktiv gewesen waren, und jüngere, die dazu beitragen wollten, die Folgen der NS-Diktatur zu überwinden. Trotz gleich gelagerter Interessen entstanden aus den Diskussionsrunden in der Ulmer Volkshochschule zwei unterschiedliche Frauenorganisationen: Der Verein „Frauenbildung – Frauendienst“ sowie der „Überparteiliche Frauenarbeitskreis“. Dies resultierte aus generationsbedingten Konflikten. Obwohl beide Vereine immer wieder gemeinsamen arbeiteten, so bei Spendensammlungen für das Städtische Krankenhaus, scheiterten auch spätere Fusionsgespräche an Fragen der Namensgebung eines gemeinsamen Vereins wie an der Zusammensetzung eines Vorstandes.

Wittmann gehörte neben den beiden I. Vorsitzenden Else Fried-Gotsmann (1907–1992) und Gertrud Brandt (1909–1994) und der stellvertretenden Leiterin Helga Wiegandt (1917–2010) zu den treibenden Kräften bei der Gründung des „Überparteilichen Frauenarbeitskreises“, dessen Beisitzerin im Vorstand sie bis zu ihrem frühen Tod war. Als lange Zeit einzige Stadträtin hatte sie die Funktion einer Kontaktperson und Vermittlerin zwischen Frauenarbeitskreis und Stadtverwaltung.

Der Frauenarbeitskreis verfolgte das Ziel, Frauen zum öffentlichen Engagement zu motivieren, wollte nicht nur Meinungsaustausch pflegen, sondern aktiv beraten und Frauen bei wirtschaftlichen und rechtlichen Problemen helfen, sich einzubringen und die herrschende Not zu überwinden. Dies geschah durch Eingaben beim „Speisekammer-“ wie beim „Hausratsgesetz“, zwei Gesetzesvorlagen, bei denen es um die Erfassung bzw. Zwangsbewirtschaftung von Lebensmitteln und Mobiliar ging. Auch zum Thema Sozialversicherung meldete sich der „Überparteiliche Frauenarbeitskreis“ zu Wort. So setzte er sich dagegen ein, dass Witwen, deren Männer zwischen Kriegsende und dem 1. Juni 1949 verstorben waren, keine Renten erhalten sollten. Er kritisierte die aus seiner Sicht schlechte Bewirtschaftung der Kohlebestände, die 1950/1951 zur Krise bei der Zuteilung von Brennstoffen geführt hatte.

Es fällt auf, wie der Überparteiliche Frauenarbeitskreis, der im sogenannten Frauenparlament Baden-Württemberg präsent war, regelmäßig die Verbindung zu Bundes- und Landtagsabgeordneten suchte, um sich über aktuelle Vorhaben zu informieren und einzubringen. Einer der Höhepunkte der damaligen Arbeit war im Frühjahr 1948 eine Versammlung, auf der die drei Ulmer OB-Kandidaten, Robert Scholl (1891-1973), Wilhelm Schöneck (1902–1974) und Theodor Pfizer (1904-1992), ihr Programm vorstellten und sich anschließend den Fragen des weiblichen Publikums stellten, also speziell Frauenanliegen widmen mussten. OB Pfizer machte daraus eine Tradition: die Bürgerinnenversammlungen. Zusammen mit dem Verein Frauenbildung – Frauendienst, dem Deutsch-Amerikanischen Frauenclub und den konfessionellen Frauenvereinen wurden in späteren Jahren bei Bundes- und Landtagswahlkämpfen Versammlungen organisiert, die das gleiche Anliegen verfolgten.

Eines der Anliegen Wittmanns im Frauenarbeitskreis war ein Städtischer Schülerhort. Anfragen bei der Stadt, Industriebetrieben und der amerikanischen Besatzungsmacht verliefen anfangs erfolglos; Fertigbaracken, worin der Hort hätte unterkonnten können, fanden sich nicht. Von 1949 bis 1953 war er dann in der ehemaligen Gallwitzkaserne untergebracht, nachdem es dem Frauenarbeitskreis gelungen war, mit Hilfe der Firma Magirus die Kaserne umzubauen. Als die Gallwitzkaserne geräumt werden musste, zog der Schülerhort für vier weitere Jahre in die Sedankaserne. Erst 1957 fand der Schülerhort seine dauerhafte Unterkunft in einem zweckmäßigen Neubau im Neuen Kirchenweg. Er wurde 1962 nach Wittmann benannt, womit ihr Eintreten bei der Stadtverwaltung und das Einwerben von Industriespenden gewürdigt wurden.

Als Folgen des Krieges herrschte im damaligen Ulm ein Überhang von etwa 6 000 unverheirateten Frauen. Ihnen suchten Wittmann und der Frauenarbeitskreis durch Wohnheime zu helfen, die 1953 und 1956 in der Beyer- und der Olgastraße entstanden. Wittmann und andere Mitglieder des Vorstands hatten sich bei der Stadt dafür eingesetzt, Bauplätze zu erwerben, die Baufinanzierung über Bausparverträge der Bewerberinnen geregelt und schließlich den Baufortschritt mit Unterstützung zweier Architektinnen vorangetrieben, die auch dort einziehen wollten. Bei der Eröffnung des Wohnheims an der Olgastraße lobte die Schwäbische Donauzeitung diesen Einsatz als Vorbild staatsbürgerlichen Engagements.

Wie jedes Jahr betreute die damals 47–jährige Wittmann auch 1960 die Sommerfreizeit der evangelischen Jungschar, musste aber wegen Erschöpfungserscheinungen ihren Aufenthalt abbrechen. Als Ursache stellte sich eine Leukämie heraus. Spontan boten viele Ulmer Blutspenden an, Wittmanns Tod konnte aber so nicht verhindert werden.

Wittmann hat das politische Leben Ulms in den ersten knapp anderthalb Jahrzehnten der Nachkriegszeit nachhaltig mitgeprägt. Ihr Engagement entsprang christlicher Überzeugung. Ungeachtet ihres eigenen Schicksals war sie bereit gewesen, anderen zu helfen. Bei der 100. Wiederkehr der Einführung des Frauenwahlrechtes 2018 wurde sie deshalb durch das Ulmer Frauenbüro mit einer Postkarte gewürdigt.

Quellen:

StadtA Ulm G 2 Herta Wittmann, Personengesch. Sammlung.

Nachweis: Bildnachweise: Foto (o. J.) S. 561, Zum Gedenken an Herta Wittmann, 1960, unpag.

Literatur:

Zum Tode von Stadträtin Herta Wittmann, in: Ulmer Nachrichten vom 10.10.1960; Stadträtin Herta Wittmann gestorben, in: Schwäbische Donauzeitung vom 10.10.1960; Ein Leben aus dem „Dennoch“ des Glaubens, in: Ulmer Nachrichten vom 10.12.1960; Zum Gedenken an Herta Wittmann, geb. Schmid, 1960; Helga Wiegandt, Initiative und Beharrlichkeit: 25 Jahre Überparteilicher Frauenarbeitskreis, 1973; Barbara Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit. Die Anfänge der Ulmer Volkshochschule, 1996; Bettina Gerlach, Demokratischer Neubeginn nach 1945, in: Hans-Eugen Specker (Hg.), Die Ulmer Bürgerschaft auf dem Weg zur Demokratie, 1997, 424–481; Studienfahrt für den demokratischen Neuaufbau, in: Südwestpresse vom 3.9.2002; Frauenbüro der Stadt Ulm/Ulmer Frauenforum (Hgg.), Ulmer Frauenbewegung im 20. Jahrhundert, 2006; Elfriede Dehlinger, Herta Wittmann, in: Ökumenischer Arbeitskreis Frauen (Hg.), Ulmer Frauenwege im 20. Jahrhundert, 2006, 66–75; Marianne Zepp, Redefining Germany. Reeducation, Staatsbürgerschaft und Frauenpolitik im US-amerikanisch besetzten Nachkriegsdeutschland, 2007; Frank Raberg, Biografisches Lexikon für Ulm und Neu-Ulm: 1802–2009, 2010, 476–477; Marie-Kristin Hauke/Thomas Vogel, Erinnern und Gedenken in Ulm, 2014; Marie-Kristin Hauke, „Frau sein heißt politisch sein“, 2016.

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