Nitsche, Rudolf Karl Stephan 

Geburtsdatum/-ort: 28.10.1922; Lannesdorf, Kreis Godesberg (heute: Bonn)
Sterbedatum/-ort: 01.04.1996;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Physikochemiker, Kristallograph
Kurzbiografie:

1928–1940 Dt. Mittelschule in Den Haag, Holland, bis 1934, dann dort bis 1938 Deutschen Realgymnasium, danach Ernst-Abbe-Schule in Eisenach bis Abitur

1940 I- VI Reichsarbeitsdienst

1940 X–1945 Bordfunker bei der Luftwaffe, ab 1944 interniert

1946 I–1951 VI Studium der Chemie an der Universität Heidelberg; Vorprüfung Nov. 1947, Diplom-Hauptprüfung im März 1950, „sehr gut“

1951 VI 20 Promotion „magna cum laude“ bei Klaus Schäfer: „Über einen Zusammenhang zwischen dem Energietransport an metallischen Oberflächen und der katalytischen Zersetzung des Äthans“

1951–1954 Arbeit im Forschungslaboratorium der Firma Dupont de Nemours & Co, USA

1954–1957 Arbeit im Forschungslaboratorium der Siemens- Reiniger-Werke, Erlangen

1957 IV–1968 V Abteilungsleiter im Forschungslaboratorium der Laboratories RCA Ltd., Zürich

1967 I-II Habilitation an der ETH Zürich: „Kristallzucht aus der Gasphase durch chemische Transportreaktionen“. Antrittsvorlesung am 27.4.1967: „Kristalle und Energiewandler“

1968 VIII–1988 III ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Kristallographie der Universität Freiburg

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet:

1956 (Erlangen) Hildegard, geb. Blank (1927–2008)


Eltern:

Vater: Georg (1889–1945), Küchenmeister

Mutter: Amalie, geb. Drechsler (1887–1942)


Geschwister:

Gertrud (1927–1985), verh. Schröder


Kinder:

3; Karl Stephan (geb. 1956), Chemiker, Carola (geb. 1958), verh. Blumenhagen, Lebensmittelchemikerin, und Katharina (1959–1983)

GND-ID: GND/1012782980

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 406-411

Die Informationen über den bedeutenden Physikochemiker und Kristallographen Nitsche sind äußerst dürftig, so dass der bisher erste Versuch seiner Biographie teilweise lückenhaft erscheinen mag.

Nitsche, Sohn eines Küchenmeisters, verbrachte seine Kinderjahre in Den Haag, Holland, wo er bis 1938 zur Schule ging. Dann übersiedelte die Familie nach Eisenach, wo Nitsche an der Ernst-Abbe-Schule im Januar 1940 das Abitur ablegte.

Nach dem Reichsarbeitsdienst durfte Nitsche studieren. Er schrieb sich in Heidelberg ein, wurde aber bald einberufen. Über den Kriegsdienst ist nur bekannt, dass Nitsche Bordfunker bei der Luftwaffe war. Wo und wann er in Kriegsgefangenschaft geriet, bleibt unbekannt. Laut Mitteilung seiner Tochter Carola war er 1944 bis 1945 interniert. Dokumentiert ist wieder Nitsches Rückmeldung zum Studium der Chemie in Heidelberg vom 3. Januar 1946.

Zu dieser Zeit musste der Vollwaise seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Bereits im November 1947 legte er die Vorprüfung und im März 1950 die Diplom-Hauptprüfung mit „sehr gut“ ab. Seit Herbst 1949 war er Assistent am Institut für Physikalische Chemie bei Klaus Schäfer. Nach der Hauptprüfung blieb er Student, war aber von der Pflicht entbunden, Vorlesungen zu belegen.

Im Frühjahr 1950 begann er seine Doktorarbeit. Schäfer stellte dem begabten Doktoranden ein schwieriges Thema über den Zusammenhang zwischen katalytischen Eigenschaften von metallischen Oberflächen und dem Energieaustausch zwischen gasförmigen Reaktanten und dem Katalysator. Das Problem wurde anhand des Beispiels der katalytischen Zersetzung des Äthans bearbeitet. Im April 1951, nach nur einem Jahr, legte Nitsche seine Dissertation vor, worüber Schäfer schrieb: „Herr Nitsche hat die Arbeit mitsamt ihren oftmals recht komplizierten Versuchen mit sehr viel Verständnis und eigener Tatkraft durchgeführt. Schwierigkeiten verstand er gewöhnlich selbständig zu überwinden“ (UA Heidelberg H-V–713, Nr. 26); er bewertete sie mit „sehr gut“. Der Direktor des Chemischen Instituts, Karl Freudenberg, schloss sich der Meinung an. Das Rigorosum in Chemie als Hauptfach sowie Physik und Mathematik als Nebenfächern fand am 20. Juni 1951 statt; Nitsche wurde „magna cum laude“ promoviert.

Bald darauf ging Nitsche in die USA. Es gibt keine Informationen, unter welchen Umständen er die Stelle im Dupont-Konzern in New York erhielt. Aus seinem Lebenslauf wissen wir nur, dass er sich dort drei Jahre lang im Forschungslaboratorium „mit der Synthese und der Kristallchemie von Leuchtstoffen“ beschäftigte (UA Freiburg B 0381/1934). Das bedeutete seinen Übergang von reiner physikalischer Chemie zur Kristallographie, besonders zur Kristallzüchtung. Innerhalb kurzer Zeit meisterte Nitsche das neue Gebiet. Er machte erste Erfindungen, die US-Patente 2 767 049 und 2 805 917, die sich seine Firma sicherte: Verfahren zur Herstellung von Sulfiden, Seleniden und Telluriden von Zink und Cadmium, die zur Produktion neuer Lumineszenz-Materialien dienten.

Nach der Rückkehr befasste sich Nitsche 1954 bis 1957 im Forschungslaboratorium der Siemens-Werke in Erlangen „mit ähnlichen Arbeiten“ (ebd.). Er setzte die Bearbeitung der erfundenen Verfahren fort; mindestens eine seiner Erfindungen wurde als DBP 1 025 838 durch Siemens patentiert, die Nitsche im ersten von ihm publizierten Artikel 1957 beschrieb. Obwohl keine Informationen über Nitsche im Siemens-Archiv vorhanden sind, ist zu vermuten, dass seine damaligen Kontakte ihm die Möglichkeit eröffneten, die Abteilung „Kristallsynthese“ bei der 1955 in Zürich gegründeten Firma „Laboratories RCA Ltd.“ zu übernehmen. Die Firma entstand als Tochterunternehmen des Konzerns „Radio Corporation of America“, RCA. Ihr Forschungslaboratorium hatte u. a. die Aufgabe, Materialien für die Funktechnik zu entwickeln.

Wegen dieser auf praktische Anwendungen gerichteten Arbeit sollte die Tätigkeit Nitsches eine sehr breite Fragenstellung umspannen, zu allererst die Ausarbeitung neuer Kristallzuchtverfahren, die Züchtung von Monokristallen für Festkörper-Untersuchungen, Kristallstrukturbestimmungen, sowie physikalische Messungen auf den Gebieten der Ferro- und Piezo-Elektrizität, der Lumineszenz, der Photoleitung, der Elektronenabsorption und der Elektrooptik. Auch durch RCA wurden einige Erfindungen Nitsches patentiert, so USP 3 085 184: „Ferroelektrische Geräte“, bei denen Kristalle wenig bekannter Verbindungen wie Tetramethylammonium-Trichlormerkurat zwischen zwei Elektroden gesetzt ein Gerät bilden, das ferroelektrische Hysteresis zeigt. Der Begriff Ferroelektrizität bezeichnet das Phänomen, dass Stoffe mit einem elektrischen Dipolmoment durch das Anlegen eines äußeren elektrischen Feldes die Richtung der spontanen Polarisation ändern.

Die Interessen Nitsches lagen vor Allem auf dem Gebiet der Kristallzüchtung. Bereits 1960 publizierte er eine grundlegende Mitteilung über Herstellung von Monokristallen mehrerer, von Jod transportierter Chalkogeniden, d. h. Metallverbindungen von Schwefel, Selen und Tellur. Seitdem wurde die Kristallzüchtung durch chemischen Transport und Charakterisieren von Monokristallen mit halbleitenden, photoleitenden und nicht-linear optischen Eigenschaften sein Hauptforschungsgebiet. Ausführlich untersuchte Nitsche Verbindungen aus Metallen mit Elementen der 5. und 6. Hauptgruppe des Periodensystems. Seine Publikationen von 1962 machten ihn als Begründer der Kristallzüchtung durch chemische Transportreaktionen bekannt.

Als Abteilungsleiter von RCA pflegte er breite wissenschaftliche Kontakte: mit dem Gründer der systematischen Erforschung von chemischen Transportreaktionen Harald Schäfer (1913–1992), Professor in Münster, mit der Deutschen Bunsen-Gesellschaft für physikalische Chemie, wo er zweimal auf der Jahresversammlung vortrug, 1959 in Darmstadt und 1962 in Münster, und mit dem Physikalischen Institut der Universität Straßburg bei der Zusammenarbeit wegen optischer Eigenschaften einiger Monokristalle. Am engsten aber kooperierte er mit dem Institut für Kristallographie und Petrographie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, ETH; denn dort konnte er Strukturen seiner Kristalle bestimmen.

Im Februar 1966 erhielt Nitsche von der ETH einen Lehrauftrag zur Durchführung eines kristallographischen Praktikums für fortgeschrittene Studenten. Bald darauf, am 9. Juni 1966, stellte er an der ETH sein Gesuch um Erteilung der Venia legendi für „Physikalische Kristallographie“, wofür er seine Habilitationsschrift „Kristallzucht aus der Gasphase durch chemische Transportreaktionen“ vorlegte. Der Direktor des Instituts für Kristallographie, Fritz Laves (1901–1978), schrieb darüber: „Sie [= die Arbeit] enthält sehr viele neue Informationen und wird […] eine fühlbare Lücke im Schrifttum ausfüllen für alle diejenigen, die sich für dieses neue Kristallzuchtgebiet interessieren“ (ETH Zürich SR2, Schulratsprotokolle 1967, Sitzung Nr. 1, S. 104 f.). Genauso positiv urteilte der Zweitgutachter Alfred Niggli (1922–1985).

Nitsche veröffentlichte seine Habilitationsschrift und erhielt weltweite Anerkennung als Mitbegründer des Gebiets der Kristallzüchtung durch chemische Transportreaktionen. Bald wurde er als Hauptreferent zum Fachausschuss „Halbleiter“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft eingeladen. Sein Vortrag von 1968 „Kristallzucht aus der Gasphase“ gehört zu den grundlegenden Publikationen auf diesem Gebiet. Am 4. Februar 1967 wurde Nitsche Privatdozent der ETH. Er hielt am 27. April seine Antrittsvorlesung über „Kristalle und Energiewandler“.

Im März 1968 erreichte Nitsche ein Ruf nach Freiburg an den Lehrstuhl für Kristallographie. Das einhellige Urteil damals war, dass die Fakultät damit „einen ausgezeichneten Wissenschaftler, akademischen Lehrer und Kollegen“ gewönne (UA Freiburg B 15/521, Berufung Nitsche). Dieser Lehrstuhl samt Institut gehörte damals noch zur Geowissenschaftlichen Fakultät. Nitsche las über Kristallographie für zukünftige Mineralogen. Die Kristallographie galt aber wegen allgemeinerer Bedeutung bereits als selbständiges Fach. Dementsprechend breit legte Nitsche seine Tätigkeit an.

Untrennbar mit der Lehrtätigkeit verbunden bildete die Forschungsarbeit mit Diplomanden und Doktoranden seinen Schwerpunkt. Um seine Forschungen weiter durchführen zu können, musste Nitsche sein Institut mit modernen Apparaturen, analytischen Anlagen und verschiedenen Geräten ausstatten. „Spezielle Rohröfen wurden konstruiert und gefertigt, komplexe Glasapparaturen […], um mit hochreinen Chemikalien zu hantieren und evakuierte Quarzglasampullen für die Synthese- und Züchtungsversuche zu präparieren“ (Diel und Benz unter Quellen). Nitsche stellte die Glasapparaturen selbst her; er brachte das Glasblasen auch seinen Doktoranden bei. „Doktoranden und Habilitanden der ‚ersten Stunde‘ waren so mit umfangreichen Aufbauarbeiten beschäftigt, um das Institut mit seinem neuen Forschungsschwerpunkt wieder arbeitsfähig zu machen.“ (ebd.) „Bei Diplom- und Doktorarbeiten gab er einem […] die größtmögliche Freiheit in der Forschung, war aber immer mit Anregungen und Hilfestellung da, wenn benötigt. In meinen Augen ist dies die bestmögliche Kombination, um eigenständig in die Forschungsarbeit hineinzuwachsen.“ (Cröll unter Quellen).

Nitsche führte das wöchentliche Seminar ein, in dem er Diplomanden und Doktoranden anhielt, sich mit schwierigen Themen zu befassen und die Ergebnisse verständlich darzustellen. Dies sei auch für ihn selbst lehrreich. „Legendär waren die verpflichtenden ‚Probevorträge‘, die seine Schüler institutsintern zu halten hatten, bevor sie auf Tagungen und Konferenzen öffentlich zu ihrer eigenen wissenschaftlichen Karriere und zum Ruf des Instituts beitrugen“ (Diehl und Benz unter Quellen). Sehr viel Mühe kostete Nitsche der Erwerb von Drittmitteln, von denen das Institut stark abhängig war. Dazu gehörte auch das Vorbereiten von zahllosen Berichten für die Wissenschaftsverwaltung, die Nitsche verabscheute, weil dies die wissenschaftliche Arbeit störe.

1978 gelang es Nitsche, eine Institutsvergrößerung durch Bezug des Vorderhauses in der Hebelstraße. 25 und auch die Errichtung einer zweiten Professur durchzusetzen. Damals fügte er zu seiner Thematik Synthese von Monokristallen die Erforschung und Herstellung von ionenleitenden Stoffen hinzu.

Mit seinem ausgeprägten Gespür für Neues erkannte Nitsche sehr früh, welche Perspektiven Experimente unter Schwerelosigkeit im Weltall für die Kristallzüchtung eröffneten. Deswegen beteiligte er sich sofort am Spacelab-Programm für die erste kosmische Forschungswerkstatt, als das Pionierprojekt 1973 angekündigt wurde. In dessen Verlauf wurden Experimentaleinrichtungen immer strenger beobachtet, besonders ihr Gewicht, das Ausmaß der Apparaturen und deren Energiebedarf. Interessante Details dieser Arbeit enthält Nitsches Bericht „Zonenzüchtung“ von 1976. Die Krönung dieser Arbeit bildete die Konstruktion des geschlossenen Doppelellipsoid-Spiegelofens, der im Rahmen der ersten drei Spacelab-Missionen 1983, 1985 und 1993 eingesetzt wurde. Die ersten Silizium-Züchtungsexperimente im Weltall im Dezember 1983 wurden von dem deutschen Wissenschaftsastronauten Ulf Merbold mitbetreut und beschrieben. Weitere Experimente wurden fortgesetzt bei der ersten deutschen Spacelab-Mission D1 1985, und mit den unbemannten Raketen des deutschen „TEXUS“-Programms: TEXUS 7, 12 und 21. Das Freiburger Kristallographie-Institut unter Nitsches Leitung nahm eine führende Position in diesem Bereich ein. Als Sachverständiger und Vortragender beteiligte Nitsche sich an zahlreichen Sitzungen und Symposien der ESA, European Space Agency, im Bereich „Materialwissenschaften im Weltall“.

Unter Nitsches wissenschaftlich-organisatorischen Aktivitäten ist noch seine Gründungsmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Kristallwachstum und Kristallzüchtung, DGKK, 1970 zu nennen, in der er lange Jahre Vorstandsmitglied und 1978 bis 1982 Vorsitzender war. Nitsche beteiligte sich an der Organisation der Internationalen Kristallzüchtertagung in Stuttgart 1983, ICCG–7, und richtete nationale Tagungen der DGKK in Freiburg aus. Von Anfang an war Nitsche als Ausschussmitglied auf dem Forschungsgebiet „Kristalle“ beim Bundesministerium für Forschung und Technologie, BMFT, tätig. Ab 1982 wurde er Vorsitzender des BMFT-Gutachterausschusses „Kristallzüchtung unter Weltraumbedingungen“. Ehrenamtlich war er Mitglied mehrerer Gremien und Ausschüsse der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dort auch oft Gutachter. Der weltbekannte Experte war ein sehr gefragter Vortragender und Teilnehmer an internationalen Fachtagungen, besonders auch im Ostblock. Es ist bemerkenswert, dass Nitsche in der Zeit des „Kaltes Kriegs“ es für notwendig hielt, Kontakte zu Kollegen von der DDR über Polen bis in die UdSSR zu pflegen, die er mehrmals besuchte. Da er Russisch sprach – laut der Mitteilung seiner Tochter hatte er in den Kriegsjahren Russisch gelernt – wurden diese Kontakte gewiss begünstigt. Besonders eng war Nitsche mit der Universität Tiflis in Georgien verbunden.

Seine Schüler und Nachfolger K.-W. Benz und A. Cröll bezeugen, dass Nitsche nach seiner Emeritierung noch einige Jahre mit seinem Institut wissenschaftlich verbunden blieb. Ein- bis zweimal die Woche sei er dort gewesen und habe mitdiskutiert. Auch seine Kontakte nach Tiflis hat er mit wechselseitigen Besuchen weiter gepflegt und die Wissenschaftler dort u. a. mit Fachliteratur versorgt.

„Rudolf Nitsche war ein bescheidener, humorvoller Mensch, ein gründlicher Wissenschaftler und Lehrer, konnte aber auch sarkastisch und kritisch-direkt sein […]. Probleme ging er stets lösungsorientiert an, sowohl im beruflichen als auch im privaten Leben“ (Diel und Benz unter Quellen). Dabei war er immer zurückhaltend, was nach dem Schicksalsschlag im November 1983 noch zunahm, als seine jüngste Tochter Katharina, Freiburger Biologiestudentin, bei einer Flugzeugkatastrophe umgekommen war.

Erholung fand Nitsche bei Wanderungen im Schwarzwald und beim Angeln, „das er fast wissenschaftlich betrieb“, wie R. Diehl schrieb (1996, S. 9). Nitsche starb nach längeren, mit Geduld ertragenen Leiden im 73. Lebensjahr an Krebs.

Ein Werkverzeichnis Nitsches fehlt. Es wurde im Rahmen dieser Kurzbiographie erstmals zusammengestellt und zählt 89 Titel. Diese Publikationen, meist zusammen mit Mitarbeitern, spiegeln zwei seiner bedeutendsten Leistungen bei der Kristallzüchtung: die Mitbegründung des neuen Bereichs der Kristallographie in Form von Kristallzüchtung, besonders Monokristalle durch Anwendung chemischer Transportreaktionen. Insgesamt wurden von Nitsche mit seinen Mitarbeitern über 120 kristallische Stoffe synthetisiert und kristallographisch sowie festkörperphysikalisch charakterisiert, darunter mehrere neue Stoffklassen. Pionier war Nitsche bei der Grundlegung der Kristallzüchtung in Schwerelosigkeit. „Diese Forschungsausrichtung hat die Kristallographie in Freiburg nachhaltig geprägt und wurde unter seinem Nachfolger Benz und danach auch von mir mit einer langen Reihe weiterer Missionen fortgesetzt“ (Cröll unter Quellen). Außerdem erwarb Nitsche Verdienste in der Wissenschaftsorganisation, zumal mit der Gründung und Leitung der Deutschen Gesellschaft für Kristallwachstum und Kristallzüchtung. Diese Leistungen sichern Nitsche einen bedeutenden Platz in der Geschichte der Kristallographie und Festkörperphysik.

Quellen:

UA Heidelberg Studentenakte Nitsche 1946–1951, H-V–713, Nr. 26, Promotionsakte Nitsche; A der ETH Zürich SR2, Schulratsprotokolle 1966, Sitzung Nr. 4, S. 382; 1967, Sitzung Nr. 1, S. 104 f., SR2, Präsidialverfügungen 1966, Nr. 1142, Nr. 2709; UA Freiburg B 0381/1934, Personalakte Nitsche, B 15/521, Berufung Nitsche, B 189/260, Emeritierung Nitsche, Informationen von Prof. Arne Cröll vom 5.9.2018; „Biographische Infos“ über Rudolf Nitsche, hergestellt von Dr. Ronald Diehl, Hartheim, und Prof. Dr. Klaus-W. Benz, Freiburg, vom 8.9.2018; Informationen von Frau Carola Blumenhagen, geb. Nitsche vom 16.9.2018.

Werke: Neue Methode zur Darstellung von Metallchalkogeniden, in: Angewandte Chemie 69, 1957, 333 f.; Growth of ferroelectric crystals of the type (Glycine)3H2AB4, in: Helvetica physica acta 31, 1958, 306–308; (mit E. Fatuzzo) Ferroelectric properties of mixed crystals of triglycine sulfate/selenate, in: Zeitschrift für Elektrochemie 63, 1959, 970 f.; (mit W. J. Merz) Photoconduction in ternary V-VI-VII compounds, in: Journal of physics and chemistry of solids 13, 1960, 154 f.; (mit J. A. Beun und M. Lichtensteiger) Photoconductivity in ternary sulfides, in: Physica 26, 1960, 647–649; The growth of single crystals of binary and ternary chalcogenides by chemical transport reactions, in: Journal of physics and chemistry of solids 17, 1960, 163–165; (mit H. U. Bölsterli und M. Lichtensteiger) Crystal growth by chemical transport reactions. I. Binary, ternary, and mixed-crystal chalcogenides, ebd, 21, 1961, 199–205; (mit J. A. Beun und M. Lichtensteiger) Optical and electrical properties of ternary chalcogenides, in: Physica 27, 1961, 448–452; (mit J. A. Beun und H. U. Bölsterli) Aftertreatment of CdS single crystals grown by vapour transport with jodine, ebd. 28, 1962, 184–194; (mit F. Lappe, A. Niggli und J. G. White) The crystal structure of In2ZnS4, in: Zeitschrift für Kristallographie 117, 1962, 146–152; (mit der Richman) Crystal growth by chemical transport reactions. II. Equilibrium measurements in the system cadmium sulfideiodine, in: Zeitschrift für Elektrochemie 66, 1962, 709–716; (mit W. J. Merz) Zinc-indium-sulfide, a new photoconductor, in: Helvetica physica acta 35, 1962, 274–278; (mit S. Nikitine, M. Sieskind und J. Vogt) Contribution à l’ étude du spectre excitonique d’ absorption, de réflexion et d’ émission des cristaux de sélénide de gallium, in: Journal de chimie physique 60, 1963, 667–670; (mit H. Roetschi und P. Wild) New ferroelectric V-VI-VII compounds of the SbSJ type, in: Applied Physics Letters 4, 1964, 210 f.; Cd4GeS6, a new ternary compound. Crystal growth, space group and unitcell dimensions, in: Zeitschrift für Kristallographie 120, 1964, 229–236; (mit P. Wild) Eine schnelle volumetrische Methode zur Schwefelbestimmung in säurelöslichen Sulfiden, in: Helvetica chimica acta 47, 1964, 379–381; Crystal growth and electro-optic effect of bismuth germinate, Bi4(GeO4)3, in: Journal of applied physics 36, 1965, 2358–2360; (mit L. Krausbauer und P. Wild) Mercury gallium sulfide, HgGa2S4, a new phosphor, in: Physica 31, 1965, 113–121; (mit der F. Sargent und P. Wild), Crystal growth of quartenary 12464 chalcogenides by iodine vapor transport, in: Journal of crystal growth 1, 1967, 52–53; Kristallzucht aus der Gasphase durch chemische Transportreaktionen, in: Fortschritte der Mineralogie 44, 1967, 231–287; Crystal growth by chemical transport reactions. IV. New results on the growth of binary, ternary and mixed-crystal chalcogenides, in: Journal of physics and chemistry of solids 1967, Supplement No. 1, 215–220; Kristallzucht aus der Gasphase, in: Festkörperprobleme VIII, 1968, 42–73; (mit F. Emmenberger und A. Miller) Crystal growth and electro-optic effect of some double sulphates with the langbeinite structure, in: Journal of applied physics 39, 1968, 3039–3042; (mit P. Wild) Vapour growth of new single-crystalline phases in the system Cu-Nb-S, in: Journal of crystal growth 3, 1968, 153–158; (mit Ch. Gnehm und P. Wild) New Phases in the System Zn-In-S, in: Naturwissenschaften 56, 1969, 86; (mit C. der Carpentier und R. Diel) Die Kristallstruktur des InPS4, ebd. 57, 1970, 393; (mit V. Krämer und J. Ottermann) New single-crystalline phases in the system Ga2S3–In2S3, in: Journal of crystal growth 7, 1970, 285–289; (mit V. Krämer) In4Bi2S9, eine neue Verbindung im System In2S3–Bi2S3, in: Zeitschrift für Naturforschung 26B, 1971, 1074; (mit R. Diehl) Vapour and flux growth of γ-In2S3, a new modification of indium sesquisulphide, ebd. 29, 1973, 35–46; (mit V. Krämer und M. Schuhmacher) Vapour growth of antimony-oxide-iodide Sb5O7I and its ferroelastic properties, ebd. 24/25, 1974, 179–182; (mit R. Diehl) Vapour growth of three In2S3 modifications by iodine transport, ebd. 28, 1975, 306–310; (mit A. Bubenzer und A. Raufer) Vapour growth and piezoelectric effect of indium thiophosphate, InPS4, ebd. 29, 1975, 237–240; (mit H. Zimmermann und C. D. Carpentier) The crystal structure of bismuth thiophosphate BiPS4, in: Acta Crystallographyca B31, 1975, 2003–2006; (mit R. Diehl und C-D. Carpentier) The crystal structure of γ-In2S3 stabilized by As or Sb, ebd. B32, 1976, 1257–1260; (mit A. Bubenzer und E. Grieshaber), ebd. 2825–2829; Information über Kristallzüchtung, 1976 (Hg. mit A. Räuber). (mit A. Eyer und H. Zimmermann), Zonenzüchtung von Kristallen mittels optischer Heizung. 1976 (=Statusseminar BMFT, Spacelab-Nutzung, Werkstofforschung und Verfahrenstechnik, Bad Kissingen, 6.–8. Oktober 1976); Herstellung und Eigenschaften von Werkstoffen aus der Gasphase, in: Abhandlungen der Akad. der Wissenschaften der DDR 1977, Nr. 2N, 251–259; (mit W. Schäfer) Zur Systematik tetraedrischer Verbindungen vom Typ Cu2 MeIIMeIVMeVI4 (Stannite und Wurtzstannite), in: Zeitschrift für Kristallographie 145, 1977, 356–370; (mit V. Krämer, M. Schuhmacher und A. Bussmann) Preparation and properties of ferroelasic/ferroelecric polytypes of antimony (III) oxide iodide, Sb5O7I, in: Journal of crystal growth 42, 1977, 349–359; (mit W. F. Kuhs und K. Scheunemann) The crystal structure of Cu6PS5Br, a new superionic conductor, in: Acta Crystallographyca B34, 1978, 64–70; (mit A. Bubenzer) Second-harmonic generation (SHG) in metal-phosphorusnsulfide-halides having icosahedral structures, in: Journal of applied crystallography 11, 1978, 152 f.; (mit A. Eyer und H. Zimmermann) A double-ellipsoid mirror furnace for zone crystallisation experiments in Spacelab, in: Journal of crystal growth 47, 1979, 219–229; (mit P. Buck) Sublimation growth and X-ray topographic characterization of CdTe single crystals, ebd. 48, 1980, 29–33; (mit S. Fiechter und W. F. Kuhs) The structure of tantalum disulfide thiophosphate Ta [PS4]S2, in: Acta crystallographica B36, 1980, 2217– 2220; (mit A. Eyer) Floating zone growth of silicon single crystals, in: Journal of crystal growth 57, 1982, 145–154; (mit S.Fiechter) Vapor growth of argirodite-type ionic conductors, ebd. 61, 1983, 275– 283; (mit A. Cröll u. a.) Natural and thermocapillary convection in partially confined silicon melt zones, in: Microgravity Science and technology 3, 1991, 204–215.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1992), Frau C. Blumenhagen. - Foto 1945, UA Heidelberg, Studentenakte Nitsche; Foto 1987 und UA Freiburg, Personalakte Nitsche.

Literatur:

NN, Prof. Dr. Rudolf Nitsche, in: Freiburger Universitätsblätter H. 23, 1969, 22 f. (mit Bildnachweis); G. Greger, Das Labor im Weltraum. Materialforschung und Verfahrenstechnik unter Schwerelosigkeit, Information des Bundesministers für Forschung und Technologie, 12, 1985, 16–18, 45 f., 53, 55; Ulf Merbold, Flug ins All. Von Spacelab 1 bis zur D1 Mission, 1986, 285–290, 328 f.; Roland Diehl, Prof. Dr. rer. nat. Rudolf Nitsche†, in: Mitteilungsblatt der Deutschen Gesellschaft für Kristallwachstum und Kristallzüchtung Nr. 63, Mai 1996, 9; K.-W. Benz Kristallzüchtung in Spiegelofen im Weltraum – Angewandte Kristallographie in Freiburg: Rudolf Nitsche (1922–1996), in: 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2007, Bd. 4, 178–181; A. Cröll, Kristallographisches Institut, ebd., Bd. 5, 436–438.

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