Gärtner, Emil 

Geburtsdatum/-ort: 26.11.1893;  Lahr
Sterbedatum/-ort: 28.01.1971;  Lahr
Beruf/Funktion:
  • Volksschullehrer, NSDAP-Agitator
Kurzbiografie: 1899-1909 Realschule bis Obertertia, dann Handelsschule in Lahr
1909 Beginn einer Lehre in einem Manufakturwarengeschäft
1909-1912 Vorseminar in Lahr (Berufsziel Lehrer)
1912-1915 Lehrerseminar Heidelberg, mehrfach unterbrochen durch Militärdienst
1915-1933 Kandidatenprüfung, 1918 Dienstprüfung, 1916 bis 1924 Dienstorte: Gutach-Hohenweg, Kenzingen, Oberprechtal, Grauelsbaum bei Kehl, 1925 bis 1933 Hauptlehrer in Freistett bei Kehl
1929 Eintritt in die NSDAP, Mitgliedsnr. 137 019 (gestrichen: 309 346), aktiv als Redner
1930 Geldstrafe wegen Verletzung der Dienst- und Standespflichten
1930-1933 Fraktionsführer NSDAP im Kreistag Kehl, Schriftleiter von „Im Hanauerland“, Beilage zum „Führer“, 1930 Eintritt in den NS-Lehrerbund, Mitgliedsnr. 773
1932-1940 Wegen fortgesetzter Agitationstätigkeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt, 1933/34 Wiederverwendung in Kehl, dann Vorbereitung auf die Tätigkeit eines Schulaufsichtsbeamten in Offenburg und Emmendingen, Kreisschulrat und Kreisoberschulrat in Baden-Baden
1940-1944 Leiter des Bezirks- und Stadtschulamts in Colmar, Elsass
1945 Volkssturmkompanieführer
1945-1948 französische Kriegsgefangenschaft, 1948 verurteilt zu 9 Monaten Gefängnis wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit, 4 Monate verbüßt
ab 1950 Lebensabend in Ichenheim und Lahr
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., ab 1941 „gottgläubig“
Verheiratet: 1917 (Ichenheim bei Lahr) Lydia, geb. Spathelfer aus Ichenheim (1891-1987), 1950 geschieden, 1956 wiederverheiratet
Eltern: Vater: Emil (1869-1927), Lithograph und Betriebsleiter
Mutter: Karoline Luise, geb. Romann (geb. 1874)
Geschwister: Karl
Kinder: 1 Sohn
GND-ID: GND/1012786951

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 93-94

„Unterrichtet geschickt und eindrucksvoll, nur schreit er zuviel und ist zu unruhig.“ Diese wenigen Worte aus einer im Ganzen positiven dienstlichen Beurteilung von 1930 machen klar, dass Gärtner als Agitator für die NSDAP in der „Kampfzeit“ wie geschaffen war. Als Gauredner reiste er landauf, landab, beschwor Deutschlands verlorene Größe, die Gefahr des Bolschewismus, beklagte die Laschheit der demokratischen Regierungen und verkündete die Rettung durch den unbekannten Soldaten Adolf Hitler. Seine kleine Schrift „Hindenburgs Leben und Testament“ lässt seinen pathetischen Stil und die Vorliebe für Bibelzitate, Redewendungen und Metaphern aus dem religiösen Bereich erkennen, was ihn aber von gehässigen Ausfälligkeiten gegen katholische Geistliche und kirchentreue Katholiken nicht zurückhielt. Seine vielfach ungezügelte Schärfe brachte ihn auf Kollisionskurs zum Republikschutzgesetz, vor allem überschritt er die Grenzen dessen, was einem Beamten an kritischen Äußerungen gegenüber seinem Staat und Dienstherrn zugestanden wurde. Da Gärtner nicht vor der Rolle des Märtyrers zurückschreckte und sich ganz auf die Anwälte der Partei verließ, eskalierte sein Duell mit dem Kultusminister und späteren Innenminister Remmele, der 1930 Gutachten anfertigen ließ (Anschütz und Glockner), um auf der Gratwanderung zwischen dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und dem Treueverhältnis des Beamten zum Staat einen Fehltritt zu vermeiden. Im Herbst 1932 wurde Gärtner in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Nach dem Machtwechsel 1933 musste Gärtner, der „meistverfolgte Lehrer im alten Staat“, nicht lange warten, bis er „für die im Kampf für die nationale Erhebung erlittenen Dienststrafen“ durch eine steile Karriere und die Erstattung der finanziellen Einbußen entschädigt wurde. Nach kurzer Einarbeitungszeit auf den Kreisschulämtern Offenburg und Emmendingen trat er den Dienst in Baden-Baden an, erst als kommissarischer Leiter, dann als Leiter des Kreisschulamts und war damit Vorgesetzter der Lehrkräfte an den Volks- und Berufsschulen des Kreises, die er per Motorrad und ab 1935 per Pkw aufsuchte und überprüfte. Es dauerte jedoch nicht lange, ehe die Querelen und Zänkereien, die seine Personalakte schon vor seiner NS-Zeit durchzogen, wieder auftraten. Zu ausgiebige Besuche in Gastwirtschaften, auch in Damenbegleitung, wurden ihm angekreidet. Immer wieder hatte er Geldprobleme. Auch in der Personalführung fehlte ihm die glückliche Hand. 1937/38 legte er sich mit seinem eigenen Ministerium an, das von seinem Parteifreund Wacker geleitet und an entscheidender Stelle mit seinem eigenen Bruder besetzt war. Gärtner weigerte sich, der Weisung nachzukommen, eine gut kath. Handarbeitslehrerin einzusetzen und handelte sich im Februar 1938 eine deutliche Warnung vor weiteren Disziplinwidrigkeiten ein, verbunden mit der Androhung, im Falle einer Mobilmachung habe er sich „sofort zu gestellen“.
Letzteres kam jedoch nicht zum Tragen. 1940 amtete Gärtner immer noch in Baden-Baden, ohne dass die dienstlichen Schwierigkeiten aufgehört hätten. Er legte sich z. B. mit einer Baukompanie der Wehrmacht an, die in einem Schulgebäude seines Dienstbezirks untergebracht war. Im September 1940 wurde er als kommissarischer Leiter des Bezirks- und Stadtschulamts nach Colmar versetzt. Die endgültige Versetzung ins Elsass erhielt er 1944. Mit Elan stürzte er sich in die neue Aufgabe, die elsässischen Lehrer umzuschulen. Lehr- und Lernmittel und seine Hilfskräfte beförderte er in einem DKW Reichsklasse. Im Elsass nahm er auch seine Rednertätigkeit wieder auf, setzte die bekannten Attacken fort, so dass er sich zweifelhaften Nachruhm erwarb. 1944 verließ er das Elsass vor den einrückenden Alliierten. In Wolfach im Kinzigtal übernahm er eine Volkssturmkompanie, mit der er bei Immendingen für drei Jahre in französische Kriegsgefangenschaft geriet. Im Spruchkammerverfahren 1950 wurde er – obwohl als „übler Nazi“ charakterisiert – als Minderbelasteter eingestuft, ungeachtet der Tatsache, dass das Landgericht Offenburg ihn 1948 wegen aktiver Beteiligung an den Ausschreitungen gegen Juden am 10. November 1938 in Baden-Baden zu neun Monaten Gefängnis verurteilt hatte.
Nach seiner Entlassung führte er einen langwierigen Kampf um seine Versorgungsbezüge. Eine Reaktion auf einen Hilferuf an Leo Wohleb, den Nachkriegs-Staatspräsidenten von Baden, aus dem Gefangenenlager Mulsanne 1946 ist nicht dokumentiert. Eine Wiederverwendung im Schuldienst schied wegen Gärtners politischer Vergangenheit aus, aber auch seine angegriffene Gesundheit sprach dagegen. Probleme mit Schilddrüse, Herz und Nieren hatten ihn schon in jungen Jahren geplagt. 1952 wurde er, reduziert auf den Dienstrang eines Hauptlehrers, zur Ruhe gesetzt. Von einer kritischen Reflektion seines Verhaltens im „Dritten Reich“ ist Zeitzeugen nichts bekannt. Gärtner sah sich zunächst in einer Opferrolle angesichts der langen Kriegsgefangenschaft und des Verlustes des einzigen Sohnes, der Soldat an der Ostfront war und 1945 vermutlich bei Straßenkämpfen in Prag ums Leben kam.
Quellen: GLA Karlsruhe 235/44066, 233/24009 u. 233/27916; StAF D 180/3, 1789 u. L 50/1, 1763; EAF B 21924; BA Berlin (ehem. BDC) NSDAP-Gaukartei, NSDAP-Führerkartei, NSLB.
Werke: Hindenburgs Leben u. sein politisches Testament, 1934.
Nachweis: Bildnachweise: nicht ermittelt.

Literatur: Volker Lenhart, Geschichte d. Lehrerbewegung in Baden 1926-1976, 1977 (Hier werden die beiden Brüder Gärtner verwechselt); Marie-Joseph Bopp, L'Alsace sous l'occupation allemande 1940-1944, 1945; Hans-Georg Merz, Beamtentum u. Beamtenpolitik in Baden, 1985.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)