Kazmeyer, Karl Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 11.05.1876;  Metzingen
Sterbedatum/-ort: 19.05.1937;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Hüttenwerksleiter und technischer Geschäftsführer
Kurzbiografie: 1894–1898 Studium an der Bergakademie Freiberg/Sachsen
1899–1901 Borsigwerk A. G. Biskupitz/Oberschlesien
1901–1921 Gutehoffnungshütte Oberhausen/Rheinland
1921–1925 Fritz Neumeyer A. G. München
1925 Diensteintritt bei der SHW GmbH
1925–1927 Werksvorstand in Königsbronn
1927–1937 Technischer Geschäftsführer der SHW GmbH
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1904 Auguste Magherita, geb. Trompeli (1879–1937)
Eltern: Vater: Johann Ludwig Kazmeyer (* 1840), Fabrikaufseher
Mutter: Marie Agnes, geb. Trudel (* 1840)
Geschwister: 6: Maria Agnes (* 1868); Anna Barbara († 1868); Luise Karoline; Anna Barbara († 1872); Maria Agnes (* 1878); Paul
Kinder: 3: Hans Ludwig; Karl Rolf; Ulrich Siegfried
GND-ID: GND/1018225315

Biografie: Uwe Fliegauf (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 149-151

Die Eisen- und Maschinenbauindustrie Württembergs verdankt ihren weiteren wirtschaftlichen Aufstieg in der konjunkturell unruhigen Zwischenkriegszeit nicht zuletzt dem umsichtigen Wirken ihrer Führungskräfte, die technische Begabung, vorzügliche Ausbildung mit besonderem geschäftlichem Gespür sowie dem sprichwörtlichen schwäbischen Fleiß verbanden – untadeligen Männern wie dem Eisenhüttenfachmann Karl Kazmeyer, der sich bleibende Verdienste beim betrieblichen Ausbau und der technischen Modernisierung der traditionsreichen schwäbischen Hüttenwerke erworben hat. Der Sohn eines Fabrikaufsehers aus der florierenden Textilindustrie Metzingens, dessen Vorfahren aus der Gemeinde Lichtenstein (Kreis Reutlingen) zugewandert waren, besuchte zunächst die Realschule seiner Geburtsstadt, um anschließend auf die renommierte polytechnische Oberrealschule in Reutlingen zu wechseln. Dort zeigte sich bald eine ausgeprägte technische Begabung bei dem vorzüglichen Schüler, die es ihm ermöglichte, zum Wintersemester 1894/95 an die sächsische Bergakademie Freiberg zu wechseln und das anspruchsvolle Studium der Eisenhüttenkunde zu beginnen; Kazmeyer folgte damit der Tradition einer Reihe bedeutender württembergischer Berg- und Hüttenfachleute, die dort seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine vorzügliche Ausbildung genossen hatten und die Entwicklung der heimischen Eisenindustrie maßgeblich prägten. Am 19.12.1898 legte er dort seine Diplomprüfung mit sehr gutem Ergebnis ab und gehörte zu den besten Studenten seines Jahrgangs. Entsprechend bereitete der Berufseinstieg dem jungen Diplomingenieur, der bereits während des Studiums als Bergkadett im Steinkohlenbergwerk Zanckerode und als Praktikant in der Hochofenlage der Maximilianhütte im oberpfälzischen Rosenberg erste berufliche Erfahrungen sammeln konnte, keine Probleme. Im Januar 1899 trat er seine erste Stelle im Konstruktionsbüro und später bei der Maschinenfabrik der Borsigwerk A. G. in Biskupitz (OS) an, im Oktober 1901 wechselte er dann mit erstklassigen Zeugnissen als Betriebsassistent zur Gutehoffnungshütte, einem der ältesten und größten Montanunternehmen an der Ruhr. Er übersiedelte nach Sterkrade und heiratete im Juni 1904, nachdem er sich vor Ort beruflich fest etabliert hatte, seine langjährige Verlobte Margherita Trompeli aus Freiberg und gründete eine Familie. In den nächsten 20 Berufsjahren war der tüchtige und ehrgeizige Oberingenieur Kazmeyer zunächst in der Stahlformgießerei und im Walzwerk Neu-Oberhausen eingesetzt sowie zuletzt bei der Wärmeabteilung der Maschinenfabrik Sterkrade in leitender Position tätig. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war die Gutehoffnungshütte unter ihrem Vorstandsvorsitzenden Paul Reusch (1868–1956), der ebenfalls aus Württemberg stammte, durch bedeutende Zukäufe (u. a. der Maschinenfabrik Esslingen und der MAN A. G.) zu einem führenden schwerindustriellen Konzern ausgebaut worden. Damit bot sich 1921 für Kazmeyer endlich die Möglichkeit, die nächste Stufe auf der Karriereleiter zu erklimmen und bei dem Konzernunternehmen Neumayer A. G. in München die Leitung der Eisengießerei zu übernehmen – dort bewährte er sich erneut vorbildlich und empfahl sich damit für weitere Führungsaufgaben.
Am 1. November 1925 wurde er zum Vorstand des ältesten württembergischen Hüttenwerks in Königsbronn ernannt, das seit 1921 zur SHW gehörte, die aus dem staatlichen Hüttenwerksbesitz hervorgegangen war und nun je zur Hälfte dem Land Württemberg und der Gutehoffnungshütte gehörte. Die dortige Hartwalzengießerei drohte damals ihre führende Stellung als Zulieferer für die Papiermaschinenindustrie zu verlieren. Nachdem Kazmeyer die Herstellung von Großwalzen auf einer ausgedehnten Geschäftsreise in die Vereinigten Staaten eingehend studiert hatte, wurden unter seiner Leitung 1927/28 die Pläne für die bauliche Erweiterung der Walzengießerei konzipiert und größere Maschinen für die Walzendreherei beschafft – das Werk blieb dadurch auf den Weltmärkten konkurrenzfähig und ein weiterer Erfolg bereicherte den hervorragenden Werdegang Kazmeyers. Nachdem er bereits die kommissarische Leitung der Großgießerei Wasseralfingen übernommen hatte, folgte er am 1. Juni 1927 dem krankheitsbedingt pensionierten Oberbergrat Knapp als technischem Geschäftsführer der SHW nach. In gewisser Weise war Kazmeyer damit an das Ziel seines beruflichen Strebens gelangt, er gehörte nun zum inneren Führungszirkel der Gutehoffnungshütte und prägte die technische Seite der Geschäftspolitik dieses bedeutenden Eisen verarbeitenden Unternehmens in den nächsten Jahren federführend mit. Die Produktion wurde durch gezielte Investitionen auf die Geschäftsfelder Eisengießerei, Stahlproduktion und Maschinenbau konzentriert, auf denen man sich mit spezialisierten und hochwertigen Erzeugnissen am umkämpften Markt zu behaupten vermochte; damit war der rund 100 Jahre andauernde Wandel von der Eisenerzeugung hin zum Veredlungsbetrieb abgeschlossen. In diesem Zusammenhang widmete sich Kazmeyer im Hauptwerk Wasseralfingen der logistischen Rationalisierung der unter großem Kosten- und Konkurrenzdruck stehenden Kundengießerei. Daneben sorgte er für die Modernisierung des Walzwerks und konsolidierte die seit Jahren defizitäre Werksabteilung durch die verstärkte Produktion von Automatenstahl („Schwabenstahl“) für Drehereien und Ziehereien, die sich in den nächsten Jahren als voller Erfolg erweisen sollte. Auch auf den kleineren Regionalwerken der Gesellschaft sorgte er für die nötige technische Erneuerung der Anlagen, Bauten und die Rationalisierung der Produktionsabläufe. Am Standort Ludwigstal forcierte er die Produktion von Gussteilen für die aufstrebende Automobilindustrie und zeichnete 1929 für die Erweiterung der Gießereikapazitäten verantwortlich. In Wilhelmshütte initiierte er seit 1927 die längst überfällige Vergrößerung der Gießerei, die Industriekunden im ganzen oberschwäbischen Raum belieferte. Die „Schwarzwaldschmiede“ in Friedrichstal wurde unter seiner technischen Oberaufsicht weiter auf die Produktion von Hacken, Hauen und Schaufeln umgestellt, womit der technisch bedingte Rückgang des Sensenabsatzes abgefangen und auch dieser Standort in wirtschaftlich bewegter Zeit erhalten werden konnte. Schließlich koordinierte Kazmeyer 1934 auch die im Gefolge der NS-Autarkiepolitik stehende Wiederaufnahme des Erzgrubenbetriebs am Braunenberg bei Wasseralfingen, der seit der Stilllegung des letzten Hochofens 1925 im benachbarten Hüttenwerk weitgehend aufgegeben worden war. Außerdem wirkte er in der württembergischen (süddeutschen) Gruppe des Vereins deutscher Eisengießereien mit, wobei er sich als deren Vorstand in den schweren Jahren der Weltwirtschaftskrise insbesondere im Kampf gegen depressionsbedingte Preisunterbietungen sowie bei der Durchsetzung gemeinsamer preispolitischer Vorgaben große Verdienste um das wirtschaftliche Überleben der Branche erwarb. Dementsprechend genoss er im Kreis seiner zahlreichen Berufsgenossen, aber auch in den Hüttenbetrieben der SHW hohe Wertschätzung und war „trotz rauer Schale“ sehr beliebt. Die in früheren Jahren ausgedehnte wissenschaftlich-publizistische Tätigkeit auf dem Gebiet der Eisengießerei und -verarbeitung, das er theoretisch und praktisch vollständig beherrschte, musste er seit Mitte der 1920er Jahre aufgrund seiner umfangreichen dienstlichen Verpflichtungen und zahlreicher Aufträge als technischer Gutachter für befreundete Unternehmen zwar deutlich einschränken, dennoch informierte er sich stets regelmäßig und eingehend über den Stand der modernen Hüttentechnik. Völlig unerwartet erkrankte er im März 1937 an einem schweren „inneren Leiden“ und verstarb nach kurzer, schwerer Krankheit im Stuttgarter Marienhospital, wohin er sich zur Behandlung begeben hatte. Unter großer Anteilnahme von Kollegen, Werksangehörigen und Freunden wurde Kazmeyer auf dem Reutlinger Stadtfriedhof beigesetzt, wobei in den Trauerreden einhellig betont wurde, dass „mit ihm […]ein Eisenhüttenfachmann von reichem Wissen und großer Erfahrung dahingegangen“ ist, der „in einer reichen Lebensarbeit zahlreichen großen Werken wertvolle Dienste geleistet hat“. Insbesondere die südwestdeutsche Eisenindustrie hat ihm viel zu verdanken.
Quellen: StadtA Metzingen, Familienregister II, 888. StadtA Aalen, Familienregister IV, 119. WABW, B 1009: 145, 282, 489, 610, 822, 1005, 1571, 1802. UA Freiberg (Studentenakte).
Nachweis: Bildnachweise: WABW B 1011: 496.

Literatur: U. Fliegauf, Die Schwäbischen Hüttenwerke zwischen Staats- und Privatwirtschaft, 2007, 261 ff.
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