Marx, Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 16.05.1865;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 14.03.1949; New York
Beruf/Funktion:
  • Historiker und Bibliothekar
Kurzbiografie: 1884 Reifeprüfung Gymnasium Mannheim anschließend Studium der Geschichte, Nationalökonomie, Philosophie und Kunstgeschichte an der Univ. Leipzig
1894 Dissertation: „Beiträge zur Geschichte des niederländischen Aufstandes“
18.6.1900 Habilitation und Privatdozent für Geschichte an der TH Stuttgart
16.7.1905 a.o. Prof. für Geschichte TH Stuttgart
1919 Provisorischer Vorstand der Bibliothek der TH Stuttgart (BTH)
1920 Vorstand der BTH
1925 Oberbibliothekar
1930 Direktor BTH
31.3.1933 Pensionierung
21.8.1941 Emigration mit Frau und Tochter via Spanien in die USA
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Mitgliedschaften: Württ. Kommission für Landesgeschichte (1903–1934); Société archéologique de France (korrespondirendes Mitglied); Akademie der Arkaden Rom; Literarischer Club Stuttgart; Württ. Geschichts- und Altertumsverein; Verb. Deutscher Historiker; Württ. Gesellschaft zur Förderung der Wiss.; Ver. dt. Bibliothekare
Verheiratet: 30.8.1904 Hedwig Rosa, geb. Meyer (* 5.6.1881 Bonn-Kessenich, † nach 1961 USA)
Eltern: Vater: Wilhelm Marx, Kaufmann
Mutter: Henriette, geb. Umstädter
Kinder: 2: Erich (Eric) Leopold Michael (* 28.6.1905 Stuttgart, † 1987); Ruth Henriette (* 16.2.1915 Stuttgart)
GND-ID: GND/1018228764

Biografie: Norbert Becker (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 187-188

Ernst Marx‘ historisches Hauptwerk, die „Studien zur Geschichte des niederländischen Aufstands“, beeindruckt durch eine umfassende Quellenkenntnis und Quellennähe sowie durch eine für seine Zeit ungewöhnliche Neutralität in Bewertung und Gewichtung der geschilderten Ereignisse. Marx schreibt politische Geschichte, entwickelte aber auch einen scharfen Blick für kulturelle und wirtschaftliche Aspekte oder die bedingenden Faktoren des Milieus, dem die historisch Handelnden verbunden waren. Seinen Forschungsschwerpunkt im Zeitalter der Reformation teilte er mit seinem Leipziger Doktorvater Wilhelm Maurenbrecher (1838–1892), auf dessen Einfluss Marx‘ ausgeprägtes Interesse an der Quellenkritik zurückzuführen ist. Aber auch der Einfluss Karl Lamprechts (1856–1915) in Bezug auf Vermittlung wirtschafts- und kulturgeschichtlicher Fragestellungen ist im Werk Marx‘ unverkennbar, der noch als Doktorand in Leipzig den Beginn des Methodenstreits erlebt hatte. In Marx‘ Werk entstand eine Synthese zwischen den „kollektiven“ geschichtswirksamen Kräften nach Lamprecht und den „individuellen Kräften“ der zeitgenössischen politischen Geschichtsschreibung, eine verbindende Betrachtungsweise, die nach Marx „allein zur geschichtlichen Wahrheit führt und die unendliche Mannigfaltigkeit der historischen Wechselwirkung, das bunte Spiel der geschichtlichen Kräfte entschleiert“.
Marx übernahm als erster hauptamtlicher Bibliothekar die Leitung der Bibliothek der Technischen Hochschule Stuttgart. Er verstand die Bibliothek als „allgemein wissenschaftliche Bibliothek, insbesondere für Technik“. Analog zu einigen ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen an der Technischen Hochschule Stuttgart orientierte sich Marx in den 1920er Jahren an amerikanischen Vorbildern. Für das wissenschaftliche Bibliothekswesen bedeutete dies eine deutliche Hinwendung zum Dienstleistungsauftrag für Forschung und Lehre. Die mit seiner Bestellung verbundene Professionalisierung der bibliothekarischen Aufgaben zahlte sich aus: Marx gelang es weitgehend, die durch die Isolation im Ersten Weltkrieg entstandenen Lücken in den Serien der ausländischen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Zeitschriften zu schließen. Weitere Initiativen betrafen die Modernisierung der Benutzung: Marx richtete aus Spenden eine Lehrbuchsammlung zunächst für bedürftige Studierende ein, eine Abteilung für belletristische Literatur, sowie ebenfalls aus Spendengeldern eine der ersten Kopierstellen an einer deutschen wissenschaftlichen Bibliothek. Er öffnete die Bibliothek für Personen, die nicht der Technischen Hochschule Stuttgart angehörten und vertiefte hierdurch die Kontakte zur Industrie. In Zusammenarbeit mit amerikanischen Kulturstellen wurde auf Marx‘ Initiative 1932 in Stuttgart die George Washington Memorial Library gegründet: Sie sollte dem Kulturaustausch und der Vertiefung der Kenntnisse über die USA bei den Studierenden dienen und hat auch in den 1930er Jahren rege Benutzung erfahren.
„Der Lebenslauf eines Menschen hängt ja keineswegs von seiner eigenen Person ab […] äußere Umstände, auf die ihm jeder Einfluss versagt ist, bestimmen oft genug seine Lebensbahn.“ Diese Feststellung, die Marx in seinem Aufsatz „über den Zufall in der Geschichte“ traf, sollte bald auch für ihn schmerzliche Realität werden. Marx hatte sich nicht gescheut, den Zumutungen der nationalsozialistischen Studierenden, die seit 1932 die Mehrheit im Allgemeinen Studentenausschuss hatten, entgegenzutreten. Auf einer Studentenvollversammlung wurde dann in massiver Form sein Rücktritt gefordert, wie sich der damalige Rektor Paul Ewald erinnerte „really a dramatic moment, where I confronted some 2,000 students…“. Dies war wahrscheinlich der Grund dafür, dass Marx einige Monate vor dem regulären Termin seine Pensionierung beantragte. Bis zum Verbot durch den Rektor 1937 war es ihm noch möglich, in der George Washington Memorial Library tätig zu sein. 1941 emigrierte Ernst Marx mit Frau und Tochter über Spanien in die USA. Während Marx‘ historisches Werk heute selbst in der Spezialliteratur kaum mehr rezipiert wird, wurden seine Reformen im Bibliothekswesen zur Grundlage der professionellen Literaturversorgung im wissenschaftlichen Bibliothekswesen der Universität Stuttgart.
Quellen: NL im UA Stuttgart: SA2/158, SA2/1697, SA3/8; UA Stuttgart 57/374 (PA), HStAS EA 3/150 Nr. 1449 (PA des Kultministeriums); Center for History of Physics, New York: Paul P. Ewald, Transcript of an Interview by Charles Weiner, 1968, 30.
Werke: [Auswahl] Beiträge zur Geschichte des niederländischen Aufstands. Diss. Leipzig 1896; Studien zur Geschichte des niederländischen Aufstands (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte, Bd. 3, Heft 2) 1902 (Habilitationsschrift); Neue Studien zur Geschichte des niederländischen Aufstandes, in: Westdeutsche Zs. für Geschichte und Kunst 29 (1910), 237–334; Bismarck und die Hohenzollernkandidatur in Spanien, 1911; Einige Randglossen zum 12. und 13. Juli 1870, in: HZ 110 (1913), 508–525; Bismarck und Bülow, 1916; Zum Kampf gegen die Not der deutschen Wissenschaft, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 38 (1921); Über den Zufall in der Geschichte, in: Besondere Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg vom 31.1.1933, Nr. 1, 1–13.
Nachweis: Bildnachweise: Reichshandbuch (wie unter Literatur); Gehring (wie unter Literatur), 145; UA Stuttgart Fotosammlung und SA2/1697.

Literatur: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild. 2. Bd. (1931), 1200 f.; Paul Gehring, Die Bibliothek der TH Stuttgart 1962. Mit einer Darstellung ihrer Geschichte, 1962, bes. 163–171, 224–229; Lexikon deutscher wiss. Bibliothekare 1925–1980, hg. von A. Habermann, R. Klemmt, F. Siefkes, 1985, 209–210.
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