Reuther, Carl Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 02.10.1876;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 25.02.1919;  Mannheim durch Attentat
Beruf/Funktion:
  • Fabrikant
Kurzbiografie: 1883–1895 Volksschule u. Realgymnasium Mannheim
1895–1896 Ausbildung im väterlichen Betrieb
1896–1897 Einjährig-Freiwilliger bei d. reitenden Batterie des I. Bad. Feldartillerie-Regiments in Karlsruhe
1897–1899 Maschinenbau-Studium am Polytechnikum Karlsruhe
1899 Prokurist bei Bopp&Reuther
1904 Umwandlung des Unternehmens in eine OHG
1908 Nachfolger des verstorbenen Vaters
1914–1915 Einsatz beim Frankreichfeldzug als Reserveoffizier
1912–1919 u. a. Vorstandsmitglied im „Gesamtverband Dt. Metallindustrieller“ u. Vorsitzender des „Verbands d. Metallindustriellen von Baden, d. Pfalz u. d. angrenzenden Industriegebiete“
1915 Umstellung d. Produktion auf Rüstungsgüter
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: EK II (1914); Kommerzienrat u. Dr. med. h. c. d. Univ. Heidelberg (1918)
Verheiratet: 1901 (Hannover) Martha, geb. Wohlenberg (1881–1959)
Eltern: Vater: Carl Friedrich (1846–1908), Fabrikant
Mutter: Marie, geb. Altenkirch (1846–1919)
Geschwister: 9; Emilie (* 1872), Berta (* 1873), Toni (* 1874), Emma (* 1875), Anna (* 1878), Elsa (* 1879), Marie (* 1880), Fritz (* 1882) u. Clara (* 1885)
Kinder: 6; Marie (* 1902), Elisabeth (* 1903), Klara (1904), Carl (* 1906), Fritz Leonhard (* 1909) u. Christa (* 1917)
GND-ID: GND/1018922482

Biografie: Karl-Heinz Schwarz-Pich (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 327-329

Mit 26 Jahren gründete Reuthers Vater 1872 gemeinsam mit Carl Bopp (1830–1893) in der heutigen Neckarstadt-West ein kleines Unternehmen zur Herstellung von Armaturen für Gas-, Wasser-, Dampf-Anlagen und Pumpen. Als sich Bopp 1881 aus dem Geschäft zurückzog, führte Carl Friedrich Reuther den Betrieb alleine weiter und machte das Kleinunternehmen binnen weniger Jahre zur respektablen Fabrik.
Als Erstgeborener wurde Reuther in seiner Erziehung und Ausbildung gezielt auf eine spätere Aufgabe an der Spitze des Unternehmens vorbereitet, wobei sich der Vater als strenger Erzieher und dann noch strengerer Lehrmeister erwies. Nach der Volksschule besuchte Reuther zunächst das Realgymnasium, einen Schultyp, der durch Betonung neuer Sprachen, der Mathematik und Naturwissenschaften auf die praktischen Bedürfnisse von Gewerbe und Handel im Industriezeitalter zugeschnitten war. Die Leistungen, die Carl Friedrich Reuther von seinem Sohn in der Schule erwartete, hatte er vertragsähnlich fixiert, auch wenn sich solche väterliche Sorge als unbegründet erweisen sollte; Reuther belegte in der Oberprima den dritten Platz unter 25 Abiturienten.
Dem Schulabschluss folgte eine einjährige Ausbildung im Familienbetrieb unter direkter Aufsicht und Kontrolle des Vaters. Privilegien gab es nicht; Reuther war in der Produktion nur einer unter vielen, dem schwerste körperliche Arbeit in der Gießerei abverlangt wurde, besonders dort, wo im Akkord gearbeitet wurde.
Auf die praktische Ausbildung im Betrieb folgte der Einjährig-Freiwillige Militärdienst, ein Privileg für junge Männer mit höherer Schulbildung, denen so der wesentlich längere allgemeine Militärdienst erspart blieb.
Nach seiner Militärzeit immatrikulierte sich Reuther an der TH Karlsruhe und studierte Maschinenbau. In diese Zeit fallen die Pläne des Vaters, die Fabrik, die aus Platzmangel in der Neckarstadt nicht mehr erweitert werden konnte, im Waldhof auf Gemarkung Käfertal anzusiedeln. Das war ein ehrgeiziges Projekt, zumal die Produktion weiterlaufen musste. Deshalb wurde die Fabrik schrittweise verlegt, jeweils nachdem Anlagen im neuen Werk fertiggestellt waren. Die gewaltige Aufgabe hinterließ beim damals fast 50-jährigen Vater Reuthers Spuren, ließ ihn aggressiv und unverträglich werden. Als der Unternehmensgründer dann an Diabetes erkrankte, musste der erst 22-jährige Reuther 1899 sein Studium abbrechen und sich an der Seite des Vaters dem Betrieb und seiner Verlegung widmen.
Dank ausgeprägter technischer Begabung und organisatorisch überdurchschnittlich befähigt, zeigte Reuther sich der Aufgabe bestens gewachsen und erhielt bereits vor seinem 23. Geburtstag die Prokura. Zwei Jahre später heiratete Reuther eine Unternehmerstochter aus Hannover. Zwar war hierfür die Zustimmung des Vaters erforderlich, aber ausgewählt hatte er sich seine Braut selbst.
Frühzeitig schon erkannte Reuther die Notwendigkeit zur ständigen Verbesserung der Produktionsmethoden, um wo möglich wirtschaftlicher als die wachsende Konkurrenz zu arbeiten. So wurden im neuen Werk die Maschinen nach Reuthers Plänen dem Produktionsablauf gemäß aufgestellt, was Transportwege verkürzte und Kosten beim Produzieren sparen half. Außerdem führte Reuther in der Eisengießerei die Verwendung von Presskernbüchsen ein, was die Herstellung der recht langen Hydranten erleichterte, und in der Metallgießerei die sogenannte Nassputztrommel zur Reinigung von Gussrohlingen. Seine besondere Aufmerksamkeit aber galt den Großarmaturen. Lange vor der Konkurrenz entwickelte Reuther einen Ringschieber, der in der Edertalsperre Verwendung fand. Seiner Anregung war auch die Entwicklung des bewährten Normalhydranten „Modell 1901“ zuzuschreiben, für dessen Herstellung er die „Durchzugsformmaschine“ einsetzte und damit gießereitechnisch neue Wege beschritt.
Nach Abschluss des Umzuges 1904 waren von der Gesamtfläche von 165 000 qm auf dem Waldhof, die der Vater erworben hatte, 125 000 industriell genutzt. Bei der Gründung der Firma hatte die industriell genutzte Fläche nur 96 qm betragen. Auf dem restlichen neuen Areal wurden Wohngebäude, darunter eine noch heute bestehende Arbeiterwohnsiedlung sowie Wohnungen für leitende Angestellte und eine Villa gebaut, in der Reuther mit seiner Familie wohnte. Die Zahl der Beschäftigten, 10 im Gründungsjahr, war in den 32 Jahren bis 1914 auf über 1500 angestiegen.
Am 1. Januar 1904 wurde Reuther zusammen mit seinem Schwager Otto Boehringer, der sich als Ingenieur in der Firma auf die Herstellung von Wasserzählern spezialisiert hatte, als Teilhaber in das Unternehmen aufgenommen, das zugleich in eine OHG umgewandelt wurde; dritter Gesellschafter war der Firmengründer selbst. 1904 trat auch der jüngere Bruder Fritz in die Firma ein, er übernahm den kaufmännischen Bereich und wurde 1911 Gesellschafter.
Reuthers bald erreichte Bedeutung als Firmenchef kommt neben seinen Funktionen im Arbeitgeberverband auch darin zum Ausdruck, dass er Mitglied im Ausschuss der deutschen Industrie für die Normierung von Armaturen war, Mitglied des Vorstands der „Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft“ sowie Vorsitzender des „Arbeitsnachweises der Industrie für Mannheim und Ludwigshafen“, einer Eigeninitiative der Industriellen zur Verbesserung der Arbeitsvermittlung.
Bis zum Ausbruch des I. Weltkriegs war die Firma Bopp&Reuther unter Reuthers Leitung zu einem Unternehmen von Weltrang geworden. Deutsche Filialen gab es u. a. in Berlin, Breslau und München. Zur Niederlassung in Wien war 1912 in Atzgersdorf bei Wien ein Zweigwerk hinzugekommen, außerdem gab es Firmenvertretungen in England, Belgien, Holland, Italien, Spanien und Rumänien. Der Veröffentlichung beim 100-jährigen Jubiläum nach war Bopp&Reuther in dieser Zeit am Verkauf von Wasserschiebern auf dem Weltmarkt mit 60 % beteiligt und damit größter Hersteller in Europa.
Mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs veränderte sich die Lage schlagartig. „Die Aufträge wurden von allen Seiten storniert, die Maschinen kamen zum Stillstand und alles, was in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaut war, schien zusammenzubrechen“, charakterisierte Fritz Reuther beim 50-jährigen Jubiläum 1922 die Situation. Dazu kam, dass Reuther selbst seit Kriegsbeginn zum Militär eingezogen war und bis zur Schlacht bei Albert Ende September 1914 aktiv an den Kampfhandlungen teilnehmen musste.
So mag es nur hilfreich gewesen sein, dass Ende 1914 die Heeresverwaltung die Firmenproduktion in Mannheim auf Rüstungsgüter umzustellen forderte. Das Waldhöfer Werk produzierte fortan Zünder; Reuther wurde Anfang 1915 vom Militär freigestellt.
Mit dem Ende des Krieges entstand dann der neuerliche Zwang, die Produktion umzustellen, eine noch größere Herausforderung in schwierigster Zeit. Da aber kam es zur jähen Zäsur: Am 25. Februar 1919 wurde Reuther um die Mittagszeit beim Verlassen seiner Villa von dem 38 Jahre alten Tagelöhner Friedrich Georgi mit zwei Schüssen aus der Pistole getötet. Zunächst war die örtliche Presse davon ausgegangen, dass die Tat im Zusammenhang mit den Unruhen der Arbeiterschaft auch dieser Fabrik stand. Just am gleichen Tag verhandelten Arbeiter und Firmenleitung nämlich über streitige Forderungen. Die Tat stand zumindest in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Arbeitskampf. Der Attentäter war eher zufällig am Werk vorbeigekommen, habe dann aber den dort versammelten Arbeitern gegenüber sinngemäß erklärt, das Problem müsse man ganz anders lösen, und seine Pistole gezogen. Georgi wurde zum Tode verurteilt, die Strafe wegen seines Geisteszustands dann aber in lebenslänglich umgewandelt. Nach 14-jähriger Haft wurde er begnadigt.
Reuther hinterließ die junge Witwe mit sechs minderjährigen Kindern. Seine beiden Söhne, beide Diplomingenieure, traten 1931 bzw. 1936 als Gesellschafter in die Firma ein.
Quellen: GLA Karlsruhe 276 Nr. 251, Sitzungsprotokolle des Verbandes d. Metallindustriellen Badens, Pfalz u. d. angrenzenden Industriegebiete; StadtA Mannheim S1/ 1706, 19/2007 Lfd. Nr. 585, Gerichtsverfahren gegen den Attentäter Georgi, 19/2007 Lfd. Nr. 58, Nachlass Hans Reuther (Neffe), Zugangsnummer 26/2006 laufende Nr. 8, Mannheimer Realgymnasium A 14 –50, 19/2007 Lfd. Nr. 1,2, 679, 584 u. 585, FirmenA Bopp&Reuther; Archiv d. TH Karlsruhe; A Südwestmetall, Stuttgart; A Gesamtmetall – Die Arbeitgeberverbände d. Metall- u. Elektroindustrie; Auskünfte von Carl Friedrich Reuther (Enkel), Christel Reuther (Großnichte) u. Albert Gieseler, Technomuseum Mannheim, vom Oktober 2010.
Nachweis: Bildnachweise: Bopp&Reuther GmbH, Hausbuch, 1952, 25 (vgl. Literatur).

Literatur: Anonym, Mosaik eines Lebens, Carl Reuther u. sein Werk, 31. 10. 1847–13. 6. 1908, o. J., Typoskript (182 S.) im Besitz von Carl Friedrich Reuther (Enkel); Bopp&Reuther, Werden, Wirken, Wollen, hgg. von d. Firmenleitung, o. J.; Mannheimer Generalanzeiger vom 26. 2. 1919, Todesanzeige d. Familie, ebd. Nachruf vom 28. 1. 1920; Verwaltungsberichte d. Stadt Mannheim 1919/20; Hüter strömender Güter, Eine technologische Studie, hgg. von d. Firmenleitung, 1957; Bopp&Reuther 1872–1922, hgg. von d. Firmenleitung, 1922; Bopp&Reuther GmbH, Mannheim-Waldhof, Hausbuch, hgg. von d. Firmenleitung, 1952; Lueger, Lexikon d. Technik Bd. 1, 1960, 19; Bopp&Reuther 1872–1922, hgg. von d. Firmenleitung, 1972.
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