Flamm, Franz Leo 

Geburtsdatum/-ort: 26.11.1905;  Freiburg im Breisgau
Sterbedatum/-ort: 16.02.2003;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Sozialrechtler und Leiter des Freiburger Wohlfahrtsamts
Kurzbiografie: 1922–1926 Verwaltungslehrling; 1925 Abitur am Rotteck-Gymnasium, Freiburg
1928 Eintritt in die Zentrumspartei
1928–1931 Jurastudium in Berlin
1931–1932 XII. 31 Obersekretär
1932 Promotion zum Dr. iur. bei Wilhelm van Calker, Univ. Freiburg: „Das Dienststrafrecht d. Beamten u. d. Mitglieder d. gemeindlichen Selbstverwaltungskörper in Baden“
1933 I. 1 Verwaltungsobersekretär
1933 V. 1 Eintritt in die NSDAP, Mitgl. Nr. 3462496; 1936 bis 1938 NS-Blockleiter
1939–1945 Soldat, ab 1. Dez. 1942 bis Kriegsende Leutnant d. Res. im Bau-Pionier Bataillon 64
1946 Wiedereintritt ins Wohlfahrtsamt
1946–1948 IX. 30 Spruchkammerverfahren in Freiburg: Mitläufer ohne Sühnemaßnahmen
1948–1968 Stellvertretender Direktor des Freiburger Wohlfahrtsamts bis 1952, dann Direktor
1954–1968 Mitglied im Sozialausschuss des Dt. Städtetages
1959–1975 Mitglied im Hauptausschuss des Dt. Vereins für öffentliche u. private Fürsorge
1966–1969 Mitglied im Beirat für Raumordnung beim Bundesministerium des Innern
1970–1973 Mitglied im Beirat für die ältere Generation beim Bundesministerium des Innern bzw. beim Bundesministerium für Jugend, Familien u. Gesundheit
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Bundesverdienstkreuz Erster Klasse (1968); Ehrenplakette des Dt. Vereins für öff. u. private Fürsorge (1980)
Verheiratet: 1936 (Freiburg) Gertrud, geb. Nuß (1912–1990)
Eltern: Vater: Josef (1866–1943), Schriftsetzer
Mutter: Franziska Theresia, geb. Tritschler (1873–1946)
Geschwister: Otto (1904–1992)
Kinder: 2;
Ursula Gertrude, verh. Sackers (geboren 1937),
Josef Martin (geboren 1946)
GND-ID: GND/1024320502

Biografie: Robert Neisen (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 101-104

Für einen Beamten im gehobenen Verwaltungsdienst, der zu einem der führenden Sozialrechtler der Nachkriegszeit wurde, stammte Flamm aus eher einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Schriftsetzer im katholischen Herder-Verlag, die Mutter Hausfrau. Die tiefe Religiosität seiner Eltern war prägend für Flamm, der sich schon als Jugendlicher für Themen der sozialen Wohlfahrt interessierte und sich zeitlebens von den Grundsätzen der Subsidiarität und des christlichen Mitgefühls für sozial Benachteiligte leiten ließ.
Nach dem Besuch der Mittelschule begann er 1922 als 16-Jähriger eine Lehre bei der Stadtverwaltung Freiburg und holte nebenher als Externer am Freiburger Rotteck-Gymnasium das Abitur nach. Dies befähigte ihn, von 1928 bis 1931 an der Berliner Humboldt-Universität Rechtswissenschaft zu studieren. Nach seiner Rückkehr in den städtischen Verwaltungsdienst am 1. November 1931 musste er sich wegen der Brüningschen Notverordnung zunächst mit einer Stelle als Obersekretär begnügen, ehe er am 1. Januar 1933 eine planmäßige Stelle als Verwaltungsobersekretär bekam. Zunächst arbeitete er im Rechnungsprüfungsamt, kam jedoch im Januar 1934 seinem Wunsch gemäß ins städtische Wohlfahrtsamt. Unterdessen hatte er im Frühjahr 1932 in Freiburg seine Promotion abgeschlossen.
Seit 1928 war Flamm Mitglied in der Zentrumspartei; dort vertrat er den linken Flügel des Sozialkatholizismus. Am 1. Mai 1933 aber trat er aus dem Zentrum aus und in die NSDAP ein. Im November 1933 wurde er außerdem Mitglied der SA, aus der er jedoch zehn Monate später aus freien Stücken wieder ausschied. Außerdem bekleidete er vom Januar 1936 bis zu seinem Eintritt in die Wehrmacht am 28.August 1939 das Amt des Blockleiters. Ob das Engagement in der Partei rein taktisch motiviert war oder einem inneren Gesinnungswandel entsprach, lässt sich nicht mit Sicherheit beurteilen. Flamm selbst rechtfertigte den Eintritt in die Partei später, die Anmeldung sei von der NS-Stadtspitze ausgegangen, die ihn wegen seiner Kenntnisse im kommunalen Disziplinarrecht für den städtischen Disziplinarausschuss benötigt gehabt habe, wofür aber die Parteimitgliedschaft Voraussetzung gewesen sei. Auch sei er als ehemaliger Angehöriger des linken Zentrumsflügels und Vertrauter des am 9. April 1933 gestürzten Oberbürgermeisters Karl Bender vom Zentrum unter besonderer Beobachtung der Nationalsozialisten gestanden und habe mit seinem Engagement in der Partei das Misstrauen gegenüber seiner Person zerstreuen wollen. Damit habe er nicht zuletzt die Absicht verfolgt, die öffentliche Wohlfahrtspflege der Stadt Freiburg vor dem Zugriff der NSV zu schützen.
Tatsächlich gibt es Indizien, dass Flamms Begründungen zumindest in Teilen stichhaltig sind. So wurde er im Juli 1933 trotz Parteimitgliedschaft nicht in die „Kreisfachgruppe Freiburg für kommunale Verwaltung“ – der Berufsvertretung der städtischen Beamten und Angestellten – aufgenommen, weil dem die „neuen politischen Verhältnisse“ entgegenstünden. Außerdem geriet er mit der NS-Leitung des Wohlfahrtsamts wiederholt in Streit. So weigerte er sich, aus einer an Wohlfahrtszwecke gebundenen Spende der Freiburger Sparkasse Gelder zugunsten von „verdienten“ NS-Kämpfern der ersten Stunde zu veruntreuen. Die andere Seite markieren Akte der Servilität gegenüber den neuen Machthabern. Flamm war über Jahre Blockleiter; vor allem aber fällt die Broschüre „Öffentliche Wohlfahrts- und Jugendwohlfahrtspflege im Dritten Reich“ aus dem Jahr 1935 ins Gewicht. Darin lobte er die NS-Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und befürwortete die Maßnahmen der NS-Fürsorgepolitik auf dem Gebiet des „erbkranken Nachwuchses“. Wie stark Flamm im täglichen Verwaltungshandeln an der Unterdrückung und Verfolgung bestimmter Gruppen wie „Asozialer“, „Arbeitsscheuer“, Juden und „Zigeuner“ beteiligt war, lässt sich nicht verifizieren; der gesamte Aktenbestand des Freiburger Wohlfahrtsamtes wurde durch den Bombenangriff des 27. November 1944 vernichtet. Ebenfalls nicht zu beweisen ist Flamms Behauptung, er habe als Soldat im II. Weltkrieg an der Ostfront „Zigeuner“, die von der SS zusammengetrieben worden waren, vor dem Verbrennen in einer Scheune bewahrt. Belegt ist hingegen, dass er 1944 vor dem Kriegsgericht für den Freispruch seines militärischen Vorgesetzten Gustav Messmer sorgte, nachdem dieser die Ausführung eines sinnlosen Angriffsbefehls verweigert hatte.
Die schwierige Beurteilung der Rolle Flamms im „Dritten Reich“ spiegelt sich auch in den Urteilen der Freiburger Entnazifizierungskammern wider. Während die II. Kammer des politischen Untersuchungsausschusses der Stadt in ihrem Urteil vom 10. Dezember 1946 zu der Ansicht gelangte, der frühe Eintritt Flamms in die Partei sei Ausdruck einer „inneren Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus“ und ihm den Beamtenstatus aberkannte, kam die I. Kammer im von Flamm veranlassten Revisionsverfahren zum Schluss, dass Flamm die vollständige Usurpation des Wohlfahrtsamts durch die NSV verhindert habe, und stufte ihn daher im Urteil vom 7. September 1948 als „Mitläufer“ ohne Sühnemaßnahmen ein.
Unterdessen hatte Flamm schon während des Berufungsverfahrens seine Arbeit im Wohlfahrtsamt – zunächst nur als Angestellter – wieder aufnehmen können. Dort war er für die Organisation der Auslandshilfe zuständig und fungierte als Koordinator zwischen der Freiburger Stadtverwaltung und den verschiedenen Hilfswerken, Schweizer Spende, Quäkerhilfe, Norwegische Europahilfe u.a. Auf seine Initiative hin wurde 1949 eine Erziehungsberatungsstelle für Jugendliche mit angeschlossenem heilpädagogischen Hort errichtet, der speziell für Jugendliche aus ärmeren Bevölkerungsgruppen gedacht war. Bald hatte sich der unermüdlich arbeitende Flamm den Ruf des heimlichen Amtsdirektors erarbeitet, weshalb er 1952 nach dem Ausscheiden des Amtsleiters zu dessen Nachfolger bestimmt wurde.
Neben den klassischen Aufgaben des Wohlfahrtsamts bei der Betreuung von Fürsorgeempfängern lag der Schwerpunkt seiner Arbeit als Direktor dieses Amtes, seit 1961: Sozial- und Jugendamt, auf der Beseitigung der kriegsbedingten Not und der Gewährleistung vielfältiger Eingliederungshilfen für die Heimatvertriebenen, Kriegsversehrten und Obdachlosen, die, obschon beruflich integriert, wegen der akuten Wohnungsnot der Nachkriegszeit auf der Straße gelandet waren. Das größte Aufsehen während seiner Amtszeit erregte Flamm durch sein Eintreten für die Sinti und Roma Freiburgs. Als die Stadtverwaltung im Jahre 1963 für diese neue Unterkünfte am äußersten Rand der Stadt auf einem durch Abwasser verunreinigten Gelände errichten wollte, verweigerte Flamm unter Verweis auf die UN-Charta zum Schutz des Kindes und die „Gesetze der Menschlichkeit“ den Plänen seine Zustimmung. Dadurch erreichte er, dass die Stadtverwaltung die Betroffenen auf einem stadtnäheren Gelände unterbrachte und die Stadt Freiburg ein flankierendes Programm zur schulischen, beruflichen und sozialen Eingliederung der Sinti entwickelte. Es war der Beginn des „Freiburger Modells“, das Flamm gegen massive Widerstände in Stadtverwaltung und Öffentlichkeit durchsetzte. Er leitete damit einen Paradigmenwechsel ein im Umgang mit den „Zigeunern“ hin zu ihrer – teilweise erfolgreichen – gesellschaftlichen Integration, dem auch seine Nachfolger folgten.
Im überregionalen Rahmen entfaltete Flamm seine größte Wirkung als Mitarbeiter zahlreicher nationaler Fachgremien des Sozialwesens, als Dozent an mehreren renommierten Fachschulen des Sozialwesens sowie als Publizist auf diesem Gebiet. In den 1950er und 1960er-Jahren war er Mitglied in führenden einschlägigen Ausschüssen. Im Zuge seiner Tätigkeit beim Deutschen Verein arbeitete er auch entscheidend an einem Gesetzentwurf zur Neuordnung des Jugendhilferechts mit. Das geplante Gesetz wurde zwar nie verwirklicht, dennoch brachten die Vorarbeiten dazu Flamm bundesweite Anerkennung.
Flamms Doppelqualifikation als Verwaltungsjurist und Praktiker des Sozialen, der die Verhältnisse vor Ort gut kannte, prädestinierte ihn auch für die Abfassung fachwissenschaftlicher Schriften, in denen er einen Brückenschlag zwischen Sozialrecht und täglicher Praxis der Sozialarbeit versuchte. Neben zahlreichen Aufsätzen sind vor allem drei Schriften zu nennen: 1959 veröffentlichte Flamm unter dem Titel „Die Verwaltung der behördlichen Sozialarbeit“ den ersten Leitfaden für die öffentliche Sozialverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, der Sozialarbeiter mit den Grundlagen des Verwaltungs- und Sozialrechts vertraut machen sollte. Als lehrbuchartige Einführung in das westdeutsche Sozialwesen samt seinem normativem Gerüst, seinem institutionellen Aufbau und seinen Praxisfeldern war das Buch „Sozialwesen und soziale Arbeit“ gedacht, das in drei Auflagen erschien und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Ferner gehörte Flamm zu den sechs Autoren, die 1969 den sozialrechtlichen Kommentar „Sozialordnung der Gegenwart“ verfassten. Nach seinem Ausscheiden aus dem Hauptausschuss des Deutschen Vereins im Jahr 1975, mit dem er den Abschied aus seinen öffentlichen Tätigkeiten einleitete, widmete sich Flamm in erster Linie seinen historischen Interessen. Er erforschte die Geschichte des Freiburger Stadtteils Betzenhausen und die Entwicklung des Freiburger Sozialwesens vor dem 20. Jahrhundert. Gleichzeitig verfasste er 15 Bände der „Chronik der Freiburger Nachkriegsnot“, eine Mischung aus persönlichen Erinnerungen, der Verwertung städtischer Akten und publizierten Quellen, die detailliert die soziale Situation in Freiburg in den ersten 15 Jahren nach dem II. Weltkrieg beschreiben. Im Jahr 2000 schenkte er diese Bände der Stadt Freiburg unter der Auflage, sie in geeigneter Form zu publizieren, was 2004, auch als Ehrung seines Lebenswerks, erfolgte.
Quellen: StAFD180/2, Nr. 152.955; UA Freiburg B 29/1589, Promotionsakte; StadtA Freiburg K 1/72, Nachlass Franz Flamm, D So Generalia 206, Personal- u. Organisationsamt d. Stadt Freiburg im Br., Personalakte Franz Flamm.
Werke: (Auswahl) Das Dienststrafrecht d. Beamten u. d. Mitglieder d. gemeindlichen Selbstverwaltungskörper in Baden, Diss. iur. Freiburg, 1932; Öffentliche Wohlfahrts- u. Jugendwohlfahrtspflege im Dritten Reich 1935; Die Auslandshilfe für die Stadt Freiburg im Br., o.J. [1950]; Jugendpflege aus d. Sicht des Jugendamtes, in: Rundbrief des Landesjugendrings B-W, H. 8, 1954; Die Verwaltung in d. behördl. Sozialarbeit, 1959; Sozialplanung im Rahmen d. Stadt- u. Regionalplanung, in: Der Dt. Städtetag, H. 6, 1964, 261ff.; Die Sozialarbeit in d. kommunalen Daseinsvorsorge, in: Bll. d. Wohlfahrtspflege, H. 11, 1964, 351-54; Probleme d. Altenhilfe in Städten, in: Tagungsbericht der 64. Tagung des Verbandes d. Städtestatistiker, 1965, 94-102; Koordination u. Kooperation als Arbeitsprinzip beim Vollzug d. öff. Hilfen, 1967; Zur Frage d. Sozialisation von Zigeunern u. Landfahrern. Erfahrungsbericht aus d. Wohnsiedlung d. Zigeuner u. Landfahrer in Freiburg im Br., in: Gefährdetenhilfe – Der Wanderer – Hilfe für Nichtsesshafte, Straffällige, Süchtige u. Sonstige Gefährdete, H. 2, 1969, 33-40; Sozialwesen u. Sozialarbeit in d. Bundesrepublik Deutschland, 1971.
Nachweis: Bildnachweise: nicht ermittelt.

Literatur: Robert Neisen, Soziale Not in d. Nachkriegszeit – ein Projekt des Freiburger Sozial- u. Jugendamts, in: Nachrichtendienst des Dt. Vereins für öffentliche u. private Fürsorge, H. 5, 2003, 201-209; ders., Und wir leben immer noch! Eine Chronik d. Freiburger Nachkriegsnot, 2004.
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