Freidhof, Rudolf Linus 

Geburtsdatum/-ort: 23.09.1888;  Gerlachsheim
Sterbedatum/-ort: 25.12.1983; Kassel
Beruf/Funktion:
  • Gewerkschaftssekretär, MdL und MdB-USPD/SPD, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1903 Übersiedlung nach Mannheim
1906 Eintritt in die SPD
1912–1928 Tätigkeit als Dreher bei Benz in Mannheim
1917 Übertritt zur USPD
1921–1928 MdL-USPD/SPD
1921–1922 Vorsitzender d. USPD-Gruppe im Landtag
1922 Rückkehr zur SPD
1923–1928 Vorsitzender d. SPD Mannheim
1925–1928 Mitglied d. Mannheimer Stadtverordnetenversammlung
1928–1933 Parteisekretär d. SPD in Kassel, zugleich Mitglied des Bezirksvorstandes d. SPD-Nordhessen
1933 III. 3 Schutzhaft, Anklage wegen Hochverrats vom Reichsgerichtshof verworfen; 4 Monate Haft im Zuchthaus Wehleiden wegen Herausgabe eines Flugblattes
1933–1944 Lebensmittelhändler in Kassel
1944 Verhaftung im Rahmen d. Aktion „Gewitter“, Deportation ins KZ Sachsenhausen
1945 Stadtrat in Kassel
1945–1949 Regierungsrat im Regierungspräsidium Kassel
1946–1964 Stadtverordneter in Kassel, seit 1956 Stadtverordnetenvorsteher
1946–1949 Mitglied d. Verfassungsberatenden Landesversammlung, dann des hess. Landtages, 1946 bis 1947 SPD-Fraktionsvorsitzender
1949–1957 MdB-SPD
1958ff. Vorsitzender des Kuratoriums Unteilbares Deutschland in Hessen
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk., später konfessionslos
Auszeichnungen: Ehrungen: Bundesverdienstkreuz d. Bundesrepublik Deutschland (1958); Freiherr-vom-Stein-Plakette des Landes Hessen (1963); Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen (1968); Ehrenbürger d. Stadt Kassel (1964); Dr. Eberle-Medaille (1974)
Verheiratet: 1913 (Mannheim) Lina, geb. Harst (geboren 1891).
Eltern: Vater: Ignatz (1858–1897), Spengler
Mutter: Susanna, geb. Meisel (geboren 1861)
Geschwister: 6; Johann Josef (1885–1900), Anna (geboren/gestorben 1887), Karl (geboren 1890), Anna (geboren 1892), Elisabeth (geboren 1895) u. Emilie (1897–1898).
Kinder: Elsa (geboren 1914)
GND-ID: GND/1029771189

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 104-107

Freidhof wurde 1888 in Gerlachsheim bei Tauberbischofsheim als Sohn eines Spenglers geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters übersiedelte er 1903 nach Mannheim, wo er den Beruf eines Drehers erlernte, den er ab 1912 in den Benz-Werken ausübte.
Politisch engagierte sich Freidhof seit 1906 in der SPD, trat aber während des I. Weltkrieges zur USPD über. In den ersten Nachkriegsmonaten wurde Mannheim zur Hochburg der USPD in Baden; bei den Kommunalwahlen 1919 konnten die Unabhängigen dort 16,4 Prozent der Stimmen erringen. Wegen massiver innerparteilicher Auseinandersetzungen war der Stimmenanteil der USPD bei den Landtagwahlen 1921 aber bereits stark rückläufig, so dass Freidhof als einer von nur zwei Abgeordneten seiner Partei in den badischen Landtag einziehen konnte. Als Vorsitzender der USP-Gruppe ist Freidhof lediglich einmal im Rahmen der Aussprache über die Regierungserklärung im Januar 1922 mit einer äußerst radikalen Rede hervorgetreten. Er sei ein „Gegner der Koalitionsregierung“ aus Zentrum, SPD und DDP (Amtl. Berichte über die Verhandll. des bad. Landtages 1921/ 1922, Sp. 476), stehe auf dem Boden des Klassenkampfes, erstrebe die sozialistische Republik und sehe im Zusammengehen der SPD mit bürgerlichen Parteien eine Herabminderung des Klassenkampfes, durch den ein Teil des Proletariats außer Gefecht gesetzt werde. Sein Ziel sei die Überwindung der Weimarer Koalition und „die Einigung des Proletariats“ zur vollständigen „Erringung der Herrschaft des Sozialismus“ (ebd., S. 476f.), notfalls auf gewaltsamem Wege.
Trotz dieser überaus polemischen Rede schloss sich Freidhof 1922 nicht der KPD an, sondern hat sich für die Wiedervereinigung von SPD und USPD eingesetzt, die in Mannheim am 20. Oktober 1922 vollzogen wurde. Freidhof begründete in diesem Zusammenhang unter der Überschrift „Für die Einheit der Arbeiterklasse“ wortreich in der USPD-Zeitung „Tribüne“ die Notwendigkeit, den lähmenden Bruderkampf innerhalb der Arbeiterschaft angesichts der „erstarkenden Gegenrevolution“ zu beenden. Die heutige Republik sei, so Freidhof, „der beste Kampfboden für unsere Ziele, für die soziale Republik.“ Bleibe die Arbeiterklasse jedoch gespalten und untätig, „dann bedeutet das den Sturz der Republik und die Wiederaufrichtung der Monarchie“ (Tribüne 1922, o. D., ca. Ende Oktober 1922). Trotz der nachdrücklich betonten Notwendigkeit der Wiedervereinigung wurden auch in Freidhofs Artikel noch vorhandene gegenseitige Spannungen und Vorbehalte erkennbar; auch hob er hervor, dass die Mannheimer USPD nicht zur SPD übertrete, sondern sich zwei bislang eigenständige Parteien auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms vereinigten. Dies entsprach nicht ganz der Realität, denn bei der Bildung des neuen, vereinigten Vorstandes hatten die Mitglieder der vormaligen Mehrheitssozialdemokratie ein ebenso starkes Übergewicht wie bei der Aufstellung der Wahlliste für die Kommunalwahlen im November 1922, die für die vereinigte Sozialdemokratie zur schweren Enttäuschung gerieten. Nur 0,7 Prozent konnten gegenüber 1919 hinzugewonnen werden, die Mehrheit des bisherigen USPD-Anhangs wählte KPD, die aus dem Stand 10,8 Prozent erreichte.
In der Mannheimer SPD ergaben sich für Freidhof Gestaltungsmöglichkeiten, als er 1923 nach dem Tod des SPD- Landes- und Ortsvorsitzenden Georg Strobel (1883–1923) an die Spitze des mitgliederstärksten Ortsvereins in ganz Baden gewählt wurde. Gleichwohl übernahm Freidhof diese Funktion in schwieriger Situation; die Stadt wie ganz Baden sahen sich nach dem I. Weltkrieg, der Inflation, ja während der ganzen Weimarer Zeit in einer besonders angespannten wirtschaftlichen Situation zahlreichen Belastungen ausgesetzt. Bei Mitgliederversammlungen wurde wiederholt das Fehlen von Führungspersönlichkeiten in der Arbeiterjugend beklagt, genauso wie mehrfach auf den schweren Stand des Parteiorgans „Volksstimme“ hingewiesen wurde. Um den vorhandenen Defiziten entgegenzuwirken, hat Freidhof u.a. im Herbst 1927 Werbewochen mit verstärkter Versammlungstätigkeit auch außerhalb des Wahlkampfes durchgeführt. Um sie attraktiv zu gestalten, wurden prominente Redner, wie der preußische Innenminister Karl Severing (1875–1952) eingeladen. „Große Frauentreffen“ (Volksstimme, 28.10.1927), woran zahlreiche weibliche SPD-Reichs- und Landtagsabgeordnete teilnahmen, wandten sich an die weibliche Wählerschaft. Offenbar waren die Werbewochen nicht erfolglos. Der Rechenschaftsbericht des Vorstandes 1928 jedenfalls sprach davon, „dass der innere Ausbau der Organisation mit Erfolg durchge führt werden konnte“ (ebd., 24.2.1928). Als Freidhof auf Wunsch der Berliner Parteileitung als Parteisekretär 1928 nach Kassel berufen wurde, würdigte der Ortsvorstand ausdrücklich seine Verdienste für die Mannheimer SPD-Organisation.
In den Jahren 1925 bis 1928 hat Freidhof auch als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung aktiv an der Kommunalpolitik mitgewirkt und nach seinem Wechsel nach Kassel hat er seine Mannheimer Parteifreunde weiterhin durch Aufrufe und Stellungnahmen zur Mannheimer Kommunalpolitik in der „Volksstimme“ unterstützt. So forderte er in deren Sonderbeilage vom 11.November 1930, unmittelbar vor den Kommunalwahlen, die Schaffung einer „Westhilfe“: Wenn die Reichsregierung Millionenbeträge für den Osten auswerfe, so müsse sie auch der verzweifelten wirtschaftlichen Lage im Westen und Südwesten gedenken. Er beklagte auch die „geradezu groteske deutsche Kleinstaaterei“, woraus die Grenzlage Mannheims resultiere, das wie der badische Staat eingeklemmt sei zwischen anderen Gebieten.
Als Verdienste der von ihm selbst mitverantworteten sozialdemokratischen Kommunalpolitik reklamierte Freidhof die in Mannheim vorbildliche Milchversorgung, Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungsnot sowie kommunale Obdachlosen-, Jugend- und Altenhilfe, hier namentlich den Bau des Altersheims auf dem Lindenhof. Schließlich habe Mannheim sämtliche Fragen der Eingemeindung vorbildlich über freiwillige Vereinbarungen gelöst und stehe als leuchtendes Vorbild dafür da, wie „aus der Vielheit der Verwaltungskörper große leistungsfähige Selbstverwaltungskörper geschaffen werden.“
Im Rahmen seiner Tätigkeit als Parteisekretär in Kassel ist Freidhof als Gegner der Nationalsozialisten hervorgetreten, so u.a. 1931 durch die Veröffentlichung einer Schrift, in der er der Wählerschaft anschaulich die Folgen einer NS-Machtübernahme vor Augen führte. Diese Haltung mündete ab 1933 in eine schwere Leidenszeit für Freidhof. Bereits am 3. März 1933 wurde er verhaftet und wegen „versuchten Hochverrats“ vor dem Reichsgerichtshof in Leipzig angeklagt. Zwar konnte dieses Verfahren aufgrund mangelnder Beweise niedergeschlagen werden, doch wurde Freidhof schon bald wieder festgenommen, wegen „Aufforderung zum Ungehorsam“ in einem von ihm verbreiteten Flugblatt ins Konzentrationslager eingeliefert und vier Monate im Zuchthaus Wehleiden eingesperrt. Nach seiner Entlassung stand der selbständige Lebensmittelhändler weiter unter Beobachtung. Nach dem 20. Juli 1944 im Rahmen der Aktion „Gewitter“ erneut verhaftet wurde Freidhof bis Kriegsende im Konzentrationslager Sachsenhausen festgehalten.
1945 gehörte Freidhof zu den Wiedergründern der Kasseler Sozialdemokratie, wobei er sich im Gründungsvorstand an der vom SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Schumacher (1895–1952) eingeschlagenen Linie orientierte und den Gedanken einer Verschmelzung von SPD und KPD ablehnte. Die KPD leiste nichts weiter als Handlangerdienste für „die egoistischen und imperialistischen Ziele der Russen“; sie sei „keine deutsche Klassenpartei, sondern höchstens eine fremde Staatspartei“ (zit. bei: Frenz, 1974, S. 44). Im Gegenzug waren die Kassler Sozialdemokraten zur Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Kräften im „Überparteilichen Ausschuss“, dem ersten Gemeindeparlament der Nachkriegszeit, bereit.
Für den Aufstieg der SPD in Kassel zur mit Abstand stärksten Partei der Nachkriegszeit war die personelle Kontinuität zur Weimarer Zeit ausschlaggebend: Freidhof wie sein Parteifreund, der nachmalige Vizepräsident des hessischen Landtags Christian Wittrock (1882–1967), waren langjährige Parteisekretäre, die auch im „Dritten Reich“ den Kontakt zu anderen ehemaligen SPD-Mitgliedern nicht abreißen ließen. Das Lebensmittelgeschäft Freidhofs hatte sich von 1933 bis 1944 zum Treffpunkt ehemaliger Sozialdemokraten entwickelt.
Nach 1945 wurden von der amerikanischen Besatzungsmacht zahlreiche Spitzenpositionen der Lokal- und Regionalverwaltung mit Sozialdemokraten besetzt. Freidhof wurde 1945 bis 1949 Regierungsrat im Regierungspräsidium Kassel. Schließlich konnte die SPD in Kassel für sich beanspruchen, nach anfänglichen Schwierigkeiten maßgebliche Kraft beim Wiederaufbau der im II. Weltkrieg schwer zerstörten Stadt gewesen zu sein.
Freidhof hatte an diesen Erfolgen als SPD-Fraktionsvorsitzender in der Kassler Stadtverordnetenversammlung und 1956 bis 1964 als Präsident des Gemeindeparlaments maßgeblichen Anteil. 1946 bis 1949 hat er auch dem hessischen Landtag angehört und als Vorsitzender der SPD-Fraktion in der ersten Generaldebatte im Januar 1947 die grundsätzlichen Anliegen seiner Partei formuliert. Freidhof betonte, wie schwer die Mitglieder seiner Fraktion unter dem NS-Unrecht gelitten, dabei aber das gleiche Ziel wie die Alliierten verfolgt hätten: „die Beseitigung des Nationalsozialismus und die Schaffung eines friedfertigen und demokratischen Deutschlands“(Stenograph. Protokolle des hess. Landtags I, S. 29). Darauf gründete Freidhof den Anspruch, gegenüber der Besatzungsmacht die Interessen der hessischen Bevölkerung zu artikulieren und forderte, den „menschenunwürdigen Zustand“ zu beenden, dass noch immer Kriegsgefangene „wie Sklaven beschäftigt“ (ebd., S. 31) und nicht für den Wiederaufbau des Landes freigelassen würden.
Nach seiner Wahl in den ersten Bundestag 1949 hat Freidhof auf sein Landtagsmandat verzichtet. Im Bonner Parlament hat er sich mit Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik auseinandergesetzt und ist für Kasseler Belange, einer der am schwersten zerstörten Städte Deutschlands, eingetreten. Für das nordhessische Zonenrandgebiet hat er Hilfsmaßnahmen gefordert.
Mit den Kommunalwahlen 1964 hat sich Freidhof aus der Politik zurückgezogen. Seine Verdienste um den demokratischen Neubeginn wurden in den folgenden Jahren wiederholt bei runden Geburtstagen gewürdigt. Er starb im Alter von 95 Jahren als damals ältester Parlamentarier, der sich sein Leben lang „für die Sicherung der Demokratie und den Ausbau der sozialen Gerechtigkeit eingesetzt“ habe. (Holger Börner in: Hess. Allgemeine, 25.9.1978)
Quellen: StadtA Mannheim Altbestand d. ZGS S 1/1914; StadtA Kassel S 1 Nr. 1119; Amtl. Berichte über die Verhandlungen des Bad. Landtages 1921–1928; Stenograph. Protokolle des Hess. Landtages, I. Wahlperiode, 1946– 1950; Stenograph. Berichte über die Verhandlungen des dt. Bundestages 1949–1957.
Werke: Die faschistische Gegenrevolution, 1931; Russland u. d. Fünfjahresplan, 1931; Der demokratische Sozialismus, 1946; Rudolf Freidhof 90 Jahre, 1978 (= Sammlung von Auszügen aus Schriften u. Parlamentsreden Freidhofs).
Nachweis: Bildnachweise: Hess. Allgemeine vom 23.9.1968.

Literatur: Sozialdemokratische Partei Deutschlands – Kreis Mannheim (Hg.), 100 Jahre SPD in Mannheim, 1967; Wilhelm Frenz, Die politische Entwicklung in Kassel von 1945 bis 1969, 1974; Hermann Weber/Jörg Schadt (Hgg.), Politik für Mannheim. 100 Jahre SPD-Gemeinderatsfraktion, 1978; Erich Matthias/Hermann Weber (Hgg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Mannheim, 1984; Artur Sittig, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Die Wiedergründung d. Kasseler SPD nach 1945, 1985; Wilhelm Frenz/Heidrun Schmitt, Wir schreiten Seit an Seit, 1989; Thomas Baum, Die SPD in d. Kasseler Kommunalpolitik zur Zeit d. Weimarer Republik, 1998; Jürgen Ackermann, Die Krise d. SPD in den Großstädten: d. Fall Kassel, in: Tobias Dürr (Hg.), Sozialgemeinschaft u. fragmentierte Gesellschaft, 1999, 361-378; Martin Schumacher, M. d. B. Volksvertretung im Wiederaufbau, 2000, Nr. 1449.
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