Venedey, Hans Jakob 

Geburtsdatum/-ort: 21.11.1902; Luzern
Sterbedatum/-ort: 09.01.1969;  Konstanz
Beruf/Funktion:
  • Rechtsanwalt, Kommunalpolitiker-SPD und Innenminister von Groß-Hessen, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1922 Abitur an d. Konstanzer Oberrealschule
1922–1926 Studium d. Rechtswissenschaften in Freiburg im Br., dann Mitarbeit in d. väterlichen Kanzlei
1926 Eintritt in die SPD, dann auch Kommandant des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ in Konstanz
1929–1933 Stadtrat in Konstanz-SPD
1933 Schutzhaft in Konstanz; Emigration nach Frankreich
1934–1940 Exil in Zürich; nach Auslaufen d. Aufenthaltserlaubnis 1939 wieder nach Frankreich übergesiedelt; Mitarbeit bei d. jüdischen Auswandererorganisation Hicem
1940 Nach d. dt. Besetzung Frankreichs Internierung im Lager Villerbon bei Bois, Dordogne
1942 Flucht über Lyon nach Genf, dann Zürich
1945 Notar in Wiesbaden
1945/1946 Innenminister des Landes Groß-Hessen
1946 Eintritt für den Zusammenschluss mit d. KPD schließlich Ausschluss aus d. SPD
1946–1969 Rechtsanwalt in Konstanz
2012 V. 18 „Stolperstein“ im Innenhof des Konstanzer Rathauses in Würdigung Venedeys
Weitere Angaben zur Person: Religion: freireligiös
Verheiratet: 1939 (Paris 16) Leni Maria, geb. Frei (1909–1997)
Eltern: Vater: Martin, Rechtsanwalt u. MdL (1860-1934)
Mutter: Mathilde, geb. Anglert (1877–1946)
Geschwister: 4; Hermann (1904-1980), Jakob (geboren 1915), Gustav (1916–1981) u. Michael (geboren 1920)
Kinder: 2; Henriette (geboren 1941) u. Walter (geboren 1946)
GND-ID: GND/1047561689

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 438-440

Venedey wurde in eine traditionsreiche Konstanzer Familie geboren, u.a. war sein Großvater Jakob (1805–1857) Mitglied der Paulskirchenversammlung, sein Vater hatte über viele Jahre dem badischen Landtag angehört. In der Schweiz geboren, wo seine Mutter zeitweise ansässig war, verbrachte Venedey seine Jugend in Konstanz. Dort machte er an der Oberrealschule das Abitur und ab 1922 studierte er vier Jahre lang Rechtswissenschaften in Freiburg. Dann trat er in die väterliche Anwaltskanzlei ein.
Dass er 1926 SPD-Mitglied wurde, markierte einen deutlichen Gegensatz zur liberalen Familientradition. Durch dieses Engagement hat Venedey auch mit der Studentenverbindung „Alemania“ gebrochen, der er sich während seines Studiums angeschlossen hatte. Da die Burschenschaft eine gleichzeitige Mitgliedschaft in der SPD missbilligte, trat er demonstrativ mit seinem Bruder Hermann aus.
Venedey war auch Kommandant des Konstanzer „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, worin bis einschließlich 1931 Sozialdemokraten, Zentrum und DDP überaus eng kooperierten. Der „Oberbadische Republikaner Tag“ 1926 und schließlich 1931 der von Venedey zusammen mit Hugo Baur organisierte „Internationale Friedenskongress“, der sich in mehreren Resolutionen für Völkerverständigung und europäische Einheit aussprach, verdeutlichen dies. 1932 endete die Kooperation der Parteien der Weimarer Koalition in Konstanz. Damals kam es auch hier zur Gründung der „Eisernen Front“, die Venedey mit Karl Großhans als rein sozialdemokratische Kampforganisation führte.
Venedeys Karriere als Mandatsträger setzte 1929 ein. Damals wurde er für seine Partei in den Konstanzer Stadtrat gewählt. Im März 1933 hat er noch mit großem Einsatz die demokratische Staatsform verteidigt, indem er öffentlich gegen das Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Konstanzer Rathaus protestierte: „Bei dieser nationalsozialistischen Parteifahne […] handelt es sich um ein Kampfsymbol. [Es]richtet sich in schärfster Form gegen alle Staatsbürger, die nicht NSDAP wählen, insbesondere aber gegen alle Republikaner, die in Konstanz immerhin noch die Mehrheit bilden.“ (zit. nach Ossietzky 23/2002).
Auch das zog am 14. März Venedeys erste Verhaftung nach sich. Anders als sein politischer Weggefährte Großhans wurde Venedey jedoch nach wenigen Wochen freigelassen, so dass er sich einer drohenden zweiten Verhaftung durch Flucht über die Schweiz nach Frankreich entziehen konnte. Bis 1934 lebte Venedey in Frankreich, die folgenden zwei Jahre in der Schweiz und dann wieder in Frankreich. Hier setzte er sich für die Rechte politischer Flüchtlinge aus Deutschland ein und unterstützte eine jüdische Hilfsorganisation bei der Organisation von Schiffspassagen jüdischer Flüchtlinge nach Südamerika und Palästina.
Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht wurde Venedey interniert und im Lager Villerbon in der Dordogne inhaftiert. Mit Hilfe eines bezahlten Fluchthelfers konnte Venedey 1942 über Lyon in die Schweiz fliehen. Nun schloss er sich kurz vor dem Ende des II. Weltkrieges der Gruppe „Freies Deutschland“ an, einer durch Kommunisten geprägten Widerstandsgruppe.
Venedeys nächste Lebensstation war Wiesbaden. Sein politisches Engagement war den Amerikanern bekannt gewesen. So wurde er am 16. Oktober 1945 Innenminister im Kabinett von Karl Geiler. Obwohl seine Amtszeit nicht einmal ein Jahr dauerte, hat Venedey in diesem Amt wesentlich dazu beigetragen, Grundlagen für die hessische Nachkriegsdemokratie zu schaffen, in administrativer wie legislativer Hinsicht. Unter ihm wurde eine neue Kreis- und Gemeindeordnung ausgearbeitet, die in der amerikanischen Besatzungszone bald Vorbildcharakter gewann, im Dezember 1945 das neue Gemeindewahlgesetz und die Wahlordnung, sodass bereits im Frühjahr 1946 in Hessen die ersten freien Kommunalwahlen der Nachkriegszeit stattfinden konnten. Der hessische Innenminister Venedey legte in nicht einmal fünf Monaten Amtszeit bis Ende Februar 1946 auch das vorläufige Gesetz für die Wiedereinführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie eine Verordnung über die Errichtung der Ärztekammer vor. Vorbereitet wurden Entwürfe für ein Kreistagswahlgesetz samt -wahlordnung sowie ein Gesetz für Wiedergutmachung des NS-Unrechts.
Große Mühe verwandte Venedey schließlich auf den Entwurf eines neuen Beamtengesetzes und der Disziplinarordnung, worin er sich anders als die Amerikaner gegen den Gedanken einer entpolitisierten Beamtenschaft wandte. Auch in der Beamtenschaft, so Venedey, besonders in der Polizei, müsse demokratischer Geist herrschen, der Beamte solle im demokratischen Sinn zu politischen Fragen durchaus Stellung beziehen.
Der Aufbau einer vom demokratischen Geist durchdrungenen Polizei war eine der zentralen administrativen Aufgaben des Ministers. Eine Grenzpolizei wurde geschaffen mit der Aufgabe, die 750 km lange Zonengrenze zu bewachen, besonders zur sowjetischen Besatzungszone hin, vor allem auch, um die hessische Bevölkerung vor ansteckenden Krankheiten der Ostflüchtlinge zu schützen. In Quarantänestationen entlang der Grenze wurden damals Ostzonenflüchtlinge entlaust; denn Läuse galten als Wirte des gefürchteten Fleckfiebers. Seuchenbekämpfung gehörte in diesen Tagen zu den zentralen Aufgabengebieten des Innenministeriums. Gegen Scharlach und Diphtherie wurde geimpft, die allgemeine Hygienekontrolle verstärkt, Aufklärung wegen Übertragung von Geschlechtskrankheiten betrieben.
Dem Innenminister oblag auch die Aufgabe der Entnazifizierung, womit die Schaffung von Grundlagen für die parlamentarische Demokratie einherging. Unter Venedey wurde auch die Wahlordnung für die Verfassungsberatende Landesversammlung vorbereitet. Sein Entwurf wurde jedoch von Ministerpräsident Geiler abgelehnt, der eine direktere Verbindung zwischen Wählern und Abgeordneten forderte und gegen die Verhältniswahl eintrat. Auch Entwürfe für die hessische Verfassung gehen auf Venedey zurück, an ihrer Verabschiedung konnte er aber nicht mehr mitwirken.
Zu diesem Zeitpunkt war Venedey schon aus der hessischen Politik verdrängt worden. Anlass dazu war sein Eintreten für eine sozialistische Einheitspartei aus SPD und KPD. In Wiesbaden hatte sich ein äußerst aktiver Einheitsausschuss unter Führung des Stadtrats Johannes Maaß (1882–1953) und Venedeys gebildet und auch in Frankfurt war es kurz zu einer Annäherung von SPD und KPD gekommen. Die große Mehrheit der hessischen Sozialdemokraten aber folgte dem antikommunistischen Kurs Kurt Schumachers (1895–1952), wie die erste Landesdelegiertenversammlung am 9. Dezember 1945 zeigt. Als Venedey beim Besuch des thüringischen Landtagspräsidenten nochmals für den Zusammenschluss mit den Kommunisten eintrat, wurde er als „Agent der KPD“ aus der SPD ausgeschlossen und ihm nahegelegt, auf sein Ministeramt zu verzichten.
Danach versuchte der gescheiterte Minister in Baden für die Einheit der Sozialisten zu werben, doch auch dieser Versuch blieb Episode. So blieb nur der Rückzug auf seinen Anwaltsberuf in Konstanz, wo er sich dann auch im Verein der Verfolgten des Nationalsozialismus engagierte und schließlich dessen Ehrenpräsident wurde.
Politisch ist Venedey am Beginn der 1950er-Jahre nochmals hervorgetreten, nun als Gegner der von der Bundesregierung forcierten Wiederbewaffnung. Das war für das Landesamt für Wiedergutmachung Anlass, ihm eine Entschädigung für die während des Nationalsozialismus erfolgte Inhaftierung zu verweigern, begründet übrigens mit dem Argument, Venedey sei als Gegner der Wiederbewaffnung auch Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Schließlich setzte er seinen Entschädigungsanspruch aber durch.
Ungeachtet seiner Position auf der Linken des Parteispektrums würdigte der Südkurier bei Venedeys Tod den „aufrechten Demokraten“ und hob seinen Einsatz für seine Klienten hervor.
Quellen: UA Freiburg A 66, B 44/57/88, B 4461/861, Studien u. Sittenzeugnisse Venedey; StAFD180/8 Nr. 185, Spruchkammerakte Venedey; Helmut Berding/Katrin Lange (Bearb.), Die Entstehung d. Hess. Verfassung von 1946, 1996; Bernhard Parisius/Jutta Scholl-Seibert (Bearbb.), „ … der Demokratie entgegen“. Die Sitzungsprotokolle des Beratenden Landesausschusses von Groß-Hessen im Jahr 1946, 1999; Andreas Hedwig/Jutta Scholl-Seibert (Bearbb.), Die Kabinettsprotokolle d. Hess. Landesregierung. Kabinett Geiler 1945–1946, 2000.
Nachweis: Bildnachweise: Südkurier vom 21.11.2002.

Literatur: Karl Großhans, 12 Jahre Hitler-Mord. [o. O., o. J., Exemplar in: StadtA Konstanz]; Südkurier vom 10.1.1969, Nachruf; Gerhard Fisch/Fritz Krause, SPD und KPD 1945/1946, 1978; Wolf-Arno Kropat, Hessen in d. Stunde Null 1945/1947, 1979; Ulrich Schneider u.a. (Hgg.), Als d. Krieg zu Ende war. Hessen 1945, 1980; P. Brandt/J. Schumacher/G. Schwarzrock/K. Sühl, Karrieren eines Außenseiters, 1983; Gerhard Beier, Arbeiterbewegung in Hessen, 1984; Walter Mühlhausen, Hessen 1945–1950, 1985; Lothar Burchardt/Dieter Schott/Werner Trapp, Konstanz im 20. Jh. Die Jahre 1914 bis 1945, 1990; Otto Renkhoff, Nassauische Biographien, 1992, Nr. 4515; Michael Venedey, Beispiel zum Thema „Zwangsvereinigung“ von d. KPD u. SPD in d. US-Zone, in: Zum deutschen Neuanfang 1945–1949, 1993, 371-374; Tobias Engelsing, Er glaubte an die Einheit der Linksparteien, in: Südkurier vom 21.11.2002; Michael Venedey, Bruder Hans u. die Familientradition, in: Ossietzky 23/2002, auch: www.sopos.org/aufsaetze/3dde513590d1c/1phtml (Stand 31.3.2012); Südkurier vom 11.4.2012, Stolperstein für Hans Venedey; www.stolpersteine.konstanz.de/index.htm (Stand 6.8.2012); Auskunft von Walter Venedey, Berlin, Sohn Venedeys vom 20.7.2012.
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