Meißenheimer, Jakob 

Geburtsdatum/-ort: 14.06.1876; Griesheim bei Frankfurt/Main
Sterbedatum/-ort: 02.12.1934;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Professor für Allgemeine Chemie an der Universität Tübingen
Kurzbiografie: 1880–1895 Volksschule, Realgymnasium, städtisches Gymnasium in Frankfurt am Main
1895–1898 Chemiestudium in Heidelberg und München; Doktortitel am 20.10.98 bei Prof. J. Thiele, LMU München
1898–1899 Militärdienst in Koblenz
1899–1902 Assistent bei Prof. J. Thiele (1865–1918) an der LMU München
1902–1909 Assistent an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin bei Prof. Eduard Buchner. Habilitation 1.8.1904
1909 Nachfolger Buchners als o. Prof. und Direktor des Chemischen Instituts der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin
1914–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, zuletzt als Hauptmann und Kommandeur eines Pionierbatallions
1918–1922 Prof. und Direktor des Chemischen Instituts der Univ. Greifswald
1922–1934 Prof. und Direktor des Chemischen Instituts Tübingen als Nachfolger von W. Wislicenus
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Eisernes Kreuz 1. und 2. Kl.; Korrespondierendes Mitglied der math.-naturwiss. Abteilung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (1933)
Verheiratet: 1909 (Berlin) Elmire, geb. Thiel (1884–1863), Tochter des Hugo Thiel (1839–1918), Ministerialdirektor im preuß. Landwirtschaftsministerium und der Julie Ulenberg)
Eltern: Vater: Daniel Meißenheimer (1838–1910), Landwirt
Mutter: Maria Margarethe (1843–1898), geb. Hartmetz, Tochter des Johannes Hartmetz und der Charlotte Knipser in Kindenheim
Geschwister: Johannes (1873–1933)
Kinder: 4:
Dr. Hertha, verh. Buchholz (geboren 1913), Chemikerin bei Bayer/Leverkusen;
Dr. Marianne, verh. Ruttmann (geboren 1911), Zoologin;
Dr. Klaus (1910–1944);
Dr. Hartmut (1916–1983), praktischer Arzt in Altshausen
GND-ID: GND/1152972022

Biografie: Yvonne Nagel (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 150-151

Meißenheimer besuchte in Griesheim die Volksschule, 1886 bis 1888 das Realgymnasium und 1888 bis 1895 das städtische Gymnasium in Frankfurt/ Main. 1895/96 studierte er Chemie in Heidelberg und 1896 bis1899 in München, wo er in der Arbeitsgruppe von Professor Johannes Thiele 1898 zum Dr. phil. promovierte. Seitdem verband ihn eine lebenslängliche Freundschaft mit Otto Heinrich Wieland. Nach einjährigem Militärdienst in Koblenz untersuchte Meißenheimer als Assistent im Arbeitskreis Thieles in München die Stereochemie des Stickstoffs anhand aromatischer Nitroverbindungen. Durch die Isolierung des Natriumsalzes bei der nukleophilen aromatischen Substitution von Natriumethanolat an Pikrinsäure konnte er erstmals einen Zweistufenmechanismus (SN2-Mechanismus) nach dem Additons-Eliminationsverfahren beweisen. Seitdem werden alle isolierbaren Salze der Zwischenstufen, tiefgefärbte Donor-Akzeptor-Verbindungen, die bei nukleophilen aromatischen Substitutionen entstehen, „Meisenheimer-Komplexe“ genannt.
Von 1902 bis 1909 wirkte Meißenheimer an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin bei Eduard Buchner, wo er sich zusätzlich der Biochemie zuwandte. Nachdem er sich dort 1904 habilitiert hatte, übernahm er die Professur Buchners als ordentlicher Professor und Institutsdirektor. Dort untersuchte er die alkoholische, die Milch- und Buttersäuregärung. Bedeutend an seinen Entdeckungen war die Erkenntnis, dass die verschiedenen Gärungsprozesse nicht an eine Existenz lebender Zellen gebunden sind, sondern dass die beteiligten Fermente unabhängig von der Zelle wirken.
1918 folgte er einem Ruf als Ordinarius und Institutsdirektor an die Universität Greifswald auf den Lehrstuhl Dimroths. 1922 trat er die Nachfolge von Wilhelm Wislicenus als ordentlicher Professor und Direktor des Chemischen Instituts in Tübingen an. Mit Frau Elmire, geborene Thiel, die er 1908 in Berlin geheiratet hatte und vier Kindern zog er in die Dienstwohnung des ehemaligen chemischen Instituts in der Tübinger Wilhelmstrasse 20. Die Untersuchungen zur Stereochemie der Stickstoffverbindungen brachten die Haupterkenntnisse der Forschung Meißenheimers. Berühmt wurden seine Untersuchungen bei unsymmetrisch substituierten Oximen. Durch den Nachweis der Existenz optisch aktiver Antipoden konnte er die Ungleichwertigkeit der Valenzen des vierbindigen Stickstoffatoms aufzeigen und die Tetraederstruktur für Ammoniumverbindungen beweisen. Bei dem stereochemisch analogen Phosphoratom glückte ihm die Synthese eines optisch aktiven Phosphinoxids, das ebenfalls Tetraedersymmetrie aufweist. Eine Zusammenfassung dieses Gebiets gab Meißenheimer anläßlich eines Vortrags vor der Münchener Chemischen Gesellschaft. Seine Arbeiten zur Konfiguration der Oxime in Zusammenhang mit der Beckmannumlagerung förderten die Erforschung der Stereochemie der Atome in dreiwertigen Stickstoffverbindungen. Auch leistete er einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung des Mechanismus der Waldenschen Umkehr und der Allylumlagerung mit Hilfe des optisch aktiven Kohlenstoffatoms und der Einschränkung der freien Drehbarkeit der C-C-Einfachbindung durch sterische Hinderung bei Racemisierungsvorgängen. Immer mehr beschäftigte er sich mit dem physikalisch-chemischen Ablauf, der Kinetik einer Reaktion. Den Einfluss der Valenzelektronen und der Begriff der „Deformation“, die räumliche Verteilung der Außenelektronen bei polaren und homöopolaren Bindungen, diskutierte er in seiner Veröffentlichung „Über den Zusammenhang zwischen der Farbe chemischer Verbindungen und dem Molekülbau.“ Als akademischer Lehrer wurde Meißenheimer wegen seiner präzise formulierten Vorlesungen und seines nahen Kontakts mit den Studenten während der Praktika sehr geschätzt. Sein bester Freund Heinrich Wieland charakterisierte ihn als „Mensch von konservativer Einstellung“ und „jedem Schein abhold“ und bezeichnete ihn als „soldatische Natur“, wie er ihn als Frontbeobachter (Polen, Westfront, 1915), Kommandeur eines Gaspionierbatallions (Verdun Champagne, Flandern, 1917) und auch als willensstarken Alpinisten und Gipfelstürmer her kannte. Meißenheimer starb 1934 in Tübingen an Leukämie.
Werke: mit Walter Theilacker, Stereochemie des Stickstoffs, 1933; Der Aufbau der Moleküle aus den Atomen, 1934.

Literatur: Johann C. Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. 5, T. 2, 829, 1922 und dort zitierte Literatur; Armin Wankmüller, in: NDB 16, 1990, 685 und dort zitierte Literatur.
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