Loutzky, Boris 

Andere Namensformen:
  • auch: Lutzky; ab 1911 erblicher russischer Adel: von Loutzkoy
Geburtsdatum/-ort: 15.01.1865; Berdyansk, Russ. Kaiserreich (heute: Ukraine)
Sterbedatum/-ort: 24.08.1943; Berlin
Beruf/Funktion:
  • Ingenieur und Erfinder
Kurzbiografie:

1874–1882 ein Jahr Staatsschule in Andreevka dann Konstantin-Reallehranstalt in Sewastopol

1882 X–1886 VIII Studium an der TH München, mechanisch-technische Abteilung; Prüfung in der Allgemeinen Abteilung am 3. August 1885, Abschluss ein Jahr später

1886 X–1887 IX Einjähriger gesetzl. Militärdienst in Russland

1887 X–1888 XII Konstrukteur bei der Maschinenbaufabrik Landes in München

1889 I–1890 XII Konstrukteur bei Koebers Eisenwerk in Harburg an der Elbe

1891 I–1897 IV Oberingenieur bei der Maschinenbau AG Nürnberg, heute: MAN

1897–1901 Gründer und Inhaber der „Gesellschaft für Automobilwagenbau System Loutzky mbH“ in Nürnberg

1897 IX Mitbegründer des „Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins“ in Berlin

1897–1914 Technischer Berater der Daimler Motoren-Gesellschaft, DMG

1901 IV-V. und XII, 1902, VIII-IX, 1913 X–1914 III Aufenthalte in Russland

1914–1918 Festnahme und Haftstrafe in Berlin wegen Spionage für Russland

1919 V–1920 IX Aufenthalt in Andreevka

1921 IV–1930 I Gründer, Inhaber und Geschäftsführer der „Loutzky-Werk GmbH“ in Berlin

Weitere Angaben zur Person: Religion: israelitisch, ab 1900 russisch-orthodox
Auszeichnungen: Ehrungen: Große Silbermedaille der Weltausstellung Paris (1900); Orden Sankt-Stanislaw des Russischen Kaiserreichs (1903); Erblicher Ehrenbürger des Russischen Kaiserreichs (1906); Erblicher Adel des Russischen Kaiserreichs (1911).
Verheiratet:

1900 (München) Lucy Mary Agnes, geb. Hickenlooper (1880–1948), Pianistin, Künstlername Olga Samaroff, gesch. 1904


Eltern:

Vater: Grigorij B., Kaufmann

Mutter: nicht geklärt


Geschwister:

nicht geklärt


Kinder:

keine

GND-ID: GND/1156748909

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 358-364

Das stürmische Leben und die bedeutenden Ingenieursleistungen des vielseitigen russischdeutschen Erfinders Loutzky waren den Technikhistorikern lange Zeit fast unbekannt, wofür wohl eine Ursache in den verschiedenen Übertragungsweisen des Kyrillischen lag, die auf unterschiedliche Personen hinzudeuten schienen. Hauptsächlich in der Ukraine und in Russland wurde in den letzten Jahren begonnen, Loutzkys Leben und Werk gründlicher zu erforschen und anders einzuordnen, wobei aber bis heute weiße Flecken in Loutzkys Biographie blieben.

Loutzky wurde in eine wohlhabende jüdische Kaufmannsfamilie in Berdyansk im sog. Ansiedlungsrayon geboren, dem Gebiet des europäischen Westens des russ. Zarenreiches, auf das bis 1917 das Wohn- und Arbeitsrecht der jüdischen Bevölkerung beschränkt war. Sein Vater, der in der Bezirksstadt Berdyansk eine Dampfmühle besaß, war als Händler Mitglied der zweiten Gilde. Er war mit seinem Bruder im Pelzhandel tätig und besaß im mehr als 7000 Einwohner-Dorf Andreevka ein Gut und mehrere Läden.

Dort verbrachte Loutzky seine Kinderjahre. Da etwa 15 Prozent der Einwohner deutsche Kolonisten waren, lernte er früh Deutsch. Mit zehn Jahren beendete er eine einjährige Staatsschule im Heimatort und wurde in die eben eröffnete Reallehranstalt in Sevastopol auf der Krim aufgenommen. Dort erhielt er in Mathematik, Naturwissenschaften und im technischen Zeichnen eine für die damalige Zeit gute Ausbildung, die er nach sieben Jahren als einer der besten beendete und das Privileg bekam, im Ausland studieren zu dürfen, wofür er begreiflicherweise Deutschland wählte.

So wurde Loutzky im Oktober 1882 in München Student. Wie aus seinem Prüfungszeugnis ersichtlich, zeigte Loutzky in den theoretischen Fächern durchschnittliche Kenntnisse, war aber „sehr gut“ im Maschinenzeichnen. Nach acht Semestern schloss er die TH 1886 mit dem „Absolutorium der mechanisch- technischen Abteilung“ ab.

Anschließend ging er zurück nach Russland und erfüllte seine Militärpflicht. Im Oktober 1887 kehrte Loutzky nach München zurück und meldete beim Patentamt seine ersten Erfindungen auf dem Gebiet des Verbrennungsmotorenbaus an. Die finanzielle Unterstützung des Vaters ermöglichte ihm, die hohen Gebühren für Patentanmeldungen zu bezahlen. 1887 und 1888 wurden ihm sechs Patente erteilt, durch die er die Aufmerksamkeit der Industrie auf sich lenkte und Konstrukteur bei der Münchener Maschinenbaufabrik Landes wurde.

Die erste Erfindung Loutzkys war ein stehender Gasmotor, bei dem die Kurbelwelle im Gegensatz zur damals üblichen Bauart der stationären Motoren unten lag, wodurch die Betriebssicherheit verbessert wurde. Wegen der Ähnlichkeit mit dem Gestell eines Dampfhammers erhielt die Konstruktion die Bezeichnung „Hammertype“. Der erste Entwurf entstand 1885 während Loutzkys Studienjahren, wurde aber erst 1888 verbessert und in Metall verwirklicht. Sein Motor wurde auf der Landes- und Industrie-Ausstellung in München im Herbst 1888 nicht von der Firma Landes sondern unter Loutzkys Namen ausgestellt und erregte solche Aufmerksamkeit, dass die Firma Koebers Eisenwerk in Harburg a. d. E. das Baurecht dafür erwarb und Loutzky als Konstrukteur anstellte.

In Harburg erfand Loutzky eine bessere Schmiervorrichtung seiner stehenden Motoren. Koebers baute mehrere Motoren des Hammertyps mit 180 U/min., die 1 bis 6 PS leisteten, stellte sie im Herbst 1889 bei der Gewerbe- und Industrieausstellung in Hamburg aus und wurde mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Bei der nächsten Ausstellung in Bremen im Jahr 1890 präsentierte die Firma verbesserte Motoren von Loutzky, die wieder Preise gewannen.

Damals entschied sich gerade die Maschinenbau AG Nürnberg, heute MAN, auch mit Motorenbau zu beginnen. Sie stellte den inzwischen angesehenen Konstrukteur ein. Anfang 1891 begann Oberingenieur Loutzky für sechs Jahre in Nürnberg Motoren seines Systems weiterzuentwickeln. Trotz geringer Lebensdauer boten diese Konstruktionen Ausgangspunkte für verschiedene Motorbauer. Dazu gehörten besonders die regelbare Glührohrzündung und die Saugluft-Zerstäubung von Benzin. Ein Jahr später, 1893, patentierte Wilhelm Maybach ein ähnliches Gerät. Besonders wichtig war die Halbkugelform des Brennraums (1895), die die Leistung des Motors wesentlich erhöhte. Es gelang Loutzky in Nürnberg jedoch nicht, einen kleinen Motor auf den Markt zu bringen. Deswegen entschied der Vorstand der Firma, diese Motorentypen einzustellen. In gutem Einvernehmen verließ Loutzky am 30. April 1897 die Firma und gründete in Nürnberg die „Gesellschaft für Automobilwagenbau System Loutzky mbH“, die er bis 1901 behielt, als er längst in Berlin war, das bessere Möglichkeiten bot.

In Berlin beteiligte sich Loutzky an der Gründung des „Mitteleuropäischen Motorwagen Vereins“, der ersten Vereinigung dieser Art in Europa, und wurde aktives Vorstandsmitglied. Ende 1897 erhielt er ein verlockendes Angebot von Max von Duttenhoffer (1843–1903) und Wilhelm Lorenz (1842–1926), das er sofort annahm: Es war Post von einem der Direktoren der eben gegründeten „Allgemeinen Motorwagen Gesellschaft“ in Berlin und gleichzeitig des technischen Beraters bei der Firma „Daimler-Motor-Gesellschaft“, DMG, in Cannstadt, von der von Duttenhoffer und Lorenz die Aktienmehrheit besaßen. Dies eröffnete Loutzky Möglichkeiten, seine Konstruktionen auch in Cannstadt bauen zu lassen. Die Allgemeine Motorwagen Gesellschaft, ab 1899 „Motorfahrzeug- und Motorenfabrik“, wurde Ende 1902 von der DMG übernommen. Loutzkys freie Mitarbeit bei der DMG dauerte bis 1914.

Vorbereitet vom Mitteleuropäischen Motorwagen Verein zusammen dem Deutschen Sportverein fand im September 1899 in Berlin die erste Internationale Motorwagenausstellung statt. Loutzky stellte unter dem Namen seiner „Gesellschaft für Automobilwagenbau“ verschiedene Autos aus: einen Postwagen, einen zweisitzigen Motorwagen als Cabriolet, einen kleinen einsitzigen Motorwagen und zwei Motordreiräder mit Anhängewagen. „Die wohlgedachten und sinnreichen Konstruktionen sind ausschließlich das Ergebnis eines zehnjährigen Studiums des in Automobilistenkreisen einen bedeutenden Rufes genießenden Oberingenieurs Loutzky“ (Anonym, 1899, S. 106), hieß es dazu. Alle Exponate Loutzkys wurden mit Goldmedaillen ausgezeichnet und auch 1900 bei der Pariser Weltausstellung stellte er die gleichen Wagen wieder aus und erhielt Silbermedaillen.

Der leidenschaftliche Musikliebhaber Loutzky hatte sich inzwischen in Berlin in eine junge Pianistin aus den USA verliebt, eine Katholikin. Sie willigte in die Ehe ein, vorausgesetzt dass Loutzky zum Christentum konvertiere. Loutzky ließ sich orthodox taufen und danach kirchlich trauen. Danach wurde die Ehe im Januar 1901 in New York offiziell registriert, und das junge Paar kehrte nach Berlin zurück. Es zeigte sich jedoch bald, dass der patriarchalische Loutzky und die Künstlerin nicht harmonierten. Im Sommer 1904 floh sie aus Berlin nach New York und ließ ihre Ehe scheiden. Später wurde sie unter dem Bühnennamen Olga Samaroff als Pianistin weltbekannt.

Ein wichtiger Abschnitt der Tätigkeit Loutzkys geschah mit DMG. Wie Forschungen von A. Firsov 2015 bis 2018 zeigen, wurden Ideen und Konstruktionen Loutzkys in vielen DMG-Produkten adaptiert, sein Name aber nur selten erwähnt. Firsov in „The first Mercedes car“ meint, dass der erste Mercedes 1901 eine Zusammentragung aus vielen bereits existierenden Konstruktionen war, auch Entwicklungen Loutzkys. Selbst die ersten Lastwagen der DMG seien wesentlich Konstruktionen Loutzkys, was DMG-Chef von Duttenhoffer verschwieg. Dass Loutzky dennoch großes Ansehen unter den Fachleuten seiner Zeit hatte, steht fest. Von Konstruktionen mit dem Stempel eines starken künstlerischen Empfindens ist die Rede, einem „genialen Pionier des Gasmaschinenbaues“ (Pöhlmann, 1913, S. 159).

Loutzky blieb immer russischer Patriot und dachte sehr früh über militärische Anwendungen seiner Erfindungen nach. Im März 1900 wandte sich Loutzky mit einem Brief an den Militärattaché Russlands in Berlin, Fürst Pavel N. Engalitschew (1864–1944). Er schrieb, dass er sich auf die Suche nach Anwendungen von Automobilen auf Militärzwecke konzentriere und als russischer Untertan seiner Regierung dienen möchte. Mit auf Automobile montierten Gewehren aber stieß er auf Ablehnung, weil dafür geschulte Soldaten fehlten.

Im Herbst 1900 machte Loutzky dann die Bekanntschaft des Admirals Wladimir P. Werchowsky

(1837–1917), der den Marineschiffsbau in Russland leitete und großes Interesse für Loutzkys Motoren zeigte. Im gleichen Jahr wurde Loutzky zum Marineattaché bei der Botschaft in Berlin ernannt und mit der Aufsicht des Baus von Schiffen für die russische Marine in Kiel betraut. Werchowsky beauftragte Loutzky auch mit dem Entwurf von Lastwagen und Schiffsmotoren. Im April/Mai 1901 besuchte Loutzky Russland und demonstrierte Zar Nikolaus II. seinen Lastwagen. Im August/September 1902 fanden bei Kursk Manöver der russischen Armee statt. Loutzky war mit zwei Lastwagen und einem Personenwagen für höhere Offiziere beteiligt. Inzwischen beriet Loutzky in St.-Petersburg beim Bau des ersten russischen U-Bootes, das sich am amerikanischen Vorbild orientierte und einen bei DMG gebauten 300 PS-Motor hatte. Im Herbst 1903 wurde das U-Boot „Delphin“ in Betrieb genommen.

1904 ließ Loutzky bei DMG zwei Motorboote zur Erprobung für die russische Marine bauen. Das zweite Motorboot, „Zariza“, Zarin, war 19 m lang und hatte einen stehenden 6-Zylinder-Benzinmotor mit 570 PS. Diese Jacht wurde berühmt, als sie bei der Rhein-Regatta 1907 den Weltrekord erzielte: 153 km in 2¾ Stunden, über 50 km/h Geschwindigkeit also! Dieser Motor gilt als eine der wichtigsten Konstruktionen Loutzkys. Bemerkenswert ist, dass Loutzky die „Zariza“ nach Ausmaßen und Konfigurationen möglichst ähnlich dem U-Boot „Delphin“ baute, was ihm ermöglichte, die für russische Marineschiffe zugeschnittenen Motoren in Deutschland testen zu können: 1908 lief die „Zariza“ im Bodensee als Nachfolger des 570 PS Motors mit einer 500-PS-Version.

Bald nach dem Bau der ersten Flugzeuge begann Loutzky auch solche zu projektieren. Im Auftrag der russischen Regierung konstruierte er 1908 bis 1913 drei verschiedene Modelle und ließ sie bauen. Den Anfang machte eine 1908 von DMG in Untertürkheim gebaute Flugmaschine, die in der Geschichte des Flugzeugbaus als eine Art Prototyp des Hubschraubers gilt: ein Doppeldecker mit drei Propellern als Vorwärtsantrieb und zwei Seitenpropellern zum Steuern, was einen Senkrechtstart erlaubte. Loutzky machte selbst mehrere Testflüge.

1910 baute Loutzky in Johannestal bei der Firma „Rumpler“ sein zweites Flugzeug, einen zweimotorigen Eindecker. Die Besonderheit dieses Flugzeugs war die Anordnung der beiden Motoren und Propeller hintereinander, wobei die Achsen konzentrisch eingerichtet waren und jeder Motor seinen eigenen Propeller antrieb. Der zweite Propeller war mit dem Motor direkt verbunden, der erste durch ein Wechselgetriebe, so dass dessen Rückwärtslaufen nach dem Landen Bremshilfe war. Das Flugzeug erreichte eine Geschwindigkeit von 160 km/h und wurde der russischen Regierung 1912 im Flug demonstriert. Ende dieses Jahres löste Loutzky seine Firma in Berlin auf und ging nach St.-Petersburg, um dort die Produktion seiner Motoren für Flugzeuge zu organisieren. Er kehrte aber 1914 nach Berlin zurück. Übrigens hat Loutzky auch in den 1920er Jahren noch den Flugzeugmotorenbau in Russland aktiv gefördert, indem er viele Briefe an russische Kollegen schrieb und Fragen mit seinem Freund Boris N. Worobjow (1882–1965) bei dessen Dienstreisen nach Berlin erörterte.

Vor dem Kriegsausbruch galt Loutzky plötzlich in Berlin als „feindlicher Ausländer“. In Russland wurde in den 1920er Jahren berichtet, dass Loutzky Ende Juli 1914 bei seiner Verhaftung heftigen bewaffneten Widerstand geleistet habe. Vermutlich war Spionageverdacht nicht ganz unbegründet; denn der Militärattaché Loutzky unterhielt seit 1900 nicht nur engste Verbindungen zum russischen Militär. Es mussten schon bedeutende Verdienste um das Zarenreich gewesen sein, die ihm die jeweils erbliche Ehrenbürgerschaft und den Adelstand innerhalb kurzer Zeit eingebracht hatten. Das Gericht verurteilte ihn als russischen Spion zum Tode. Dank hoher Protektion wurde das Urteil in lebenslange Festungshaft in Spandau gewandelt.

Tatsächlich war Loutzky zu Beginn der Weimarer Republik in Freiheit und bisher konnten keine Dokumente über Loutzkys Haft gefunden werden, auch nicht im Spandau-Archiv. Den gesamten I. Weltkriegs über bleibt das Leben Loutzkys also im Dunkeln. Das einzige zeitgenössische Zeugnis über eine Verhaftung enthält ein Brief seines russischen Freundes Boris N. Worobjow vom Juli 1915, den A. Firsov veröffentlichte.

Gleich nach Kriegsende wandte sich Loutzky wieder einer Idee zu, mit der er sich seit langem beschäftigt hatte: der Radfederung an Motorwagen ohne Gummi. Dies war umso aktueller, weil Kautschuk und Gummi knapp waren. Viele Ingenieure versuchten, gute Räder ohne Gummi zu schaffen; es gab auch Patente, die dies verfolgten.

Anfang 1919 trat Loutzky in Verhandlungen mit der Hirsch, Kupfer- und Messingwerke AG in Berlin, um die Produktion seiner neuen gefederten Räder zu organisieren. Generaldirektor Hirsch teilte im April 1919 mit, die Gesellschaft sei damit beschäftigt, die Fabrikation eines neuen Artikels aufzunehmen. „Es handle sich […] um die Verwertung einer epochemachenden Erfindung des Diplomingenieurs von Loutzky betreffend eine luftgefederte Radnabe“ (Metall und Erz 16, H. 9, 5. Mai 1919, S. 212 f.).

Inzwischen begab Loutzky sich in seinen Heimatort Andreevka, wo seine Eltern noch lebten. Dort verbrachte er etwa anderthalb Jahre. Unklar bleibt aber, ob er dazwischen nicht in Berlin weilte; denn über 20 Patente meldete er aus Andreevka an und weitere in Berlin, durchweg frühere Erfindungen, die auch zeigen, wie Loutzky sich weiter als Russe für sein Land einsetzte. Der andauernde Bürgerkrieg zwang ihn jedoch, im Herbst 1920 ganz nach Berlin zurückzukehren. Im April 1921 gründete er die Berliner Firma „Loutzky-Werk GmbH“. Produkte seiner Firma waren zunächst ausschließlich Naben und Räder, wie damalige Prospekte und Reklame-Blätter zeigen. Mitte der 1920er erweiterte Loutzky sein Sortiment mit einer neuen Vorrichtung zur Zündkontrolle von Motoren.

Ende 1922 ersuchte Loutzky beim Präsidium des Obersten Rats der UdSSR um die Erlaubnis seiner Rückkehr. Das Gesuch wurde nach langer Dauer abgelehnt, Loutzky unter die „klassenfremden Elemente“ gerechnet, und ab 1930 war sogar seinen Kollegen und Freunden in der UdSSR der Briefwechsel mit ihm verboten.

Vermutlich wegen der Wirtschaftskrise löste Loutzky Anfang 1930 sein Unternehmen auf. Er setzte seine Erfindertätigkeit aber fort. In dieser Zeit entwickelte er einzigartige Kugelräder für Autos und Flugzeuge und zweirädrige Motorwagen mit Kugelrädern, sowie ein Land- und Wasserflugzeug mit Fahrgestell aus zwei großen, mit Luft gefüllten Kugelrädern, das er 1934 in Berlin bauen ließ.

Im Mai 1936 meldete Loutzky sein letztes Patent an. Der jetzt Staatenlose blieb in Berlin. Wie seine letzten Jahre vergingen, ist unbekannt. Kürzlich wurden aber in Moskau Dokumente entdeckt, die belegen, dass es Loutzky war, der Ende 1940 den geplanten Angriff Deutschlands auf die UdSSR dem russischen Militärattaché Wassilij I. Tupikow mitgeteilt hatte. Loutzky selbst erfuhr davon im deutschen Luftfahrtministerium. Tupikows Bericht wurde jedoch in Moskau ignoriert. Loutzky starb im August 1943 und wurde auf den orthodoxen Friedhof Berlin-Tegel begraben.

Vom Erfinder Loutzky stammen über 200 Patente mehrerer Länder. Viele gaben wichtige Impulse im Motoren- und Autobau, Schiffs- und Flugzeugbau. Als bedeutendste seiner Erfindungen gelten: stehende Ein-, Vier- und Sechszylinder-Motoren mit oben angeordneten Zylindern, mehrere Verbrennungsmotoren für Motorwagen, u. a. der „Boxer-Motor“ für Motorräder, eine Reihe von Vorrichtungen zur bequemen Steuerung von Autos und Motoren, die erste Fußbremse, die erste Anlass-Vorrichtung für Motoren, sowie die zentralisierte Anordnung aller Einrichtungen. Dann entwarf Loutzky mehrere Typen von federnden Rädern für Motorenwagen, eine Reihe Schiffsmotoren, einschließlich des ersten Motors mit der Umsteuerung der Kurbelwelle, was den Rückwärtsgang ermöglichte. In dieser Reihe darf auch das erste Flugzeug mit Senkrechtstart nicht fehlen, Prototyp für Hubschrauber, und das Flugzeug mit zwei gleichachsig hintereinander angeordneten Propellern mit voneinander unabhängigem Betrieb, was erstmals die Umsteuerung des ersten Propellers ermöglichte. Die letzten Entwicklungen Loutzkys betrafen pneumatische Naben für Autos, Motorräder und Flugzeuge, luftgefüllte Kugelräder, mit denen er ein zweiräderiges Auto ausstattete, und ein Land- und Wasserflugzeug, dessen Fahrgestell diese Rädern aufwies.

Loutzky selbst schrieb: „Es ist selbstverständlich, dass jeder Unternehmer, unabhängig von dem Erfinder respektive Konstrukteur, die Erfindung in seiner Weise lanciert“ (1919, Brief, S. 165 f.). Hier klingt der Themenkreis an, der nicht endgültig geklärt ist. Es will nämlich scheinen, dass viele Ideen Loutzkys von anderen nicht nur weiterverarbeitet wurden, sondern dass Loutzkys Anteil dabei übergangen wurde. In diesen Verdacht gerät weniger Wilhelm Maybach, der mit Sicherheit an Loutzky-Ideen arbeitete, zum Beispiel bei der Realisierung des ersten Schiffs-Großmotors, als die DMG. Was jedoch wessen geistiges Eigentum war und wie es verwertet wurde, ist undurchsichtig. Vielleicht lässt es sich nie mehr zweifelsfrei klären.

So verwundert es nicht, dass der Name Loutzky seit den 1930er Jahren in Vergessenheit geraten war, bis unlängst neue Schlaglichter die Lebensleistung Loutzkys erhellten und seine Bedeutung in der Technikgeschichte.

Quellen:

A der TU München PA. Stud. Loutzky, Boris [jetzt vermisst, veröffentlicht in: Firsov, 2013, S. 73, 75–77]; LandesA Berlin Bestand A, Rep. 342–02. Nr. 12718, Loutzkoy-Werk GmbH, 1920–1932; MAN-Museum und Historisches A der MAN Energy Solutions SE Augsburg 1.2.2. Das Unternehmen – Mitarbeiter (1956); Auskünfte aus: Brandenburg. LandeshauptA Potsdam vom 6.7.2018, A der Zitadelle Spandau vom 12. und 13.7.2018; BA Berlin vom 24.7.2018; Geheimes StaatsA Preuß. Kulturbesitz Berlin vom 10.und 13.,7., 10.9. und 5.10.2018; BA-Bildarchiv Koblenz vom 4.10.2018; BA-Militärarchiv, Freiburg vom 23.10.2018; Historisches A der MAN Truck & Bus AG, München vom 26.11.2018.

Werke: Mischventil für Gasmaschinen, DP Nr. 41414, angemeldet 17.5.1887, ausgegeben 1.11.1887; Zündvorrichtung für Gasmotoren, DP Nr. 42 289, angem. 21.6 1887, ausgegeb. 6.2.1888; Gaserzeuger für Petroleumgasmaschinen, DP Nr. 42 290, angem. 21.6.1887, ausgegeb. 24.1.1888; Durch den Arbeitskolben betätigte Zündvorrichtung für Gasmotoren, DP Nr. 42 880, angem. 19.10.1887, ausgegeb. 3.4.1888; Elektrische Zündvorrichtung für Gasmaschinen, DP Nr. 43 446, angem. 13.11.1887, ausgegeb. 4.06.1888; Neuerung an Gasmotoren mit Differentialkolben, DP Nr. 43800, angem. 29.1.1888, ausgegeb. 17.7.1888; Schmiervorrichtung für die Kolben stehender Gasmaschinen, DP Nr. 48 641, angem. 29.1.1889, ausgegeb. 18.9. 1889; Reguliervorrichtung für Gasmaschinen, DP Nr. 48 902, angem. 20.1.1889, ausgegeb. 9.10.1889; Reguliervorrichtung für Gasmaschinen, DP Nr. 57 869, angem. 13. 5.1890, ausgegeb. 7.8.1891; Gas-Luftmaschine, DP Nr. 59 452, angem. 15.11.1890, ausgegeb. 26.10.1891; Pendelregulator für Gasmaschinen, DP Nr. 63 121, angem. 27.9.1891, ausgegeb. 24.6.1892; Federnder Radreifen, DP Nr. 75 776, angem. 12.11.1893, ausgegeb. 16.6.1894; Vorrichtung an Motorwagen zur Einstellung des Getriebes und der verschiedenen Organe des Kohlenwasserstoffmaschine mit zwei starr verbundenen, drei Arbeitsflächen bietenden Hohlkolben, auch mit Arbeitsweise einer Eintaktmaschine, DP Nr. 81 530, angem. 31.7.1894, ausgegeb. 6.6.1895; Machine à gaz et à hydrocarbures, à deux cylindres placés l’un en face del’autre et à manivelles calées à 180o, Fr. P. Nr. 248 989, 18.7.1895; Biciclette actionnée alternativement ou simultanément par un moteur et par les pieds, Fr. P. Nr. 248 990, 18.7.1895; Steuerung für Explosionsmaschinen, DP Nr. 101 715, angem. 1.1.1898, ausgegeb. 27.2.1899; Im Viertakt arbeitende Explosionskraftmaschine, DP Nr. 104 770, angem. 22.10.1898, ausgegeb. 15.8.1899; Im Viertakt arbeitende Explosionskraftmaschine, DP Nr. 104 975; angem. 22.10.1898, ausgegeb. 23.8.1899; Mehrteilige Kurbelwelle, DP Nr. 105 220, angem. 30.9.1898, ausgegeb. 22.8.1899; Vorrichtung an Motorwagen zur Einstellung des Getriebes und der verschiedenen Organe des Explosionsmotors mittels eines Hebels, DP Nr. 106 168, angem. 16.10.1898, ausgegeb. 1.11.1899; Mehrzylindrige Kraftmaschine mit einer zwischen den Cylindern angeordneten Steuerwelle, DP Nr. 106 296, angem. 13.9.1898, ausgegeb. 13.11.1899; Befestigung des Cylinderdeckels am Gehäuse von Explosionskraftmaschinen, DP Nr. 106 299, angem. 22.10.1898, ausgegeb. 6.11.1899; Anlassvorrichtung für Motorwagen, DP Nr. 107 071, angem. 16.10.1898, ausgegeb. 15.12.1899; Über Gasmotoren und Motorwagen System Loutzky, Vortrag Loutzkys gehalten in Berlin, abgedr. in: Der Motorwagen 26, 1899, H. 5, 44–46; An der Lenkstange von Motor-Fahrrädern angeordnete Vorrichtung zur Übertragung der Bewegung auf die Regelungsvorrichtungen des Motors, DP Nr. 108 297, angem. 14.2.1899, ausgegeb. 7.2.1900; Gestell für Motor-Dreiräder mit vor der Hinterräderachse angeordnetem Motor, DP Nr. 111 959, angem. 22.2.1899, ausgegeb. 30.6.1900; Einrückvorrichtung für Zahnräder-Wende- und Wechselgetriebe, DP Nr. 124 348, angem. 16.10.1900, ausgegeb. 18.10.1901; Kühlvorrichtung für das Kühlwasser von Explosionskraftmaschinen, DP Nr. 138 810, angem. 18.7.1901, ausgegeb. 18.2.1903; Arbeitsverfahren für Verbrennungskraftmaschinen, DP Nr. 148 041, angem. 27.2.1902, ausgegeb. 5.2.1904; Vereinigtes Ein- und Auslassventil für Gas- und Verbrennungskraftmaschinen, DP Nr. 156 343, angem. 10.1.1904, ausgegeb. 25.11.1904; Ringventil mit Wasserkühlung für Explosionskraftmaschinen, DP Nr. 192 259, angem. 24.8.1906, ausgegeb. 26.11.1907; Umsteuerung mit verschiebbarer Steuernockenwelle, DP Nr. 193 016, angem. 4.11.1906, ausgegeb. 12.12.1907; Ringventil mit Wasserkühlung für Explosionskraftmaschinen, DP Nr. 203 691, angem. 3.11.1906, ausgegeb. 19.10.1908; Umsteuerung für Kraftmaschinen mit verschiebbarer, durch Niederdrücken sämtlicher Ventile mittels Druckluft freizugebender Nockensteuerwelle, DP Nr. 211 338, angem. 4.12.1907, ausgegeb. 26.6.1909; Federndes Rad, DP Nr. 204 129, angem. 13.03.1907, ausgegeb. 12.11.1908; Improvements in Aeroplanes, Brit. Pat. Nr. 3 506, application 12. Feb. 1910, accepted 4. Aug. 1910; Flugzeug mit zwei gleichachsig und unmittelbar hintereinander angeordneten Propellern, DP Nr. 263 059, angem. 29.10.1911, ausgegeb. 20.7.1913; Brief über die Loutzkoy-Pneunabe, in: Automobil-Revue 30, 1919, Nr. 11, 165 f.; Rad mit abgefederter Nabe, DP Nr. 335 858, angem. 23.5.1920, ausgegeb. 16.4.1921; Lamellenbereifung, DP Nr. 339 196, angem. 30.3.1920, ausgegeb. 18.7.1921; Staubschutz für Räder, DP Nr. 339 669, angem. 11.9.1919, ausgegeb. 3.8.1921; Pneumatische Nabe mit Zylinderblock, DP Nr. 344 197, angem. 2.2.1919, ausgegeb. 15.11.1921; Federnde Nabe, DP Nr. 354 131, angem. 6.1.1922, ausgegeb. 18.11.1922; Kurbelring für Pneunaben von Kraftfahrtzeugen, DP Nr. 361 829, angem. 3.10.1920, ausgegeb. 20.10.1922; Schaber für Pneunaben, DP Nr. 362 836, angem. 17.06.1921, ausgegeb. 2.11.1922; Doppeltrommel für Naben (insbes. Pneunaben), DP Nr. 364 132, angem. 22.9.1921, ausgegeb. 18.11.1922; Pneumatische Nabe mit Zylinderblock (Zusatz zum DP Nr. 344 197), DP Nr. 366 675, angem. 17.6.1921, ausgegeb. 9.1.1923; Pneunabe, DP Nr. 400 990, angem. 3.10.1922, ausgeb. 26.8.1924; Pneunabe, DP Nr. 439 379, angem. 27.11.1925, ausgeben 8.1.1927; Zündkerze für Verbrennungsmotoren mit sichtbarem Funken, DP Nr. 439 179, angem. 25.6.1925, ausgegeb. 5.1.1927; Beobachtungseinrichtung der Verbrennungsvorgänge im Zylinder von Brennkraftmaschinen aller Art, DP Nr. 437 439, angem. 12.2.1926, ausgegeb. 10.1.1927; Regelung für Zweitaktbrennkraftmaschinen, DP Nr. 519 932, angem. 6.2.1930, ausgegeb. 5.3.1931; Durch Luftdichter abgefederte Nabe, DP Nr. 573 264, angem. 2.9.1931, ausgegeb. 29.03.1933; Seitenführungen der Gehäuse bei Pneunarben, DP Nr. 575 726, angem. 2.4.1932, ausgegeb. 2.5.1933; Einspurfahrzeug mit einem Fahrzeugkörper in Stromlinienform, DP Nr. 596 926, angem. 16.12.1932, ausgegeb. 12.5.1934; Abfederung für Flugzeuge durch luftgefüllte Gummihohlkörper, DP Nr. 598 801, angem. 1.10.1932, ausgegeb. 19.6.1934; Hohlkugelrad für Flugzeuge (Zusatz zum DP Nr. 598 801), DP Nr. 600 377, angem. 2.12.1932, ausgegeb. 21.7.1934; Hohlkugelbereifung mit konzentrisch angeordneten kugelförmigen Einzelzellen, DP Nr. 605 998, angem. 24.6.1933, ausgegeb. 23.11.1934; Mehrzellenluftreifen, DP Nr. 656 079, angem. 17.3.1936, ausgegeb. 28.1.1938.
Nachweis: Bildnachweise: Foto S. 355, auf einer deutschen Postkarte 1912 mit dem Rennjacht „Zariza“, in: Firsov, 2015, 269.

Literatur:

G. Schaar, Gasmotor von Lutzky [sic!], in: Journal für Gasbeleuchtung 32, 1889, 1092; Anonym, Die internationale Motorwagenausstellung zu Berlin 1899, in: Dinglers Polytechnisches Journal 314, 1899, 106–108; Hugo Güldner, Das Entwerfen und Berechnung der Verbrennungsmotoren, 1903, 54 f., 125 f., 440; 21905, 50–52, 363, 503 f.; Christian Pöhlmann, Die unmittelbare Umsteuerung der Verbrennungskraftmaschinen, 1913, 157–176; Friedrich Sass, Geschichte des deutschen Verbrennungsmotorenbaues von 1860 bis 1918, 1962, 294–303, 347–349; A. V. Firsov, Boris Loutzky – Creator of the world’s first motorized bicycle classic layout with a combustion engine, in http://journal.museum.kpi.ua/archive/2012–vol–16/RHT-issue–16–title–03–Firsov.pdf (2012, Russisch); A. V. Firsov Unknown and less known facts from the biography of Boris Loutzky, in: http://irbis-nbuv.gov.ua/cgi-bin/irbis_nbuv/cgiirbis_64.exe?I21DBN=LINK&P21DBN=UJRN&Z21ID=&S21REF=10&S21CNR=20&S21STN=1&S21FMT=ASP_meta&C21COM=S&2_S21P03=FILA=&2_S21STR=Nrs_2013_1_13 (2013, Russisch); A. V. Firsov Inzhener Luckij (Luckoj) – zabytyj genij motorostroenija [Engineer Loutzky (Loutzkoy) – forgotten genius of engine-building], 2015. (Russisch); A. V. Firsov, Boris Nikititsch Worobjow, 2016 (Russisch); A. V. Firsov Fünfteiliger dokumentarischer Film Boris Loutzky, 2017–2018, Russisch: https://drive.google.com/file/d/0B3hQFw10akQDNXhTLVhMZUNCU3c/view; https://drive.google.com/file/d/0B4NcBH0qJP-kZk-ZyMjJOemJwQ28/view ; https://drive.google.com/file/d/0B4NcBH0qJP-kS2tMbmsxZ2NWRTg/view ; https://drive.google.com/file/d/0B4NcBH0qJP-kQU9pZlVCLW9FNG8/view ; https://drive.google.com/file/d/0B4NcBH0qJP-kNUNKbmdoc1FnRWM/view. Alexander Firsov, The first Mercedes car: innovation or compilation (Russisch, Abstract in Englisch), in: Voprosy istorii orestestvoznaniia i tekhniki, [Probleme der Geschichte der Naturwissenschaft und Technik], 2018, vol. 39, Nr.. 2, 259–288.

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