Federer, Julius 

Geburtsdatum/-ort: 08.05.1911;  Konstanz
Sterbedatum/-ort: 20.01.1984;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Bundesverfassungsrichter
Kurzbiografie: 1917-1929 Schulbesuch in Konstanz bis Abitur
1929-1932 Jurastudium in München, Freiburg, Heidelberg
1932 I. juristische Staatsprüfung in Karlsruhe
1936 II. juristische Staatsprüfung in Stuttgart
1936-1938 Assessor beim Notariat und Grundbuchamt Durlach, Amtsgericht Mannheim, Staatsanwaltschaft Offenburg und Karlsruhe
1938 Finanzassessor, dann Finanzrat beim Erzbischöflichen Oberstiftungsrat in Freiburg
1939-1943 Kriegsdienst in der Wehrmacht
1943-1945 Kriegsgefangenschaft in USA
1945 Rückkehr ins Amt beim Oberstiftungsrat
1947 Dr. jur. bei K. S. Bader: Über den Freiheitsgedanken im Code civil und im badischen Landrecht
1947 Landgerichtsrat in Freiburg
1949 Oberlandesgerichtsrat in Freiburg
1951-1967 Richter am Bundesverfassungsgericht
1967 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: Irmgard, geb. Bastian (1927-1988)
Eltern: Vater: Julius Georg (1873-1936), Landgerichtsdirektor
Mutter: Pauline, geb. Gloderer (1875-1948)
Geschwister: Maria (geb. 1908)
Kinder: eine Tochter
GND-ID: GND/116426810

Biografie: Reiner Haehling von Lanzenauer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 75-77

Federer entstammt einer alteingesessenen Freiburger Handwerkerfamilie; sein Großvater arbeitete als Gerbermeister. Federers Vater, der den Juristenberuf ergriffen hatte, kam als Richter an das Amtsgericht Radolfzell, danach an das Landgericht Konstanz. Federer, der in der Kulturlandschaft des Bodensees aufwuchs, besuchte ab Ostern 1917 die Volksschule, ab 1920 das humanistische Gymnasium von Konstanz. Sodann studierte er in München, Freiburg und Heidelberg Rechtswissenschaft. In Freiburg beteiligte er sich an Seminaren der Professoren Konrad Beyerle und Freiherr von Schwerin, was ein ausgeprägtes Interesse für Rechtsgeschichte ankündigt. In der Neckarstadt konnte Federer an einem Seminar des bekannten Rechtslehrers Gustav Radbruch teilnehmen. Im Oktober 1932 bestand er das I. juristische Staatsexamen mit der Note „gut“.
Während seines Referendarsdienstes lernte der junge Referendar Gerichte und Behörden in mancherlei Regionen des Badenerlandes kennen. Daneben versah er von Beginn des Wintersemesters 1932/33 bis zu Ende des Wintersemesters 1933/34 das Amt eines Assistenten an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg. Nach der NS-Machtübernahme stand er hier inmitten des Spannungsfelds zwischen Anpassung und Widerstand seitens von Professoren wie Studenten, hier musste er die Verfolgung jüdischer Rechtslehrer mit ansehen.
Im April 1936 legte Federer das II. Staatsexamen ab, wiederum mit der überdurchschnittlichen Note „gut“. Überschattet wurde der Examensablauf durch den plötzlichen Tod des Vaters, der während einer Sitzung des Konstanzer Landgerichts am Richtertisch einen Herzinfarkt erlitt. Nun wollte Federer ebenfalls in den Justizdienst eintreten. Er wurde als Gerichtsassessor verwendet beim Notariat und beim Grundbuchamt Karlsruhe-Durlach, beim Amtsgericht Mannheim sowie bei den Staatsanwaltschaften Offenburg und Karlsruhe.
Im Jahre 1938 stand die Übernahme auf eine Planstelle als Richter oder Staatsanwalt an. Allerdings machte man jetzt ganz allgemein die Parteimitgliedschaft zur Voraussetzung einer Anstellung auf Lebenszeit. Einen Eintritt in die NSDAP hielt Federer jedoch mit seiner demokratischen Einstellung und seiner katholischen Glaubensüberzeugung nicht für vereinbar. Federers Schwester Maria hat später erklärt, dass es hierzu wegen zu scharfen Auseinandersetzungen ihres Bruders mit dem NS-Oberlandesgerichtspräsidenten Heinrich Reinle gekommen sei, woraufhin Federer aus dem Staatsdienst ausschied. Für Federer bot sich jetzt die günstige Gelegenheit, in den Dienst des Erzbischöflichen Oberstiftungsrats in Freiburg zu treten, eine kirchliche Behörde, die das Vermögen der Erzdiözese Freiburg zu verwalten hatte. Federer begann somit eine Tätigkeit, die weitreichenden Freiraum versprach. Im Abgangszeugnis seiner letzten Dienststelle wurde Federer vom Leiter der Staatsanwaltschaft Karlsruhe unter dem 1. April 1938 bescheinigt: „Wenn er bei der in seiner Familie überkommenen starken Bindung an die Weltanschauung der katholischen Kirche sich nunmehr entschlossen hat, aus dem Staatsdienst auszuscheiden und in den Dienst der katholischen Kirche zu treten, so kann ihm meines Erachtens von der charakterlichen Seite her daraus ein Vorwurf nicht gemacht werden.“
Anfang April 1938 trat Federer sein neues Amt als Finanzassessor an, im folgenden Jahr sah er sich zum erzbischöflichen Finanzrat befördert. Lange konnte er sein neues Amt nicht ausüben, denn nach Kriegsausbruch wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Er musste am Afrikafeldzug teilnehmen und geriet im Mai 1943 in englische, dann in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Er wurde in die USA transportiert und war in drei verschiedenen Lagern untergebracht. Dort nahm er an Weiterbildungsprogrammen teil und studierte Schriften, die ihm der Lagerkaplan verschafft hatte. Es konnte auch ermittelt werden, dass er in den Monaten April und Mai 1945 mehrere Beiträge für die Kriegsgefangenenzeitung „Der Ruf“ verfasst hat. Über Frankreich heimkehrend wurde Federer im September 1945 aus der Gefangenschaft entlassen. Alsbald nahm er seinen Dienst bei der kirchlichen Stelle wieder auf. Im Juni 1947 wurde er für kurze Zeit freigestellt für die Tätigkeit als Vorsitzender einer Spruchkammer.
Bald nach Kriegsende war im französisch besetzten südbadischen Landesteil eine eigene Justizverwaltung mit Sitz in Freiburg entstanden, die die Gerichtsorganisation schrittweise wieder in Gang setzte. Da entschloss sich Federer, zur Justiz zurückzukehren. 1947 wurde der politisch Unbelastete zum Landgerichtsrat in Freiburg ernannt. Im selben Jahr wurde er an der Universität Freiburg zum Dr. jur. promoviert, nachdem er an dem von seinem Doktorvater Karl S. Bader geleiteten „Badischen Seminar“ teilgenommen und eine rechtshistorische Dissertation vorgelegt hatte. Ab April 1948 gehörte Federer zusätzlich als gewähltes Mitglied dem Badischen Staatsgerichtshof an, der vor allem über Verfassungsstreitigkeiten zu befinden hatte. Im Jahre 1949 wurde Federer zum Richter an dem zwei Jahre zuvor auf Besatzungsanordnung errichteten Oberlandesgericht Freiburg ernannt. Zugleich übte er nebenamtlich Richterämter am Freiburger Verwaltungsgerichtshof und am Obergericht für Rückerstattungssachen in Rastatt aus.
Mit Wirkung vom 7. September 1951 wurde Federer zum Richter am neu gegründeten Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewählt. Der jüngste in der Gruppe dieser ersten Bundesverfassungsrichter, gerade 40 Jahre alt, gehörte dem Zweiten Senat an. Die Rechtsprechung dieses Senats, dem er die ganze Zeit über angehörte, hat Federer prägend mitgestaltet. Im Zusammenhang mit den Urteilen, an denen er mitwirkte, sei auf die Senatsentscheidungen in der veröffentlichten amtlichen Sammlung verwiesen. Zu erwähnen ist gleichwohl wegen der weitreichenden landespolitischen Konsequenzen das sogenannte Südweststaaturteil vom 23. 10. 1951, wo insbesondere ausgesprochen wurde, dass ein Abstimmungsgesetz nichtig ist, das willkürlich den Abstimmungsmodus so wählt, dass ein Teil der Stimmberechtigten benachteiligt ist. Man wird davon ausgehen können, dass Federer mit jenen Richtern stimmte, die damals einen demokratischen Weg für eine mögliche Wiederherstellung des Landes Badens eröffnet hatten. Bei der Beratung besonders dieses Urteils sind widersprüchliche Meinungen transparent geworden, wie das Abstimmungsverhältnis 6:2 offenbarte. Beratungsgeheimnis blieb hingegen, wie jeder einzelne Richter entschieden hatte. Gerade Federer hatte sich indes schon seit seinem Wirken beim Badischen Staatsgerichtshof in Wort und Schrift für die „dissenting vote“ eingesetzt: Ein überstimmter Richter solle seine von der Senatsmehrheit abweichende Meinung in einem veröffentlichten Sondervotum festlegen dürfen. Um seine Argumente zu stützen, erarbeitete Federer eine umfassende Übersicht über Beispiele von Sondervoten in der deutschen Rechtsgeschichte. Dies löste einen lang währenden Meinungsstreit aus. Am Ende wurde mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht von 1970 das Sondervotum zugelassen – die von Federer vertretene Rechtsauffassung hatte sich durchgesetzt.
Da befand sich Federer selbst schon drei Jahre im Ruhestand. Er verbrachte seinen Lebensabend in Karlsruhe, wo er sich namentlich dem Aufbau des Rechtshistorischen Museums widmete, das heute im Bibliotheksgebäude des Bundesgerichtshofs untergebracht ist.
Quellen: GLA Karlsruhe 240, Zug. 1997-38/1213 (Vater), 465a/51/11/4067, 450/14474 (Benutzerakte Federer); StAF D 75/1 Nr. 80 (Anwaltszulassung Maria Federer), AS 193-205; Lebenslauf in Diss. 1947 (s. u.); OLG Karlsruhe, Zivilsenate in Freiburg, Sammelakte E 220 (Besetzungsübersicht vom 5. 10. 1949); EAF Personalakte L., 502.
Werke: Über den Freiheitsgedanken im Code civil u. im bad. Landrecht, in: Dt. Rechtszs. 1946, 7; Beiträge zur Gesch. des Bad. Landrechts, Diss. jur. Freiburg 1947, in: Baden im 19. u. 20. Jh. Bd. 1, 1948, 81, vgl. dazu ZGO 97, 1949, 361; Recht u. Juristen im alten Baden, in: FS zur Eröffnung des Bundesgerichtshofs, 1950, 49; Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundgesetz d. Bundesrepublik Deutschland, in: Jb. des öff. Rechts 1954, 15; Alte juristische Bücher aus dem Verlag C. F. Müller Karlsruhe, 1963; Aus alten Rechtsbüchern. Zur Ausstellung zum 45. Juristentag in Karlsruhe, in: Karlsruhe heute u. morgen, 1964, H. 3, 6; 100 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Bericht über den 3. Fortbildungskurs für Lehrer d. Gemeinschaftskunde an Gymnasien, Kultusministerium B-W, 1964, 51; Die Bekanntgabe d. abweichenden Meinung des überstimmten Richters, in: Juristenztg. 1968, 511, ergänzend 1969, 369; Mithg. d. Bde. II u. III d. Studienreihe „Baden im 19. u. 20. Jh.“, 1950 u. 1953.
Nachweis: Bildnachweise: Jutta Limbach (Hg.), Das Bundesverfassungsgericht, 2000, 85.

Literatur: Erzdiözese Freiburg, Personal-Schematismus 1939, 7; Der Kampf um den Südweststaat, Veröfftl. d. Inst. f. Staatslehre u. Politik in Mainz Bd. 1, 1952, 394, 396 u. 496; NDB 2, 1955, 248; Karl Stiefel, Baden 1648-1952 Bd. I, 1977, 394; Das Bundesverfassungsgericht 1951-1971, 1971, 218; MunzingerA 18/84; Karl-Heinz Knauber, in: ZGO 132, 1984, 359; Richard Ley, in: NJW 1984, 1343; Karl S. Bader, in: Paul-Ludwig Weinacht, Gelb-rot-gelbe Regierungsjahre, 1988, 68, 71; Alexander Hollerbach, in: Eckhard John u. a. (Hgg.), Die Freiburger Universität in d. Zeit des Nationalsozialismus, 1991, 91; ders. in: Gerhard Kübler u. a. (Hgg.), Wirkungen europäischer Rechtskultur, 1997, 377; Dt. bibliogr. Enzyklopädie Bd. 3, 1996, 241; Karl Zippelius, in: NJW H. 35, 1996, Beilage „Juristentag“, 78; Horst Säcker, Das Bundesverfassungsgericht, 1998 5. Aufl., 10; Peter Badura u. a., FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 1. Bd., 2001, 365, 2. Bd., 913; Michael Kißener, Zwischen Diktatur u. Demokratie, 2003, 174, 314; Angela Borgstedt (Hg.), Bad. Juristen im Widerstand (1933-1945), 2004, 34, 94. – Zeitungen: BNN vom 21., 23. u. 24. 1. 1984; FAZ vom 26. 1. 1984.
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